Diogenes von Sinope

griechischer Philosoph, Schüler des Antisthenes

Diogenes von Sinope (altgriechisch Διογένης ὁ Σινωπεύς Diogénēs ho Sinōpeús, latinisiert Diogenes Sinopeus; * vermutlich um 413 v. Chr. in Sinope; † vermutlich 323 v. Chr. in Korinth) war ein antiker griechischer Philosoph. Er zählt zur Strömung des Kynismus.

Abbildung (19. Jahrhundert) einer Statuette, die von einigen Forschern als Diogenes identifiziert wird.
Diogenes in seinem Fass. Ausschnitt eines in Köln gefundenen Mosaiks aus dem 2. Jahrhundert, heute dort im Römisch-Germanischen Museum

Quellenlage

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Diogenes von Sinope, Detail aus „Die Schule von Athen“, Raphael Santi, 1510/11, Stanzen des Vatikans, Rom

Über den historischen Diogenes sind kaum gesicherte Daten erhalten. Fast alle Informationen wurden in Form von Anekdoten überliefert, deren Wahrheitsgehalt Gegenstand wissenschaftlicher Spekulationen ist. Die früheste Quelle zu Diogenes ist eine kurze Stelle bei Aristoteles,[1] die mit Abstand wichtigste der allerdings erst im 3. Jahrhundert tätige Doxograph Diogenes Laertios, dessen Bericht sich wiederum auf zahlreiche ältere Autoren stützt – deren Angaben sich schon damals widersprachen. Insgesamt sind die antiken Berichte zu Diogenes überdurchschnittlich zahlreich, besonders in popularphilosophischen Schriften und in der Buntschriftstellerei. Die Verlässlichkeit sämtlicher Zeugnisse zu Diogenes ist umstritten; vermutlich bildeten sich bereits zu Lebzeiten Legenden, und es ist anzunehmen, dass seit seinem Tod etliche Anekdoten hinzuerfunden worden sind.[2]

Die Lebensdaten Diogenes’ sind unbekannt, es liegen dazu verschiedene, teils widersprüchliche Angaben[3] vor. Nach Auswertung der betreffenden Zeugnisse geht man davon aus, dass Diogenes gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr., möglicherweise um das Jahr 410 v. Chr. in Sinope (heute Sinop) am Schwarzen Meer geboren wurde und gegen Anfang der 320er Jahre v. Chr. in Athen oder Korinth[4] gestorben ist.[5] Für die Todesursache berichtet Diogenes Laertios[6] von unterschiedlichen Angaben: Verzehr eines rohen Polypen,[7] Gallenkolik, absichtliches Anhalten des Atems, Hundebiss.

Nach einer antiken Überlieferung war Diogenes Schüler des Antisthenes. Wenn dies zutrifft, muss er spätestens in den frühen 360er Jahren v. Chr. nach Athen übersiedelt sein. In der modernen Forschung ist das behauptete Schülerverhältnis zu Antisthenes allerdings umstritten.[8] Sicher ist nur die Übersiedlung nach Athen. Die Gründe dafür sind unklar, auch wenn dazu verschiedene Anekdoten und Geschichten überliefert sind. So berichten Diogenes Laertios[9] und einige andere Autoren die Legende, dass er geflohen oder verbannt worden sei, weil er selbst oder sein Vater als Bankier oder Beamter der Münze von Sinope Münzen gefälscht hätten. In Athen machte er Bekanntschaft mit den berühmten Philosophen seiner Zeit: mit Platon, Aischines von Sphettos, Euklid von Megara. Hingegen ist die Begegnung mit Aristippos von Kyrene möglicherweise erfunden.[10]

Aufenthalt in Korinth

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„Geh mir ein wenig aus der Sonne!“ (Diogenes zu Alexander dem Großen). Relief, Villa Albani, Rom[11]

In den antiken Berichten ist des Öfteren davon die Rede, dass sich Diogenes in Korinth aufgehalten habe. Wie oft und wie lange, ist unklar, jedenfalls soll er dort auch gestorben sein (nach anderen Versionen allerdings in Athen). Auch um diese Übersiedelung ranken sich Legenden. Nach einer[12] soll Diogenes während einer Schiffsreise nach Ägina von Piraten entführt und auf Kreta als Sklave von einem Korinther namens Xeniades gekauft worden sein. Xeniades habe ihn dann zu seinem Hausverwalter und Erzieher seiner Söhne gemacht.[13] In Korinth soll er dem Tyrannen Dionysios II. von Syrakus[14] und nach der bekanntesten der Anekdoten auch Alexander dem Großen begegnet sein. Ob diese Begegnung tatsächlich und auch in dieser Form stattgefunden hat, ist umstritten. Die Anekdote taucht bei zahlreichen antiken Autoren in oft unterschiedlichen Variationen auf und wurde ein beliebtes Motiv der bildenden Kunst; die älteste erhaltene Version stammt von Cicero,[15] ausführlicher berichtet Plutarch:

„Die Griechen […] beschlossen, mit Alexander gegen die Perser einen Kriegszug zu unternehmen, wobei er auch zum Oberfeldherrn ernannt worden war. Da bei dieser Gelegenheit viele Staatsmänner und Philosophen ihm die Aufwartung machten und Glück wünschten, dachte er, dass auch Diogenes von Sinope, der sich eben in Korinth aufhielt, ein Gleiches tun würde. Aber dieser blieb ungestört in seiner Ruhe im Kraneion [Platz in Korinth], ohne sich im Geringsten um Alexander zu kümmern; daher begab der sich zu Diogenes hin. Diogenes lag eben an der Sonne. Als aber so viele Leute auf ihn zukamen, reckte er sich ein wenig in die Höhe und sah Alexander starr an. Dieser grüßte ihn freundlich und fragte, womit er ihm dienen könnte. ‚Geh mir nur‘, versetzte er, ‚ein wenig aus der Sonne!‘ Davon soll Alexander so sehr betroffen gewesen sein und, ungeachtet der ihm bewiesenen Verachtung, den Stolz und die Seelengröße des Mannes so sehr bewundert haben, daß er, als seine Begleiter beim Weggehen darüber scherzten und lachten, ausrief: ‚Wahrlich, wäre ich nicht Alexander, ich möchte wohl Diogenes sein.‘“

Plutarch: Alexandros 14

Hündische Lebensweise

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Philosophie als radikale Lebensform: Diogenes in der Tonne – Gemälde von Jean-Léon Gérôme (1860)

Sein Beiname ὁ κύων ho kýōn („der Hund“) war ursprünglich vermutlich als auf seine Schamlosigkeit bezogenes Schimpfwort gemeint. Diogenes aber fand ihn passend und hat sich seither selbst so bezeichnet.[16] Eine von vielen Anekdoten, die diesen Beinamen betreffen, ist die, dass sich Alexander der Große bei Diogenes so vorgestellt haben soll: „Ich bin Alexander, der große König.“ Worauf Diogenes gesagt haben soll: „Und ich Diogenes, der Hund.“[17]

 
Titelkupfer zu den Dialogen des Diogenes von Sinope, herausgegeben von Christoph Martin Wieland (1770). Entworfen von Adam Friedrich Oeser, gestochen von Christian Gottlieb Geyser

Diogenes soll freiwillig das Leben der Armen geführt und dies öffentlich zur Schau gestellt haben. Angeblich hatte er keinen festen Wohnsitz und verbrachte die Nächte an verschiedenen Orten, wie etwa öffentlichen Säulengängen. Als Schlafstätte soll ihm dabei gelegentlich ein Vorratsgefäß (πίθος, Pithos) gedient haben,[18] daher das geflügelte Wort von Diogenes in der Tonne bzw. im Fass. Zu Diogenes’ Ausstattung gehörten laut Diogenes Laertios[19] ein einfacher Wollmantel, ein Rucksack mit Proviant und einige Utensilien sowie ein Stock. Seinen Trinkbecher und seine Essschüssel soll er nach einer Anekdote weggeworfen haben, als er sah, wie Kinder aus den Händen tranken und Linsenbrei in einem ausgehöhlten Brot aufbewahrten.[20] Ernährt habe er sich von Wasser, rohem Gemüse, wild gewachsenen Kräutern, Bohnen,[21] Linsen, Oliven,[22] Feigen,[23] einfachem Gerstenbrot und Ähnlichem.

Zu Diogenes’ Zeit galt es in Griechenland als unanständig, in der Öffentlichkeit zu essen. Er tat aber nicht nur dies, sondern befriedigte auch seinen sexuellen Trieb vor aller Augen, und zwar der Einfachheit halber durch Masturbation. Einer Anekdote zufolge soll er sich gewünscht haben, auch das Hungergefühl durch einfaches Reiben des Bauches stillen zu können.[24]

Schriften

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Diogenes Laertios überliefert zwei unterschiedliche zu seiner Zeit kursierende Verzeichnisse von Schriften des Diogenes.[25] Die erste Liste umfasst 13 Dialoge, 7 Tragödien und Briefe, die zweite, von Sotion von Alexandria stammende, 12 Dialoge, Chrien und Briefe. Laut Sosikrates von Rhodos und Satyros von Kallatis, so Diogenes Laertios, hat Diogenes allerdings überhaupt keine Schriften verfasst.[26]

Da seine Schriften verlorengegangen sind und Berichte zu philosophischen Positionen, die Diogenes vertreten hat, weit seltener sind als die zahlreich überlieferten Anekdoten, sind seine philosophischen Ansichten nur in groben Umrissen bekannt. Es ist davon auszugehen, dass Diogenes die grundsätzliche Ansicht vertreten hat, dass richtig glücklich nur der sein kann, der sich erstens von überflüssigen Bedürfnissen freimacht und zweitens unabhängig von äußeren Zwängen ist. Ein zentraler Begriff ist dabei auch die daraus resultierende Selbstgenügsamkeit (autárkeia):[27] „Es sei göttlich, nichts zu bedürfen, und gottähnlich, nur wenig nötig zu haben.“[28]

Bedürfnislosigkeit

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Diogenes, Gemälde von Jules Bastien-Lepage (1873)

Diogenes erkannte ausschließlich die Elementarbedürfnisse nach Essen, Trinken, Kleidung, Behausung und Geschlechtsverkehr an. Alle darüberhinausgehenden Bedürfnisse solle man ablegen, so soll er sogar gegen die verzichtbaren Bedürfnisse trainiert haben: Um sich körperlich abzuhärten, hat er sich im Sommer in glühend heißem Sand gewälzt und im Winter schneebedeckte Statuen umarmt.[29] Und um sich geistig abzuhärten, trainierte er es, Wünsche nicht erfüllt zu bekommen, indem er steinerne Statuen um Gaben anbettelte.[30] Dieses naturgemäße Sichplagen (pónoi) unterschied Diogenes von dem öfter vorkommenden unnützen Sichplagen, dessen Ziel die Erlangung von Scheingütern sei.[31] Etlichen Anekdoten ist schließlich auch zu entnehmen, dass Diogenes Bequemlichkeit nicht nur ablehnte, sondern wohl auch als Ursache vieler Übel seiner Zeit ansah.

Lust (ἡδονή hēdonḗ) und Lustempfindungen scheint Diogenes weder als besonders wertvoll noch als unbedingt notwendig angesehen zu haben,[32] er nahm aber beispielsweise die Lust, die man bei sexueller Betätigung empfindet, als zumindest unvermeidlich hin.[33] Sexuelle Betätigung (wie etwa Masturbation) sei jedenfalls der Natur gemäß und ein elementares Bedürfnis.

Unabhängigkeit von äußeren Zwängen

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Sexual- und Ehepartner

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Als ein Beispiel für Abhängigkeit von anderen Personen galt Diogenes der Geschlechtsverkehr mit Frauen, so wird ihm in etlichen Anekdoten eine gewisse Frauenfeindlichkeit nachgesagt. Trotzdem erkannte er die Notwendigkeit des Geschlechtsverkehrs zum Überleben des Menschen an. An der Ehe, einer seiner Ansicht nach zu engen Bindung, hat Diogenes deshalb aber nicht festgehalten – wie Platon trat er hingegen für die Einrichtung der Frauen- und Kindergemeinschaft ein.[34]

Gesellschaftliche Konventionen, Staatsordnung und Religion

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„Ich suche Menschen!“ (Diogenes mit Laterne), Bernhard Rode, 1725–1797
 
Diogenes sucht einen Menschen – Darstellung wahrscheinlich von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1780er)

Als äußeren Zwang erachtete Diogenes gesellschaftliche Konventionen, die er teils auf radikale Art und Weise ablehnte. Von Dingen wie der öffentlichen Masturbation und anderen provokativen Verstößen gegen den guten Ton war schon die Rede. Diogenes soll in seinen Schriften aber noch andere, äußerst anstößige Standpunkte vertreten haben. In einer seiner Schriften, der Politeia, soll er etwa geäußert haben, dass nichts gegen das Essen von verstorbenen Menschen und als Opfer geschlachteten Kindern spreche[35] und dass sexuelle Beziehungen zu Müttern, Schwestern, Brüdern und Söhnen erlaubt seien.[36] Bereits Herodot berichtete an einigen Stellen von menschenfressenden Völkern, Stämmen, die Frauengemeinschaft gewohnt waren, anderen, bei denen es Brauch war, die verstorbenen Eltern zu essen[37], und wieder anderen, bei denen Menschen geopfert wurden. Auch war bekannt, dass (ob wahr oder nicht) bei den Persern sexueller Verkehr zwischen Söhnen und Müttern üblich war. Diese Tatsachen veranlassten ihn, die betreffenden gesellschaftlichen Verbote und Konventionen als bloßes Produkt verschiedener eingeübter Gewohnheiten zu betrachten, die sich als Gesetze (nómoi), Sitten und Bräuche verfestigt hätten. Aus ihnen resultierende Zwänge seien also nicht von Natur aus richtig, sondern hindern vielmehr daran, ein glückliches Leben zu führen. Wie Herakles müsse man sich über diese Zwänge hinwegsetzen. Ob Diogenes allen Ernstes auffordern wollte, die eigenen Eltern zu essen und mit Geschwistern sexuell zu verkehren, oder ob er mit seinen Ausführungen lediglich allgemein auf die Nichtigkeit äußerer Zwänge hinweisen wollte, die den Einzelnen an seinem Glück hindern, kann heute nicht mehr geklärt werden. Zu vermuten ist, dass es auch in den nicht erhaltenen Tragödien um ähnliche Tabubrüche ging.[38]

Ebenfalls in der Politeia soll er die Abschaffung aller seinerzeit bekannten Staatsformen gefordert haben,[39] da „die einzige wahre Staatsordnung die Ordnung im Kosmos sei.“[40] So soll sich Diogenes selbst als einer der Ersten als Weltbürger (κοσμοπολίτης, kosmopolítēs) bezeichnet und somit einen Kosmopolitismus vertreten haben.[41] Diogenes’ religiöse Ansichten sind unbekannt, anzunehmen ist aufgrund einiger Anekdoten eine spöttisch-ironische Distanz zu religiösen Fragen.[42]

Bildung, Dialektik und Philosophie

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Die Disziplinen der traditionellen Bildung (wie Grammatik, Rhetorik, Mathematik, Astronomie und Musiktheorie) hielt Diogenes für unnütz und überflüssig.[43] Im Gegensatz zu Antisthenes hielt er sogar die Beschäftigung mit Fragen der Dialektik (heute in etwa die Disziplin Logik) für sinnlos und setzte ihr den gesunden Menschenverstand entgegen. An einigen Stellen sind logische Argumentationen in Form von Schlüssen überliefert, die aber weniger als ernsthafte Beschäftigung mit Logik, sondern mehr als vielleicht sogar spottendes Spiel mit logischen Operationen und rein logischen Rechtfertigungen gewisser Ansichten aufgefasst werden können:

 
Diogenes, neben ihm seine Lampe und Zwiebeln. John William Waterhouse (1882)
Alles gehört den Göttern.
Die Götter sind Freunde der Weisen.
Freunden ist alles gemeinsam.
Es folgt: Alles gehört den Weisen.[44]


Wenn Frühstücken als solches nichts Absonderliches ist, dann ist es auch auf dem Marktplatz nichts Absonderliches.
Nun ist aber das Frühstücken nichts Absonderliches.
Es folgt: Also ist es auch auf dem Marktplatz nichts Absonderliches.[45]

Von anderen Philosophen dachte Diogenes gering.[46] Die Lehren des Antisthenes hat er zwar hoch geschätzt und daran angeknüpft, über die Person Antisthenes’ hingegen und seine Umsetzung seiner Lehren war er anderer Meinung. Er soll ihn als weich bezeichnet und mit einer Trompete verglichen haben, die zwar laute Töne von sich gibt, sich selbst aber nicht hören kann.[47]

Diogenes und Platon

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Nach Diogenes Laertios dürfte das Verhältnis Diogenes’ zu Platon nicht das beste gewesen sein. Dessen Ideenlehre habe Diogenes folgendermaßen ins Lächerliche zu ziehen versucht: „Als Platon sich über seine Ideen vernehmen ließ und von einer Tischheit und einer Becherheit redete, meinte Diogenes: ‚Was mich anbelangt, Platon, so sehe ich wohl einen Tisch und einen Becher, aber eine Tischheit und Becherheit nun und nimmermehr.‘ Darauf Platon: ‚Sehr begreiflich; denn Augen, mit denen man Becher und Tisch sieht, hast du allerdings; aber Verstand, mit dem man Tischheit und Becherheit erschaut, hast du nicht.‘“[48] Auch Platons Bemühungen um Definitionen verschiedener Begriffe scheint er nicht ganz ernst genommen zu haben: „Als Platon die Definition aufstellte, der Mensch ist ein federloses zweifüßiges Tier, und damit Beifall fand, rupfte Diogenes einem Hahn die Federn aus und brachte ihn in dessen Schule mit den Worten: ‚Das ist Platons Mensch‘; infolgedessen ward der Zusatz gemacht ‚mit platten Nägeln‘.“[49]

Rezeption

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Modernes Diogenes-Denkmal im türkischen Sinop

Philosophie- und Kulturhistoriker sowie Künstler stellen Diogenes als denjenigen dar, der nicht in erster Linie Thesen aufstellte, sondern seine ureigenen Erkenntnisse öffentlich und demonstrativ in die Tat umsetzte. In diesem Zusammenhang wird gelegentlich der Begriff „Aktionsphilosoph“ verwendet.

Philosophie

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Aus den Reihen der Philosophen erhielt Diogenes sowohl allerhöchste Zustimmung als auch strikte Zurückweisung. So nannte Platon ihn angeblich in diffamierender Absicht einen „rasend gewordenen Sokrates.“[50] Hegel kritisierte an Diogenes nicht nur dessen Volksnähe, er warf ihm auch vor, „unwichtige Dinge zu wichtig“[51] zu nehmen. Dazu gehört die öffentlich zur Schau gestellte Bedürfnislosigkeit. Indem Friedrich Nietzsche in ihr bloß ein „Heilmittel gegen alle socialen Umsturzgedanken“[52] sah, sprach er dem antiken Philosophen die Subversivität ab.

Michel Foucault dagegen sah in den frechen Eskapaden und in der radikalen Freiheit, die sich Diogenes mit ihnen nahm, zugleich die größtmögliche Chance auf Wahrheit (Parrhesia): „Der Mut zur Wahrheit seitens desjenigen, der spricht und das Risiko eingeht, trotz allem die ganze Wahrheit zu sagen, die er denkt.“[53] Während Platon Diogenes im Vergleich mit Sokrates herabzustufen sucht, stellt ihn Peter Sloterdijk auf eine Stufe mit ihm und deutet die „Bizarrerien seines Verhaltens“ als „Versuch, den listigen Dialektiker komödiantisch zu übertrumpfen.“[54] Ulf Poschardt schrieb in seinem Buch über Coolness: „Diogenes lebte laut wie ein Popstar.“[55] Beider Interpretation zufolge – so Harry Walter – repräsentiere Diogenes „mit seinem öffentlichen Querliegen eine Kultur der gestischen Subversion.“[56]

Den Gedanken der Subversion übersetzt Gesamtkunstwerker Natias Neutert 1986 in ein Ein-Mensch-Theater-Stück, bei der er Autor und Akteur in einem ist. In einem fiktiven Telefongespräch mit Diogenes von Sinope zeigt er auf, wie die „quer zur heroischen Geschichtsbildung liegende Körperphilosophie“ auch heutzutage in der Lage sein kann, „die Posen der großen Wahrheit“[57] ad absurdum zu führen.[58]

Kunst und Belletristik

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Aus Diogenes und die bösen Buben von Korinth von Wilhelm Busch

Die kulturgeschichtliche Ausnahmeerscheinung des Diogenes spiegelt sich in einer Fülle künstlerischer Darstellungen wider, sowohl Bilder als auch Skulpturen.

So sind drei nicht mehr vollständige Statuetten gleichen Typs erhalten, von denen angenommen wird, dass sie Diogenes darstellen: Sie zeigen einen bärtigen nackten Mann in vornübergebeugter Haltung. Eine dieser Statuetten befindet sich in der Villa Albani in Rom. Original daran sind jedoch nur Kopf, Rumpf, Schultern und rechter Oberschenkel; alles Übrige ist später hinzugefügt worden.[59] Von den anderen beiden Statuetten gibt es nur noch Bruchstücke der Beine, allerdings fanden sich bei ihnen auch Fragmente eines Hundes und eines Rucksacks, also typische Attribute des Diogenes.[60]

Ein guterhaltenes Mosaik aus dem 2. Jahrhundert zeigt Diogenes in seinem Fass, darunter ist sein Name zu lesen. Das Mosaik befindet sich heute im Römisch-Germanischen Museum in Köln.[61]

Wilhelm Busch hat der antiken Figur in seiner Bildergeschichte Diogenes und die bösen Buben von Korinth ein für ihn typisches humoristisches Denkmal gesetzt,[62] das wesentlich zu dessen Popularität beigetragen hat.

Quellensammlungen

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Ausgaben

Übersetzungen

Literatur

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Übersichtsdarstellungen

Untersuchungen

  • Jean-Manuel Roubineau: Diogène: l’antisocial. Presses Universitaires de France, Paris 2020, ISBN 9782130800743.
    • Englische Übersetzung: The Dangerous Life and Ideas of Diogenes the Cynic. Translated by Malcolm DeBevoise, edited by Phillip Mitsis. Oxford University Press, New York 2023, ISBN 9780197666357.
  • Klaus Döring: Die Kyniker. Buchner, Bamberg 2006, ISBN 3-7661-6661-1.
  • Niklaus Largier: Diogenes der Kyniker. Exempel, Erzählung, Geschichte in Mittelalter und Früher Neuzeit. Niemeyer, Tübingen 1997, ISBN 3-484-36536-6.
  • Oliver Overwien: Die Sprüche des Kynikers Diogenes in der griechischen und arabischen Überlieferung. Steiner, Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08655-2.

Rezeption

  • Joachim Jacob, Reinhard M. Möller: Diogenes. In: Peter von Möllendorff, Annette Simonis, Linda Simonis (Hrsg.): Historische Gestalten der Antike. Rezeption in Literatur, Kunst und Musik (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 8). Metzler, Stuttgart/Weimar 2013, ISBN 978-3-476-02468-8, Sp. 361–372.
  • Klaus Herding: Diogenes als Narr. In: Peter K. Klein und Regine Prange (Hrsg.): Zeitenspiegelung. Zur Bedeutung von Traditionen in Kunst und Kunstwissenschaft. Festschrift für Konrad Hoffmann. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1998, ISBN 978-3-496-01192-7, S. 151–180.

Philosophische Essays

  • Karl-Wilhelm Weeber: Diogenes. Die Botschaft aus der Tonne. Nymphenburger, München 1987, ISBN 3-485-00552-5.
  • Karl-Wilhelm Weeber: Diogenes. Die Gedanken und Taten des frechsten und ungewöhnlichsten aller griechischen Philosophen. 4. Auflage. Nymphenburger, München 2003, ISBN 3-485-00890-7.
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Commons: Diogenes von Sinope – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Diogenes von Sinope – Quellen und Volltexte

Anmerkungen

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  1. Vgl. Georg Luck: Die Weisheit der Hunde. Texte der antiken Kyniker in deutscher Übersetzung mit Erläuterungen, S. 132
  2. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 280–281.
  3. Zur Zeit der 113. Olympiade (328 bis 325 v. Chr.) sei er ein alter Mann gewesen (Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,79).
    Er sei am selben Tag (13. Juni 323) wie Alexander der Große gestorben (Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,79).
    Er sei 81 Jahre alt geworden (Censorinus, De die natali 15,2).
    Er sei etwa 90 Jahre alt geworden (Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,76).
    Seine geistige Blütezeit sei 396 (Eusebius von Caesarea, Chronik Ol. 96,1) bzw. 392 (Chronicon Paschale, a. u. c. 362,1) gewesen.
  4. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,77.
  5. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 282.
  6. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,76–77.
  7. So auch Athenaios, Deipnosophistai 8,341 e
  8. Siehe dazu Marie-Odile Goulet-Cazé: Diogène de Sinope. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques, Band 2, Paris 1994, S. 812–823, hier: 815; Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike, Band 2/1, Basel 1998, S. 280–295, hier: 282–284; Gabriele Giannantoni: Antistene fondatore della scuola cinica? In: Marie-Odile Goulet-Cazé, Richard Goulet (Hrsg.): Le cynisme ancien et ses prolongements, Paris 1993, S. 15–34.
  9. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,20–21.
  10. Zur Biographie des Diogenes siehe Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 281–285.
  11. Wolfgang Helbig: Führer durch die öffentlichen Sammlungen klassischer Altertümer in Rom. 4. Auflage, Band 4, Wasmuth, Tübingen 1972, S. 271–272 Nr. 3303.
  12. Beispielsweise bei Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 74.
  13. Siehe zu den verschiedenen Versionen dieser Legende Marie-Odile Goulet-Cazé: Xéniade de Corinthe. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques, Band 7, Paris 2018, S. 190–192.
  14. Plutarch, Timoleon 15, 8.
  15. Cicero, Tusculanae disputationes 5, 92.
  16. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 289.
  17. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 60.
  18. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 22–23 und 105; Seneca, Epistulae morales ad Lucilium 90, 14: dolium.
  19. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 22–23.
  20. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 37.
  21. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 48.
  22. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 55.
  23. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 25.
  24. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 46 und 69.
  25. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 80.
  26. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 285–287.
  27. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 287–288.
  28. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 105.
  29. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 23.
  30. Plutarch, De vitioso pudore 531 f.; Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 49.
  31. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 71.
  32. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 71.
  33. Galenos, De locis affectis 6, 15.
  34. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 290.
  35. Herculaneum-Papyri, 155/339 col. XVI 20-24; vgl. Theophilus, Apologia ad Autolycum 3,5; Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,73.
  36. Herculaneum-Papyri, 155/339 col. XVIII 17-23.
  37. Herodot, Historien 4,26.
  38. Zu Diogenes’ Verhältnis zu gesellschaftlichen Konventionen siehe Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 290–292.
  39. Herculaneum Papyri, 155/339 col. XX 4-6.
  40. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,72.
  41. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,63.
  42. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 292–293.
  43. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,73 und 6,103–104.
  44. Nach Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,37 und 6,72.
  45. Nach Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,69.
  46. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 294.
  47. Dion Chrysostomos, Reden 8,1–2.
  48. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6,53.
  49. Diogenes Laertios, Leben und Lehren der Philosophen 6, 40.
  50. Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren der Philosophen 6, 54. Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. Erster Band. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-518-11297-X, S. 209.
  51. Vgl. Ulf Poschardt: Cool. Frankfurt, Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2000, ISBN 3-0152-4, S. 398.
  52. Zitiert nach Ulf Poschardt: Cool. Frankfurt, Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2000, ISBN 3-0152-4, S. 398.
  53. Michel Foucault: Der Mut zur Wahrheit. Die Regierung des Selbst und der Anderen. II. Vorlesungen am Collège de France 1983/84, aus dem Französischen von Jürgen Schröder, Suhrkamp Verlag Berlin 2010, ISBN 978-3-518-58544-3, S. 29.
  54. Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. Erster Band. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-518-11297-X, S. 208.
  55. Ulf Poschardt: Cool. Frankfurt, Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg 2000, ISBN 3-0152-4, S. 45.
  56. Harry Walter: She said yes. I said Pop. Ein Vortrag mit Lichtbildern in: Walter Grasskamp, Michaela Krützen, Stephan Schmitt (Hrsg.): Was ist Pop? Zehn Versuche. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-16392-7, S. 55–56.
  57. Harry Walter: She said yes. I said Pop. Ein Vortrag mit Lichtbildern in: Walter Grasskamp/Michaela Krützen, Stephan Schmitt (Hrsg.): Was ist Pop? Zehn Versuche. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-16392-7, S. 56.
  58. Vgl. auch ars longa vita brevis. Performance IV, Katalog des Künstlerhauses Bethanien, Berlin 1986, S, ISBN 3-923479-13-1.
  59. Wolfgang Helbig: Führer durch die öffentlichen Sammlungen klassischer Altertümer in Rom. 4. Auflage, Band 4, Wasmuth, Tübingen 1972, S. 248–249 Nr. 3274.
  60. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 280–281.
  61. Klaus Döring: Diogenes aus Sinope. In: Hellmut Flashar (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie der Antike. Band 2/1, Schwabe, Basel 1998, S. 281.
  62. Wilhelm Busch: Diogenes und die bösen Buben von Korinth. Bildergeschichte. In: Münchener Bilderbogen. Nr. 350. Fackelträger-Verlag, Hannover 1997, ISBN 3-7716-2504-1, S. 55–61 (projekt-gutenberg.org [abgerufen am 14. November 2021] Erstausgabe: Braun und Schneider, München 1859).