Hallo liebe Leserin oder lieber Leser,
hiermit gebe ich meinen Abschied von Wikipedia bekannt. Der Anlass ist ein Gespräch, das ich am 25. Januar 2006 mit einem Freund geführt habe, und in dessen Zuge mir endgültig klar wurde, dass hier nicht der richtige Ort für mich ist. Der Politik und der Richtung, in die sich die deutsche Wikipedia entwickelt, will ich mich nicht länger unterordnen: Ich bin mit meinen Wünschen und Ansichten hier fehl am Platze. Das Wikipedia, das ich mir ausmale...
- ...ist eine Sammlung des Weltwissens, zusammengetragen von Hunderttausenden Usern jeder Herkunft und Gesinnung. Auf Seiten, die dem User bei der Informationssuche dienlich sein können, wird ohne Konkurrenzdenken oder sinnfreien Regelfetischismus verwiesen.
- ...enthält Artikel aus allen möglichen Bereichen, die von Menschen geschrieben werden, die ihr Wissen mit anderen teilen wollen und es der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, so dass fast jede Frage dort eine Antwort findet.
- ...zielt darauf ab, faktisch richtiges Wissen der breiten Allgemeinheit zugänglich zu machen. Es richtet sich nicht nach obskuren Qualitätsurteilen, die von einer fragwürdigen Minderheit gefällt werden, sondern orientiert sich daran, dass hinter jedem Artikel offenbar mindestens eine Person mit Interesse daran steht.
- ...ist ein Raum, in dem eine konstruktive Begegnung zwischen verschiedenen Standpunkten und Meinungen stattfindet, in Dialog miteinander treten, sich austauschen und in Toleranz, Neugierde, Kooperation und gegenseitigem Respekt einen gemeinsamen Nenner finden.
- ...ist in Umfang, Aktualität und Neutralität beispiellos, weil die Unterschiedlichkeit und die Freiheit gewöhnlicher Menschen dort erlaubt ist zum Besten genutzt wird.
- ...lässt sich nicht vor politische Karren spannen und gestattet Ideologen nicht die Herrschaft über Artikel in ihrer Domäne.
- ...hat Admins, die sich von ihrer Macht nicht korrumpieren lassen, keine sich verselbstständigende Lobby bilden und ihre Möglichkeiten nicht missbrauchen.
- ...hat eine Wikiquette, der noch ein Wert beigemessen wird und sich (auch und insbesondere von Admins) nicht mit Füßen treten lassen muss.
- ...zeichnet sich durch Verbesserungswillen und -handeln statt durch Löschwut aus.
- ...ist nicht an der eigenen Größe erstickt und verzichtet deshalb auch nicht auf sinnvolle Innovationen.
- ...hat keine Bürokratie mit Eigenleben entwickelt, was miteinschließt, dass Regeln auf Begründungen basieren und nicht auf Autorität.
- ...gebärdet sich nicht elitär, versucht nicht durch Löschung vermeintlich "unwürdigen Wissens" Niveau zu erlangen, beschimpft einfache User nicht als "Pöbel" und will Artikellöschungen nicht als Mittel zu Bestrafung von Personen einsetzen. Der Wert eines Users – egal ob anonyme IP, normaler Accountinhaber oder Admin – wird dort an der Qualität seiner Beiträge gemessen, so wie der Wert eines Artikels nach der Angemessenheit des Umfangs, der Richtigkeit der Informationen, der Aktualität sowie der Objektivität beurteilt wird.
Eine ausführliche Darstellung der Alternativen zur gegenwärtigen Situation findet sich hier. Die aufgezählten Kritikpunkte beziehen allesamt auf tatsächliche Sachlagen und Vorfälle, doch ist natürlich nicht jede oder jeder von ihnen repräsentativ für Admins, User oder Wikipedia. Es ist allerdings auch nicht notwendig, dass die Missverhältnisse ihr schlimmstes denkbares Extrem annehmen, damit man sich an ihnen stören darf; und so habe ich beschlossen, meine Arbeit in der deutschsprachigen Wikipedia einzustellen. Zwar werde ich gelegentlich noch vorbeischauen, aber von einer aktiven Teilnahme Abstand nehmen und den Platz für diejenigen räumen, die auf der Linie des gegenwärtigen Kurses liegen. Stattdessen schaue ich mal in der englischen Wikipedia vorbei und hoffe darauf, dass es sich bei den angeprangerten Zustände um ein deutsches Phänomen handeln möge.
Allen anderen, die hier ausharren, wünsche ich auch weiterhin viel Geduld, Erfolg und natürlich Spaß. Seid nur ehrlich zu euch selbst, und wenn ihr merkt, dass ihr hier gegen Windmühlen anrennt, dann scheut euch nicht Konsequenzen zu ziehen – ihr tut damit vor allem euch selbst einen Gefallen.