Allgemeines
BearbeitenDarmkrebs ist in Deutschland bei Männern die dritthäufigste, bei Frauen die zweithäufigste Krebserkrankung, an der mehr als fünf Prozent aller Deutschen im Laufe ihres Lebens erkranken.
Epidemiologie
Bearbeiten- Ein Drittel aller Karzinome des Dickdarms finden sich im Rektum.
- Die Inzidenz des kolorektalen Karzinoms (40-50/100.000 pro Jahr, mehr Männer als Frauen) nimmt ab.
- Das mittlere Erkrakungsalter liegt bei Anfang bis Mitte 70. Bei Risikofaktoren ist eine Erkrankung aber bereits in jungem Alter möglich.
- Vorsorge: Test auf okkultes Blut und Koloskopie. Koloskopie: alle ab 55 Jahre, Männer ab 50 Jahre[1].
Risikofaktoren & Ätiologie
Bearbeiten- Ballaststoffarme Ernährung, Fettkonsum, fleischreiche Ernährung, wenig Gemüse
- Nitrosamine, Asbest
- Adipositas, Bewegungsmangel
- hoher Alkoholkonsum, Nikotinkonsum
- Z. n. Cholezystektomie
- Genetische Veranlagung (positive Familienanalyse: Erkrankung mind. eines Verwandten 1. Grades vor dem 50. Lebensjahr)
- Colitis ulcerosa
- Morbus Crohn
- Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP): autosomal-dominant vererbt
- Hereditäres non-polypöses kolorektales Karzinom (HNPCC), Lynch-Syndrom: autosomal-dominant vererbt, ursächlich überwiegend defekte DNA-Mismatch-Reparaturproteine
- Peutz-Jeghers-Syndrom u. a.
Familiär vererbbare Syndrome machen nur etwa 3 % der Fälle aus.
Klassifikation
BearbeitenLage
BearbeitenEs wird in drei Bereiche eingeteilt, wobei eine Messung mit starrem Rektoskop zugrundeliegt. Im oberen Drittel kann analog Kolonkarzinom therapiert werden. Die ESMO setzt die obere Grenze bei 15 cm, hier nach UICC 16 cm.
- Unteres Drittel: 0-6 cm ab Anokutanlinie bis zum aboralen Tumorrand
- Mittleres Drittel: 6-12 cm ab Anokutanlinie bis zum aboralen Tumorrand
- Oberes Drittel: 12-16 cm ab Anokutanlinie bis zum aboralen Tumorrand
Im Vergleich zu Kolon- und Pankreastumoren tritt eine Peritonealkarzinose bei Rektumkarzinomen seltener auf. Die Lokalrezidivrate ist wegen der Enge des kleinen Beckens aber höher als beim Kolonkarzinom.
TNM-Klassifikation
Bearbeiten- T1: Infiltration der Submukosa
- T2: Infiltration der Muscularis propria
- T3: Infiltration Subserosa oder perirektalen Gewebes, a) < 1mm, b) 1-5 mm, c) 5-15 mm, d) > 15 mm
- T4: a) Perforation des Peritoneum viscerale, b) Direkte Infiltration in Nachbarorgane
- N1: a) 1 regionärer LK, b) 2-3 regionäre LK, c) Tumorknötchen/Satelliten im Fettgewebe der Subserosa oder nicht peritonealisierten perirektalen Fettgewebe
- N2: a) 4-6 regionäre LK, b) mind. 7 regionäre LK
- M1: a) Metastase(n) in einem Organ, nicht Peritoneum, b) Metastasen in mehreren Organen, nicht Peritoneum, c) Peritonealbefall oder weitere Metastasen
UICC-Stadien
Bearbeiten- Ab T3 N0 Stadium II. Ab LK-Befall mindestens Stadium III. Ab M1 IV.
- I: T1-2 N0 M0
- II: A) T3, B) T4a, C) T4b N0 M0
- III: A) T1 N2a, T1-2 N1, B) T1-2 N2b, T2-3 N2a T3-4 N1, C) T4b N1-2, T3-4a N2b, T4a N2a M0
- IV: T* N* A) M1a, B) M1b, C) M1c
Histologie
Bearbeiten- 95 % Adenokarzinome, der Rest verteilt sich auf neuroendokrine Tumoren, Lymphome, Sarkome und Plattenepithelkarzinome.
- „Low Grade“ vs. „High Grade“: letzteres sind G3-Adenokarzinome (muzinös und nicht muzinös), Siegelringzellkarzinome, kleinzellige und undifferenzierte Karzinome
Klinik
BearbeitenEher für das Kolon-, weniger für das Rektumkarzinom gilt: Häufig multizentrisches Auftreten. Häufig einzelne Lebermetastasen.
Symptome
Bearbeiten- Keine Frühsymptome
- Lokale Symptome: Stuhlunregelmäßigkeiten/-veränderungen (Obstipation/Diarrhoe im Wechsel, Blut im Stuhl), spät/eventuell Stenose bis Ileus
- Allgemeinsymptome: ungewollte Gewichtsabnahme, Leistungseinbruch
- Symptome von Metastasen: Leberinsuffizienz, Ikterus, Husten, Dyspnoe, selten neurologische Auffällingkeiten oder Knochenschmerzen
Diagnostik
Bearbeiten- Endoskopie (Koloskopie, starre Rektoskopie)
- MRT Becken: Lage, Ausdehnung, Beziehung zur mesorektalen Faszie (Circumferential resection margin, CRM, sagt aus wie gut die totale mesorektale Exzision, TME, erreichbar sein wird[2]), Klassifikation T3a-d, extramurale vaskuläre Infiltration (EMVI, bei EMVI+ erhöhtes Metastasenrisiko[3]), MRF steht für mesorektale Faszie.
- Endosonographie: vor allem zur genaueren Beurteilung früher Tumore (uT1-3)
- Staging-CT Thorax/Abdomen
Therapie
BearbeitenPrimärtherapie
Bearbeiten- Unteres und mittleres Rektumdrittel: standardisierte Therapie. Oberes Rektumdrittel: mehr Unklarheit, kann wie Kolonkarzinom behandelt werden, hier liegt meist ein geringeres Lokalrezidivrisiko vor als bei distaler gelegenen Tumoren, Verzicht auf Radiotherapie ist möglich, dann im Stadium III adjuvante Chemotherapie, etwa mit FOLFOX.
- Anfangsstadien: alleinige Operation; lokal fortgeschrittene Stadien: neoadjuvante Radiochemotherapie, dann Operation.
- pT1, G1/2, < 3 cm, L0 = „low risk“: Vollwandexzision (offen oder endoskopisch transanal) ausreichend, sofern R0-Resektion. Ggfs. Nachresektion binnen eines Monats.
- Stadium I: totale mesorektale Exzision (im oberen Drittel partielle mesorektale Exzision)
- Stadium II/III: multimodale Therapie, in der Regel neoadjuvante Radiochemotherapie
Operation
Bearbeiten- Die totale mesorektale Exzision (TME) als en-bloc-Resektion ist die Standardoperationstechnik bei Tumoren im mittleren und unteren Rektumdrittel. Die mesorektale Faszie sollte erhalten bleiben. Im oberen Drittel die partielle mesorektale Exzision (PME) mit 5 cm Sicherheitsabstand nach distal.
- Wenn möglich Erhalt der Kontinenz und Schonung autonomer Nerven im Becken.
- Je nach Lage und Stadium zahlreiche operative Verfahren von endoskopischer Polypektomie bei sehr frühen Stadien über transanale endoskopische Mikroresektion (TEM) bei uT1sm1 (erhöhtes Risiko für Lokalrezidiv!) bis zu anteriorer Rektumresektion, transsphinktärer Resektion und abdomino-perinealer Rektumexstirpation.
- Wichtiger als R0/1 ist der laterale Resektionsrand: < 2 mm hohes Risiko für Lokalrezidiv oder Fernmetastasen.
- Liegen Lebermetastasen vor können diese in derselben Operation oder bei einem späteren Eingriff reseziert werden. Häufig wird in diesem Fall primär eine Chemotherapie appliziert.
Radiotherapie/Chemotherapie
Bearbeiten- Neoadjuvante Radiochemotherapie (RCT) ab cT3 oder cN+. Bei cT1-2 im unteren und mittleren Drittel und fraglichem LK-Befall primäre Operation möglich, ebenfalls bei cT3a-b cN0 im mittleren Drittel.
- Die adjuvante Radiotherapie (RT) sollte wegen ihrer Toxizität vermieden werden, sie kommt nur bei Risikofaktoren (R1, CRM+, Tumoreinriss, inkomplette TME, pT4, pN2 oder pT3 im unteren Drittel) zum Einsatz.
- Die neoadjuvante/präoperative Therapie ist der postoperativen deutlich überlegen: mehr Sphinktererhalt, Tumor-Downsizing (daher bessere Chance auf eine R0-Resektion), geringere Toxizität und niedrigere Lokalrezidivrate.
- Zielvolumen: Tumor (bzw. bei adjuvante RT Tumorbett), Mesorektum, perirektale, präsakrale, iliakal interne/commune LK, normalerweise bis Promontorium. Je nach Tumorlage anpassen.
- Therapieschemata: Standard ist eine RCT mit 50,4 Gy mit 1,8 Gy ED und begleitend in der 1. und 5. Woche 5-FU; Ziel der Therapie ist die Verkleinerung des Tumors (Tumorregression, neudeutsch Downsizing) mit besserer Möglichkeit zur Operation und Verringerung von Lokalrezidiven. Nach der RCT wird bis zur Operation mindestens 6 Wochen gewartet. Alternativ dazu, bisher vor allem bei Patienten, die für eine über 5 Wochen andauernde Therapie nicht geeignet sind, eine Kurzzeittherapie mit 25 Gy mit 5 Gy ED, klassisch ohne begleitende Chemotherapie und mit baldiger Operation; Ziel dieser Therapie ist eine Verringerung von Lokalrezidiven.
- Bei klinischer Komplettremission nach RCT kann auf die Operation verzichtet werden. Besonders engmaschige Nachsorge!
- Die Rolle der postoperativen Chemotherapie ist unklar. Nach neoadjuvanter RCT und Operation keine Empfehlung für oder gegen diese. Im Stadium III kann eine adjuvante Chemotherapie mit 5-FU erfolgen, dies auch nach der Kurzzeitbestrahlung mit 25 Gy.
Therapie im Rezidiv
BearbeitenBei inoperablem Rezidiv mit Schmerzen kleinvolumige Bestrahlung unter Berücksichtigung der Vorbelastung prüfen, ggfs. Brachytherapie, zur Schmerzlinderung in palliativer Intention. Auch eine regionale Chemotherapie kann die Schmerzen verringern.
Nachsorge
Bearbeiten- zunächst alle 6, dann alle 12 Monate in den Stadien II und III: bei Lokalrezidiv Re-Operation, bei Lebermetastasen Resektion, Chemotherapie
- War initial bei Stenose keine Koloskopie möglich, dann etwa 3 Monate nach Operation nachholen wegen möglicher Zweittumore im Kolon.
Externe Links
Bearbeiten- onkologie.eu: Rektumkarzinom
- AWMF-Leitlinie: Kolorektales Karzinom
- Onkopedia-Leitlinie: Rektumkarzinom
- Rectal cancer: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up
- NCCN: Rectal cancer
- Robert Gernhardt: Und zum Schluss ein wirklich guter Rat
- Übersichtsartikel von Ghadimi et al. 08/2022, Dt. Ärzteblatt
Studien
BearbeitenGerard et al. 2006
Bearbeiten1992 war präoperative RT Standard beim Rektumkarzinom im Stadium T3-4 in Frankreich. Präoperative RCT vs. RT allein, nach Operation in beiden Gruppen Chemotherapie geplant. RT: 45 Gy über 5 Wochen. CT: 5-FU/Leukovorin. Primärer Endpunkt: OS. 730 Patienten. Grad-3/4-Toxizität bei RCT höher (15 % vs. 3 %). Kein Unterschied im Sphinktererhalt. Mehr (11 % vs. 4 %) ypT0 nach RCT. 5-Jahres-OS ohne Unterschied. Lokalrezidivrisiko bei RCT mit 8,1 % (vs. 16,5 %) niedriger. Fazit: Neoadjuvante RCT verbessert bei Rektumkarzinomen im Stadium T3-4 N0-2 M0 im mittleren und unteren Drittel die lokale Kontrolle gegenüber alleiniger RT.
Bosset et al. 2006
BearbeitenBosset et al. 2006: Chemotherapy with preoperative padiotherapy in rectal cancer
T3-4, verglichen werden präoperative RT, präoperative RCT, präoperative RT und postoperative CT, prä- und postoperative CT. RT 45 Gy über 5 Wochen. CT 5-FU und Leukovorin. Primärer Endpunkt: OS. 1000 Patienten. 5-Jahres-OS 65 % bei allen. Die Lokalrezidivrate war mit 17 % bei den Patienten, die gar keine Chemotherapie erhalten hatten, deutlich höher als bei den anderen Gruppen (8-10 %). Fazit: Die Chemotherapie mit 5-FU verbessert die lokale Kontrolle ohne Effekt auf das OS.
van Gijn et al. 2011: TME trial
BearbeitenKurzzeitbestrahlung 5 x 5 Gy mit TME danach 1:1 randomisiert zu alleiniger TME. 1996-1999. 1860 Patienten. 12-Jahres-Follow-Up. Primärer Endpunkt: Lokalrezidiv. 10-Jahresdaten: Lokalrezidiv 5 % bei kombinierter Therapie, 11 % bei alleiniger TME. Kein Unterschied im OS. Entscheidend, so kam in der Analyse auch heraus, ist der circumferential resection margin (CRM); ist dieser positiv, so ist der Effekt der Strahlentherapie viel bedeutender. Fazit: Bei Patienten im Stadium III mit negativem CRM ist das 10-Jahres-Überleben 50 % mit präoperativer RT und 40 % mit alleiniger TME.
CAO ARO AIO 12
Bearbeiten3 Zyklen 5-FU, Leukovorin und Oxaliplation vor (Gruppe A) oder nach (Gruppe B) neoadjuvanter RCT mit 50,4 Gy, 5-FU/Oxaliplatin. Dann Operation. Höherer Prozentsatz pCR in Gruppe B, dort 25 % vs. 17 % in Gruppe A.
RAPIDO (2020)
Bearbeiten2011-2016, etwa 900 Patienten mit lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom (mindestens eins von: cT4a-b, EMVI+, cN2, Befall der mesorektalen Faszie oder vergrößerten lateralen LK), 1:1 randomisiert in experimentellen Arm (5 x 5 Gy, danach Chemotherapie 6 Zyklen CAPOX oder 9 Zyklen FOLFOX4) oder Standardarm (50,4 Gy mit 1,8 Gy ED oder 50,0 Gy mit 2,0 Gy ED und konkomitante 2 x täglich oral Capecitabin). Primärer Endpunkt: Tumorwiederauftreten nach 3 Jahren (lokal, lokoregionär oder fern). Ergebnis: Nach 3 Jahren 24 % im experimentellen Arm, 30 % im Standardarm bei guter Verträglichkeit des experimentellen Therapie. Fazit: Vor allem beim lokal fortgeschrittenen Hochrisiko-Rektumkarzinom Chemotherapie in größerem Ausmaß präoperativ applizieren.
UNICANCER-PRODIGE 23 (2021)
BearbeitenNeoadjuvante Chemotherapie mit FOLFIRINOX vor der eigentlichen neoadjuvanten Radiochemotherapie verbessert das Outcome bei cT3 und cT4 cM0 Rektumkarzinomen. 3-Jahres-DFS ist besser (76 % vs. 69 % im Standard-Arm) und weniger Neurotoxizität. Es kann sein, dass die Chemotherapie zukünftig verstärkt vor der Operation gegeben wird.
PROSPECT (2023)
BearbeitenEine Studie bei lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom, die möglicherweise ohne Bestrahlung auskommt.