Christo Grosew
Christo Grosew (englische Transkription Christo Grozev[1]; bulgarisch Христо Грозев; * 20. Mai 1969 in Plowdiw[2]) ist ein bulgarischer Unternehmer und Investigativjournalist und seit 2023 Leiter Recherche von The Insider, zuvor arbeitete er bei Bellingcat. Er ist Träger des Europäischen Pressepreises (European Press Prize) in der Kategorie Investigativer Journalismus für das Jahr 2019.
Werdegang
BearbeitenGrosew wurde in Bulgarien geboren. Er studierte an der Amerikanischen Universität Bulgarien und an der IMADEC in Wien mit Abschlüssen in Kommunikationswissenschaft, internationalem Recht und Wirtschaft.[3] Schon zuvor hatte er seine journalistische Arbeit während seiner Studentenzeit als Radioreporter in seiner damals noch sozialistischen Heimatstadt Plowdiw begonnen, wo er nach dem Ende des Sozialismus auch den ersten privaten Radiosender in Bulgarien, der sich von Werbeeinnahmen finanzierte, eröffnete.[2]
Im Jahr 1994 wurde er von Metromedia engagiert zur Betreuung derer Tätigkeiten im ehemaligen Ostblock.[4] Er gründete u. a. Radiostationen in Sotschi, Sankt Petersburg, den baltischen Staaten oder Ungarn. Im Jahr 2000 wurde Grosew Präsident von Metromedia International, er stand damit mindestens 26 Radiosendern in 9 Ländern vor. Ab 2006 musste er alle seine Medienprojekte in Russland verkaufen[5] und war hauptsächlich in den Niederlanden und Bulgarien tätig, 2007 gründete er als Partner ‚Altelys Investments‘ und nahm später in den Niederlanden Einsitz im Aufsichtsgremium der Talpa Radio Holding.[4] Grosew spricht fließend Englisch, Russisch, Estnisch und Niederländisch.[6]
Im Jahr 2015 begann Grosew mit Bellingcat zusammenzuarbeiten, einem OSINT-Projekt, das vom Briten Eliot Higgins gegründet wurde. Grosew war an den Recherchen beteiligt, durch welche zwei für den MH17-Abschuss 2014 verurteilte Offiziere identifiziert worden waren.[7][8][9] Bei Bellingcat leitete Grosew ab 2017 das Team,[10] das in Zusammenarbeit mit The Insider und Der Spiegel[3] zu russischen Geheimdienstoperationen recherchiert. Besondere Bekanntheit erlangten die Recherchen zu den Agenten, die die Giftanschläge auf Sergei Skripal und Alexei Nawalny verübten bzw. daran beteiligt waren.[10] Grosew und sein Team hätten, so der Tages-Anzeiger, im Oktober 2022 nach dem russischen Überfall auf die Ukraine «die russische Militäreinheit lokalisiert, die jene Raketen programmiert, die auf zivile Ziele in der Ukraine abgeschossen werden» und hätte damit «russische Kriegsverbrecher namentlich identifiziert».[3] Er war bis Februar 2023 der leitende Russland-Rechercheur bei Bellingcat. Er ist Mitglied von Bellingcat Productions, das die Bellingcat-Recherchen in eine Reihe von neuen Medienprodukten umsetzt.[11] Seit 2023 ist Grosew Leiter Recherche von The Insider.[12]
Im Dezember 2022 wurde Grosew auf die Fahndungsliste des russischen Innenministeriums gesetzt. Laut russischen Angaben hatte Grosew in Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Geheimdienst SBU die Entführung russischer Kampfflugzeuge zu organisieren versucht.[13] Im April 2023 stufte ihn Russland als „ausländischen Agenten“ ein.[14]
Im Februar 2023 wurde Grosew und seiner Familie der Zugang zur Bafta-Verleihung verwehrt. Nach Ansicht der britischen Polizei, die die Organisatoren des wichtigsten britischen Filmpreises in Sicherheitsfragen berät, stellte er ein „Risiko für die öffentliche Sicherheit“ dar. Die Polizei verwies darauf, dass „manche Journalisten während ihres Aufenthalts im Vereinigten Königreich den feindlichen Absichten ausländischer Staaten ausgesetzt sind“. Grosew wollte bei der Verleihung erscheinen, weil er in dem für einen Preis nominierten Dokumentarfilm Nawalny über den russischen Oppositionellen Alexei Nawalny mitgewirkt hatte. Die Bafta-Organisatoren bestätigten dem US-Sender CNN die Ausladung.[15] Grosew lebte bis 2023 20 Jahre lang in Wien, stand dort aufgrund seinen Enthüllungen zu Russland unter Polizeischutz. Im Februar 2023 zog er nach eigenen Angaben in die Vereinigten Staaten, nachdem die österreichischen Behörden ihm mitgeteilt hätten, sie könnten seine Sicherheit nicht mehr garantieren.[16][17]
Positionen
BearbeitenIn Grosews Leben sei Russland eine Konstante, schrieb die NZZ im Jahr 2021, und zitierte Grosew mit: «Ich habe gesehen, wie das Land sich von einer schlecht funktionierenden, aber freien postsowjetischen Demokratie in einen Staat verwandelte, in dem das Regime Gewalt und Desinformation anwendet, um an der Macht zu bleiben.» Grosew erläuterte gegenüber der NZZ, er habe das russische Regime zuvor nicht für besonders niederträchtig gehalten; das habe sich aber geändert, als er dessen staatliches Vergiftungsprogramm entdeckte, das ihm den Schlaf geraubt habe.[10]
Auszeichnungen
Bearbeiten- Europäischer Pressepreis in der Kategorie Investigativer Journalismus für das Jahr 2019[18]
- ICFJ (International Center for Journalists) Award for Excellence in Journalism[8]
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Putin-Kritiker von britischem Filmpreis ausgeschlossen. Der Journalist Christo Grozev darf an der Gala des wichtigsten britischen Filmpreises nach eigenen Angaben nicht teilnehmen. Die Polizei verweist auf Sicherheitsrisiken. In: Zeit Online. 18. Februar 2023, abgerufen am 16. Februar 2023.
- ↑ a b Christo Grozev, 24smi.org, abgerufen am 5. Januar 2022 (russisch).
- ↑ a b c Bellingcat-Journalist Christo Grozev: Putin ist besessen von ihm, Tages-Anzeiger, 3. Januar 2023.
- ↑ a b Russian Warrant for Bellingcat’s Christo Grozev Divides Bulgarian Parties, Balkaninsight, 28. Dezember 2022.
- ↑ Христо с нами!, Nowaja gaseta, 20. Dezember 2020.
- ↑ Христо Грозев, theoryandpractice.ru, abgerufen am 5. Januar 2023.
- ↑ Moskau fahndet nach Investigativjournalisten Grosew, ORF, 28. Dezember 2022.
- ↑ a b Bulgarian Christo Grozev with the ICFJ Award for Excellence in Journalism, 11. November 2022.
- ↑ Conversation with Christo Grozev (Bellingcat): International Clandestine Operations: Unmasking the Perpetrators, Presseclub Concordia, 10. Februar 2021.
- ↑ a b c «Kriegsreporter in einem hybriden Konflikt» – wie die Recherchegruppe Bellingcat dunkle Geheimnisse des Kremls aufdeckt, NZZ, 8. März 2021.
- ↑ Christo Grosew auf der Website von Bellingcat. Abgerufen am 2. April 2024.
- ↑ Christo Grosew auf der Website von The Insider, abgerufen am 2. April 2024.
- ↑ Bellingcat journalist Christo Grozev put on Russian interior ministry’s wanted list, TASS, 26. Dezember 2022.
- ↑ Bulgarischer Enthüllungsjournalist ist jetzt ein «ausländischer Agent». In: Watson.ch, 22. April 2023.
- ↑ Putin-Kritiker von britischem Filmpreis ausgeschlossen, Zeit Online, 18. Februar 2023.
- ↑ Journalist wechselt aus Angst vor russischen Agenten Wohnort. In: T-Online, 2. Februar 2023.
- ↑ Edward Luce: Bellingcat’s Christo Grozev: ‘Prigozhin will either be dead or there will be a second coup. In: Financial Times, 11. August 2023 (engl.).
- ↑ Christo Grozev. Christo Grozev has won the 2019 European Press Prize Investigative Reporting Award with ‘Unmasking the Salisbury Poisoning Suspects: A Four-Part Investigation‘. In: europeanpressprize.com. Abgerufen am 6. Januar 2023 (englisch).
Personendaten | |
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NAME | Grosew, Christo |
ALTERNATIVNAMEN | Грозев, Христо (kyrillisch) |
KURZBESCHREIBUNG | bulgarischer Investigativjournalist |
GEBURTSDATUM | 20. Mai 1969 |
GEBURTSORT | Plowdiw, Bulgarien |