Tanizaki Jun’ichirō

japanischer Schriftsteller
(Weitergeleitet von Junichirō Tanizaki)

Tanizaki Jun’ichirō (japanisch 谷崎 潤一郎; * 24. Juli 1886 in Nihonbashi, Stadt Tokio (heute: Chūō, Tokio); † 30. Juli 1965) war ein japanischer Schriftsteller.

Tanizaki Jun’ichirō, 1913
Der Geburtsort von Tanizaki Jun’ichirō

Tanizakis Eltern stammten beide aus alten Kaufmannsfamilien. Obgleich der Vater das vom Großvater aufgebaute Vermögen durchbrachte und die Familie daher häufig von Geldnöten gebeutelt war, verbrachte Tanizaki eine unbeschwerte Kindheit. Tanizaki erregte derweil schon in der Schule durch stilistische Glanzleistungen Aufmerksamkeit. Er nahm Privatunterricht in Englisch und klassischem Chinesisch und bestand 1908 die Aufnahmeprüfung an der Kaiserlichen Universität Tokio. Neben dem Studium der englischen und japanischen Literatur begann Tanizaki in dieser Zeit auch zu schreiben. 1910 gründete er mit Kommilitonen die Zeitschrift Shinshichō (新思潮, "Neue Strömung"), in der er auch seine erste Erzählung Shisei (Tätowierung) veröffentlichte. Ohne einen Abschluss entschied er sich für die Schriftstellerlaufbahn und hatte mit seinen ersten Erzählungen sogleich großen Erfolg.

1915 heiratete er Chiyo Ishikawa, doch wurde er dieser Ehe bald überdrüssig und so lebte er eine Weile mit seiner Schwägerin zusammen. Dieses Zusammenleben bildete später auch den Stoff zu seinem Roman Naomi oder eine unersättliche Liebe.[1] Tanizaki reiste zweimal, 1918 und 1926, nach China. Nach der Erdbebenkatastrophe 1923 ließ er sich mit seiner Frau und Tochter in Westjapan nieder. Ständige Wohnungswechsel und die angespannte finanzielle Situation führten 1930 zur Scheidung der Ehe. Im Jahr darauf heiratete Tanizaki die Verlagslektorin Tomiko Furukawa, doch auch diese Ehe wurde bereits zwei Jahre später geschieden. Seine erste Frau und deren drei Schwestern bildeten auch die Vorlage für sein späteres Meisterwerk Die Schwestern Makioka (1944–1948).

Tanizaki war zeit seines Lebens ein ausgesprochen produktiver Schriftsteller: Er veröffentlichte 119 Werke, bereits 1921 erschien eine erste Gesamtausgabe seiner Werke in fünf Bänden. Er war für den Literaturnobelpreis im Gespräch[2] und erhielt eine Vielzahl literarischer Auszeichnungen. Er war Mitglied der Kaiserlichen und der japanischen Akademie der Künste und Träger des Kulturordens. Seine großen Romane, die den Kontrast von Tradition und Moderne in immer neuen Problemstellungen gestalten, wurden in viele Sprachen übersetzt.

Ende Juli 1965 starb Tanizaki an akutem Herz- und Nierenversagen in seinem Haus in Yugawara in der Präfektur Kanagawa. Zu seinen Ehren wird seit 1965 der mit 1 Million Yen dotierte Tanizaki-Jun’ichirō-Preis verliehen.

Preise und Auszeichnungen

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Literaturhistorische Einordnung

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Tanizakis Schaffen erstreckt sich über die Meiji-, Taishō- und Shōwa-Epochen. Nachdem Japan zum Beginn der Moderne in ungeheurer Geschwindigkeit eine nahezu unübersichtliche Zahl literarischer Strömungen aus Europa rezipiert hatte, begann sich die literarische Welt zur Zeit des Russisch-Japanischen Krieges 1905 im japanischen Naturalismus zu konsolidieren. Das Medium par excellence des Naturalismus war der autobiografisch gefärbte Shishōsetsu (私小説, Ich-Roman[3]). Auf der Suche nach dem wahren Wesen des Menschen erhob der Naturalismus, wie auch sein europäischer Vorgänger die getreue Wirklichkeitsabbildung zum Primat der Darstellung. In Japan führte das Dikat der Mimesis zu einer Form der Wirklichkeitsabbildung, die einer autobiografischen Selbstentblößung des Autors gleichkam.

Nicht zuletzt, weil sich die japanische Literatur seit der Meiji-Zeit in wellenartigen Phasen aus Begeisterung für den fremden Westen und aus Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen und Wurzeln entwickelte, sondern auch aus den aufkeimenden sozialen Problemen der Zeit heraus, bestand zeitgleich neben dem Naturalismus auch eine Gegenbewegung, die sich aus verschiedenen Strömungen zusammensetzte. Hierzu zählt auch der Ästhetizismus[4], dem Tanizakis Schaffen zuzuordnen ist. Tanizaki, der als Kind häufig das Kabuki-Theater besuchte und der ausgezeichnet in japanischer, klassisch chinesischer und europäischer Literatur ausgebildet war, favorisierte entgegen dem Naturalismus den Genuss am schöpferischen Akt und die erfundene Geschichte. Fasziniert las Tanizaki nicht nur die populären und fantastischen Erzählwerke Ueda Akinaris, Takizawa Bakins oder Kōda Rohans, er befasste sich auch mit Platon, Schopenhauer, Shakespeare und Carlyle. Deutlich ist an seinen Erzählungen auch der Einfluss der westlichen Symbolisten Poe, Baudelaire und Wilde erkennbar. Sind die 20er Jahre seines Schaffens noch geprägt von der Faszination für den Westen, so sind die 30er Jahre geprägt von der Suche nach der genuin japanischen Tradition. Auch Tanizaki verstrickte sich in den 40er Jahren, wie nahezu alle seine schreibenden Zeitgenossen, in die Propaganda des Militarismus.

Seine erste Erzählung, Tätowierung handelt von Seikichi, der einer jungen Frau eine Spinne auf den Rücken tätowiert. Bereits in dieser Erzählung entfaltet Tanizaki eine Thematik, die leitmotivisch für sein Schaffen ist: das subtile Machtspiel des Herrschens und Beherrschtwerdens, die wechselseitigen Verstrickungen des Begehrens bis hin zur Hörigkeit. Tanizaki schöpft dazu die Vielseitigkeit und die Homophonie der japanischen Sprache meisterhaft zur Verdichtung von Anspielungen und zur Erzeugung vielschichtiger Assoziationen aus. Diese sprachliche Raffinesse macht ihn für jeden Übersetzer zugleich zu einer anspruchsvollen Aufgabe. Die Kombination aus idealisierter Schönheit und physischer Grausamkeit haben Tanizaki auch das Attribut des Diabolischen eingetragen.

Jahr Japanischer Titel Deutscher Titel
1910 刺青
Shisei
Tätowierung
1918 金と銀
Kin to gin
Gold und Silber
1924 痴人の愛
Chijin no ai
Naomi oder Eine unersättliche Liebe
1927 饒舌録
Jōzetsu roku
Chronik der Redseligkeit (Essay)
1928 黒白
Kokubyaku
Das Geständnis
1928-
1930

Manji
1929 蓼喰ふ蟲
Tade kuu mushi
Insel der Puppen
1930 懶惰の説
Randa no setsu
Reflexionen über die Trägheit (Essay)
1931 恋愛及び色情
Ren'ai oyobi shikijō
Liebe und Sinnlichkeit (Essay)
1931 吉野葛
Yoshino kuzu
1932 蘆刈り
Ashikari
1932 倚松庵随筆
Ishōan zuihitsu
Aufzeichnungen aus dem Haus Ishōan (Essaysammlung)
1932 青春物語
Seishun monogatari
Bericht aus meiner Jugend (Essay)
1932 私の見た大阪及び大阪人
Watashi no mita Ōsaka oyobi Ōsakajin
Ōsaka und die Leute von Ōsaka, wie ich sie gesehen habe (Essay)
1933 春琴抄
Shunkinshō
Shunkinshō – Biographie der Frühlingsharfe
1933 芸談
Geidan
Lob der Meisterschaft (Essay)
1933 陰翳礼讃
In'ei raisan
Lob des Schattens. Entwurf einer japanischen Ästhetik (Essay)
1934 文章読本
Bunshō tokuhon
Stil-Lesebuch (Essay)
1934 東京をおもう
Tōkyō o omou
Nachdenken über Tōkyō (Essay)
1935 摂陽随筆
Setsuyō zuihitsu
Aufzeichnungen aus Setsuyō (Setsuyō = Ōsaka; Essaysammlung)
1935 武州公秘話
Bushūkō hiwa
Die geheime Geschichte des Fürsten von Musashi
1936 猫と庄造と二人のおんな
Neko to Shōzō to futari no onna
Eine Katze, ein Mann und zwei Frauen
1943-
1948
細雪
Sasameyuki
Die Schwestern Makioka
1949 少将滋幹の母
Shōshō Shigemoto no haha
1956
Kagi
Der Schlüssel
1957 幼少時代
Yōshō jidai
1961 瘋癲老人日記
Fūten rōjin nikki
Tagebuch eines alten Narren

Übersetzungen

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Romane
  • Gold und Silber. Übersetzt von Uwe Hohmann und Christian Uhl, Leipzig 2003.
  • Naomi oder Eine unersättliche Liebe. Übersetzt von Oscar Benl, Reinbek bei Hamburg 1970.
  • Insel der Puppen aus dem Amerikanischen von Curt Meyer-Clason, Esslingen 1957.
  • Die geheime Geschichte des Fürsten von Musashi. Übersetzt von Josef Bohaczek, Frankfurt/Main, Leipzig 1994. Neuausgabe, München, 2020, ISBN 978-3-86205-665-1
  • Eine Katze, ein Mann und zwei Frauen. Übersetzt von Josef Bohaczek, Reinbek bei Hamburg 1996. Neuausgabe, München, 2019, ISBN 978-3-86205-119-9
  • Die Schwestern Makioka. Übersetzt von Sachiko Yatsushiro, Mitarbeit: Ulla Hengst, Reinbek bei Hamburg 1964.
  • Der Schlüssel. Übersetzt von Sachiko Yatsushiro und Gerhard Knauss, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1961. Neuübersetzung von Katja Cassing und Jürgen Stalph, cass Verlag, Löhne 2017, ISBN 978-3-944751-13-9.
  • Tagebuch eines alten Narren. Übersetzt von Oscar Benl, Reinbek bei Hamburg 1966. Neuübersetzung von Josef Bohaczek unter dem Titel Die Fußspur Buddhas, München, 2018, ISBN 978-3-86205-121-2
  • Das Geständnis. Übersetzt von Jan Manus Leupert, Septime Verlag, Wien 2023, ISBN 978-3991200192
Erzählungen
  • Ein kleines Königreich. Übersetzt von Jürgen Berndt. In: Träume aus zehn Nächten. Japanische Erzählungen des 20. Jahrhunderts. Hrsg. Eduard Klopfenstein, Theseus Verlag, München 1992. ISBN 3-85936-057-4
  • Shunkinshō – Biographie der Frühlingsharfe. Übersetzt von Walter Donat, in: Walter Donat (Hrsg.), Die fünfstöckige Pagode. Japanische Erzähler des 20. Jahrhunderts, Düsseldorf, Köln 1960.
  • Tätowierung. Übersetzt von Heinz Brasch, in: Margarete Donath (Hrsg.), Japan erzählt, Frankfurt/Main 1969. (auch als Das Opfer im Band Mond auf dem Wasser. Berlin 1978)
  • Der Dieb, in: Drachen und tote Gesichter, hg. v. J. van de Wetering. Rowohlt 1993. ISBN 3-499-43036-3 (auch als Ich im Band Japanische Kriminalgeschichten. Stuttgart 1985)
Essays

Filmografie

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  • 1920 Amachua kurabu (Amateur Klub), Drehbuch: Tanizaki Jun’ichirō, Regie: Kurihara Kisaburō[5]
  • 1920 Katsushika Sunago nach der Erzählung von Kyōka Izumi, Drehbuch: Tanizaki Jun’ichirō, Regie: Kurihara Kisaburō[6]
  • 1921 Hinamatsuri no yoru (Der Abend am Hina-Matsuri-Fest), Drehbuch: Tanizaki Jun’ichirō, Regie: Kurihara Kisaburō[7]
  • 1921 Jasei no in (Die Liebe einer Schlange), Drehbuch: Tanizaki Jun’ichirō, Regie: Kurihara Kisaburō[8]
  • "Die Seele des jungen Tätowierers hatte sich in die Tusche hinein aufgelöst; nun sickerte sie in die Haut des Mädchens." (aus der Erzählung: Die Tätowierung; in Das große Japan-Lesebuch, München 1990, S. 19)
  • "Wenn ich nur schön werde, will ich alles, was auch immer, ertragen, erwiderte sie, wobei sie sich, ungeachtet der Schmerzen in ihrem Körper, zu einem Lächeln zwang." (aus der Erzählung: Die Tätowierung; in: Das große Japan-Lesebuch, München 1990, S. 21)

Siehe auch

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Literatur

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  • S. Noma (Hrsg.): Tanizaki Jun’ichirō. In: Japan. An Illustrated Encyclopedia. Kodansha, 1993. ISBN 4-06-205938-X, S. 1526.
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Commons: Tanizaki Junichiro – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Irmela Hijiya-Kirschnereit: Die japanische Literatur der Moderne, München edition text + kritik, 2000, S. 59
  2. Sein Name stand 1958 und von 1961 an bis zu seinem Todesjahr 1965 auf der Liste der Kandidaten der Schwedischen Akademie für den Nobelpreis, https://www.svenskaakademien.se/svenska-akademien/akademiens-arkiv
  3. Nicht zu verwechseln mit der Erzählperspektive der Ich-Erzählung.
  4. Nicht zu verwechseln mit der Ästhetik Europas als Teildisziplin der Philosophie.
  5. IMDB
  6. IMDB
  7. IMDB
  8. IMDB