Abū l-Aʿlā Maudūdī

indisch-pakistanischer Denker und Politiker

Abū l-Aʿlā Maudūdī (Urdu ابو الاعلىٰ مودودی, auch Mawdudi und kurz al-Maududi geschrieben; geboren am 25. September 1903 in Aurangabad, Maharashtra, Indien; gestorben am 22. September 1979 in Buffalo, New York) war ein indisch-pakistanischer Journalist, Rechtsgelehrter und einer der wichtigsten Denker einer fundamentalistischen Auslegung des Islams im 20. Jahrhundert.[1] Er wandte sich insbesondere gegen den Laizismus und befürwortete theokratische Konzepte. Seine Ideen beeinflussten Pakistans Politik und wurden zum Programm der vor allem in Pakistan, aber auch in Indien, Sri Lanka, Großbritannien und den USA agierenden Jamāʿat-i Islāmī, JI.

Biographie

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Maudūdī wuchs als Mitglied einer hoch angesehenen sunnitischen Familie in Aurangabad auf. Sein antibritisch eingestellter Vater versuchte, solange wie möglich seinen Sohn von europäischen Kultureinflüssen fernzuhalten und ihm durch Privatunterricht die indo-muslimische Tradition näherzubringen. Nach dem Tod seines Vaters beschloss Maudūdī, eine Karriere als Journalist einzuschlagen. Mit seinem Bruder ging er nach Delhi, um Kontakt zu Reformisten und Anhängern der Unabhängigkeitsbewegung aufzunehmen. 1919 kam er nach Jabalpur, um dort für das reformistische Magazin al-Tāj (Die Krone) zu schreiben. Er unterstützte die Khilafatbewegung, die sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs für den Fortbestand des Kalifats einsetzte. Nachdem al-Tāj ihr Erscheinen eingestellt hatte, kehrte er nach Delhi zurück.[1]

Dort gab er die Zeitschrift al-Jamʿīyat heraus, die das Organ der Jamiat Ulema-e-Hind („Organisation der indischen Gelehrten“) war. Der Zusammenbruch der Khilafatbewegung im Jahr 1924 stürzte ihn in eine tiefe intellektuelle Krise. Deshalb zog er sich 1928 zur Kontemplation und zum Schreiben nach Hyderabad zurück. Im Laufe der folgenden Jahre entwickelte er seine entscheidenden reformistischen Positionen. Sie besagten, dass der gegenwärtige Islam von verderblichen westlichen Vorstellungen gereinigt werden müsse. Es müsse deutlich gemacht werden, dass der Islam selbst ein vollständiger Gesellschafts- und Lebensentwurf sei, der ohne auswärtige Hilfe auskomme. Weiterhin war für ihn der Abbruch jeglicher Beziehungen zu den Hindus Voraussetzung für eine wirkliche Läuterung und eine Rückkehr zur „wahren“ Religion.

1932 kaufte er das Journal Tarjumân al-qurʾân („Interpret des Koran“), das ihm bis zu seinem Tod als Forum für seine reformistischen Ideen diente.

Die beginnende Diskussion um einen zukünftigen säkularen, indisch-hinduistischen Staat und um einen eigenen Staat für die muslimische Bevölkerung bewog Maududi, sich politisch zu engagieren und im August 1941 die reformistische Partei Jamaat-e-Islami zu gründen. Anfangs befand sich das Hauptquartier in Pathankot, jedoch wurde die Partei nach der Teilung Indiens in zwei unabhängig agierende Organisationen gespalten, wobei Maudūdī den Vorsitz der pakistanischen Partei in Lahore übernahm. Sein reformistischer Aktionismus brachte ihn aber auch für eine gewisse Zeit in den Jahren 1948–1950 und 1953–1955 ins Gefängnis. Er wurde zum Tode verurteilt, dann aber begnadigt und freigelassen. 1970 trat Maudūdī vom Vorsitz seiner Partei zurück, nachdem sie bei den Wahlen ein verheerendes Ergebnis erzielt hatte. Dennoch war er 1977 bei dem Versuch der Jamāʿat-i islāmī beteiligt, die Regierung von Zulfiqar ’Ali Bhutto (1928–1979) zu stürzen.

1977 putschte sich General Zia ul Haq an die Macht, dessen Regime eine Islamisierung Pakistans propagierte. Es war das einzige Regime, das Maududi politisch für unterstützenswert hielt.[1]

Maududi starb am 22. September 1979 in einem Krankenhaus in Buffalo, New York. Er war zeit seines Lebens davon überzeugt, dass der politische Kampf in Pakistan in eine Theokratie oder ein demokratisches Kalifat münden würde, das in der Lage wäre, breite gesellschaftliche Reformen durchzusetzen.

1979 erhielt er den ersten König-Faisal-Preis für Verdienste um den Islam.

Ideologie

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Beitrag zur Politik Pakistans

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Obwohl Maududi einen Nationalismus nach europäischem Vorbild ablehnte, umwarb er die Idee eines islamischen Staates, der sich auf die Religion, nicht auf eine bestimmte Nationalität gründet.[1] Nach 1947, dem Jahr der Staatsgründung Pakistans, übte er lange Zeit einen großen Einfluss auf die künftige ideologische Orientierung Pakistans aus. Ihm war es zu verdanken, dass Pakistans erste Verfassung (1956) es als Aufgabe des Staates definierte, einen islamischen Staat aufzubauen, in dem sich alle Gesetze nach dem Koran und der Sunna richteten.[1]

Der Dschihad

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Maududis Streben gilt der Errichtung eines islamischen Staates. Wichtigstes Mittel, dieses Ziel zu erreichen, ist der Dschihad. Gebet, Fasten, Almosensteuer und Pilgerfahrt dienen allesamt der Vorbereitung auf den Dschihad.[2] Er ruft die Muslime zum Kampf auf: „Zieht aus und kämpft! Entfernt die Menschen, die sich gegen Gott aufgelehnt haben, aus ihren Führungspositionen und errichtet das Kalifat.“[3] Dieser Kampf ist auch unter Einsatz des Lebens zu führen:

„Wenn ihr an die Richtigkeit des Islam glaubt, bleibt euch nichts anderes übrig, als eure ganze Kraft einzusetzen, um sie auf Erden vorherrschen zu lassen. Entweder schafft ihr dies, oder ihr opfert euer Leben in diesem Kampf.“[4]

Auch die Tötung anderer ist Maududi zufolge in Kauf zu nehmen:

„Das größte Opfer für die Sache Gottes wird im Dschihad dargebracht, denn in diesem Kampf gibt der Mensch nicht nur sein eigenes Leben und sein Hab und Gut hin, sondern er vernichtet auch Leben und Eigentum anderer. Doch wie bereits dargelegt, ist einer der Grundsätze des Islams, daß wir einen geringeren Verlust auf uns nehmen sollten, um uns vor einem größeren Schaden zu schützen. Was bedeutet der Verlust einiger Menschenleben, selbst wenn es einige Tausende oder mehr sein sollten, gegenüber dem Unheil, das die Menschheit befallen würde, wenn das Böse über das Gute und der aggressive Atheismus über die Religion Gottes den Sieg davontragen würde?“[5]

Nach Maududi beschränken den Dschihad die Grundprinzipien des Islam; Dschihad muss im Namen Gottes erfolgen, nicht zur Selbstbereicherung von Individuen oder Nationen. Er respektiert also in gewissem Umfang die im Islam anerkannten Religionen (im Wesentlichen also die anderen Abrahamsreligionen Judentum und Christentum) und erkennt das Recht auf Religionsausübung eroberter Völker an, aber nur soweit die Verhaltensregeln und Werte dieser Religionen nicht muslimischem Recht widersprechen. Ein religiös begründetes Recht auf demokratische Selbstbestimmung des Menschen oder auf staatliche Durchsetzung der Menschenrechte (da nur von Menschen gemacht und nicht von Gott befohlen oder gewährt) gibt es nicht. Dschihad ist damit zwar kein Mittel zur Zwangsislamisierung, sondern dient der Errichtung eines wahrhaftig islamischen Staat, der es allen Muslimen ermöglicht, in „völliger Übereinstimmung“ mit ihrer Religion zu leben. Diese „völlige Übereinstimmung“ impliziert aber notwendig, dass – zum Beispiel demokratisch legitimierte – Kompromisse islamischen Rechts mit Rechtsvorstellungen anderer Religionen, soweit diese mit islamischem Recht nicht vereinbar sind, in einem islamischen Staat im Sinne Maududis nicht möglich sind.[6]

Der islamische Staat

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Maududi glaubte daran, dass nur ein islamischer Staat eine wahrhaft islamische Gesellschaft hervorbringen kann. Von Menschen eigenmächtig gefällte Urteile und Gesetze, die nicht auf dem Willen Gottes basieren, sind fehlgeleitet und korrumpieren die Gesellschaft.[7] In seinen Schriften entwirft er einen islamischen Staat, der sich auf vier grundlegende Quellen begründet:[8]

  1. Der Koran
  2. Die Sunna
  3. Die Konventionen der vier rechtgeleiteten Kalifen
  4. Die Regeln der großen Rechtsgelehrten

Nach Maududis Vorstellung kann die Herrschaft in einem Staat nur von Gott ausgehen. Seine Staatsform nennt er „Das republikanische Kalifat“. Er schließt jedoch eine Stellvertreterschaft Gottes, wie z. B. beim Amt des Papstes aus. Vielmehr sagt Maududi: „Gott hat denjenigen von euch, die glauben und tun, was recht ist, versprochen, dass er sie zu Nachfolgern (Stellvertretern) bestellen wird“ (Koran 24,55). Er schließt somit auch ein dynastisches Kalifat bzw. ein Kalifat, das einer bestimmten Klasse vorbehalten ist, aus, da der Herrschaftsanspruch sich aus dem richtigen Glauben und Handeln erschließt.[9] Er nennt seine Staatsform ein demokratisches Kalifat, da der menschliche Herrscher nicht autokratisch regiert, sondern durch die Gesetze Gottes gebunden ist. Wesentlicher Unterschied zu Demokratien westlicher Prägung ist der Umstand, dass die Grundsätze des Kalifats durch die göttliche Ordnung festgelegt und somit unveränderbar sind: das Volk ist nicht der Souverän, obgleich es das Recht hat, einen Herrscher, der entgegen der Scharia regiert, zu stürzen. Maududi betrachtet daher das islamische Kalifat als demokratisches System, wobei er westliche Formen der Demokratie für islamische Staaten ablehnt. „Demokratie“ meint hier also nicht wie im Griechischen die (souveräne) „Herrschaft des Volkes“, sondern, dass das Volk die Pflicht hat, auch auf staatlicher Ebenen für die Respektierung islamischen Rechts zu sorgen.[10]

Die Exekutive

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An der Spitze des Staates steht der Kalif. Ihm zur Seite steht ein sogenannter Konsultationsrat (Majlis-e Shura).[10] Sowohl der Führer als auch die Mitglieder des Konsultationsrates müssen folgende Bedingungen erfüllen:

  1. Sie müssen Muslime sein.
  2. Sie müssen Männer sein.
  3. Sie müssen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und erwachsen sein.
  4. Sie müssen Staatsbürger des islamischen Staates sein.

Das Wahlrecht steht ausschließlich den muslimischen Bürgern des Landes zu.

Die Staatsbürgerschaft

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Maududi unterscheidet zwischen zwei Arten von Bürgern: Muslime und Dhimmis.

Den Muslimen obliegt es, den Staat entsprechend der islamischen Regeln zu gestalten. Sie haben das Recht, das Staatsoberhaupt und den Konsultationsrat zu wählen, und können Schlüsselpositionen des Staates einnehmen. Auch die Landesverteidigung gehört zu ihren Aufgaben.

„Dhimmis“ (Schutzbefohlene) definiert Maududi als jene nichtmuslimische Bürger, die dem islamischen Staat loyal und gehorsam gegenüberstehen. Ihr Leben, Eigentum und ihre Kultur, religiöse Überzeugungen und Ehre stehen unter dem Schutz des Staates. In zivilen und wirtschaftlichen Belangen sollen die Nichtmuslime den Muslimen gleichgestellt werden. Nichtmuslime besitzen kein Wahlrecht. Schlüsselpositionen ausgenommen, können sie jeder Art von Beschäftigung nachgehen. Von der Pflicht zur Landesverteidigung sind sie befreit.[10]

  • Tafhim-ul-Quran (Zum Verständnis des Korans)
  • [Rasāʾil-ō-masāʾil] Rasail wa Masail* [Islām kā niẓām-i ḥayāt] Islam Ka Nizam Hayat, dt.: Als Muslim leben
  • [Ḫuṭabāt] Khutabat
  • [Ǧihād fī sabīli 'llāh] Jihad fi Sabilillah (Jihad in Islam (engl.) [1])
  • Vorlesung über islamisches Staatsrecht, Marrakesch 1952. In: Andreas Meier Hg., Der politische Auftrag des Islam. Programme und Kritik zwischen Fundamentalismus und Reformen. Originalstimmen aus der islamischen Welt. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1994, ISBN 3-87294-616-1, S. 185–193 (mit Einl. des Hg.)
  • The Moral Foundations of the Islamic Movement. Lahore 1976

Literatur

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  • Freeland K. Abbot: Maulana Maududi and Quranic interpretation. In: The Muslim World 48, 1958, 1, ISSN 0027-4909, S. 6–19.
  • Charles J. Adams: The ideology of Mawlana Mawdudi. In: Donald Eugene Smith (Hrsg.): South Asian politics and religion. Princeton University Press, Princeton NJ 1966, S. 371–397.
  • Aziz Ahmad: Islamic modernism in India and Pakistan. 1857–1964. Oxford University Press, London 1967, (Royal Institute of International Affairs), S. 208–223.
  • Sayed Riaz Ahmad: Maulana Maududi and the Islamic state. People’s Publishing House, Lahore 1976.
  • John L. Esposito (Hrsg.): Voices of Resurgence Islam. Oxford University Press, New York NY 1983, ISBN 0-19-503340-X.
  • Peter Heine: Abu l-Ala al-Maududi. In: Peter Heine: Terror in Allahs Namen. Extremistische Kräfte im Islam. Herder, Freiburg 2001, ISBN 3-451-05240-7, S. 110–112.
  • Thomas J. Moser: Politik auf dem Pfad Gottes, Zur Genese und Transformation des militanten sunnitischen Islamismus. Innsbruck University Press IUP, Innsbruck 2012, S. 61–79. ISBN 978-3-902811-67-7
  • Seyyed Vali Reza Nasr: Mawdudi and the Making of Islamic Revivalism. Oxford University Press, New York NY 1996, ISBN 0-19-509695-9
  • F. C. R. Robinson: Mawdūdī, Sayyid Abu 'l-Aʿlā. In: Encyclopaedia of Islam, Second Edition. Brill, Leiden 2008.
  • Erwin I. J. Rosenthal: Islam in the modern national state. Cambridge University Press, Cambridge 1965, S. 137–53, 221–272.
  • Andreas Meier: Der politische Auftrag des Islam. Programme und Kritik zwischen Fundamentalismus und Reformen. Originalstimmen aus der islamischen Welt. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1994, wieder 2000, ISBN 3-87294-616-1; darin Sayyid Abul A'la Maududi: Gottessouveränität statt Volkssouveränität, S. 185–193

Siehe auch

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Commons: Abū l-Aʿlā Maudūdī – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. a b c d e Robinson, F.C.R. "Mawdudī, sayyid abu'l-aʿlā" Encyclopaedia of Islam. Edited by: P. Bearman, Th. Bianquis, C.E. Bosworth, E. van Donzel and W.P. Heinrichs. Brill, 2008.
  2. Sayyid Abul A'la Maududi: Als Muslim leben. Karlsruhe 1995, S. 253 online (Memento vom 2. August 2012 im Webarchiv archive.today).
  3. Sayyid Abul A'la Maududi: Als Muslim leben. Karlsruhe 1995, S. 260.
  4. Sayyid Abul A'la Maududi: Als Muslim leben. Karlsruhe 1995, S. 268.
  5. Sayyid Abu-l-A'la Maududi: Weltanschauung und Leben im Islam, München 1994, S. 156f.
  6. Maududi, Jihad in Islam (Memento vom 23. August 2007 im Internet Archive)
  7. Maududi: Let us be Muslims und The Islamic Way of Life
  8. Der Staatsentwurf Maududis ist seinem folgenden Buch entnommen: S. Abul A'la Maududi: First Principles of the Islamic State. Lahore 1997
  9. Sayyid Abul A'la Maududi: Gottessouveränität statt Volkssouveränität. In: Der politische Auftrag des Islam. Programme und Kritik zwischen Fundamentalismus und Reformen, Originalstimmen aus der islamischen Welt. Wuppertal 1994, S. 193
  10. a b c Maududi: The Islamic Way of Life online