Die Begriffsgeschichte ist ein Bereich der Geschichtswissenschaft, der sich mit der historischen Analyse von Begriffen beschäftigt. Die Entstehung der Begriffsgeschichte als methodischer Vorschlag im deutschen Kontext geht auf das 18. und 19. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit wurden ihre Theorie und Methodik systematisch um einige zentrale Prinzipien herum aufgebaut, wie etwa die Unterscheidung zwischen Begriff und Wort, die Verwendung der aus der Linguistik importierten Begriffe Synchronie, Diachronie, Semasiologie und Onomasiologie. Im 20. Jahrhundert formulierte Reinhart Koselleck auf Grundlage begriffsgeschichtlicher Forschungen das Konzept der Sattelzeit, die als ein historischer Zeitraum verstanden wird, der dem Beginn der Moderne entspricht und in dem verschiedene soziale und politische Begriffe tiefgreifende semantische Veränderungen erfahren haben sollen.
Die ersten Schritte zur Institutionalisierung des Bereichs der Begriffsgeschichte wurden 1955 mit der Gründung der Zeitschrift Archiv für Begriffsgeschichte durch Erich Rothacker und im Jahr darauf mit der Gründung des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte durch Otto Brunner unternommen. Diese erste Zeitschrift kündigte 1967 zwei große Forschungsprojekte zur Erforschung der Begriffsgeschichte an. Das erste dieser Projekte, das 1971 erschien, war das von Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel herausgegebene Historische Wörterbuch der Philosophie.[1] Im Jahr darauf erschien ein weiteres, ebenso umfangreiches und wichtiges Werk, die von Bruner, Werner Conze und Reinhart Koselleck organisierten Geschichtliche Grundbegriffe. Neben diesen beiden Projekten gab es noch ein drittes, das 1982 angekündigte und ab 1985 von Rolf Reichardt und Eberhard Schmitt herausgegebene "Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich".[2] Beeinflusst von dieser deutschen Tradition entwickelten sich ab dem 20. Jahrhundert weitere begriffsgeschichtliche Projekte wie Iberconceptos, das Forscher von der Iberischen Halbinsel und aus Lateinamerika zusammenbrachte, um eine vergleichende Untersuchung der sozialen und politischen Konzepte in der iberoamerikanischen Welt durchzuführen, das European Conceptual History Project, das von Forschern verschiedener europäischer Universitäten mit dem Ziel durchgeführt wurde, die Entwicklung von Konzepten innerhalb des europäischen Kontinents zu analysieren, und das Projekt Global Conceptual History of Asia, 1860-1940, das die methodischen Grundsätze der Globalgeschichte nutzte, um eine Geschichte der Konzepte in Asien von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auszuarbeiten.
Nach ihrer Institutionalisierung ist die Begriffsgeschichte nicht mehr auf den deutschen Kontext beschränkt, sondern Teil der geschichtswissenschaftlichen Agenda verschiedener Universitäten auf der ganzen Welt geworden. Besonders präsent ist sie in Brasilien, Südkorea und in Europa insgesamt. Seit ihrem Aufkommen hat die Begriffsgeschichte einen wichtigen Dialog mit der Sozialgeschichte und der Ideengeschichte geführt, wobei sie einige Prinzipien der ersteren in ihrer disziplinären Verfassung verwendet und sich der letzteren aufgrund einiger methodischer Beschränkungen ihres Ansatzes widersetzt. Als der Vorschlag der Begriffsgeschichte nicht mehr auf den deutschen Kontext beschränkt war, begann sie, mit anderen Disziplinen in Dialog zu treten, die dieselbe Art von historischen Quellen untersuchten, dies aber aus anderen methodischen Perspektiven taten, wie z. B. die Geschichte der politischen Diskurse. In jüngerer Zeit wurde die Begriffsgeschichte in neue geschichtswissenschaftliche Perspektiven wie die Globalgeschichte integriert, um ihren Ansatz an einige der zeitgenössischen Anforderungen an die Geschichtswissenschaft anzupassen, wie z. B. die Notwendigkeit, den Eurozentrismus und die ausschließlich auf Nationalstaaten bezogenen Begriffsanalysen zu überwinden.
Entstehung in Deutschland
BearbeitenObwohl die Begriffsgeschichte erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts den Status einer eigenständigen Disziplin innerhalb der Geschichtswissenschaft erlangte, sind bereits im 18. und 19. Jahrhundert zu erkennen. Einige Autoren betrachten das Werk Philosophisches Lexikon (1726) des deutschen lutherischen Theologen Johann Georg Walch als das erste Werk, das die Notwendigkeit einer historischen Untersuchung der Begriffe betont. Noch im 18. Jahrhundert hätten andere Denker in die gleiche Richtung wie Walch argumentiert, etwa die Philosophen Johann Georg Heinrich Feder und Christoph Gottfried Bardili.[3] 1806 legte Wilhelm Traugott Krug, Immanuel Kants Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Logik und Metaphysik in Königsberg, den Plan für ein historisch-kritisches Wörterbuch der Philosophie vor, das alle philosophischen Begriffe in alphabetischer Reihenfolge ordnen und ihre Ursprünge und Wandlungen darstellen sollte.[3] Diese ersten begriffsgeschichtlichen Initiativen waren jedoch recht isoliert, und keiner von ihnen hat eine systematische Arbeit auf diesem Gebiet in die Praxis umgesetzt.
In diesem Sinne kann man sagen, dass die ersten systematischen Arbeiten zur Begriffsgeschichte ab den 1870er Jahren entstanden, insbesondere unter Berücksichtigung des Beitrags von Rudolf Eucken, Autor des Buches Geschichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart (1878), der den Vorschlag einer Begriffsgeschichte unterbreitete, die auf dem Studium der philosophischen Sprache ausgehend von der Untersuchung der inneren Geschichte jedes einzelnen Begriffs beruht. Der Einfluss von Eucken wurde insbesondere in den Arbeiten von Gustav Teichmüller sichtbar, dem Autor der Studien zur Begriffsgeschichte (1874) und der Neuen Studien zur Begriffsgeschichte (1876-1879).[3] Ende des 19. Jahrhunderts erschien schließlich das Wörterbuch der philosophischen Begriffe, verfasst vom österreichischen Philosophen Rudolf Eisler, ein systematisches Werk, in dem der Vorschlag, eine Geschichte der philosophischen Ausdrücke zu erstellen, mit dem Ziel, die semantischen Veränderungen der Begriffe im Laufe der Zeit zu erklären, explizit gemacht wurde.[3] Im selben Jahr wurde auch die Geschichte der philosophischen Ausdrücke veröffentlicht.
Die Begriffsgeschichte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich in Deutschland unter dem Einfluss verschiedener Traditionen, wie der Philologie, der Philosophiegeschichte, der Hermeneutik und der Rechtsgeschichte. Unmittelbare Vorläufer der Begriffsgeschichte sind die Ideengeschichte, die stark mit dem Werk von Friedrich Meinecke verbunden ist, und die Geistesgeschichte, die von Denkern wie Wilhelm Dilthey vertreten wird.[2] Die Entstehung der Begriffsgeschichte geht auf die 1930er Jahre zurück, als der österreichische Historiker Otto Brunner und der deutsche Philosoph Erich Rothacker begannen, die Elemente der Sozialgeschichte mit einem auf die Begriffsanalyse ausgerichteten Ansatz zu verbinden, d. h. der semantischen Untersuchung der in den historischen Quellen vorhandenen Terminologie Aufmerksamkeit zu widmen. So betonte Rothacker bereits 1912 in seiner Dissertation über den Historiker Karl Lamprecht die Notwendigkeit, die anthropologische und die kulturelle Perspektive in der Geschichtsschreibung einander anzunähern.[4] Brunner hingegen stellte vor allem in seinem Buch Land und Herrschaft (1939) bei der Analyse mittelalterlicher Urkunden fest, dass viele Studien über Grundbesitz und Herrschaftsverhältnisse durch die Verwendung von Ausdrücken und Kategorien verzerrt wurden, die in der Zeitsprache der Quellen nicht vorhanden waren. Brunner plädierte daraufhin für eine historische Forschung, die sich mit Hilfe der Begriffsanalyse als Hilfswissenschaft der in den Quellen selbst verwendeten Terminologie bedient und so ein adäquateres Verständnis ihrer Bedeutungen ermöglicht.[5] Eine weitere entscheidende Figur bei der Entstehung der deutschen Begriffsgeschichte war der deutsche Philosoph Joachim Ritter, der die Notwendigkeit einer praktischen Philosophie erkannte, die eine Hermeneutik der geschichtlichen Welt betreibt, ohne die in den zwischenmenschlichen Beziehungen vorhandene Subjektivität aufzugeben.[4]
Der deutsche Historiker Reinhart Koselleck ist neben Brunner, Conze, Ritter und Rothacker einer der wichtigsten Namen, die mit der deutschen Begriffsgeschichte verbunden sind. Mit der Veröffentlichung des Buches Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten im Jahr 1979 trat Koselleck als Haupttheoretiker dieses Ansatzes hervor, indem er zum ersten Mal die wichtigsten Themen im Zusammenhang mit dem Vorschlag der Begriffsgeschichte zusammenfasste, wie die methodischen Grundsätze der Disziplin, ihre Abgrenzung von anderen verwandten Disziplinen sowie die allgemeine Hypothese, die Entstehung der modernen Welt anhand von Überlegungen zum öffentlichen und politischen Sprachgebrauch zu bewerten.[6]
Theorie und Methodik
BearbeitenBegriff und Wort
BearbeitenDas erste theoretische Problem, das es für die Formulierung der Begriffsgeschichte zu klären galt, war die Definition dessen, was als Begriff gelten sollte, sowie die formale Unterscheidung zwischen Begriff und Wort. Im Falle der Geschichtlichen Grundbegriffe wurde diese Unterscheidung sehr pragmatisch gehandhabt und auf komplexere linguistische Theorien verzichtet. Im Allgemeinen werden für die deutsche Begriffsgeschichte sowohl Wörter als auch Begriffe als mehrdeutig angesehen, auch wenn sie es auf unterschiedliche Weise sind. So wird z. B. behauptet, dass die Bedeutung eines Wortes immer auf das verweist, was es bezeichnet, sei es ein Gedanke oder ein Ding. Andererseits wird die Bedeutung dieses Wortes nicht nur durch das Wort selbst, sondern auch durch die bewussten Absichten der Person, die es ausspricht, sowie durch die spezifische soziale Situation des jeweiligen Kontextes erzeugt. Ein Wort kann also zu einem Begriff werden, wenn die gesamte Bandbreite der Bedeutungen, die sich aus einem bestimmten sozio-politischen Kontext ergeben, durch dieses Wort erklärt wird. Auf diese Weise kann ein Begriff mit einem Wort verknüpft werden, ist aber gleichzeitig immer mehr als ein Wort, denn das Wort drückt nur Bedeutungen aus, während der Begriff den historischen Kontext mit einbezieht.[7]
Begriffe sind für Reinhart Koselleck Wörter, in denen eine Vielzahl von Bedeutungen konzentriert ist. Anders als ein Wort, dessen Bedeutung durch seinen spezifischen Gebrauch genau bestimmt werden kann, bleibt ein Begriff immer polysemisch:[8] In einem Begriff tritt die Vielschichtigkeit der historischen Wirklichkeit so in die Mehrdeutigkeit eines Wortes ein, dass diese Wirklichkeit nur mit dem Gebrauch dieses spezifischen Wortes verstanden und begrifflich gefasst werden kann. Von da an dient der Begriff nicht nur der Benennung eines historischen Phänomens, sondern wird zu einem der Faktoren seiner Entstehung. Er bringt den Reichtum der geschichtlichen Erfahrung und die Summe der daraus gezogenen theoretischen und praktischen Lehren in einer Weise zusammen, dass ihre Beziehung nur durch den Begriff hergestellt und richtig verstanden werden kann. Er wird dann zum Grundbegriff, d.h. zum unverzichtbaren Bestandteil des sozialen und politischen Vokabulars einer bestimmten Epoche."[9]
Eines der wichtigsten Beispiele für die Unterscheidung zwischen Begriff und Wort in den Geschichtlichen Grundbegriffen ist der Begriff Staat, der während der Entstehung der modernen Welt mit einer Vielzahl von Elementen wie Herrschaft, territoriale Souveränität, Verwaltung, Staatsbürgerschaft, Gesetzgebung, Rechtsprechung, Besteuerung, militärische Macht und anderen verbunden wurde. Alle diese Elemente wurden mit ihrer eigenen Terminologie und Komplexität in das Wort Staat aufgenommen, das zum Konzept erhoben wurde. Begriffe sind also Konzentrationen vieler semantischer Inhalte,[10] und die Unterscheidung zwischen Begriffen und Wörtern markiert einen Unterschied zwischen der Begriffsgeschichte und der Ideengeschichte. Arthur O. Lovejoy, der Begründer der Ideengeschichte, erkannte zwar die Notwendigkeit einer Unterscheidung zwischen Begriffen und Wörtern, entwickelte aber nie eine Methode, um dieses Problem zu lösen. Im Gegensatz dazu hat die in Geschichtliche Grundbegriffe angewandte Methodik linguistische Techniken an den Zweck angepasst, sowohl Kontinuitäten als auch Diskontinuitäten in der Verwendung von Begriffen zu veranschaulichen.[2]
Synchronie und Diachronie
BearbeitenBei der semantischen Analyse ist eines der methodologischen Prinzipien der Begriffsgeschichte die Komplementarität zwischen synchronen und diachronen Analyseperspektiven. Während sich die synchrone Analyse mit Fragen befasst, die sich auf einen bestimmten Geschichtlichen Kontext beziehen, wie z. B. den Wortschatz, der den Individuen zur Verfügung steht, und die Bedeutungen, die ihm zu einem bestimmten Zeitpunkt zugeschrieben werden, analysiert der diachrone Ansatz eine Reihe von aufeinanderfolgenden Bedeutungen, die ein und derselbe Begriff im Laufe der Zeit trägt.[2] Die synchrone Perspektive kann als ein erster Schritt in Richtung Begriffsgeschichte verstanden werden, das besondere methodische Merkmal dieser Teildisziplin ist jedoch das diachrone Prinzip, das die Untersuchung der in der Semantik von Begriffen enthaltenen langfristigen Transformationen ermöglicht. In diesem Stadium der Analyse werden die Begriffe aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst, um ihre jeweiligen Bedeutungen in aufeinanderfolgenden historischen Zeiträumen zu bewerten und aus den Beziehungen zwischen diesen Bedeutungen Hypothesen abzuleiten.[11] Durch das diachrone Prinzip erlangte die Begriffsgeschichte eine methodische Eigenständigkeit gegenüber anderen Teildisziplinen, wie z. B. der Sozialgeschichte, und wurde zu einem eigenen Forschungsbereich, der sich zunächst auf den sprachlichen Inhalt von Begriffen konzentrieren muss und erst dann deren außersprachlichen Inhalt, d. h. den sozialen und politischen Kontext, berücksichtigt.[8]
Nach Koselleck ist es notwendig, als theoretische Voraussetzung die Möglichkeit zu haben, dass in jedem synchronen sprachlichen Ausdruck eine Diachronie enthalten ist, die sich auf eine bestimmte Situation bezieht. Die Begriffsgeschichte geht also von der These aus, dass jede Synchronie eine Diachronie enthält, eines der wichtigsten Beispiele, um dies zu erklären, ist der deutsche Begriff der Geschichte (Historie / Geschichte), der in einem tiefgreifenden Wandel in der Mitte des 18. Jahrhunderts den Begriff Historie, der sich auf Geschichten im Plural bezieht, aufgab und sich in Geschichte als Singular-Kollektiv wandelte, als abstrakte Einheit, die die Gesamtheit der Geschichten zusammenfasst. Geschichte wurde zu einem transzendentalen Begriff, zu einer zusammenhängenden Folge von kontinuierlichen Ereignissen, die auf die Verwirklichung eines bestimmten, teleologisch definierten Ziels hinarbeiten, und erhielt wie andere Begriffe eine zukunftsorientierte zeitliche Ausrichtung, die die Erwartung der Individuen an ihre Verwirklichung weckte. Hinter diesem sprachlichen Wandel, der ein Geschichtsbild begründete, das bis ins 20. Jahrhundert hinein gültig blieb, stand eine diachrone Kraft, die mit einer großen zeitlichen Ausdehnung ausgestattet war und daher nicht durch die Analyse eines isolierten synchronen Zusammenhangs erklärt werden konnte.[12]
Semasiologie und Onomasiologie
BearbeitenEin weiteres zentrales Merkmal der Methodik der Begriffsgeschichte ist der Wechsel zwischen semasiologischen und onomasiologischen Ansätzen. Unter Semasiologie versteht man die Untersuchung aller Bedeutungen, die einem bestimmten Wort, Begriff oder Konzept zugeschrieben werden. In dieser Hinsicht verzichtet die Begriffsgeschichte auf eine erschöpfende Analyse der Bedeutungen der behandelten Begriffe und beschränkt sich auf den sozialen und politischen Wortschatz. Die Onomasiologie hingegen ist die linguistische Untersuchung aller Namen oder Begriffe, die zur Bezeichnung ein und derselben Sache, in diesem Fall eines Begriffs, verwendet werden. Daher sollte man immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass verschiedene Begriffe Synonyme für ein und dasselbe Konzept sein können. Nach Koselleck darf die Untersuchung eines Konzepts nicht ausschließlich unter semasiologischen Gesichtspunkten erfolgen und sich auf die Bedeutungen der Wörter und ihre Abwandlungen beschränken. Die Begriffsgeschichte muss zwischen Semasiologie und Onomasiologie abwechseln. Die Notwendigkeit dieser Methodik wird beispielsweise am Begriff der Säkularisierung deutlich, der sich nicht ausschließlich aus der Analyse eines einzelnen Wortes, d. h. aus dem semasiologischen Ansatz, erklären lässt. Im spezifischen Kontext der deutschen Sprachgeschichte sind andere Begriffe zur Erklärung des Phänomens der Säkularisierung unverzichtbar, wie etwa die Verweltlichung oder die Verzeitlichung.[8]
Die Sattelzeit
BearbeitenSattelzeit ist eine von Reinhart Koselleck geprägte Kategorie zur Bezeichnung eines historischen Zeitraums, der ungefähr zwischen den Jahren 1750 und 1850 liegt. Koselleck stellt fest, dass in diesem Zeitraum verschiedene soziale und politische Begriffe im deutschsprachigen Raum tiefgreifende Veränderungen erfuhren, indem sie ihre alten Bedeutungen verloren und neue Vorstellungen aufnahmen. Für Koselleck symbolisiert die Sattelzeit die Auflösung der alten deutschen Gesellschaft, die auf der ständischen Organisation beruhte, und die Etablierung der modernen Welt.[13] Dem Autor zufolge lässt sich dieses Phänomen anhand der begriffsgeschichtlichen Analyse des sozialen und politischen Vokabulars der deutschen Geschichte abbilden. Zu seinen Hauptmerkmalen gehören die komplementären Prozesse der Verzeitlichung, der Demokratisierung, der Ideologisierung und der Politisierung der Diskurse.[2] Die Existenz dieser Sattelzeit gilt als die zentrale Hypothese, die die Forschungen leitete, die zu den monumentalen Geschichtlichen Grundbegriffen führten, die in der internationalen Geschichtsschreibung weiterhin ständig diskutiert werden.[14]
Nationale Kontexte
BearbeitenBrasilien
BearbeitenDie Rezeption der Begriffsgeschichte in Brasilien begann Mitte der 1990er Jahre, als die ersten Übersetzungen des Werkes von Reinhart Koselleck in den Zeitschriften des Landes veröffentlicht wurden, wie der Vortrag Eine Geschichte der Begriffe: theoretische und praktische Probleme, der 1992 von Manoel Luiz Salgado Guimarães transkribiert, übersetzt und herausgegeben wurde, sowie die Dissertation Kritik und Krise: ein Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, deren Übersetzung 1999 erschien.[12] Die Begriffsgeschichte blieb jedoch bis Anfang der 2000er Jahre am Rande der Geschichtswissenschaft in Brasilien, als die wichtigsten theoretisch-methodologischen Texte von Koselleck übersetzt wurden und in der brasilianischen akademischen Welt zu zirkulieren begannen, wie das Buch Futuro passado: contribuição à semântica dos tempos históricos, veröffentlicht im Jahr 2006, sowie die beiden von den Historikern Marcelo Gantus Jasmin und João Feres Júnior organisierten Bücher zu diesem Thema, História dos conceitos: debates e perspectivas, veröffentlicht im Jahr 2006, und História dos conceitos: diálogos transatlânticos, veröffentlicht im darauffolgenden Jahr, die heute für die portugiesischsprachige Öffentlichkeit als zentrale Referenzen zur Begriffsgeschichte dienen.[15] Feres Júnior, einer der Hauptvertreter dieser Perspektive in Brasilien, war auch der Organisator eines Sammelbandes über die Geschichte der politischen Konzepte im brasilianischen Kontext mit dem Titel Léxico da história dos conceitos políticos do Brasil, der 2014 veröffentlicht wurde und die Begriffe Amerika-Amerikaner, Bürger-Nachbar, Verfassung, Föderalismus, Geschichte, Liberal-Liberalismus, Nation, öffentliche Meinung, Volk-Völker und Republik-Republikaner umfasst.[15] Dieses Buch enthält einen Teil des Diccionario político y social iberoamericano: conceptos políticos en la era de las independencias, 1750-1850, einem länderübergreifenden und vergleichenden Werk über die Geschichte der Begriffe in der iberoamerikanischen Welt, an dem Forscherteams aus neun Ländern beteiligt waren: Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Spanien, Mexiko, Peru, Portugal und Venezuela.[16] Zusammen mit Marcelo Jasmin koordiniert João Feres Júnior die Forschungsgruppe Grupo de História dos Conceitos e Teoria Política e Social (Gruppe für Begriffsgeschichte und politische und soziale Theorie), die am Institut für Soziale und Politische Studien der Universidade do Estado do Rio de Janeiro angesiedelt ist.[16] 2013 veröffentlichte Editora Autêntica die erste portugiesische Übersetzung des von Koselleck, Christian Meier, Horst Günther und Odilo Engels verfassten Beitrags Geschichte, Historie mit dem Titel O conceito de História (Der Begriff der Geschichte), übersetzt von René Gertz.[17]
Südkorea
BearbeitenDie Begriffsgeschichte wurde in der südkoreanischen Geschichtsschreibung in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre in einigen bahnbrechenden Studien wie Lee Sangsins Artikel mit dem Titel Conceptual history theory and its research (1986) erstmals praktiziert, fand aber erst ab den 1990er Jahren weite Verbreitung, vor allem durch die verschiedenen Beiträge von Historikern wie La Inho und Park Keungap. Es ist jedoch richtig, dass die Begriffsgeschichte in Südkorea nicht einfach ein aus Europa importiertes Wissen war, da in den 1980er Jahren viele Studien vor der Rezeption der Begriffsgeschichte großen Wert auf die Begriffsanalyse legten, um die komplexe Entwicklung der Moderne im Land zu verstehen, wie etwa Chang Seokmans Untersuchungen zum Religionsbegriff im Kontext des kulturellen Wandels in Ostasien, Lim Hyungtaeks Schriften zu den klassischen Texten des traditionellen Korea sowie Park Myoungkyus Arbeiten zum Gesellschaftsbegriff in Südkorea. Auch wenn in diesen Beiträgen noch nicht die der Begriffsgeschichte eigene Methodik zum Einsatz kam, bereiteten sie doch den Boden für die Einführung der Disziplin in den folgenden Jahren. Der Hauptakteur bei der Rezeption und Entwicklung der Begriffsgeschichte war Lim Hyungtaek.
Hauptakteur bei der Rezeption und Entwicklung der Begriffsgeschichte in Südkorea war eine Gruppe von Sozialwissenschaftlern, die Mitte der 1990er Jahre zur Geschichte der internationalen Beziehungen forschten. Hier ist vor allem Ha Youngsun zu nennen, einer der wichtigsten Anhänger der Arbeiten von Reinhart Koselleck und Organisator der ersten Forschungsprojekte zu Grundbegriffen in Ostasien. Seine Studien zum Konzept der internationalen Politik dienten als Anregung für mehrere spätere Dissertationen auf diesem Gebiet. Das wichtigste Ergebnis der Forschungsarbeiten der Gruppe war das Buch Concept Formation in Modern Korean Social Sciences, das sich mit mehreren Konzepten wie Zivilisation, Literatur, Nation und Wissenschaft befasst. Im Jahr 2009 veranstaltete die Gruppe in Seoul eine internationale Konferenz zur Begriffsgeschichte, die als erstes globales Symposium zu diesem Thema in Asien gilt.
Heute erfreut sich die Begriffsgeschichte in der südkoreanischen akademischen Welt wachsender Beliebtheit und wird von der Hallym Universität institutionell und vom Nationalen Forschungsfonds finanziell unterstützt. Im Jahr 2005 begann Kim Yong Ku, Professor für Geschichte der internationalen Beziehungen an der Hallym-Universität, ein langfristiges Projekt zur Begriffsgeschichte mit dem Titel Zusammenstellung der historisch-philosophischen Enzyklopädie der Grundbegriffe in den koreanischen Geistes- und Sozialwissenschaften. Im Jahr 2007 erhielt die Hallym-Universität eine zehnjährige Förderung für die Durchführung eines multidisziplinären Projekts mit dem Titel Intercommunication of East Asian Basic Concepts. Auf diese Weise hat diese Institution den Ausbau der Begriffsgeschichte in Südkorea vorangetrieben, was in der Gründung und Veröffentlichung der ersten akademischen Zeitschrift des Landes zu diesem Thema, der Zeitschrift Concept and Communication (Konzept und Kommunikation), gipfelte.
Einer der zentralen Aspekte der in Südkorea entwickelten Methoden der Begriffsgeschichte ist die umfassende Nutzung digital archivierter Quellen, die sich aus der rasanten Entwicklung der Informationstechnologie im Land und der staatlichen Unterstützung für die Zusammenstellung und Digitalisierung von historischem Material ergibt, die durch das Koreanische Nationale Geschichtsinstitut gefördert wird, das ein Online-Portal zur nationalen Geschichte entwickelt hat, das historische Quellen von den alten Silla-Dynastien bis zur Gegenwart zugänglich macht.[18]
Spanien
BearbeitenDie Entwicklung der Begriffsgeschichte in Spanien steht in direktem Zusammenhang mit der Arbeit der Historiker Javier Fernández Sebastián und Juan Francisco Fuentes, den Leitern des Diccionario político y social del mundo iberoamericano (deutsch: Politisches und Soziales Wörterbuchs der iberoamerikanischen Welt). Das Lexikon der politischen und sozialen Begriffe im Spanien des 19. und 20. Jahrhunderts wird in zwei Bänden vorgestellt, die mehr als tausend Seiten über die historische Semantik von Begriffen enthalten, die als grundlegend für das Verständnis der spanischen Geschichte gelten. Auf theoretischer Ebene folgt das Werk den Prämissen der linguistischen Wende, die als Paradigmenwechsel in den Humanwissenschaften verstanden wird und die politische und soziale Realität nicht als objektive Tatsache betrachtet, die sich durch Sprache offenbaren lässt, sondern als kulturelle und diskursive Konstruktion, die durch eben diese Sprache ständig neu geschaffen und verändert wird.[19] Auf diese Weise verstehen die Autoren, dass Begriffe sich nicht darauf beschränken, eine gegebene Realität zu bezeichnen, sondern immer dazu beitragen, sie zu konstruieren. Auf dieser theoretischen Grundlage wird die Forschungspraxis der spanischen Begriffsgeschichte durch zwei zentrale Referenzen inspiriert, Reinhart Koselleck und die Cambridge School. Aus der ersten Perspektive waren die Autoren daran interessiert, sich Begriffen zu nähern, die als grundlegend angesehen werden, und sie unter der Prämisse des Wechsels zwischen Semasiologie und Onomasiologie zu analysieren, und vor allem die Idee, dass Begriffe eine komplexe innere Zeitlichkeit tragen. Die Cambridge School, insbesondere Quentin Skinner, betonte die rhetorische Dimension der Diskurse und die Überzeugungsstrategien der Subjekte und verstand politische Sprachen nicht nur als Texte, sondern als Handlungsformen, die Teil der sozialen Kämpfe einer bestimmten Epoche sind. Neben diesen beiden zentralen methodischen Quellen gibt es weitere wie die französische lexikografische Geschichte, die Historiografie von Pierre Rosanvalon sowie einige Beiträge aus der eigenen akademischen Tradition Spaniens, wie die Werke von Ortega y Gasset, Miguel de Unamuno, José Antonio Maravall, Rafael Lapesa und Pedro Álvarez de Miranda.[19]
Die Niederlande
BearbeitenDie Begriffsgeschichte begann in den Niederlanden in den 1990er Jahren, als mehrere niederländische Intellektuelle mit institutionellen Verbindungen zum Huizinga-Institut begannen, ein nationales Projekt zur Begriffsgeschichte zu konzipieren, wobei die Werke Geschichtliche Grundbegriffe und Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich als methodische Referenz dienten. Das niederländische Projekt ähnelt dem deutschen in mehrfacher Hinsicht, insbesondere in der Bevorzugung der Untersuchung von Begriffen, die als grundlegend gelten, d.h. die über einen langen Zeitraum eine wichtige Rolle im niederländischen öffentlichen Diskurs gespielt haben, die eine zentrale historische Bedeutung für die Konstruktion eines spezifisch niederländischen begriffsgeschichtlichen Musters haben und die für internationale begriffliche Vergleiche nützlich sind. Andererseits gibt es einige wichtige Unterschiede zwischen dem niederländischen Projekt und den deutschen Sammelwerken. Erstens wurde jeder Begriff von einer großen Gruppe von Forschern erarbeitet, wobei zehn bis zwanzig Personen an der Erstellung jedes Artikels beteiligt waren. Zweitens nimmt das niederländische Projekt eine multidisziplinäre Perspektive ein und stellt sicher, dass Kunst- und Literaturhistoriker in allen Einträgen vertreten sind, wodurch die Vielfalt der Quellen, die in den deutschen Projekten nicht berücksichtigt werden, wie z. B. bildende Kunst und literarische Werke, erweitert wird. Infolgedessen beschränkt sich die niederländische Begriffsgeschichte nicht auf soziale und politische Konzepte, sondern schließt Konzepte ein, die als kulturelles Konzept mit gleicher Bedeutung angesehen werden.
Die größte Besonderheit des niederländischen Projekts ist seine Chronologie. In Anbetracht der Besonderheit der historischen Entwicklung der Niederlande im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ging der von den am Projekt beteiligten Historikern gewählte Zeitrahmen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts zurück und bis ins 20. Jahrhundet hinein. Ein erster theoretischer Band, der 1988 erschien, war die erste Umsetzung dieses Projekts, dem vier weitere Bände zu den Begriffen Heimat, Freiheit, Kultur/Zivilisation und Bürger folgten. Zu den Konzepten, die für die Aufnahme in das Projekt diskutiert werden, gehören die Konzepte der Tugend, der Demokratie und der Modernität.[20]
Italien
BearbeitenIn Italien wurde die Begriffsgeschichte durch die Übersetzung deutscher Autoren, die mit der Verfassungsgeschichte verbunden sind, wie Ernst-Wolfgang Böckenförde, Otto Brunner, Otto Hintze und Reinhart Koselleck, sowie durch die Verbreitung von Studien über den modernen Staat eingeführt.[21] Auf diese Weise entwickelte sich die italienische Begriffsgeschichte entlang zweier Hauptlinien. Die erste, die in den 1970er Jahren begann und mit dem Italienisch-Germanischen Institut in Trient zusammenhing und sich auf die Arbeit des italienischen Historikers Pierangelo Schiera konzentrierte, erneuerte das Feld der Verfassungsgeschichtsforschung in Italien entscheidend. Inspiriert durch die Arbeiten von Hintze führte Schiera ein Interpretationsmodell in die Begriffsgeschichte ein, das zu einer Neubewertung des sprachlichen Aspekts bei der Artikulation politischer Beziehungen führte und die Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit eines historischen Ansatzes bei den Begriffen lenkte, um eine präzisere, d. h. näher am Weberschen Idealtypus liegende Rekonstruktion der politischen und konstitutionellen Erfahrung in der Neuzeit vorzunehmen.[22] In Italien leitete Schiera eine Forschungslinie zur globalen Geschichte des modernen Staates ein, die vor allem vergleichende Perspektiven einbezog und ihre Beziehung zur Geschichte der modernen politischen Konzepte betonte.[23]
Der zweite Strang der italienischen Begriffsgeschichte orientiert sich an den Arbeiten der Forschungsgruppe für moderne politische Konzepte, die von dem italienischen Philosophen Giuseppe Duso am Institut für Philosophie der Universität Padua geleitet wurde. Diese Schule verfolgte ein ehrgeizigeres Projekt, nämlich die Neuformulierung der Bedeutung der Begriffsgeschichte selbst. Für diese Schule reicht es nicht aus, die Genealogie der Begriffe zu beschreiben oder den historischen Charakter ihrer Verwendungen aufzuzeigen, sondern es ist ebenso wichtig, sich der Aufgabe zu stellen, die Begriffe zu kritisieren und zu dekonstruieren.[22] Diese zweite Modalität, die von radikal begriffsgeschichtlichen Prämissen ausgeht, ist besonders daran interessiert, das moderne politische Lexikon zu kritisieren und den Anspruch auf Universalität und Objektivität seiner Kategorien in Frage zu stellen. Generell betont sie erstens die Notwendigkeit, sich mit dem Entstehungsprozess des logischen Apparats zu befassen, aus dem die modernen politischen Konzepte hervorgehen, anstatt sich mit der Geschichte eines isolierten Konzepts zu beschäftigen. Zweitens wird die Notwendigkeit hervorgehoben, diesen Entstehungsprozess auf eine Reihe historischer Veränderungen zurückzuführen, wie die Verwissenschaftlichung der Philosophie, die Trennung von öffentlicher und privater Sphäre usw. Schließlich macht dieser zweite italienische Strang der Begriffsgeschichte auf die Notwendigkeit einer engeren Beziehung zur Philosophie aufmerksam, da diese den Kern der modernen Verrechtlichung politischer Probleme bildet.[24]
Wichtigste Projekte
BearbeitenHistorisches Wörterbuch der Philosophie
BearbeitenDas Historische Wörterbuch der Philosophie wurde von Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel herausgegeben und war das Ergebnis eines 1971 begonnenen Gemeinschaftsprojekts, an dem mehr als 1.500 Fachwissenschaftler beteiligt waren. Mit seinen dreizehn Bänden, die zwischen 1971 und 2007 erschienen sind, war es eines der wichtigsten und erfolgreichsten Publikationsprojekte auf dem Gebiet der deutschen Begriffsgeschichte. Es wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Bonn finanziert, vom Schwabe-Verlag in Basel herausgegeben und steht unter der Verantwortung der Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz. Der erste Vorschlag zur Erstellung des Wörterbuchs kam vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Bonn.
Das Wörterbuch wurde erstmals in den 1920er Jahren von Erich Rothacker auf der Grundlage der Geistesgeschichte von Wilhelm Dilthey vorgeschlagen. Obwohl diese Methodik von Ritter aufgegeben wurde, finden sich in verschiedenen Artikeln des Wörterbuchs noch Spuren von Rothackers Perspektive, sei es wegen des Verständnisses der Begriffsgeschichte als internem Teil der Philosophiegeschichte, sei es wegen des geringen Interesses an sozialen und politischen Begriffen. Der Schwerpunkt dieses Projekts lag vor allem auf den von Philosophen und Theologen entwickelten Begriffen. Das Werk umfasst mehr als siebzehntausend Textspalten, die sich auf die 3.670 behandelten philosophischen Begriffe beziehen. Das Wörterbuch war lange Zeit eng mit dem Lehrstuhl für Geschichte der Philosophie an der Freien Universität Berlin verbunden, den Karlfried Gründer innehatte.[25]
Geschichtliche Grundbegriffe
BearbeitenDas 1985 erschienene Buch Geschichtliche Grundbegriffe: historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland war der erste Band einer Reihe von Büchern, die als Ergebnis eines von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck koordinierten begriffsgeschichtlichen Gemeinschaftsprojekts entstanden, in dessen Mittelpunkt politische und soziale Begriffe im Deutschland des 18. und 19. Jahrhunderts standen. Das Buch, das zwischen 1972 und 1997 von diesen drei Autoren herausgegeben wurde, beschränkte sich auf Begriffe, die als grundlegend angesehen wurden, d. h. auf solche, die im politischen Diskurs und in der gesellschaftlichen Mentalität so verwurzelt waren, dass sie für die Beschreibung eines bestimmten historischen Kontextes unverzichtbar wurden. Der Ursprung des Projekts liegt in der philologischen Quellenkritik einiger Historiker, darunter Brunner, die sich mit der philologischen Kritik mittelalterlicher Textquellen beschäftigten, um die ursprünglichen Bedeutungen mittelalterlicher Begriffe, die im Laufe der Zeit verloren gegangen waren oder falsch interpretiert wurden, wiederherzustellen. Der methodische Vorschlag, der zu dem Buch Geschichtliche Grundbegriffe führte, entstand aus einer Opposition gegen die Geistesgeschichte und die Ideengeschichte in ihrer deutschen Ausprägung, da diese angeblich nicht in der Lage waren, Ideen und Begriffe mit ihren jeweiligen politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und geografischen Kontexten zu verbinden. Diese Kritik geht auf die von Brunner initiierte Verknüpfung der Begriffsgeschichte mit der Sozialgeschichte zurück.
Im Allgemeinen bestand das Hauptziel der Geschichtlichen Grundbegriffe darin, die Hypothese zu prüfen, dass sich die Grundbegriffe der politischen und sozialen Sprache der deutschsprachigen Länder im Laufe der 1750er und 1850er Jahre, einer Periode, die Koselleck als Sattelzeit bezeichnet, tiefgreifend verändert haben. Der Gedanke, dass diese Periode bedeutende gesellschaftliche Transformationen im europäischen Kontext mit sich brachte, ist zwar nicht neu, wird aber in diesem Buch unter dem sprachlichen Aspekt vertieft. In Bezug auf den Geschichtsbegriff hebt die Fachwelt beispielsweise die Originalität von Kosellecks Interpretationen hervor, die sich durch die Verflechtung intellektueller, politischer und sozialer Kontexte sowie durch die innovative Verwendung von Wörterbüchern und Enzyklopädien als relevante geschichtliche Quellen auszeichnen, die von der Tradition der Ideengeschichte bisher ignoriert wurden. Die Begriffsgeschichte wurde hier verwendet, um das Aufkommen, die Wahrnehmung und die Auswirkungen der Moderne in diesem spezifischen Kontext nachzuzeichnen, wobei zuvor eine Reihe von Hypothesen und theoretisch-methodischen Annahmen vorausgesetzt wurden, die in alle Artikel einfließen sollten, was dem Projekt im Vergleich zum Historischen Wörterbuch der Philosophie eine größere Kohäsion verlieh. Mehrere Historiker sind sich einig, dass die Geschichtlichen Grundbegriffe einen neuen Maßstab für die historische Erforschung sozialer und politischer Vokabulare gesetzt haben, insbesondere im Hinblick auf ihre methodische Konsistenz, indem sie über spezielle Techniken zur Untersuchung der Bedeutungen von Begriffen theoretisieren.[2]
Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich
BearbeitenDas Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich war neben dem Historischen Wörterbuch der Philosophie und den Geschichtlichen Grundbegriffen das dritte große Pionierwerk der deutschen Begriffsgeschichte, das erstmals 1985 erschien. Das von den Historikern Rolf Reichardt und Eberhard Schmitt mit herausgegebene Buch befasste sich schwerpunktmäßig mit den in Frankreich vor, während und nach der Französischen Revolution verwendeten Begriffen und verfolgte einen von der Sozialgeschichte, der Mentalitätsgeschichte sowie der Wissenssoziologie von Peter L. Berger und Thomas Luckmann beeinflussten Ansatz, der Sprache als primär soziales Phänomen behandelte und praktischere Definitionen für den Realitätsbegriff schuf. Das aus 21 Büchern in 16 Bänden bestehende Werk wird von Reichardt im Namen der anderen Herausgeber als eine Studie der historischen Semantik und der Sozialgeschichte vorgestellt, die sich auf den Kontext des Ancien Régime in Frankreich konzentriert, beginnend 1680 und weiterführend durch die großen historischen Ereignisse, die folgten, wie die Revolution und die Restauration, den Zeitrahmen 1820 abschließend. Der Vorschlag des Handbuchs liegt, wie die Herausgeber selbst sagen, zwischen der theoretischen und interpretativen Perspektive des Wörterbuchs der Geschichtlichen Grundbegriffe und der französischen Lexikometrie, die sich durch ihren quantitativen Ansatz auszeichnet.[2]
Iberconceptos (Ibero-Konzepte)
BearbeitenDas Proyecto y Red de Investigación en Historia Conceptual Comparada del Mundo Iberoamericano, besser bekannt als Iberconceptos, wurde Anfang der 2000er Jahre mit dem Ziel ins Leben gerufen, die Konzepte, Sprachen und politischen Metaphern zu untersuchen, die in den letzten Jahrhunderten in der gesamten iberoamerikanischen Welt zirkulierten, und zwar mit einem transnationalen und vergleichenden Ansatz. Das Projekt schuf ein Netzwerk von mehr als hundert Forschern, die mit verschiedenen Universitäten in unterschiedlichen Ländern wie Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Spanien, Mexiko, Peru, Portugal und Venezuela verbunden sind und deren Interessen vor allem bei der Untersuchung des politischen Vokabulars in Bezug auf die Zeit der liberalen Revolutionen und Unabhängigkeitsbewegungen in der euro-amerikanischen atlantischen Geschichte zusammenlaufen, die wiederum als Teil der globalen Geschichte betrachtet werden kann. Die bisher wichtigste Publikation des Projekts ist das zwischen 2009 und 2014 erschienene Nachschlagewerk Dicionário político e social do mundo iberoamericano (Politisches und soziales Wörterbuch der iberoamerikanischen Welt), das mehr als 3.750 Seiten in elf Bänden umfasst. Bei der Erstellung dieses Werks wurden bei der Analyse der einzelnen Begriffe drei Aspekte des historischen Wandels kombiniert. Erstens die "rein lexikalische Ebene", die die Geschichte des betreffenden Begriffs von der Entstehung des Neologismus an betrachtet. Danach wird die "sozial-politische Ebene" analysiert, die sich auf die verschiedenen historischen Kontexte bezieht, in die Sprachen und Diskurse eingebettet sind. Schließlich, und das ist das Wichtigste, befasst sich die Arbeit mit der "begrifflichen Ebene", die die Beziehung zwischen den polysemischen Werten von Begriffen und ihren außersprachlichen Referenten sowie die Verwendung dieser Begriffe in politischen und ideologischen Debatten berücksichtigt. Zu diesem Zweck erweitert die spanische Perspektive der Begriffsgeschichte das Spektrum der zu verwendenden historischen Quellen beträchtlich, darunter Zeitschriften, literarische Texte, politische Reden usw.[19] Die spanische Perspektive der Begriffsgeschichte von Neologismen wird ebenfalls analysiert.
Laut Javier Fernández Sebastián, einem der Hauptvertreter und Präsentatoren des Projekts, besteht das Hauptziel von Iberconceptos darin, eine systematische und vergleichende Studie über den Wandel der grundlegenden politischen Konzepte in den portugiesisch- und spanischsprachigen Ländern auf beiden Seiten des Atlantiks zwischen etwa 1750 und 1850 zu erstellen, d. h. von den Reformen von Borbon und Pombalina bis zur Konsolidierung der neuen unabhängigen Nationalstaaten in Lateinamerika. Methodisch lehnt sich das Projekt stark an die von Reinhart Koselleck formulierte Begriffsgeschichte an, weitet aber den räumlichen Rahmen des Forschungsgegenstandes erheblich aus. Mit dem Ziel, den Begriff der deplazierten Ideen endgültig zu überwinden, der sich auf die abstrakte Analyse von Ideen ohne Berücksichtigung des Einflusses des historischen Kontextes auf ihre Konzeption bezieht, konzentriert sich Iberconceptos auf die Verschmelzung von Elementen der deutschen Begriffsgeschichte mit den methodologischen Prinzipien der Cambridge School, in deren Mittelpunkt die Persönlichkeiten von Quentin Skinner und John Pocock stehen.[26]
Europäisches Projekt zur Begriffsgeschichte
BearbeitenDas 2011 ins Leben gerufene European Conceptual History Project bringt eine Gruppe von Akademikern verschiedener europäischer Universitäten mit dem Hauptziel zusammen, die Entwicklung einer Reihe von grundlegenden Begriffen und Konzepten, die mit bestimmten Schlüsselwörtern verbunden sind, in verschiedenen sprachlichen und räumlich-zeitlichen Kontexten in Europa aus einer vergleichenden Perspektive zu untersuchen. Inspiriert durch das Vermächtnis von Reinhart Koselleck zielt das Projekt darauf ab, aktuellere Analysen der Transformationen bestimmter Begriffe zu entwickeln, die mit der Moderne entstanden sind, wie Klasse, Revolution, Staat, Gesellschaft, Individuum, Kommunikation, Fortschritt, Krise, Staatsbürgerschaft und andere. Es geht von der Vorstellung aus, dass die Formulierung und die unterschiedliche Rezeption dieses Begriffsrepertoires durch die europäischen Nationen zur Identitätskonstruktion der verschiedenen europäischen Kulturen beigetragen haben, auch wenn sie alle eine gemeinsame Basis haben.
Das erste Ergebnis dieses Projekts, das 2017 unter dem Titel Conceptual History in the European Space erschienen ist, enthält eine Beschreibung und Darstellung der Ziele dieser Buchreihe. Neben dem Angebot einer umfangreichen Reihe von Bänden zu europäischen Begriffsgeschichten schlägt das Werk vor, über die aktuellen Herausforderungen für die Begriffsgeschichte zu reflektieren und den aktuellen Stand der Forschung in einer Ära zu betrachten, die sich mit dem Erbe Kosellecks befasst. Der Geltungsbereich des Projekts ist in erster Linie räumlich und beschränkt die Untersuchung der Begriffsverwendungen nur auf die politischen Gemeinschaften, die zusammen den geografischen Raum bilden, der konventionell als Europa bezeichnet wird, und nicht auf die Gesamtheit der Länder, deren Amtssprachen sich von europäischen Sprachen ableiten, was dem Projekt einen globalen Charakter verleihen würde. Unter Beibehaltung eines transnationalen Ansatzes stellen die Autoren fest, dass die gegenwärtige Phase der Begriffsgeschichte noch einer theoretischen Konsolidierung bedarf, um zu einer Analyse überzugehen, die sich der globalen Geschichte annähert. Diese Entscheidung der Herausgeber und Autoren des Projekts hindert sie jedoch nicht daran, zu untersuchen, wie diese Geschichten von Ereignissen außerhalb Europas, von Personen, die auf den Kontinent eingewandert sind, oder vom sprachlichen und begrifflichen Austausch, der in anderen Regionen der Welt begonnen hat, beeinflusst wurden.[27]
Globale Begriffsgeschichte Asiens, 1860-1940
BearbeitenA Global Conceptual History of Asia, 1860-1940 ist ein 2014 veröffentlichtes Buch, das von dem dänischen Historiker Hagen Schulz-Forberg herausgegeben wurde und das Ergebnis eines Projekts ist, das von verschiedenen Institutionen wie der Kone Foundation, der Asia-Europe Foundation, der Velux Foundation, dem Centre for Nordic Studies der Universität Helsinki, dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin und der Universität Aarhus durchgeführt wurde. Das von dem finnischen Historiker Bo Stråth konzipierte Buch wurde unter der theoretisch-methodischen Prämisse der Verschmelzung von Begriffsgeschichte und Globalgeschichte konzipiert, die Schulz-Forberg in der Einleitung beschreibt, sowie mit acht Kapiteln zur Begriffsgeschichte in China, Südkorea, Indien und auf der Arabischen Halbinsel.[28]
Abgrenzungen
BearbeitenBegriffsgeschichte und Sozialgeschichte
BearbeitenDie Entwicklung der Begriffsgeschichte in Deutschland hat seit ihren Anfängen in den 1930er Jahren eine wichtige Beziehung zur Sozialgeschichte aufgebaut. Historiker wie Otto Brunner und Erich Rothacker beispielsweise arbeiteten an einer methodischen Verbindung von Sozialgeschichte und Begriffsanalyse und konzentrierten sich dabei auf die Grundbegriffe und -konzepte ihrer Fachgebiete. In dieser Anfangsphase ermöglichte diese Verbindung eine Kritik an der chronologisch dekontextualisierten Übersetzung von Begriffen und Ausdrücken im Zusammenhang mit der Verfassungsgeschichte.[8] Ab den 1970er Jahren wurde die Beziehung zwischen diesen beiden Disziplinen mit größerer theoretischer Strenge behandelt, insbesondere in Anbetracht der Schriften von Reinhart Koselleck, der die Sozialgeschichte von der Begriffsgeschichte abgrenzte, um die Autonomie und Relevanz der zweiten Disziplin zu verdeutlichen. Koselleck hat im Allgemeinen gezeigt, dass sich sowohl die Methoden als auch die Ziele der Sozialgeschichte wesentlich von denen der Begriffsgeschichte unterscheiden, auch wenn die Ergebnisse der begriffsgeschichtlichen Forschung für die Verwirklichung der Sozialgeschichte nützlich oder sogar unverzichtbar sind. Die Reflexion über die Begriffsgeschichte ist zu einem wichtigen Teil der Debatte geworden.
Die Debatte, die sich aus dem Nachdenken über Sozialgeschichte und Begriffsgeschichte ergibt, geht auf eine lange philosophische Tradition zurück, die sich seit langem mit dem Nachdenken über die Beziehung zwischen Worten und Dingen, zwischen Sprache und Welt beschäftigt. Die Sozialgeschichte zielt einerseits darauf ab, die Formationen von Gesellschaften sowie die Beziehungen zwischen Gruppen und sozialen Klassen zu erforschen und die Umstände zu untersuchen, unter denen historische Ereignisse stattgefunden haben. Texte als historische Quellen haben in der Sozialgeschichte einen referentiellen Charakter, da sie sich immer auf einen außersprachlichen Kontext beziehen, der im Inhalt der Texte nicht explizit ist, aber vom Historiker daraus abgeleitet werden kann. Während sich die Begriffsgeschichte vorwiegend mit Texten und Wörtern beschäftigt, verwendet die Sozialgeschichte sie, um auf die Existenz von Sachverhalten zu verweisen, die in den Texten selbst nicht vorhanden sind.
Andererseits stellt sich die Begriffsgeschichte als eine mit einer spezialisierten quellenkritischen Methode ausgestattete Disziplin dar, die sich aus der Geschichte der philosophischen Terminologie, der historischen Grammatik und Philologie, der Semasiologie und der Onomasiologie speist, wobei der Schwerpunkt der Forschung auf der Verwendung gesellschaftlich und politisch relevanter Begriffe liegt. Darüber hinaus arbeitet die Begriffsgeschichte mit dem diachronen Analyseprinzip, das die außersprachlichen Inhalte von Texten, die als primärer Gegenstand der Sozialgeschichte gelten, zunächst außer Acht lassen muss. Bevor sie die Bedeutungen von Texten als Indikatoren für eine soziale Realität außerhalb der Texte betrachtet, versucht die Begriffsgeschichte, die Prozesse der Beständigkeit, Veränderung und Innovation dieser Bedeutungen zu verstehen. Erst nach diesem Verständnis können die Bedeutungen zur Analyse der sozialen Strukturen verwendet werden, die Gegenstand des Sozialhistorikers sind. In diesem Sinne kann die Begriffsgeschichte als eine Voraussetzung für die Sozialgeschichte verstanden werden.[8]
Begriffsgeschichte und Ideengeschichte
BearbeitenDie Begriffsgeschichte und die Ideengeschichte sind zwei Disziplinen, die sich sehr nahestehen, da ihr Forschungsgegenstand die in historischen Quellen vorkommenden Begriffe und Wörter sind. Sie sind jedoch nicht nur in unterschiedlichen Kontexten entstanden, sondern untersuchen diese Gegenstände auch mit sehr unterschiedlichen Methoden. Die Entstehung der Ideengeschichte geht auf die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zurück und wurde in der deutschen Geschichtswissenschaft von Friedrich Meinecke und in den Vereinigten Staaten von Arthur O. Lovejoy vertreten. Andererseits setzte sich die Begriffsgeschichte als Teildisziplin der Geschichtswissenschaft ab den 1970er Jahren durch, und zwar gerade in Opposition zu der Art und Weise, wie die Ideengeschichte ihre Forschungen betrieb, indem sie die Probleme und Ungereimtheiten dieses Ansatzes sowie eine theoretisch-methodische Lösung dafür präsentierte. Diese Kritik der Begriffsgeschichte richtete sich jedoch nicht gegen alle möglichen Formen der Ideengeschichte, wie sie etwa von Michel Foucault in Frankreich oder Isaiah Berlin in England ausgearbeitet wurden, sondern vielmehr gegen die wegweisenden Perspektiven dieses Ansatzes. Obwohl die Hauptvertreter der deutschen Begriffsgeschichte nicht direkt die amerikanische Ideengeschichte, sondern die deutsche Ideengeschichte kritisierten, gelten die Begriffe ihrer Kritik in gleicher Weise für den von Lovejoy entwickelten Forschungstypus.
Sowohl die Begriffsgeschichte als auch die Ideengeschichte können als historiographische Verfahren zur Untersuchung des Denkens und der Denker der Vergangenheit verstanden werden, doch auch wenn die Begriffe Begriff und Idee oft synonym verwendet werden, weisen diese Ansätze wesentliche Unterschiede auf. Im Mittelpunkt der Kritik der Begriffsgeschichte an der Ideengeschichte steht die Auffassung, dass diese Disziplin es versäumt, die Ideen mit bestimmten sozialen Gruppen oder mit den politischen und wirtschaftlichen Strukturen, in denen sie funktionierten, in Verbindung zu bringen. Auf diese Weise würden Ideen aus ihrem historischen Kontext herausgelöst und in der Darstellung dieser Historiker als universelle Konstanten erscheinen, die im Laufe der Geschichte einen unveränderlichen Charakter haben. Betrachtet man beispielsweise das Werk von Lovejoy, so bestünde das zentrale Ziel der Ideengeschichte darin, die Entwicklung einheitlicher, stabiler und dauerhafter Ideen, so genannter unit-ideas, nachzuzeichnen. Sein bekanntestes Werk, The Great Chain of Being (1936), ist das bemerkenswerteste Beispiel für diese Sichtweise. Andererseits glauben die Vertreter der Begriffsgeschichte nicht, dass dieselbe Idee in verschiedenen historischen Perioden identifiziert werden kann, ohne dass sich ihre Bedeutung ändert.[2]
Begriffsgeschichte und Geschichte des politischen Diskurses
BearbeitenDie Begriffsgeschichte widmet sich der Erforschung eines Großteils der Themen, die in England von der Diskursgeschichte behandelt werden, insbesondere der sozialen und politischen Sprachen.[29] Die englische Diskursgeschichte, auch bekannt als Cambridge School oder Linguistic Contextualism, entstand etwa zur gleichen Zeit, als die Hauptprojekte der deutschen Begriffsgeschichte angekündigt wurden, obwohl die beiden Ansätze im Laufe ihrer jeweiligen Entwicklung nur wenig miteinander gesprochen haben. Diese anfängliche Distanz lässt sich zum Teil durch die unterschiedlichen theoretischen Einflüsse der beiden Perspektiven erklären. Während sich die Begriffsgeschichte auf die Sozialgeschichte, die Geschichte der Philosophie sowie auf Studien im Bereich der Linguistik und Lexikographie beruft, finden sich die wichtigsten Vorläufer der englischen Diskursgeschichte in der Sprachphilosophie, insbesondere bei den Philosophen Ludwig Wittgenstein, John L. Austin, John Searle und Paul Grice, sowie in der Geschichtstheorie, insbesondere bei Robin George Collingwood.[30] Andererseits stehen die beiden Ansätze in einem gemeinsamen Kontext, nämlich der Kritik an der Ideengeschichte zugunsten einer Erneuerung der politischen Geschichtswissenschaft in den 1960er Jahren.[31]
Generell haben Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte das Ziel, politische Sprachen historisch zu untersuchen, tun dies aber mit unterschiedlichen Methoden. Während erstere die Geschichte isolierter Begriffe nachzeichnet, sie mit den historischen Kontexten, in denen sie verwendet wurden, in Beziehung setzt und ihre semantischen Transformationen in einer genau definierten Zeit und in einem genau definierten Raum identifiziert, konzentriert sich letztere auf die breitere Kategorie der Diskurse, die als komplexe Sprachstrukturen verstanden werden, die ein breites Vokabular, eine Grammatik und eine Rhetorik umfassen. In diesem Sinne wurde die Diskursgeschichte von der Begriffsgeschichte kritisiert, nicht um die Möglichkeit abzulehnen, über die individuelle Entwicklung eines bestimmten Begriffs zu schreiben, sondern um einige der Grenzen dieses Ansatzes aufzuzeigen. John Pocock, einer der Hauptvertreter der englischen Perspektive, stellte fest, dass die Orientierung der historischen Forschung an isolierten, alphabetisch geordneten Begriffen nicht in der Lage ist, deren Interaktion in den breiteren sprachlichen Kompositionen, in denen sie verwendet wurden, aufzudecken. Auf diese Weise werden Diskurse als sprachliche Strukturen verstanden, die mit einem semantischen Inhalt ausgestattet sind, der niemals auf die Bedeutung eines einzelnen Begriffs reduziert werden kann.[32] Ein zentrales Merkmal der politischen Diskursgeschichte ist darüber hinaus der Bezug auf Austins Sprechakttheorie, die politische Texte nicht nur in ihrer semantischen, sondern auch in ihrer performativen Dimension, als Handlungen der Individuen, die sie verfasst haben, untersucht. Die Interpretation der Bedeutungen eines politischen Diskurses umfasst also neben der Textanalyse auch eine Analyse der Intentionen der Autoren bei der Produktion ihrer Werke.[33]
Neue Ansätze
BearbeitenGlobale Geschichte der Begriffe
BearbeitenEiner der jüngsten Ansätze zur Begriffsgeschichte hat sich aus dem Dialog mit der Globalgeschichte entwickelt, einer Disziplin, deren Hauptziel es ist, den Eurozentrismus und jede Form von methodologischem Nationalismus zu überwinden und eine transnationale Geschichtsschreibung zu entwickeln, die den globalen Phänomenen besondere Aufmerksamkeit widmet. Einige Historiker bezeichnen die Globalgeschichte als das Fachgebiet, das in der Geschichtswissenschaft seit den 1990er Jahren am schnellsten gewachsen ist und theoretische Neuformulierungen in verschiedenen anderen Bereichen angeregt hat.[34][35] Ähnlich wie die Perspektive der vernetzten Geschichte stellt die Globalgeschichte eine Weiterentwicklung der vergleichenden Geschichte dar, die die räumliche Abgrenzung der historiografischen Analyse in lokalen, regionalen oder nationalen Einheiten beibehält. Die Globalgeschichte kann als ein Ansatz definiert werden, der sich der Untersuchung der durch das Phänomen der Globalisierung entstandenen vernetzten Welt widmet, was sie von der Weltgeschichte unterscheidet, einer Disziplin, die sich auf alle historischen Ereignisse konzentriert, die sich auf die Menschheit als Ganzes ausgewirkt haben, wie z. B. Klimawandel, Migration usw., und zwar noch vor der Verwirklichung einer weltweiten Verbindung durch die Globalisierung.[36]
Generell schlägt die globale Begriffsgeschichte eine transnationale und mehrsprachige historiografische Praxis vor, die auf der Erweiterung des Begriffs der Zeitschichten basiert, den Reinhart Koselleck in seinem 2003 erschienenen Buch Strata of Time: Studies in History vorgestellt hat. Ziel dieser Erweiterung ist es, erstens komplexere historische Zeitlichkeiten im Vergleich zu traditionellen Ansätzen zu entwickeln, die auf den Ideen der Linearität oder Zirkularität basieren, und zweitens diese Zeitlichkeiten mit ebenso komplexen Verräumlichungen zu verbinden, die analog als Raumschichten bezeichnet werden. Kosellecks Begriff der Zeitschichten schlug ein Verständnis der historischen Zeit vor, das auf drei Ebenen beruht: die Ebene der kurzen Dauer, die sich auf eine einmalige Erfahrung bezieht, die Ebene der mittleren Dauer, die sich auf die wiederkehrende oder sich wiederholende Erfahrung bezieht, die notwendig ist, um die einmalige Erfahrung zu erkennen, und die Ebene der langen Dauer, die einen langen Zeitraum veranschaulicht, dessen Länge über die einer Generation hinausgeht und einen normativen Horizont darstellt, an dem die gegenwärtige Erfahrung gemessen wird. Inspiriert von dieser Überlegung behauptet Schulz-Forberg, dass die Tradition der Begriffsgeschichte einen gangbaren Weg zur Formulierung einer Theorie der Räumlichkeit bieten kann, die das Paradigma des Nationalstaates als Analyseeinheit endgültig überwindet. Die Schichten des Raums könnten so aus zwei Hauptperspektiven verstanden werden: erstens aus der Perspektive von räumlichen Einheiten, die auf einer Größenskala durchsetzt sind – die lokale, die regionale, die nationale, die transnationale und die globale – und zweitens aus der Perspektive von verbundenen transversalen Räumen, die die Einheiten durchqueren und in Begriffen wie dem "Netzwerk" zum Ausdruck kommen. Das "Netzwerk" ist eines der wichtigsten Konzepte in der Geschichte des Raums.[37]
Einzelnachweise
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