Evangelischer Oberkirchenrat (Preußen)

Der Evangelische Oberkirchenrat (abgekürzt meist EOK, gelegentlich auch EO) war die oberste Verwaltungsbehörde der evangelischen Landeskirche in den vor 1866 zu Preußen gehörenden Provinzen und ihrer Nachfolgekirche, der Kirche der Altpreußischen Union. Sein Sitz war in Berlin.

Evangelischer Oberkirchenrat – Berlin
Siegelmarke des EOK

Vorgeschichte

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Wie in anderen deutschen Territorialstaaten wurde in Brandenburg-Preußen die Verwaltung der Angelegenheiten der evangelischen Kirchen im Zuge des landesherrlichen Kirchenregiments durch Konsistorien wahrgenommen. Für das gesamte Gebiet der Monarchie waren seit dem 18. Jahrhundert das Lutherische Oberkonsistorium (1750–1808),[1] das Reformierte Kirchendirektorium (1713–1808) sowie das Consistoire supérieure des communeautés réformées françaises (1701–1809) zuständig, bis sie 1808/09 aufgelöst und ihre Aufgaben einer Sektion für Kultusangelegenheiten im preußischen Innenministerium übertragen wurden. 1815 wurden wieder Konsistorien für die einzelnen preußischen Provinzen geschaffen; die zentrale Verantwortung verblieb aber im 1817 neu gegründeten „Kultusministerium“ (Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten). Forderungen, für die inneren Angelegenheiten der seit 1817 unierten Landeskirche wieder eine rein kirchliche Behörde zu schaffen, wurden immer wieder erhoben, unter anderem von der Preußischen Generalsynode 1846. König Friedrich Wilhelm IV. richtete am 28. Januar 1848 ein Oberkonsistorium ein, das jedoch von der Märzregierung am 15. April wieder aufgehoben wurde, da der Kultusminister Maximilian von Schwerin-Putzar eine presbyterial-synodale Selbstregierung der Kirche schaffen wollte. Als sich in Preußen im Herbst 1848 wieder die Gegenrevolution durchsetzte, knüpfte der König jedoch an seinen vorherigen Plan an und richtete im Januar 1849 eine „Abteilung für die inneren evangelischen Kirchensachen“ im Kultusministerium ein. Um § 12 der oktroyierten Verfassung vom Dezember 1848 (= § 15 der Verfassung von 1850) zu erfüllen, wonach die evangelische Kirche, „wie jede andere Religionsgesellschaft, … ihre Angelegenheiten selbständig“ ordnet und verwaltet, bestimmte ein königlicher Erlass vom 29. Juni 1850, dass die Abteilung für die inneren evangelischen Kirchensachen aus dem Kultusministerium ausgegliedert und zum Evangelischen Oberkirchenrat umgebildet werden solle.

Geschichte

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Am 11. Juli 1850 nahm die neue Behörde offiziell ihre Tätigkeit auf. Als erster Präsident des EOK fungierte der schlesische Jurist Rudolf von Uechtritz (1803–1863). Die weiteren Räte, darunter die Theologen Daniel Amadeus Neander, Karl Wilhelm Moritz Snethlage, Friedrich Strauß, Ludwig August Bollert und Wilhelm Ross und die Juristen Friedrich Julius Stahl, Heinrich von Mühler und Ämilius Ludwig Richter waren jedoch auch weiterhin ebenfalls im Ministerium selbst tätig. Alle Mitglieder des EOK wurden vom König ernannt und waren ihm verantwortlich, so dass der Verfassungsrechtler Ernst Rudolf Huber dessen Errichtung als „Verstärkung des autorität-behörden-kirchlichen Moments im preußischen Protestantismus“ und „Aufrichtung des kirchlichen Absolutismus“ beurteilte.[2]

Karl Immanuel Nitzsch, der 1852 in den EOK eingetreten war, erreichte, dass von den Bestrebungen zur Zurückdrängung der Union Abstand genommen wurde.[3] Ansonsten war der EOK unter von Uechtritz und seinen Nachfolgern ein Instrument des Konservatismus. Erst als Emil Herrmann 1872 die Präsidentschaft übernahm und von Kultusminister Adalbert Falk unterstützt wurde, wurde der EOK zeitweilig zum Förderer des kirchlichen Liberalismus. Mit der Kirchengemeinde- und Synodalordnung von 1873/76 wurde die Kirchenverfassung der östlichen Provinzen Preußens ergänzt. Das Machtzentrum blieb jedoch der EOK, der unter Präsident Ottomar Hermes wieder eindeutig die „kirchlich-positive“ Richtung förderte. Stellvertretend für die anderen Landeskirchen übernahm der EOK seit 1884 auch die Betreuung deutscher Auslandsgemeinden, die schon bislang meist auf preußische Gründungen zurückgegangen waren.

Unter Präsident Friedrich Wilhelm Barkhausen warb der EOK im Auftrag von Kaiser Wilhelm II. 1890 zunächst für ein sozialpolitisches Engagement der Pfarrer, verbot dieselbe Tätigkeit aber 1895 wieder.[4] Nachdem der Vorsitz im 1903 gegründeten Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss dauerhaft mit der Präsidentschaft im EOK verbunden wurde, wuchs dem EOK eine herausragende Bedeutung für den gesamten deutschen Protestantismus zu. Diese behielt er auch in der Weimarer Republik, da der EOK-Präsident auch im Ausschuss des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes den Vorsitz führte. Der EOK arbeitete nach dem Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments 1918 zunächst unverändert weiter und behielt auch weitgehend seine Funktionen, als 1922/24 durch eine neue Kirchenordnung aus der preußischen Landeskirche die Evangelische Kirche der altpreußischen Union wurde. Die eigentliche Kirchenleitung lag nun jedoch beim von der Synode gewählten Kirchensenat.

In der NS-Zeit wurde der EOK wie fast alle kirchlichen Behörden schnell gleichgeschaltet. Als am 8. Juni 1933 der EOK-Präsident Hermann Kapler zurücktrat und Ernst Stoltenhoff zum kommissarischen Nachfolger bestimmt wurde, ohne die vorgeschriebene Bestätigung der Regierung einzuholen, gab dies die Handhabe für die Einsetzung von August Jäger als Staatskommissar in der altpreußischen Kirche.[5] Am 4. August 1933 wurde Ludwig Müller vom Kirchensenat zum Vorsitzenden des EOK gewählt, gab das Amt aber nach seiner Wahl zum Landes- und Reichsbischof Ende September wieder an den schon von Jäger kommissarisch berufenen Friedrich Werner ab.[6] Anfang 1934 usurpierte Müller noch einmal den Vorsitz des EOK, den er eng mit der Kirchenkanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche verzahnte. Nach seiner Entmachtung übernahm Werner im November wieder den Vorsitz im EOK.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Otto Dibelius im August 1945 von einer provisorischen Kirchenleitung zum EOK-Präsidenten berufen.[7] Er konnte aber nicht verhindern, dass die Provinzialkirchen sich verselbständigten und die Kirche der Altpreußischen Union somit zerfiel. Am 30. Juli 1951 wurde der EOK zur Kirchenkanzlei umgebildet. Als Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union (EKU) bestand er von 1953 bis Ende 2003, anschließend als Kirchenkanzlei der Union Evangelischer Kirchen (UEK). Seit Anfang 2007 besteht nur noch eine Amtsstelle im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland in Hannover.

Dienstgebäude

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Eingang zum ehem. altpreußischen EOK, seit 2007 Sitz des Evangelischen Kirchenamts für die Bundeswehr, Berlin.

Die Diensträume des EOK, zunächst provisorisch in der Wohnung des Präsidenten von Uechtritz, waren seit 1855 im zu diesem Zweck gekauften und umgebauten „v. Winterfeldtschen Haus“ in der Köthener Straße 38 (im sogenannten „Geheimratsviertel“) untergebracht. 1910–11 wurde nach Plänen des Architekten Eduard Fürstenau von Adolf Bürckner und Fritz Herrmann ein repräsentativer Neubau in der Jebensstraße 3 (im damals noch selbständigen Charlottenburg, gleich neben dem Bahnhof Zoo) errichtet und im Januar 1912 in Betrieb genommen.

Präsidenten

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Geistliche Vizepräsidenten

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Literatur

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  • Die Entwicklung der evangelischen Landeskirche der älteren preußischen Provinzen seit der Errichtung deß evang. Oberkirchenrats. Berlin 1900 (Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum des EOK).
  • Evangelischer Oberkirchenrat. In: Heinrich Schnee: Deutsches Kolonial-Lexikon. 3 Bände. 1. Auflage. Quelle & Meyer, Leipzig 1920, Band I: A–G, S. 593 (Nachdruck: 2. Auflage. Suppes, Wiesbaden 1996, ISBN 3-9804954-0-X).
  • Oskar Söhngen (Hrsg.): Hundert Jahre Evangelischer Oberkirchenrat der Altpreussischen Union 1850-1950. Wichern-Verlag, Berlin 1950.
  • Wilhelm Hüffmeier, Christa Stache: Jebensstraße 3. Ein Erinnerungsbuch. Union Evangelischer Kirchen in der EKD, Berlin 2006.
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Einzelnachweise

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  1. Instruction, vor das über alle Königliche Lande errichtete Lutherische Ober=Consistorium, de dato Berlin, den 4. Octobr. 1750; abgedruckt in: Corpus Constitutionum Marchicarum, Oder Königl. Preußis. und Churfürstl. Brandenburgische in der Chur- und Marck Brandenburg, auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, Edicta, Mandata, Rescripta etc.: Von Zeiten Friedrichs I. Churfürstens zu Brandenburg, etc. biß ietzo unter der Regierung Friderich Wilhelms, Königs in Preussen etc. ad annum 1736. inclusive. IV. Continuatio, Spalte 291 ff. staatsbibliothek-berlin.de
  2. Deutsche Verfassungsgeschichte. Band 4. S. 836 f.; zitiert nach Hartmut Sander: Die oktroyierte Verfassung und die Errichtung des Evangelischen Oberkirchenrats (1850). In: J. F. Gerhard Goeters, Rudolf Mau (Hrsg.): Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union. Band 1: Die Anfänge der Union unter landesherrlichem Kirchenregiment (1817–1850). Leipzig 1992, S. 402–418, hier S. 418.
  3. Wilhelm H. Neuser: Union und Konfession. In: Joachim Rogge, Gerhard Ruhbach (Hrsg.): Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union. Band 2: Die Verselbständigung der Kirche unter dem königlichen Summepiskopat (1850–1918). Leipzig 1994, S. 29–42.
  4. Vgl. den Abdruck der Erlasse und weiterer Schriftstücke in: Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, III. Abteilung: Wolfgang Ayaß (Bearb.): Ausbau und Differenzierung der Sozialpolitik seit Beginn des Neuen Kurses (1890–1904). 1. Band: Grundfragen der Sozialpolitik. Darmstadt 2016, Nr. 48 Nr. 91–93. Klaus Erich Pollmann: Landesherrliches Kirchenregiment und soziale Frage. Der evangelische Oberkirchenrat der altpreußischen Landeskirche und die sozialpolitische Bewegung der Geistlichen nach 1890. de Gruyter, Berlin / New York 1973 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 44).
  5. Bernhard Karnatz: Über den Rücktritt von Präsident D. Dr. Hermann Kapler. In: Oskar Söhngen: Die erste Phase des Kirchenkampfes: (24. Juni bis einschl. 2. Juli 1933). o. O. 1973. Joachim Mehlhausen: Die Eingriffe des nationalsozialistischen Staates und die Herrschaft der Deutschen Christen (1933–1934). In: Gerhard Besier, Eckhard Lessing (Hrsg.): Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union. Band 3: Trennung von Staat und Kirche. Kirchlich-politische Krisen. Erneuerung kirchlicher Gemeinschaft. (1918–1992). Leipzig 1999, S. 232–263.
  6. Kurt Meier: Der evangelische Kirchenkampf. Band 1: Niemeyer, Berlin, 1976, S. 272 f.
  7. Jürgen Kampmann: Neuorientierung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und Äußere und innere Probleme der Nachkriegsjahre. In: Gerhard Besier, Eckhard Lessing (Hrsg.): Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union. Band 3: Trennung von Staat und Kirche. Kirchlich-politische Krisen. Erneuerung kirchlicher Gemeinschaft (1918–1992). Leipzig 1999, S. 561–603 und 604–649.