Gesetz über digitale Dienste

Verordnung der Europäischen Union über die Stärkung des Verbraucherschutzes bei digitalen Diensten und Produkten

Das Gesetz über digitale Dienste (GdD; englisch Digital Services Act, DSA; französisch Règlement sur les Services Numériques, RSN) ist eine Verordnung der Europäischen Union, die einheitliche europäische Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte schuf.[1] Damit soll die Verbreitung illegaler Inhalte verhindert und Nutzer besser geschützt werden. Es ist gemeinsam mit dem Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act, DMA) Teil eines Gesetzespakets über digitale Dienste in der Europäischen Union.[2]

Flagge der Europäischen Union

Verordnung (EU) 2022/2065

Titel: Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG
Kurztitel: Gesetz über digitale Dienste
Bezeichnung:
(nicht amtlich)
GdD, DSA
Geltungsbereich: EWR
Rechtsmaterie: Wettbewerbsrecht
Grundlage: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere Artikel 116
Verfahrensübersicht: Europäische Kommission
Europäisches Parlament
IPEX Wiki
Inkrafttreten: 16. November 2022
Anzuwenden ab: Artikel 24 Absätze 2, 3 und 6, Artikel 33 Absätze 3 bis 6, Artikel 37 Absatz 7, Artikel 40 Absatz 13 und Kapitel IV Abschnitte 4, 5, und 6: 16. November 2022

sonst: 17. Februar 2024

Umgesetzt durch: Deutschland
Digitale-Dienste-Gesetz
Fundstelle: ABl. L 277 vom 27. Oktober 2022, S. 1–102
Volltext Konsolidierte Fassung (nicht amtlich)
Grundfassung
Regelung ist in Kraft getreten und anwendbar.
Hinweis zur geltenden Fassung von Rechtsakten der Europäischen Union

Die Verordnung aktualisierte den im Jahr 2000 beschlossenen rechtlichen Rahmen für Online-Plattformen in der Europäischen Union und passte ihn an die Gegebenheiten des Plattformkapitalismus an. Dabei sollen einerseits die Grundsätze eines freien Internets berücksichtigt und andererseits geltendes Recht besser durchgesetzt werden.[3][4] Die sich aus dem Gesetz ergebenen Pflichten sind nach Unternehmensgröße gestaffelt.[5] Sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen müssen die Vorschriften seit dem 16. November 2022 befolgen,[6] alle anderen digital agierenden Unternehmen seit dem 17. Februar 2024.

Das Gesetz über digitale Dienste steht im Kontext der politischen Leitlinien der Kommission von der Leyen I.[1] Dabei soll der bestehende Rechtsrahmen der Europäischen Union aktualisiert werden, insbesondere die im Jahr 2000 verabschiedete Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr. Es geht darum, künstliche Intelligenz, Finanzen und digitale Plattformen besser zu regulieren, um Akteuren die Möglichkeit zu geben, innovativ zu sein und zu wachsen und um eine bessere Sicherheit für Internetnutzer zu ermöglichen.

Als Kandidatin für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission schlug Ursula von der Leyen daher „neues Gesetz über digitale Dienstleistungen“ vor. Die EU-Kommission sah insbesondere nach dem Inkrafttreten des deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes Probleme in der Regulierung des digitalen Binnenmarktes, sodass eine gemeinsame Regulierung für die Moderation von strafbaren Inhalten durch Plattformunternehmen geschaffen werden sollte.[7]

Laut Thierry Breton, EU-Kommissar für den Binnenmarkt, werde „das Internet in vielen Fällen als ein rechtsfreier Raum missverstanden.“[8] Es gehe bei dem Gesetz darum, dass Europa die Kontrolle über die digitalen Plattformen zurückgewinnt. „Das EU-Parlament und die Kommission machen die Regeln“, sagte der Franzose. „Es wird hier eine Gerichtsbarkeit geben, einen Richter.“[8] Wenn sich ein Unternehmen nicht an die Regeln halte, werden es „bis zu zehn Prozent der Umsätze als Strafe abgeben müssen“. Das Prinzip des Gesetzes sei dabei einfach: „Sachen, die man in echt nicht sagen darf, darf man auch im Netz nicht sagen.“ Niemand habe das Recht, zu beleidigen, Antisemitismus, Kinderpornografie, oder Todesdrohungen zu verbreiten oder Drogen zu verkaufen, alle illegalen Inhalte müssen entfernt werden. Breton forderte deshalb „die gleichen Strafen, ob online oder auf der Straße“.[8][9]

Das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte sind die beiden Bestandteile eines Gesetzespaketes „Digitale Dienste“, zur Regulierung des digitalen Raums in Europa.[2]

Verfahren

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Das Gesetz über digitale Dienste wurde von der Europäischen Kommission im Dezember 2020 zusammen mit dem Gesetz über digitale Märkte vorgeschlagen.[10] Beide Verordnungen wurden von Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission und verantwortlich für die Förderung eines Europas im digitalen Zeitalter, und von Thierry Breton, dem EU-Kommissar für Binnenmarkt, ausgearbeitet. Beide sind Mitglieder der Kommission von der Leyen I.

In seinen Sitzungen am 19. und 20. Januar 2022 beschloss das Europäische Parlament den Bericht zum Vorschlag für ein Gesetz über digitale Dienste.[11][12][13] Der angenommene Bericht[14] wurde im Trilog zwischen Parlament und Rat verhandelt.[15] Am 23. April 2022 teilten die Berichterstatter von Parlament[16] und Rat[17] unter Beteiligung der Kommission[18][19] die politische Einigung über die Inhalte des Entwurfs mit. Im nächsten Schritt wurde das Dossier von Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz für das Parlament und dem Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten für den Rat zur endgültigen Beschlussfassung durch die Gremien vorbereitet.[20][21]

Die Verordnung wurde von der neunten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments und dem Europäischen Rat am 4. Oktober 2022 endgültig angenommen.[22] Die „sehr großen“ Online-Plattformen und Suchmaschinen wie Facebook, Wikipedia oder Google Search müssen einige Vorschriften bereits ab November 2022 befolgen.[23] Seit dem 17. Februar 2024 gilt die Verordnung für alle digitalen Akteure.[24]

Das Ziel des Gesetzes über digitale Dienste ist „durch die Festlegung harmonisierter Vorschriften für ein sicheres, vorhersehbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld, in dem Innovationen gefördert und die in der Charta verankerten Grundrechte, darunter der Grundsatz des Verbraucherschutzes, wirksam geschützt werden, einen Beitrag zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts für Vermittlungsdienste zu leisten.“[25]

Die EU-Kommission verfolgt nach eigenen Angaben mit der Verordnung primär drei Ziele:[26]

  • Besserer Schutz der Verbraucher und ihrer Grundrechte im Internet,
  • Schaffung eines leistungsfähigen bzw. klaren Transparenz- und Rechenschaftsrahmens für Online-Plattformen,
  • Förderung von Innovation, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit im Binnenmarkt.

Die Verordnung enthält zudem Vorschriften für vermittelnde Online-Dienste, die von Menschen in Europa genutzt werden. Die Pflichten der Online-Unternehmen variieren je nach Rolle, Größe und Auswirkung im Online-Umfeld.[26]

Definition der Vermittlungsdienste

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Das Gesetz über digitale Dienste besteht aus der Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG. Ein zentraler Rechtsbegriff ist dabei der sogenannte Vermittungsdienst:[25]

(1) Diese Verordnung gilt für Vermittlungsdienste, die für Nutzer mit Niederlassungsort oder Sitz in der Union angeboten werden, ungeachtet des Niederlassungsortes des Anbieters dieser Vermittlungsdienste.

Vermittlungsdienste bietet ein Unternehmen dann an, wenn es eine von 3 möglichen digitalen Dienstleistungen anbietet:[25]

  1. reine Durchleitung: von einem Nutzer bereitgestellte Informationen werden in einem Kommunikationsnetz übermittelt oder es wird Zugang zu einem Kommunikationsnetz vermittelt
  2. Caching-Leistung: von einem Nutzer bereitgestellte Informationen in einem Kommunikationsnetz werden übermittelt, wobei eine automatische, zeitlich begrenzte Zwischenspeicherung dieser Informationen zu dem alleinigen Zweck erfolgt, die Übermittlung der Information an andere Nutzer auf deren Anfrage effizienter zu gestalten
  3. Hosting-Dienst: von einem Nutzer bereitgestellte Informationen werden in dessen Auftrag gespeichert

Für jede dieser drei Dienstleistungen legt die Verordnung klare Regeln bezüglich Haftung und Auflagen fest, die von den betreffenden Unternehmen eingehalten werden müssen.

Anforderungen an Online-Plattformen

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Nach den neuen Vorschriften müssen Vermittlungsdienste, d. h. Online-Plattformen – wie soziale Medien und Marktplätze – Maßnahmen ergreifen, um ihre Nutzer vor illegalen Inhalten, Waren und Dienstleistungen zu schützen:[20][21]

  • Die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten werden Zugang zu den Algorithmen sehr großer Online-Plattformen (englisch Very Large Online Platform) erhalten.
  • Plattformen müssen ein klareres „Melde- und Aktions“-Verfahren bereitstellen, bei dem die Nutzer die Möglichkeit haben, illegale Inhalte online zu melden; Meldungen von Nutzern müssen von den Plattformen zügig bearbeitet werden. Die Melder müssen über das Ergebnis informiert werden.
  • Meldungen müssen nicht-willkürlich und diskriminierungsfrei und unter Wahrung der Grundrechte, einschließlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Datenschutzes, bearbeitet werden.
  • Online-Marktplätze müssen dafür sorgen, dass Verbraucher sichere Produkte oder Dienstleistungen online erwerben können, indem sie die Kontrollen verstärken, um nachzuweisen, dass die von Händlern gemachten Angaben zuverlässig sind („Kenne deinen Geschäftskunden“), und Anstrengungen unternehmen, um zu verhindern, dass illegale Inhalte auf ihren Plattformen erscheinen, auch durch Stichproben.
  • Nicht einvernehmlich weitergegebene illegale Inhalte sollen sofort aus dem Verkehr gezogen werden.
  • Online-Plattformen und Suchmaschinen können mit Geldbußen von bis zu 6 % ihres weltweiten Umsatzes belegt werden. Im Falle sehr großer Online-Plattformen (mit mehr als 45 Millionen Nutzern) wird die EU-Kommission die alleinige Befugnis haben, die Einhaltung der Vorschriften zu verlangen.

Pflichten gegenüber Nutzern

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  • Nutzer müssen besser darüber informiert werden, wie ihnen Inhalte empfohlen werden, und es muss mindestens eine Option dazu angeboten werden, die nicht auf Profiling basiert.
  • Zielgerichtete Werbung ist verboten, wenn sie auf besondere Kategorien personenbezogener Daten zielt (z. B. politische Überzeugung, sexuelle Ausrichtung, Religion oder ethnische Herkunft).
  • Plattformen, die Minderjährige als Zielgruppe haben, müssen besondere Maßnahmen zu deren Schutz ergreifen, u. a. durch ein vollständiges Verbot zielgerichteter Werbung.
  • Dark Patterns werden verboten. Online-Plattformen und -Märkte dürfen niemanden dazu bringen, ihre Dienste zu nutzen, indem sie z. B. eine bestimmte Wahlmöglichkeit stärker hervorheben oder Empfänger durch störende Pop-ups dazu drängen, ihre Wahl zu ändern. Außerdem sollte die Kündigung eines Abonnements für einen Dienst nicht schwieriger sein als das Abonnieren.
  • Nutzer digitaler Dienste werden das Recht haben, Entschädigung für Schäden oder Verluste zu verlangen, die sie aufgrund von Verstößen durch Plattformen erlitten haben.[20][21]

Pflichten bezogen auf Inhalte

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Sehr große Online-Plattformen werden strengere Verpflichtungen erfüllen müssen, die in einem angemessenen Verhältnis zu den erheblichen gesellschaftlichen Risiken stehen, die von ihnen ausgehen, wenn sie illegale und „schädliche“ Inhalte (harmful content), einschließlich Desinformationen, verbreiten:[20][21]

  • Sehr große Online-Plattformen müssen systemische Risiken bewerten und abmildern und sich jedes Jahr unabhängigen Prüfungen unterziehen. Darüber hinaus müssen große Plattformen, die so genannte „Empfehlungssysteme“ (Algorithmen, die bestimmen, was die Nutzer zu sehen bekommen) verwenden, mindestens eine Option anbieten, die nicht auf Profiling basiert
  • Wenn eine Krise eintritt, d. h. wenn außergewöhnliche Umstände die öffentliche Sicherheit oder die Gesundheit bedrohen „können“,[27] kann die Kommission von sehr großen Plattformen verlangen, die Beförderung der Bedrohung auf ihren Plattformen zu begrenzen. Diese besonderen Maßnahmen sind auf drei Monate begrenzt.

Durchsetzung

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Gemäß Artikel 24 (2) der Verordnung veröffentlichen die Anbieter für jede Online-Plattform oder Online-Suchmaschine auf einer öffentlich zugänglichen Seite Informationen über den monatlichen Durchschnitt der aktiven Nutzer des Dienstes in der Union, der als Durchschnitt der letzten sechs Monate berechnet wird. Die erste Veröffentlichung wurde für den 17. Februar 2023 erwartet und muss alle sechs Monate aktualisiert werden.[25]

Die Anbieter von Online-Plattformen oder Online-Suchmaschinen sind verpflichtet, diese Informationen dem Koordinator für digitale Dienste im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung und der Europäischen Kommission mitzuteilen.

Auf der Grundlage der vorgelegten Informationen erlässt die Kommission dann eine Entscheidung, in der sie die Online-Plattform oder Online-Suchmaschine, deren durchschnittliche monatliche Zahl der aktiven Nutzer des Dienstes 45 Millionen oder mehr beträgt, als sehr große Online-Plattform oder sehr große Online-Suchmaschine im Sinne der Verordnung bezeichnet.

Unternehmen

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Gemäß Artikel 24(2) wurden im April 2023 erstmals 17 Online-Plattformen und zwei Online-Suchmaschinen als sehr große Online-Plattform oder sehr große Online-Suchmaschine von der EU-Kommission eingestuft,[28] davon allein 13 Internet-Plattformen bzw. -Suchmaschinen, die zu Big Tech-Konzernen nach der Definition der Bundesbank[29] gehören.

Nach der Veröffentlichung der ersten Zahlen kritisierte die Europäische Kommission durch ihren Sprecher, dass einige Plattformen keine präzisen Nutzerzahlen mitteilten, sondern ausschließlich angaben, ob sie unter der Schwelle von 45 Millionen Nutzern lagen oder nicht.[30]

Hinzu kommt, dass mitunter einzelne Unternehmen, wie nach Einschätzung der EU per August 2024 z. B. Telegram,[31] unzutreffende Angaben in diesem Kontext machen, um sich dadurch den EU-Auflagen zu entziehen.

Stand August 2024 waren folgende sehr große Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen aufgelistet:[32]

Sehr große Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen in der Europäischen Union
Unternehmen Nutzerzahl
(Millionen pro Monat)
Alibaba AliExpress 104.3
Amazon Store 181.3
Apple AppStore 123
Bing 119
Booking.com über 45
Facebook 259
Google Maps 275.6
Google Play 284.6
Google Search 364
Google Shopping 70.8
Instagram 259
LinkedIn 45.2 (Eingeloggte aktive Benutzer)

132.5 (Ausgeloggte Website-Besuche)

Pinterest 124
Pornhub über 45
Shein 108
Snapchat 102
Stripchat über 45
Temu 75
TikTok 135.9
Wikipedia 151.1
X 115.1
XNXX 45
XVideos 160
YouTube 416.6
Zalando 74.5 (Monatlicher Durchschnitt im Einzelhandel)

26,8 (Monatsdurchschnitt für Inhalte Dritter)

Die Bürgerrechtsbewegung European Digital Rights meldete in einer Pressemeldung[33] substanzielle Bedenken an und beurteilte den Vorschlag als Gefahr für die Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit.

Abgeordnete der Piratenpartei bemängelten, dass sich mit dem Gesetzesvorschlag Industrieinteressen gegenüber digitalen Bürgerrechten durchgesetzt hätten.[34]

Der deutsche Literatur- und Medienwissenschaftler Roberto Simanowski sieht in dem Gesetz Tendenzen zu einer illiberalen Demokratie, die durch neue Ausschlusskriterien in den sozialen Medien die Demokratie verteidigen will. Die sozialen Medien, die zunächst als Demokratieverstärker gefeiert wurden, würden immer mehr als Gefahr für die Demokratie wahrgenommen. Kritiker würden zu Recht, wie schon im Falle des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, durch das proaktive algorithmische Overblocking einen Angriff auf die Meinungsfreiheit fürchten.[35]

Als der EU-Kommissar Thierry Breton nach den Unruhen in Frankreich im Sommer 2023 ankündigte, auf Grundlage des GdD soziale Netzwerke notfalls abzuschalten, sei ein „Aufschrei durch die europäische Zivilgesellschaft“ gegangen, da solche Maßnahmen eher aus autoritären Staaten als aus Demokratien bekannt seien, meinte Tomas Rudl vom Blog netzpolitik.org.[36]

Nach Artikel 34 des DSA sollen Plattformbetreiber nicht nur rechtswidrige Inhalte entfernen, sondern auch kritische und nachteilige Einträge überprüfen. In einem Kommentar vom Februar 2024 sah der pensionierte Richter und ehemalige Corona-Maßnahmen-Kritiker[37] Manfred Kölsch derartige Regelungen als Beleg für die demokratiefeindlichen Hintergründe, mit denen die EU-Kommission das DSA vorangetrieben hatte. Weiter stellte er fest, dass die vorgeschriebenen nationalen Koordinatoren gegenüber der europäischen EU-Kommission weisungsgebunden sind und damit Verantwortung von der Länder- und Bundesebene an die EU abgegeben wird. Der Staat überlasse Eingriffe in die Meinungs- und Informationsfreiheit, die er selbst nicht durchführen dürfte, Dritten wie etwa zivilgesellschaftlichen Hinweisgebern und Plattformbetreibern. Die Brisanz des DSA, so Kölsch, sei für den Bürger wegen dessen Umfang und der Komplexität nicht unmittelbar erkennbar. Die Gefahr für die demokratischen Grundrechte durch das DSA werde sich nur schleichend bemerkbar machen und sei professionell hinter einer rechtsstaatlichen Fassade versteckt.[38]

Der Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner kommentierte, „wenn man später einmal den Niedergang der Meinungsfreiheit in Deutschland und den Einstieg in den Zensurstaat rekonstruieren will“, werde dem Leitfaden der Bundesnetzagentur für die zertifizierten Meldestellen (den sogenannten Trusted Flaggern, welche etwaige Verstöße prüfen und diese Plattformbetreibern melden)[39] „die Rolle eines Schlüsseldokuments zukommen“.[40]

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Einzelnachweise

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  1. a b Ursula von der Leyen: Eine Union, die mehr erreichen will – Meine Agenda für Europa. (PDF) Politische Leitlinien für die künftige Europäische Kommission 2019-2024. Europäische Kommission, 2019, S. 16, abgerufen am 15. Dezember 2020: „Mit einem neuen Gesetz über digitale Dienste müssen bessere Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen, Dienste und Produkte geschaffen und der digitale Binnenmarkt vollendet werden.“
  2. a b Das Digital Services Act Paket | Gestaltung der digitalen Zukunft Europas. 12. Juli 2024, abgerufen am 15. Juli 2024.
  3. The Digital Services Act package. In: digital-strategy.ec.europa.eu. Europäische Kommission, 26. April 2021, abgerufen am 30. Juni 2021 (englisch).
  4. Stefan Krempl: Digital Services Act: Rechtliches Betriebssystem gegen das wilde Netz. In: heise online. 16. Dezember 2020, abgerufen am 18. Januar 2021.
  5. LoschelderLeisenberg: Digital Services Act (DSA) – das müssen Sie nun unternehmen! In: Loschelder Leisenberg Rechtsanwälte. 5. Oktober 2023, abgerufen am 5. Oktober 2023.
  6. Für ein besseres Internet: Das Gesetz über die digitalen Dienste (DSA) tritt heute in Kraft. Abgerufen am 6. September 2023.
  7. Eike Kühl: Digital Services Act: Das neue Grundgesetz für Onlinedienste. In: Zeit online. 14. Dezember 2020, abgerufen am 15. Dezember 2020.
  8. a b c Ivana Sokola, KNA Katholische Nachrichten-Agentur KNA: Meta: EU-Kommissar warnt Facebook vor Strafe in Milliardenhöhe. In: Die Zeit. 26. Januar 2022, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 15. Juli 2024]).
  9. Thierry Breton : « Dans bien des cas, l’espace numérique est une zone de non-droit ». In: Le Monde.fr. 22. Oktober 2020 (französisch, lemonde.fr [abgerufen am 15. Juli 2024]).
  10. Das Digital Services Act Paket | Gestaltung der digitalen Zukunft Europas. 12. Juli 2024, abgerufen am 19. Juli 2024.
  11. Christel Schaldemose: Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG. (A9-0356/2021). In: europarl.europa.eu. Europäisches Parlament, 20. Dezember 2021, abgerufen am 20. Januar 2022 (bulgarisch, spanisch, tschechisch, dänisch, deutsch, estnisch, griechisch, englisch, französisch, irisch, kroatisch, italienisch, lettisch, litauisch, ungarisch, maltesisch, niederländisch, polnisch, portugiesisch, rumänisch, slowakisch, slowenisch, finnisch, schwedisch).
  12. Protokoll – Ergebnis der namentlichen Abstimmungen – Anlage. (PDF; 1,3 MB) 19. Januar 2022. In: europarl.europa.eu. Europäisches Parlament, 19. Januar 2022, abgerufen am 11. Februar 2022.
  13. Protokoll – Ergebnis der namentlichen Abstimmungen – Anlage. (PDF) 20. Januar 2022. In: europarl.europa.eu. Europäisches Parlament, 20. Januar 2022, abgerufen am 21. Januar 2022 (französisch).
  14. Abänderungen des Europäischen Parlaments vom 20. Januar 2022 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Binnenmarkt für digitale Dienste (Gesetz über digitale Dienste) und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG (COM(2020)0825 – C9-0418/2020 – 2020/0361(COD)). (P9_TA(2022)0014). In: europarl.europa.eu. Europäisches Parlament, 20. Januar 2022, abgerufen am 21. Januar 2022.
  15. Ingo Dachwitz: Wie die Datenindustrie ein Verbot von Überwachungswerbung verhinderte. In: netzpolitik.org. 20. Januar 2022, abgerufen am 21. Januar 2022.
  16. Christel Schaldemose: auf Twitter. In: twitter.com. 23. April 2022, abgerufen am 25. April 2022 (englisch): „We have a deal on the #DSA! Better online rights for citizens, democratic control over algorithms and disinformation and a ban on targeted ads towards minors. A global golden standard. Great teamwork – proud!“
  17. Französische EU-Ratspräsidentschaft 2022: auf Twitter. In: twitter.com. 23. April 2022, abgerufen am 25. April 2022 (französisch): „‼️ACCORD‼️ Accord provisoire entre le @EUCouncil et le @Europarl_EN sur la loi sur les services numériques #DSA. Un texte essentiel pour mieux protéger l’espace en ligne et lutter contre la diffusion de contenus illicites tout en garantissant les droits fondamentaux. #PFUE2022“
  18. Margrethe Vestager: auf Twitter. In: twitter.com. 23. April 2022, abgerufen am 25. April 2022 (englisch): „Ta da! 16 hours, lots of sweets (but cookies still declined ;) We have a deal on the #DSA: The Digital Services Act will make sure that what is illegal offline is also seen & dealt with as illegal online – not as a slogan, as reality! And always protecting freedom of expression!“
  19. Thierry Breton: auf Twitter. In: twitter.com. 23. April 2022, abgerufen am 25. April 2022 (englisch): „Yes, we have a deal! With the #DSA, the time of big online platforms behaving like they are “too big to care” is coming to an end. A major milestone for 🇪🇺citizens. Congratulations to the European Parliament & Council and thank you to the great EU team working countless hours!“
  20. a b c d Yasmina Yakimova, Inga Höglund: Digital Services Act: agreement for a transparent and safe online environment. In: europarl.europa.eu. Europäisches Parlament, 23. April 2022, abgerufen am 25. April 2022 (englisch).
  21. a b c d Arianne Sikken: Digital Services Act: Council and European Parliament provisional agreement for making the internet a safer space for European citizens. In: consilium.europa.eu. Rat der Europäischen Union, 23. April 2022, abgerufen am 25. April 2022 (englisch).
  22. Gesetz über digitale Dienste: Rat erteilt endgültige Zustimmung zum Schutz der Nutzerrechte im Internet. 4. Oktober 2022, abgerufen am 19. Juli 2024.
  23. Gesetz über digitale Dienste. Zusammenfassung der Gesetzgebung. In: EUR-Lex. Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, abgerufen am 19. Juli 2024.
  24. DSA: Gesetz gegen illegale Inhalte im Internet. Bundesregierung, 14. Mai 2024, abgerufen am 19. Juli 2024.
  25. a b c d Verordnung (EU) 2022/2065 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Oktober 2022 über einen Binnenmarkt für digitale Dienste und zur Änderung der Richtlinie 2000/31/EG (Gesetz über digitale Dienste), abgerufen am 15. Juli 2024
  26. a b Europäische Kommission: Gesetz über digitale Dienste: mehr Sicherheit und Verantwortung im Online-Umfeld. In: Europäische Kommission. Europäische Kommission, 15. Dezember 2021, abgerufen am 1. Dezember 2021.
  27. Art. 36 Abs. 2 des Gesetzes über digitale Dienste
  28. Gesetz über digitale Dienste: Kommission benennt erstmals sehr große Online-Plattformen und Suchmaschinen. Pressemitteilung. Europäische Kommission, 25. April 2023, abgerufen am 19. Juli 2024.
  29. 2. BigTech-Plattformen und ihre Besonderheiten. In: bundesbank.de. Abgerufen am 25. Juli 2024.
  30. Tweet. Abgerufen am 19. Juli 2024.
  31. Telegram soll wahre Nutzeranzahl verschleiern. In: Golem.de. 30. August 2024, abgerufen am 1. September 2024.
  32. Überwachung der benannten sehr großen Online-Plattformen und Suchmaschinen im Rahmen des Gesetzes über digitale Dienste. 16. August 2024, abgerufen am 25. August 2024.
  33. EDRi: On new crisis response mechanism and other last minute additions to the DSA. (PDF) EDRi, 12. April 2022, abgerufen am 26. April 2022 (englisch).
  34. Christoph G. Schmutz: Schluss mit dem Wilden Westen im Internet: Die EU einigt sich auf das Gesetz zu digitalen Diensten. In: NZZ. 23. April 2022, abgerufen am 26. April 2022.
  35. Roberto Simanowski: Das Virus und das Digitale. Wien 2021, S. 75 ff.
  36. https://netzpolitik.org/2023/digital-services-act-eu-kommissar-haelt-an-lizenz-zum-abklemmen-sozialer-netze-fest/
  37. Philippe Debionne: Wegen Corona-Maßnahmen: Ehemaliger Richter gibt Bundesverdienstkreuz zurück. In: Berliner Zeitung. 7. Mai 2021, abgerufen am 17. Mai 2024.
  38. Manfred Kölsch: Die Meinungsfreiheit stirbt hinter schönen Fassaden. In: Cicero. 16. Februar 2024, abgerufen am 25. August 2024.
  39. Pascal Siggelkow und Nils Altland: Aufregung um Bundesnetzagentur: Was ist die Aufgabe von Trusted Flaggern in sozialen Netzwerken? In: tagesschau.de. 14. Oktober 2024, abgerufen am 14. Oktober 2024.
  40. Beatrice Achterberg: Meinungsfreiheit adé? Verfassungsrechtler schiesst gegen Leitfaden einer deutschen Behörde. In: Neue Zürcher Zeitung. 13. Oktober 2024, ISSN 0376-6829 (nzz.ch [abgerufen am 14. Oktober 2024]).