Aserbaidschaner
Aserbaidschaner oder Aseris (Eigenbezeichnungen Azərbaycanlılar und Azərilər) sind eine turksprachige Ethnie in Westasien.[1] In der Vergangenheit wurden Aserbaidschaner auf Grund der nahen sprachlichen Verwandtschaft zu den Türken häufig als aserbaidschanische Türken (Azərbaycan türkləri) bezeichnet.[2][3] In Iran werden sie als Azari (persisch آذری Āẓarī)[4][5][6] bezeichnet. In der Vergangenheit war auch die Fremdbezeichnung als „Tataren“ geläufig.
Ihr Siedlungsgebiet erstreckt sich vom Nordwesten Irans[7] bis in die Republik Aserbaidschan. Zahlreiche Aserbaidschaner sind im Laufe der Geschichte in andere Länder migriert, beispielsweise in die Türkei, nach Russland und Georgien, wo sie seit mehreren Generationen leben.
Sprache
BearbeitenDie Sprache der Aserbaidschaner, das Aserbaidschanische (im unabhängigen Aserbaidschan 1918–20 so bezeichnet, in frühsowjetischer Zeit Türkische Sprache genannt, danach wieder aserbaidschanische Sprache), wird zum (west-)oghusischen Zweig der Turksprachen gerechnet. Damit ist sie eng mit dem Türkischen und Gagausischen sowie etwas entfernter mit dem Turkmenischen verwandt.
Religion
BearbeitenDie Mehrheit der Aserbaidschaner sind Anhänger der Zwölfer-Schia. Religiöse Minderheiten sind Sunniten (meistens Hanafitisch), Zoroastrier, Christen und Bahai.[8] Ein Teil der Aserbaidschaner in der Republik Aserbaidschan sind religionslos, viele beschreiben sich als kulturell muslimisch.[9][10] Unter den Muslimen gibt es eine kleine Anzahl Naqschbandi (ein Sufiorden), besonders in Dagestan.[11] Die etwa 5000 christlichen Aserbaidschaner in Aserbaidschan sind meist erst vor Kurzem konvertiert.[12] Einige Aserbaidschaner in ländlichen Gegenden zeigen noch Elemente vorislamischer animistischer Religion, wie zum Beispiel der Glaube an heilige Orte und die Verehrung von Bäumen und Felsen.[13] In Aserbaidschan werden neben den muslimischen Festen traditionellerweise auch andere religiöse Tage wie Weihnachten und Nouruz gefeiert. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erlebte der Islam aber eine Wiedergeburt. Immer mehr Menschen wandten sich dem Islam wieder zu.[14] Die ersten salafistischen Missionare erreichten den Nordkaukasus Mitte der 1990er Jahre. Seit der Jahrtausendwende nimmt der Salafismus in Aserbaidschan zu. Im Jahr 2003 wurden bereits 65 Moscheen im Land von Salafisten kontrolliert.[15]
Das Verhältnis zur Religion wird in der Republik Aserbaidschan unter anderem in der Verfassung festgelegt. Ihr Artikel 18 enthält (in der leicht geänderten Fassung aus dem Jahr 2009) drei Bestimmungen. Erstens: „In der Republik Aserbaidschan ist die Religion vom Staat getrennt. Alle religiösen Überzeugungen sind vor dem Gesetz gleich.“ Zweitens: „Die Verbreitung und Propagierung religiöser Strömungen, welche die Menschenwürde herabsetzen oder den Prinzipien der Humanität widersprechen, ist verboten.“ Und drittens: „Das Staatliche Bildungswesen trägt einen weltlichen Charakter.“[16]
Anzahl
BearbeitenWeltweit soll es etwa 30 bis 32 Millionen Aserbaidschaner geben, wobei die genaue Anzahl stark umstritten ist.[17] Es leben in
- Aserbaidschan: rund 8,9 Millionen (91 % der Einwohner)[18]
- Iran: zwischen rund um 12,5 bis 19 Millionen[19][20]
- Russland: 622.000, in Dagestan auch als Derbent-Turkmenen bezeichnet
- Türkei: 535.000, überwiegend in den Provinzen Iğdır und Kars
- Irak: 340.000
- Georgien: um 300.000
- Armenien: Bis zum Bergkarabachkonflikt über 160.000, fast alle sind von 1988 bis 1991 nach Aserbaidschan geflohen
- Kasachstan: 78.000
- Frankreich: 70.000
- Usbekistan: 62.000
- Turkmenistan: 52.000
- Ukraine: 45.000
- Syrien: 30.000
- Andere Länder wie u. a. Vereinigte Staaten, Niederlande, Deutschland, Vereinigte Arabische Emirate, Kanada, Vereinigtes Königreich, Belarus, Jordanien (als syrische Turkmenen bezeichnet)
Aserbaidschaner im Iran
BearbeitenIm Iran leben etwa doppelt so viele Aserbaidschaner wie in Aserbaidschan; die iranische Regierung spricht von 15 Millionen Aserbaidschanern im Iran, aserbaidschanische Nationalisten von 60 Millionen.[21][22] Nach dem Fischer Weltalmanach 2018 sind es 14 % (rund 12 Mio.) der Einwohner von Iran.
Die Aserbaidschaner unterstützten 1979 die Islamische Revolution, weil sie sich davon eine Befreiung vom persischen Chauvinismus der Pahlavi-Dynastie erhofften. Die islamische Republik hat jedoch den persischen Nationalismus beibehalten, weshalb die Treue der Aserbaidschaner zum politischen System rückläufig ist.[23] Gleichwohl fühlen sie sich nicht so marginalisiert wie während der Pahlavi-Zeit.[24] Die Aserbaidschaner im Iran können sich durch Anpassung an die persische Mehrheit entfalten. Sie spielen in den iranischen Streitkräften eine wichtige Rolle und halten große Teile des Teheraner Basars in ihren Händen. Auch der iranische Religionsführer Ali Chamenei ist väterlicherseits aserbaidschanischer Abstammung.[25] Die Einwohner der Republik Aserbaidschan empfinden sich als fortschrittlicher und weniger religiös und stehen deshalb den Aserbaidschanern im Iran mit Skepsis gegenüber.[26] Für die iranische Führung ist die Existenz der unabhängigen Republik Aserbaidschan insofern eine Herausforderung, weil sie aufgrund ihrer Bodenschätze im Verhältnis zur geringen Bevölkerungszahl ihren Bewohnern einen höheren Lebensstandard bieten kann als der Iran. Somit besteht die Gefahr, dass Unzufriedenheit unter den Aserbaidschanern auf der iranischen Seite der Grenze eine ethnische Komponente bekommt, was für die aserbaidschanisch-iranischen Beziehungen eine gewisse Belastung darstellt.[23]
Siehe auch
BearbeitenLiteratur
Bearbeiten- Jacob M. Landau, Barbara Kellner-Heinkele: Politics of Language in the Ex-Soviet Muslim States – Azerbaijan, Uzbekistan, Kazakhstan, Kyrgyzstan, Turkmenistan, Tajikistan. London 2001. ISBN 1-85065-442-5
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Encyclopædia Britannica: Azerbaijani
- ↑ Audrey L. Altstadt: The Azerbaijani Turks
- ↑ Müsəlman, türk, azərbaycanlı yoxsa azəri? 29. Juli 2016, abgerufen am 10. Oktober 2020 (aserbaidschanisch).
- ↑ Bericht von Hürriyet
- ↑ Bericht von Agos
- ↑ Senan Kazımoğlu: Azeri mi? Azerbaycan Türkü mü? – Senan Kazımoğlu. 9. August 2017, abgerufen am 10. Oktober 2020 (türkisch).
- ↑ Vgl. diese Sprachenkarte des Iran von der Columbia State University. Aserbaidschanisch im Nordwesten (hellgrün unter dem Namen Azeri, nicht zu verwechseln mit der gelb eingezeichneten iranischen Sprache Tati oder Azari). Die eingezeichneten Schahsewenen sind eine traditionell nomadische Dialektgruppe.
- ↑ Kevin Boyle, Juliet Sheen: Freedom of Religion and Belief. Routledge, 1997, ISBN 0-415-15978-4, S. 273
- ↑ Azerbaijan, US Library of Congress Country Studies. Abgerufen am 7. Juni 2006.
- ↑ Azerbaijan, US State Department, vom 26. Oktober 2001, abgerufen am 9. Juni 2006.
- ↑ Innere Faktoren islamischer Radikalisierung. ( vom 18. Februar 2012 im Internet Archive) In: RIA Dagestan (russisch)
- ↑ 5,000 Azeris Aserbaidschaner nahmen das Christentum an. Day.az. Abgerufen am 7. Juli 2007 (russisch)
- ↑ Azerbaijan: Culture and Art ( des vom 16. Februar 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. . Embassy of the Azerbaijan Republic in the People’s Republic of China.
- ↑ ISN Security Watch – Azerbaijan young increasingly drawn to Islam. Isn.ethz.ch, abgerufen am 29. Juni 2009.
- ↑ Anar Valiyev: The Rise of Salafi Islam in Azerbaijan. In: The Jamestown Foundation, Terrorism Monitor, Band 3, Nr. 13, 1. Juli 2005
- ↑ Michael Reinhard Heß: Aserbaidschan und der Islam. Abgerufen am 8. Mai 2021.
- ↑ Avraham Sela: Continuum Political Encyclopedia of the Middle East: Revised and Updated Edition. Bloomsbury Academic, 2002, ISBN 978-0-8264-1413-7 (google.com [abgerufen am 28. August 2018]).
- ↑ Fischer Weltalmanach 2018
- ↑ Elling, Rasmus Christian. Minorities in Iran: Nationalism and Ethnicity after Khomeini, Palgrave Macmillan, 2013. Excerpt: "The number of Azeris in Iran is heavily disputed. In 2005, Amanolahi estimated all Turkic-speaking communities in Iran to number no more than 9 million. CIA and Library of congress estimates range from 16 percent to 24 percent—that is, 12–18 million people if we employ the latest total figure for Iran's population (77.8 million). Azeri ethnicsts, on the other hand, argue that overall number is much higher, even as much as 50 percent or more of the total population. Such inflated estimates may have influenced some Western scholars who suggest that up to 30 percent (that is, some 23 million today) Iranians are Azeris."
- ↑ Iran: People. ( des vom 3. Februar 2012 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: CIA: The World Factbook. 16 % der Gesamtbevölkerung Irans; entspricht ca. 12.500.000.
- ↑ Svante E. Cornell: Azerbaijan since independence. Sharpe, Armonk, N.Y. 2011, ISBN 0-7656-3003-6, S. 318.
- ↑ Elling, Rasmus Christian. Minorities in Iran: Nationalism and Ethnicity after Khomeini, Palgrave Macmillan, 2013. Excerpt: "The number of Azeris in Iran is heavily disputed. In 2005, Amanolahi estimated all Turkic-speaking communities in Iran to number no more than 9 million. CIA and Library of congress estimates range from 16 percent to 24 percent—that is, 12–18 million people if we employ the latest total figure for Iran's population (77.8 million). Azeri ethnicsts, on the other hand, argue that overall number is much higher, even as much as 50 percent or more of the total population. Such inflated estimates may have influenced some Western scholars who suggest that up to 30 percent (that is, some 23 million today) Iranians are Azeris."
- ↑ a b Svante E. Cornell: Azerbaijan since independence. Sharpe, Armonk, N.Y. 2011, S. 320.
- ↑ Houman A. Sadri und Omar Vera-Muñiz: Iranian relations with the South Caucasus. In: Thomas Juneau und Sam Razavi (Hrsg.): Iranian Foreign Policy since 2001. Routledge, Abingdon 2013, ISBN 978-0-415-82743-0, S. 147.
- ↑ Svante E. Cornell: Azerbaijan since independence. Sharpe, Armonk, N.Y. 2011, S. 319.
- ↑ Svante E. Cornell: Azerbaijan since independence. Sharpe, Armonk, N.Y. 2011, S. 336.