Inge Berner

jüdische deutsche Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus

Inge Berner (auch: Ingeborg Gerson, geboren am 27. April 1922 in Berlin; gestorben am 10. Juni 2012 in den USA) war eine jüdische deutsche Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Als Mitglied einer Frauen-Widerstandsgruppe wurde sie zum Tode verurteilt, überlebte aber Gefängnis und Zwangsarbeit im Konzentrationslager und wanderte 1949 in die Vereinigten Staaten aus. Ihre Familie wurde 1942 im KZ Auschwitz ermordet.

Inge Berner mit Marianne (Prager) Joachim
Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, Washington, D.C., USA

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Inge (Ingeborg) Gerson kam am 27. April 1922 in Berlin als Tochter von Bruno Gerson, einem Kaufmann, und der Hausfrau Flora Opprower zur Welt. Inges jüngerer Bruder Herbert wurde 1926 geboren. Die Familie lebte in der ehemaligen Wallner-Theater-Straße 24 in Berlin.[1]

Widerstand

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Denkmal für die Mitglieder der Herbert-Baum-Gruppe in Berlin

Inge Gerson war bis 1940 aktives Mitglied der Herbert-Baum-Gruppe, einer geheimen antifaschistisch-kommunistischen Widerstandsgruppe, die überwiegend aus jüdischen Jugendlichen bestand. Zwei Schulfreundinnen von Inge, Marianne Joachim und Charlotte Arpadi Baum, gehörten ebenfalls zur Gruppe.[2] Ein zeitgenössisches Foto zeigt Gerson mit Marianne Joachim, in eleganter Kleidung beieinander stehend.[3]

Als die Herbert-Baum-Gruppe 1942 einen Brandanschlag auf die NS-Propagandaausstellung „Das Sowjet- Paradies“ verübte, wurde sie enttarnt. Fast alle Mitglieder wurden hingerichtet oder ins Konzentrationslager (KZ) deportiert.[1] Inges Freundin Marianne Joachim wurde 1943 im Gefängnis Plötzensee hingerichtet.[1] Schon vor diesem Zeitpunkt hatte Gerson die Gruppe allerdings wegen ideologischer Differenzen verlassen.[4]

Im April 1941 wurde Inge Gerson zur Zwangsarbeit bei der F. Butzke Schrauben-Industrie und Fassondreherei GmbH in der Brandenburgstraße 74–75 am Moritzplatz verpflichtet.[5][6] Dort lernte sie die ebenfalls jüdische Zwangsarbeiterin Eva Mamlok kennen, die eine geheime antifaschistische Frauen- und Mädchen-Widerstandsgruppe leitete.[6] Die Mitglieder kamen hauptsächlich aus der verbotenen Sozialistischen Arbeiter-Jugend.[6] Die jungen Frauen setzten sich mit subversiven Aktionen gegen das NS-Regime zur Wehr: Sie verteilten Flugblätter gegen den Krieg, verbreiteten verbotene Literatur und schrieben Parolen an Hauswände.[7] Gerson schloss sich der Gruppe an und beteiligte sich an den Widerstandsaktionen.[8][5]

Verhaftung und Deportation

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Plakat zur Austellung „Gruppe Eva Mamlok“ 2024 im Museum Friedrichshain-Kreuzberg

Am 30. September 1941 wurden drei Frauen aus der Widerstandsgruppe – Eva Mamlok, Inge Gerson und Inge Lewinsohn – beim Weitergeben verbotener Bücher denunziert, verhaftet und ins Gefängnis eingeliefert.[6] Ein NS-Gericht verurteilt sie wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode.[6]

Aufgrund nicht endgültig geklärter Umstände wurde die Todesurteile jedoch in lebenslängliche KZ-Haftstrafen abgewandelt.[5] Gerson schrieb in ihren Aufzeichnungen, ein nichtjüdischer Onkel habe sich für die jungen Frauen eingesetzt.[6] Nach einer anderen Quelle war es Inges Mutter gelungen, einen Beamten zu bestechen.[4]

Mit dreimonatiger Verzögerung, bedingt durch eine Typhusepidemie im Gefängnis, wurden die Frauen am 13. Januar 1942 mit dem 8. Osttransport („Welle 8“) in das KZ Riga-Kaiserwald in Lettland deportiert.[9][4] Zuvor konnte Inges Mutter ihrer Tochter beim Abtransport heimlich einen Koffer mit Kleidung mitgeben.[6] Nur wenige Monate später, am 29. November 1942, wurde Inges Familie (Flora, Bruno und Herbert Gerson) im Zuge des Holocausts in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet.[10][11][12]

Inge Gerson leistete im KZ Riga-Kaiserwald Zwangsarbeit bis zur Evakuierung des Lagers im August 1944.[4] Um die Jahreswende 1943/44 wurde sie zeitweise in ein KZ-Außenlager in Riga-Mühlgraben verlegt, wo sie Militärkleidung von getöteten Soldaten der östlichen Schlachtfelder instandsetzen musste.[13][14]

Im KZ Riga traf Inge Gerson ihre Freundin Charlotte Arpadi Baum wieder. In ihren späteren Memoiren beschrieb Baum die mörderischen Lagerbedingungen, aber auch, wie es den Freundinnen gelang zu fliehen.[15] Als die Sowjetarmee die Oberhand gegen die NS-Truppen gewann und weiter nach Westen vorrückte, löste die SS im Jahr 1944 das KZ Riga-Kaiserwald auf. Sie ermordete einen Teil der Lagerinsassen und verlegte die noch Arbeitsfähigen, darunter Inge Gerson und Charlotte Arpadi Baum, in das KZ Stutthof bei Danzig. Als kurz darauf Stutthof ebenfalls aufgelöst wurde, gelang Gerson und Arpadi Baum bei einem Todesmarsch die Flucht.[15][4] Eine Zeitlang schlugen sich die Freundinnen im Wald durch, dann wurden sie von sowjetischen Soldaten gerettet. Inge Gerson kehrte nach der Befreiung 1945 nach Berlin zurück.[16]

Weiterleben nach Kriegsende

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Denkmal an das KZ „Riga-Kaiserwald“ und an weitere Gefangene im II. Weltkrieg in Riga (Lettland)

In Berlin lernte Inge Gerson den ehemaligen Berliner Verkäufer Wolf Berner kennen und heiratete ihn am 31. August 1946.[17][4] Berner leitete ein Lager der Vereinten Nationen für Displaced Persons, darunter Überlebende aus Lagern und ehemalige Zwangsarbeiter.[1] Wolf Berner war 1943 nach Auschwitz deportiert worden, wo seine Frau und sein kleiner Sohn ermordet wurden. Er selbst überlebte als Zwangsarbeiter in einem Nebenlager des KZ Dachau.[4]

Nach der Heirat kümmerten sich Inge und Wolf Berner im Rahmen der Nothilfe- und Wiederaufbauverwaltung der Vereinten Nationen (UNRRA) und des American Jewish Joint Distribution Committee, einer Hilfsorganisation US-amerikanischer Juden, gemeinsam um Heimatlose und Entwurzelte. Im August 1949 wanderte das Paar in die USA aus. Ihre Tochter, Rose Berner Nelson, wurde in den Vereinigten Staaten geboren.[1][4] In zweiter Ehe heiratete Inge Berner später Max Brin und nannte sich ab dann „Ingeborg Gerson-Brin“.[18][19]

Zeugenschaft

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Als Zeugin sagte Berner im Kriegsverbrecherprozess gegen den ehemaligen SS-Oberscharführer Heinz Wisner aus, der wegen vielfachen Mordes im KZ Riga-Kaiserwald angeklagt wurde.[20][21] In einem weiteren Prozess gegen Gustav Sorge, einen ehemaligen SS-Hauptscharführer und Leiter eines Außenlagers im KZ Riga-Kaiserwald, berichtete sie, dass dieser sie misshandelt und dabei ihre Hand verkrüppelt hatte.[22]

Berner sprach vielerorts als Zeitzeugin über das Erlebte, gab Interviews und hielt Vorträge.[2] Zeitlebens engagierte sie sich für eine Erinnerung an den Holocaust, besonders im Hinblick auf künftige Generationen. 1999 stellte sie dem United States Holocaust Memorial Museum ihre Fotos und Dokumente zur Verfügung.[4] Bei einem Vortrag an einer Schule fasste sie ihre Lebenserfahrung folgendermaßen zusammen:

„Alles kann dir genommen werden: dein Zuhause, dein Besitz, sogar deine Familie. […] Aber was euch nicht genommen werden kann, ist […] eure Bildung und euer Wissen.“[16]

Inge Berner starb am 10. Juni 2012 in den Vereinigten Staaten.[18]

Literatur

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  • Inge Berner: The Death Sentence. In: The Unfinished Road. Jewish Survivors of Latvia Look Back. Hg. Gertrude Schneider, Bloomsbury Publishing 1991, S. 81–97, ISBN 978-0-275-94093-5.
  • Inge Berner: Interview 31206. Visual History Archive, USC Shoah Foundation, 1997. Tape 3, 00:27:39
  • Charlotte Arpadi Baum: Hate Vanquished, Lives Remembered: A Survivor's Story. Library of the Holocaust 2022, ISBN 978-1882326150. ‎

Einzelnachweise

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  1. a b c d e Collections Search - United States Holocaust Memorial Museum. Abgerufen am 25. November 2024.
  2. a b Inge Berner: The Death Sentence. In: Gertrude Schneider (Hrsg.): The Unfinished Road. Jewish Survivors of Latvia Look Back. Bloomsbury Publishing, 1991, ISBN 0-275-94093-4, S. 81–97.
  3. Foto von Inge Berger und Marianne (Prager) Joachim: Collections Search - United States Holocaust Memorial Museum. Abgerufen am 26. November 2024.
  4. a b c d e f g h i EHRI - Inge Berner papers. Abgerufen am 25. November 2024.
  5. a b c Eva Mamlok | Stolpersteine in Berlin. Abgerufen am 25. November 2024.
  6. a b c d e f g Mitgliederrundbrief 91, August 2024 (PDF): Faschismus und Widerstand in Berlin e.V. (PDF) Aktives Museum, August 2024, abgerufen am 26. November 2024.
  7. Erinnerung an eine Heldin. In: TAZ. 10. Oktober 2011, abgerufen am 27. November 2024.
  8. "Die Gruppe Eva Mamlok" Recherchepräsentation mit Jutta Faehndrich, Miriam Visaczki, Miklas Weber und Alexandra Weltz-Rombach. In: Museumsportal Berlin. Abgerufen am 27. November 2024.
  9. Welle 8 - 8. Osttransport nach Riga, 13.01.1942. In: Arolsen Archives. 2021, abgerufen am 28. November 2024 (englisch).
  10. Gedenkbucheintrag: Flora Gerson. In: Bundesarchiv. Abgerufen am 26. November 2024.
  11. Gedenkbucheintrag: Bruno Gerson. In: Bundesarchiv. Abgerufen am 26. November 2024.
  12. Gedenkbucheintrag: Herbert Gerson. In: Bundesarchiv. Abgerufen am 26. November 2024.
  13. Ingeborg Gerson (später: Berner) – Deportation of Jews from Central Europe to Riga during the Holocaust. In: Todesort Riga. Abgerufen am 27. November 2024 (britisches Englisch).
  14. Sklavenarbeit im Kommando A.B.A. Abgerufen am 27. November 2024.
  15. a b Charlotte Arpadi Baum: Hate Vanquished, Lives Remembered: A Survivor's Story. Library of the Holocaust. 2022, ISBN 978-1-882326-15-0, S. 107–120.
  16. a b United States Holocaust Memorial Museum: How Jewish Holocaust Survivors Celebrated Purim. In: Memory & Action. 3. März 2023, abgerufen am 25. November 2024 (englisch).
  17. Collections "Ingeborg Gerson-Berner". In: Arolsen Archives. Abgerufen am 28. November 2024 (englisch).
  18. a b Inge Berner. In: Geni. 13. Januar 2023, abgerufen am 28. November 2024.
  19. Dokumentenverzeichnis S. 108 von Andrea Rudorff: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland. In: Das KZ Auschwitz und die Zeit der Todesmärsche (Bd. 16). De Gruyter Verlag, abgerufen am 3. Dezember 2024.
  20. Ingeborg Gerson (später: Berner) – Deportation of Jews from Central Europe to Riga during the Holocaust. Abgerufen am 27. November 2024 (britisches Englisch).
  21. A judge sentenced a former Nazi medical orderly at... - UPI Archives. In: UPI. Abgerufen am 27. November 2024 (englisch).
  22. Testimony Inge Berner, Segment 4, Time Stamp 25:30: Visual History Archive. In: USC Shoah Foundation. Abgerufen am 30. November 2024 (amerikanisches Englisch).