Kuttel Daddeldu erzählt seinen Kindern das Märchen vom Rotkäppchen und zeichnet ihnen sogar was dazu

Handschrift von Joachim Ringelnatz

Kuttel Daddeldu erzählt seinen Kindern das Märchen vom Rotkäppchen und zeichnet ihnen sogar was dazu ist eine 1923 erschienene Handschrift von Joachim Ringelnatz.

Originalausgabe

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„Joachim Ringelnatz Rotkäppchen“ wurde im Oktober/November 1923 von Ringelnatz in einer Gesamtauflage von zehn Exemplaren für den Verlag Alfred Richard Mayer in Berlin-Wilmersdorf von Hand geschrieben, wie auch in der Vorbemerkung ausgewiesen. Die zehn Exemplare sind jeweils mit einer ganzseitigen monogrammierten und kolorierten Federzeichnung und 11 Original-Federzeichnungen des Autors im handgeschriebenen Text versehen. Die einzelnen Exemplare sind unterschiedlich bebildert, ein Nachweis aller Varianten ist nicht möglich.[1][2][3]

Im September 1923 hatte Ringelnatz das Märchen entworfen.[4] Es waren 12 handgeschriebene Exemplare angedacht, er schaffte aber nur 10 Stück. Erleichtert konnte er die ihm lästig gewordene Arbeit im November 1923 abschließen.[5]

Faksimiledruck von Karl Schönberg

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Als Vorlage für diesen Faksimiledruck diente das 10. Exemplar des handgeschriebenen Originals, es wurde 1935 von Karl Schönberg in einer posthumen Auflage von 30 Exemplaren aufgelegt. Die in dieser Ausgabe jeweils auf Blatt 2 befindliche Original-Aquarellzeichnung sowie das dabei befindliche Monogramm J.R.M stammen nicht von Ringelnatz.[6]

Abbildungen (Seite) Text
(ohne Nummerierung) (Umbruch analog zur Handschrift)
  Umschlag Joachim Ringelnatz
Rotkäppchen
  1 Joachim Ringelnatz

Kuttel Daddeldu erzählt seinen Kindern
das Märchen von Rotkäppchen
und zeichnet ihnen sogar was dazu
  2 und 3 Dieses Buch schrieb Joachim Ringelnatz für
Alfred Richard Meyer Oktober 1923 teils
in Salzwedel teils in Liverpool in
zehn bezifferten Exemplaren mit
treuer Seemannshand. Jedes Buch ist
vom Autor, den Literarhistorikern
zum Schabernack, immer anders be-
bildert worden.

Exemplar Nro. 10

Joachim Ringelnatz
  4 und 5 Also Kinners, wenn ihr mal fünf
Minuten lang das Maul halten könnt,
dann will ich euch die Geschichte vom
Rotkäppchen erzählen, wenn ich mir
das noch zusammenreimen kann. Der
alte Kapitän Muckelmann hat mir das
vorerzählt, als ich noch so klein und
so dumm war, wie ihr jetzt seid. Und
Kapitän Muckelmann hat nie gelogen.
Also lissen tu mi. Da war mal
ein kleines Mädchen. Das wurde
Rotkäppchen angetitelt – genannt heißt das.
Weil es Tag und Nacht eine rote
Kappe auf dem Kopfe hatte. Das war ein
  6 und 7 schönes Mädchen, so rot wie Blut und
so weiß wie Schnee und so schwarz
wie Ebenholz. Mit so große runde
Augen und hinten so ganz dicke Beine
und vorn – na kurz, eine verflucht
schöne, wunderbare, saubere Dirn.
Und eines Tages schickte die Mutter
sie durch den Wald zur Großmutter; die
war natürlich krank. Und die Mutter
gab Rotkäppchen einen Korb mit
drei Flaschen spanischem Wein

und zwei Flaschen schottischem Whisky und
einer Flasche Rostocker Korn und einer
Flasche Schwedenpunsch und einer Buttel
mit Köm und noch ein paar Flaschen
Bier und Kuchen und solchen Kram mit,
damit sich Großmutter mal erst stärken
sollte.
„Rotkäppchen“, sagte die Mutter
noch extra, „geh nicht vom Wege ab,
denn im Walde gibts wilde Wölfe!“
(Das Ganze muß sich bei Nikolajew oder
sonstwo in Sibirien abgespielt haben.)
  8 und 9 Rotkäppchen versprach alles und ging los.
Und im Walde begegnete ihr der Wolf.
Der fragte: „Rotkäppchen, wo gehst du
denn hin?“ Und da erzählte sie ihm
alles, was ihr schon wißt. Und er fragte:
„Wo wohnt denn deine Großmutter?“
Und sie sagte ihm das ganz genau:
„Schwiegerstraße dreizehn zur ebenen Erde.“
Und da zeigte der Wolf dem Kinde
saftige Himbeeren und Erdbeeren und
lockte sie so vom Wege ab in den tiefen
Wald.
Und während sie fleißig Beeren pflückte,

lief der Wolf mit vollen Segeln nach der
Schwiegerstraße Nummero dreizehn und
klopfte zur ebenen Erde bei der Groß-
mutter an die Tür.

Die Großmutter war ein mißtrauisches,
altes Weib mit vielen Zahnlücken. Deshalb
fragte sie barsch: „Wer klopft da an mein
Häuschen?“
Und da antwortete der Wolf draußen
mit verstellter Stimme: „Ich bin es, Dorn-
röschen!“
Und da rief die Alte: „Herein!“

  10 und 11 Und da fegte der Wolf ins Zimmer
hinein. Und da zog sich die Alte
ihre Nachtjacke an und setzte ihre Nacht-
haube auf und fraß den Wolf mit
Haut und Haar auf.
Unterdessen hatte sich Rot-
käppchen im Walde verirrt. Und wie
so pißdumme Mädel sind, fing sie an,
laut zu heulen.
Und das hörte der Jäger im tiefen
Wald und eilte herbei. Na – und was
geht uns das an, was die beiden dort im

tiefen Walde miteinander vorgehabt haben,
denn es war inzwischen ganz dunkel
geworden, jedenfalls brachte er sie auf
den richtigen Weg.
Also lief sie nun in die
Schwiegerstraße. Und da sah sie, daß
ihre Großmutter ganz dick aufgedunsen
war.
Und Rotkäppchen fragte: „Großmutter,
warum hast du denn so große Augen?“
  12 und 13 Und die Großmutter antwortete: „Damit
ich dich besser sehen kann!“
Und da fragte Rotkäppchen weiter:
„Großmutter, warum hast du denn so
große Ohren?“
Und die Großmutter antwortete:
„Damit ich dich besser hören kann!“
Und da fragte Rotkäppchen weiter:

„Großmutter, warum hast du denn
so einen großen Mund?“
Nun ist das ja auch nicht recht,
wenn Kinder so was zu einer er-
wachsenen Großmutter sagen.
Also da wurde die Alte fuchs-
teufelswild und brachte kein Wort
mehr heraus, sondern fraß das arme
Rotkäppchen mit Haut und Haar auf.
  14 und 15 Und dann schnarchte sie wie ein Walfisch.
Und draußen ging gerade der Jäger
vorbei.
Und der wunderte sich, wieso
ein Walfisch in die Schwiegerstraße
käme. Und da lud er seine Flinte und
zog sein langes Messer aus der Scheide

und trat, ohne anzuklopfen, in die
Stube.
Und da sah er zu seinem
Schrecken statt einen Walfisch die
aufgedunsene Großmutter im Bett.
Und – diavolo caracho! – da
schlag einer lang an Deck hin! – Es ist
  16 und 17 kaum zu glauben! – Hat doch das alte
gefräßige Weib auch noch den Jäger
aufgefressen. –
Ja, da glotzt ihr Gören und
sperrt das Maul auf, als käme da
noch was. – Aber schert euch jetzt
mal aus dem Wind, sonst mach ich
euch Beine.
Mir ist schon sowieso
die Kehle ganz trocken von den
dummen Geschichten, die doch alle
nur erlogen und erstunken sind.
Marsch fort! Laßt euren
Vater jetzt eins trinken, ihr –
überflüssige Fischbrut!
  Druckvermerk Joachim Ringelnatz
zum
Gedenken
ließ Karl Schönberg
im Winter 1935 für seine Freunde
und für Freunde des Dichters diesen
Facsimiledruck eines von Joachim
Ringelnatz mit der Hand geschrie-
benen und gezeichneten Manuscript-
buches in 30 Exemplaren herstellen.

Nachdruck Faksimileausgabe (mit Selbstporträt)

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Selbstbildnis Ringelnatz, Tuschzeichnung

Eine erneute Auflage der Faksimileausgabe wurde 1961 hergestellt, dabei wurde für das Aquarell der vorangegangenen Auflage ein Selbstporträt von Ringelnatz eingefügt, eine Federzeichnung, welche erstmals in einer Ausgabe „Der Querschnitt“ von 1925 abgedruckt worden war.[7]

Literatur

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  • Walter Pape: Joachim Ringelnatz – Das Gesamtwerk, in sieben Bänden und einem Briefband. Hensel Verlag, Berlin 1982–1985
  • Joachim Ringelnatz: Kuttel Daddeldu erzählt seinen Kindern das Märchen vom Rotkäppchen und zeichnet ihnen sogar was dazu. Sonderdruck der Handschrift mit dem gesetzten Text zum Herausklappen, aus Anlass des 100. Geburtstages von Ringelnatz am 7. August 1983 und seines 50. Todestages am 16. November 1984. Henssel, Berlin 1983, ISBN 3-87329-129-0.
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Einzelnachweise

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  1. Exemplar Nr. 5, Katalog der Firma M. Edelmann, Nürnberg 1961
  2. Exemplar Nr. 6, Ketterer Kunst, Auktion, Hamburg 2011.
  3. Exemplar Nr. 2, Koller Auktionen, Zürich 2012.
  4. Brief Nr. M329, 18. Oktober 1923 an Muschelkalk. In: Walter Pape (1982–1985), Briefband.
  5. Brief Nr. M342, 5. November 1923 an Muschelkalk. In: Walter Pape (1982–1985), Briefband.
  6. Walter Pape (1982–1985), Band 4, S. 405.
  7. Der Querschnitt 5, Heft 8, August 1925, S. 714.