Der Sternsteinhof
Der Sternsteinhof ist ein Roman (Bauernroman, Frauenroman), den Ludwig Anzengruber 1884 als 26-teiligen Fortsetzungsroman im 9. Jahrgang des von ihm selbst redigierten zweiwöchentlich erscheinenden Familienblatts Die Heimat veröffentlicht hat.[1] Die erste Buchausgabe folgte 1885 im Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel.
Der Roman, der als Anzengrubers erzählerisches Hauptwerk gilt, erzählt die Geschichte der jungen Leni Zinshofer, die darum ringt, ihre Armut und ihre niedrige Herkunft als Kätnerstochter hinter sich zu lassen und die angesehene Bäuerin auf dem reichsten Hofe des Dorfes zu werden.
Handlung
BearbeitenOrt der Handlung ist das fiktive österreichische Dorf Zwischenbühel, die Zeit die Gegenwart des Autors, also die 1880er Jahre.
Kapitel 1–4. Das reichste bäuerliche Anwesen weit und breit ist der oberhalb des Dorfes gelegene Sternsteinhof. Es geht die Sage, dass der Erbauer im Fundament einst einen Meteoriten vermauert hatte und dass den Sternsteinhofern seitdem alles spielend zufalle, als käme es geradewegs wie vom Himmel.
Am entgegengesetzten Ende des sozialen Spektrums sind die Zinshoferin und die Kleehoferin zu verorten, zwei alternde Kätnerinnen, die als Witwen in größter Armut leben. Als zusätzliches Handicap lastet auf der Zinshoferin eine schlechte Reputation; sie wird gemieden. Jede der beiden Frauen hat ein Kind: die Zinshoferin das Mädchen Leni (Helene, im Dialekt: „Helen’“) und die Kleebinderin den Jungen Muckerl (Nepomuk). Die beiden Witwen sind Nachbarinnen und ihre Kinder wachsen als Freunde auf. Als die Haupthandlung einsetzt – Leni ist zu diesem Zeitpunkt 17 und Muckerl 20 Jahre alt –, hofft Muckerl auch, Leni einmal heiraten zu können.
Muckerl, ein stiller, bescheidener und äußerlich unscheinbarer junger Mann, ist für feine Schnitzarbeiten begabt und fertigt als „Herrgottlmacher“ hölzerne Heiligenfiguren, die er auch selbst bemalt. Abnehmer findet er im Dorf und bald auch in der Stadt, was ihm zwar keinen Wohlstand, aber ein regelmäßiges Einkommen verschafft.
Als Braut ist für ihn eigentlich die Sepherl Matzner bestimmt, die Muckerl in reiner und selbstloser Liebe zugewandt ist. Jedoch beginnt auch Leni, sich für ihn zu interessieren. Da Leni viel schöner ist als Sepherl und Muckerl Leni offensichtlich den Vorzug gibt, verliert Sepherl bald alle Hoffnung, Muckerls Braut zu werden. Dass Leni Muckerl ermutigt, zeugt teils davon, dass sie ihm aufrichtig zugeneigt ist, hat teils aber auch damit zu tun, dass Leni keinen anderen Mann weiß, der ihr helfen könnte, der äußersten Armut, in der sie lebt, zu entkommen. Leni weiß, dass mehr in ihr steckt als nur eine elende, in der Dorfgemeinschaft gering angesehene Kätnerin, und der Wunsch, soziale Anerkennung und Wohlstand zu erlangen, ist ihr zentraler Antrieb. Der Autor charakterisiert sie als „weltklug und entschlossen“.
Da Leni darauf angewiesen ist, Muckerl als Krücke für ihren sozialen Aufstieg zu missbrauchen, sind ihre Gefühle für ihn kompliziert. Dass Muckerl sie bedingungslos liebt und ihr in allem folgt, zieht sie einerseits an; andererseits stößt sein Mangel an Durchsetzungsvermögen und Rückgrat sie aber auch ab. Letztlich ist er ihr nicht genug. Sie erwartet von einem Mann viel mehr. Als Muckerl Leni ein paar Schuhe und ein gutes Trachtenkleid schenkt, glaubt er, sie nun seine Liebste nennen zu können; für Leni jedoch ist diese Bekleidungsausstattung, die sie Muckerl abgeschwatzt hat, vor allem ein Instrument, das sie braucht, um weiter an ihrem sozialen Aufstieg zu arbeiten.
Kapitel 5–7. Sepherl lädt Leni ein, mit ihr gemeinsam den Sternsteinhof zu besuchen, wo Sepherls Base Kathel dem frauenlosen Hauswesen als Schaffnerin vorsteht. Leni ist beeindruckt vom Wohlstand, der auf dem Hof herrscht. In der Hoffnung, zufällig Toni begegnen zu können, dem Erben des Hofs, kehrt sie später unter einem Vorwand dorthin zurück und trifft dabei tatsächlich mit Toni zusammen. Toni verliebt sich in die schöne junge Frau auf Anhieb, und um sein Interesse weiter anzufachen, weist Leni ihn schnippisch ab: Er werde sie, weil er eine solche Brautwahl gegen seinen Vater nicht durchsetzen könne, niemals heiraten. Auf diese Weise gelingt es ihr, Toni schließlich ein schriftliches Eheversprechen abzuhandeln. Da Toni noch nicht volljährig ist, hat dieses Dokument freilich nur geringen Wert. Um sich abzusichern, besteht Leni darauf, in der Dorfgemeinschaft weiterhin als Muckerls Braut aufzutreten und ihre Beziehungen zu Toni vorerst geheim zu halten. Da Sepherl Leni und Toni im Wald zusammen sieht, erfahren die Dörfler aber doch bald alles. Nur mit Mühe kann Leni Muckerl davon überzeugen, dass zwischen ihr und Toni nichts sei.
Kapitel 8–9. Der Sternsteinhofbauer, ein Witwer, ist ein sehr herrischer Mensch und würde niemals zulassen, dass Toni eine Häuslerstochter heiratet. Anzengruber zeigt ihn zunächst mit sehr negativen Zügen, nämlich als Heuchler, der sich mit seinem Gesinde zum Schein gemein macht, indem er sich mit den Knechten und Mägden zur Mahlzeit an einen Tisch setzt, für sich und Toni anschließend in einem anderen Zimmer aber ihre wirkliche Mahlzeit auftragen lässt. Ebenso hält er das Gesinde strikt dazu an, die Messe zu besuchen, bleibt der Kirche selbst aber fern. Als der Sternsteinhofer durch Kathel von Tonis Liebschaft mit Leni erfährt, stört ihn dies zunächst gar nicht, denn dass ein Junggeselle vor der Ehe sexuelle Erfahrungen sammelt, erscheint ihm natürlich und einwandfrei.
Der Sternsteinhofer hat sich mit dem Kasbiermartel (Martin Kasbier), einem reichen Bauern im benachbarten Schwenkdorf, abgesprochen, dass Toni Martels Tochter Sali (Rosalie) heiraten soll. Martel will verhindern, dass Toni zum Militärdienst eingezogen wird (was Toni auf Jahre hinaus vom Heiraten abhalten würde). Damit die beiden jungen Leute sich kennenlernen können, wird Sali am Patronatstag nach Zwischenbühel gebracht, wo im Wirtshaus eine Festlichkeit mit Tanz stattfindet.
Leni gibt sich zum Schein weiterhin mit Muckerl ab, trifft sich heimlich aber immer wieder mit Toni. Da der Winter bevorsteht und Begegnungen im Wald dann nicht mehr möglich sein werden, zieht sie ihre Mutter ins Vertrauen, die fortan duldet, dass Leni und Toni in ihrem Hause zusammenkommen. Die Heimlichkeiten werden publik, als Toni gemeinsam mit einigen Schwenkdorfer Saufkumpanen am Faschingstag das Zwischenbüheler Gasthaus stürmen und die dort stattfindende Tanzfeierlichkeit aufmischen. Toni ist betrunken und erklärt vor allen Anwesenden, dass er Leni zu seiner Bäuerin machen werde. Da auch Leni und Muckerl anwesend sind, kommt es zu einer allgemeinen Schlägerei.
Kapitel 10–14. Das Gerede über den Vorfall erreicht auch den Sternsteinhofer und den Kasbiermartel. Toni verteidigt vor seinem Vater seine Brautwahl und erklärt, sein Wort, das er Leni gegeben hat, halten zu wollen. Als er seinem Vater Leni schließlich in Person vorstellt, beschämt diese ihn, indem sie erkennen lässt, dass sie auf ihrem in dem Schriftstück verbrieften Recht gar nicht beharrt. Allerdings habe Toni ihr die Ehre genommen. Leni ist schwanger. Als der Sternsteinhofer ihr daraufhin Geld geben will, beschämt sie ihn erneut, indem sie die Zahlung ablehnt.
Als Toni seinem Vater ankündigt, sich bis zur Erreichung seiner Volljährigkeit als Knecht verdingen und Leni dann heiraten zu wollen, veranlasst der Sternsteinhofer, dass Toni umgehend zum Militär eingezogen wird.
Muckerl ist bei der Schlägerei schwer verletzt worden und kann drei Wochen lang das Bett nicht verlassen. Es ist nicht Leni, sondern Sepherl, die ihn pflegt. Obwohl sie sich dabei nahekommen wie nie zuvor, gelingt es Leni erneut, Muckerls Vertrauen zu gewinnen. Er verzeiht ihr und sie heiraten. Leni zieht zu ihm ins Haus, wo seiner Mutter inzwischen schwer krank liegt. Leni wünscht der Kleehoferin, die sie als ihre Schwiegertochter nur widerstrebend anerkannt hat, einerseits den Tod, andererseits pflegt sie die alte Frau aber auch. Leni bringt Tonis Kind zur Welt, dem sie den Namen Johann Nepomuk („Hans“) gibt.
Kapitel 15–20. Drei Jahre später. Toni kehrt vom Militärdienst zurück, bittet Sali um Verzeihung und heiratet sie. Noch vor der Bekanntgabe der Verlobung hat der Sternsteinhofer eine weitere Kostprobe seines schlechten Charakters geliefert und mit dem Kasbiermartel gewettet, dass Toni die im zugewiesene Braut gehorsam akzeptieren werde. Natürlich gewinnt er diese Wette.
Es stellt sich heraus, dass Sali auf ihre Rolle als Bäuerin schlecht vorbereitet ist. Nach der Geburt ihrer Tochter Juliana bleibt sie gesundheitlich so schwer angeschlagen, dass sie ihrer Rolle noch weniger gewachsen ist. Toni, der inzwischen entdeckt hat, dass der kleine Hans sein eigenes Kind ist, hofft seine Liebschaft mit Leni wiederbeleben zu können, doch will Leni nichts davon wissen. Beim Versuch, zu ihrer eigenen Absicherung für Muckerl eine Lebensversicherung abzuschließen, erfährt Leni, dass Muckerl schwer krank ist.
Sali entdeckt, dass Toni Leni immer noch liebt. Als sie dies Muckerl sagt, bricht dieser zusammen – seelisch und körperlich. Da er von Leni nun nichts mehr wissen will und auch ihre Gegenwart nicht mehr duldet, ist es wieder Sepherl, die ihn pflegt. Er erklärt sich zu ihrem „Bräutigam“ und stirbt wenig später.
Toni holt Leni und den kleinen Hans auf den Sternsteinhof, wo Leni Sali pflegen soll. Sali stirbt schließlich.
Kapitel 21–24. Ein Jahr später. Toni und Leni heiraten. Der alte Sternsteinhofer, der seit Tonis Heirat mit Sali auf dem Altenteil sitzt, billigt die neue Ehe zunächst nicht und misstraut Leni zutiefst. Als er glaubt, dass sie ihm seine Geldtruhe zu stehlen versucht hat, unternimmt er sogar den Versuch, den im Fundament des Hofs eingemauerten „Sternstein“ freizulegen und zu entfernen. Leni hat inzwischen über ihn aber so viel Autorität, dass sie ihn nicht nur daran zu hindern, sondern auch zu besänftigen vermag.
Toni wird zum Reservedienst eingezogen und im Kriegseinsatz schließlich vermisst. Er kehrt nicht zurück. Leni bewährt sich auf dem Sternsteinhof als Bäuerin und erwirbt die Zuneigung und den Respekt der Dörfler. Um sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren, will sie nicht wieder heiraten.
Verfilmung
BearbeitenLuggi Waldleitner hat für die Münchner Roxy Film einen Spielfilm Sternsteinhof produziert, der 1976 in die Kinos kam. Die Adaption, die von der Romanhandlung zum Teil markant abweicht, besorgte Herman Weigel. Inszeniert wurde der Film von Regisseur Hans W. Geißendörfer, für den diese Arbeit der erste Kinofilm war. In wichtigen Rollen traten Katja Rupé (Leni), Tilo Prückner (Muckerl), Peter Kern (Toni), Gustl Bayrhammer (Sternsteinhofer) und Ulrike Luderer (Sepherl) auf.
Ausgaben (Auswahl)
Bearbeiten- Der Sternsteinhof. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1885.
- Der Sternsteinhof. Hesse & Becker, Leipzig 1940.
- Der Sternsteinhof. Hera, Wilhelmshaven 1949.
- Der Sternsteinhof. Bertelsmann, Gütersloh 1950.
- Der Sternsteinhof. Kaiser, Klagenfurt 1961.
- Der Sternsteinhof. Aufbau-Verlag, Berlin 1963.
- Der Sternsteinhof. Fackelverlag, Olten / Stuttgart / Salzburg 1967.
- Der Sternsteinhof. Goldmann, München 1979, ISBN 3-442-03445-0.
- Der Sternsteinhof. Deutscher Literatur-Verlag / Melchert, Hamburg 1980, ISBN 3-87152-027-6.
- Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. 2. Auflage. Band 2. Berlin / Weimar 1977; Digitalisat. zeno.org
Literatur
Bearbeiten- Rainer Baasner: Anzengrubers „Sternsteinhof“. In: Zeitschrift für deutsche Philologie, 1983, 102, S. 564–583.
- Hubert Lengauer: Anzengrubers realistische Kunst. In: Österreich in Geschichte und Literatur, 1977, 6, S. 386–404.
- Mario Molin-Pradel: Ludwig Anzengrubers Bedeutung als Erzähler. In: Annali della Facoltà di Lingue e Letterature Straniere di Ca’Foscari, 1972, 11, Heft 2, S. 415–422.
- Solvejg Nitzke: Genealogie und Arbeit. Ökologisches Erzählen bei Franz Michael Felder und Ludwig Anzengruber. In: Zeitschrift für Germanistik, 2020, 30, Heft 2, S. 345–362.
- Daniel Milkovits: Zwischen Realismus und österreichischem Protonaturalismus. Zu Ludwig Anzengrubers Roman „Der Sternsteinhof“. In: Journal of Austrian Studies, 2024, 57, Heft 2, S. 37–63, doi:10.1353/oas.2024.a929387.
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Karl Hans Strobl: Einleitung: Ludwig Anzengruber, sein Weg und sein Schaffen. In: Karl Hans Strobl (Hrsg.): Ludwig Anzengrubers Werke in drei Bänden. Band 1. Rösl Cie., München 1920, S. 15–106, hier: S. 74 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).