Kleinblättrige Stendelwurz

Art der Gattung der Stendelwurzen (Epipactis)

Die Kleinblättrige Stendelwurz (Epipactis microphylla),[1] auch Kleinblättriger Sitter oder Kleinblättrige Sumpfwurz genannt, ist eine Pflanzenart aus der Gattung der Stendelwurze (Epipactis) innerhalb der Familie der Orchideen (Orchidaceae). In Deutschland steht die Orchideenart auf der Roten Liste und wird als "gefährdet" eingestuft.[2]

Kleinblättrige Stendelwurz

Kleinblättrige Stendelwurz (Epipactis microphylla)

Systematik
Familie: Orchideen (Orchidaceae)
Unterfamilie: Epidendroideae
Tribus: Neottieae
Untertribus: Limodorinae
Gattung: Stendelwurzen (Epipactis)
Art: Kleinblättrige Stendelwurz
Wissenschaftlicher Name
Epipactis microphylla
(Ehrh.) Schinz & Thell.

Beschreibung

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Vegetative Merkmale

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Die Kleinblättrige Stendelwurz ist eine ausdauernde krautige Pflanze. Der aufrechte, violett überlaufene Stängel kann bis zu 50 cm hoch werden und ist in der oberen Hälfte dicht graufilzig behaart. Am Grunde des Stängels sitzen Schuppenblätter, welche zur Blütezeit vertrocknen. Darüber befinden sich für die Gattung verhältnismäßig kleine, gekielte Stängelblätter, die oval-lanzettlich und oft rot-violett überlaufen sind. Der locker aufgebaute Blütenstand ist einseitswendig und nimmt etwa ein Drittel der Pflanzenhöhe ein. Sterile Triebe sind bei dieser Art äußerst selten zu finden.[2]

Generative Merkmale

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Blütenstand der Kleinblättrigen Stendelwurz

Die kleinen Blüten sind stark nach Vanille duftend und selten weit geöffnet oder ungeöffnet. Die Tragblätter sind länger als die gestielten Blüten.[2] Die zwittrigen Blüten sind zygomorph und dreizählig. Die Blüten sind blassgrün. Die Petalen sind meist violett überlaufen. Das Epichil ist herzförmig mit kräftiger warziger Schwiele an der Basis und drei weiteren warzenartigen Erhebungen. Bemerkenswert sind die sehr großen Kapselfrüchte. Blütenblätter, Fruchtknoten und Stiel sind außen stark behaart.[2]

Die Kleinblättrige Stendelwurz treibt Ende Mai / Anfang Juni aus, blüht von Mitte Juni bis Ende Juli und die Samen reifen ab Anfang August. Käfer und Ameisen besuchen häufig die Blüten.[2]

Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 40.[3]

Ökologie

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An der Kleinblättrigen Stendelwurz fällt die geringe Größe der Blätter auf. Die Art bezieht einen Teil der für ihren Stoffwechsel benötigten organischen Substanzen durch die Mykorrhiza und ist mykoheterotroph.[4] Die Wurzeln, verglichen mit dem Rhizom, sind sehr fleischig.[2]

Während der Anthese ist die Rostelldrüse zwar funktionsfähig, aber selten in Gebrauch. Die Kleinblättrige Stendelwurz bestäubt sich also überwiegend selbst (fakultative Autogamie).[5]

Verbreitung

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Das Verbreitungsgebiet der Kleinblättrigen Stendelwurz reicht von Europa bis zum Iran.[6] In Europa kommt sie vor in Spanien, Frankreich, Belgien, Deutschland, Italien, Österreich, Polen, in der früheren Tschechoslowakei, im früheren Jugoslawien, in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Griechenland, auf Kreta, Zypern und auf der Krim.[7] In Mitteleuropa ist die Kleinblättrige Stendelwurz insgesamt sehr selten.[8] Ihre Verbreitung konzentriert sich auf den Süden Niedersachsens und Thüringen. Wie alle einheimischen Orchideenarten ist die Kleinblättrige Stendelwurz in Deutschland durch die BArtSchV besonders geschützt.[9]

Die Kleinblättrige Stendelwurz gedeiht vorwiegend in Orchideen-Buchenwäldern (Carici-Fagetum) in Mittelgebirgslagen zwischen 500 und 1000 Metern, seltener auch in Nadelwäldern.[3] Sie steigt in den Alpen kaum über Höhenlagen 1500 Meter auf.[8] Nach Baumann und Künkele hat die Art in den Alpenländern folgende Höhengrenzen: Deutschland 115–870 Meter, Frankreich 0–1600 Meter, Schweiz 350–1300 Meter, Liechtenstein 520–1045 Meter, Österreich 300–820 Meter, Italien 20–1800 Meter, Slowenien 50–670 Meter.[10] In Gesamteuropa sind die Höhengrenzen somit 0 und 1800 Meter.[10] Die Kleinblättrige Stendelwurz gedeiht am besten auf kalkhaltigen oder basenreichen mulldurchsetzten Lehmböden. Die Art verträgt keine volle Sonneneinstrahlung.[8]

Die ökologischen Zeigerwerte nach Landolt & al. 2010 sind in der Schweiz: Feuchtezahl F = 3+w+ (feucht aber stark wechselnd), Lichtzahl L = 2 (schattig), Reaktionszahl R = 4 (neutral bis basisch), Temperaturzahl T = 3+ (unter-montan und ober-kollin), Nährstoffzahl N = 3 (mäßig nährstoffarm bis mäßig nährstoffreich), Kontinentalitätszahl K = 4 (subkontinental).[11]

Taxonomie

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Die Kleinblättrige Stendelwurz wurde 1785 durch Jakob Friedrich Ehrhart als Serapias microphylla in Beiträge zur Naturkunde, und den damit verwandten Wissenschaften, besonders der Botanik, Chemie, Haus- und Landwirthschaft, Arzneigelahrtheit und Apothekerkunst Band 4, S. 42 erstbeschrieben. Die Art wurde 1800 durch Olof Swartz in Kongl. Vetenskaps Academiens Nya Handlingar 1800 S. 232 als Epipactis microphylla (Ehrh.) Sw. in die Gattung Epipactis gestellt.[7]

Literatur

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  • Fritz Füller: Epipactis und Cephalanthera (Orchideen Mitteleuropas, 5. Teil). 4. Auflage (unveränderter Nachdruck der 3. Auflage von 1986). Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben 2005 (Die Neue Brehm-Bücherei, Band 329), ISBN 3-89432-310-8
  • AHO (Hrsg.): Die Orchideen Deutschlands. Verlag AHO Thüringen, Uhlstädt – Kirchhasel 2005, ISBN 3-00-014853-1

Einzelnachweise

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  1. Kleinblättrige Stendelwurz. auf FloraWeb.de
  2. a b c d e f Wolfgang Heinrich, Hermann Voelckel, Helga Dietrich, Rainer Feldmann, Andrea Geithner, Volker Kögler, Peter Rode, Werner Westhus: Thüringens Orchideen. Hrsg.: Arbeitskreis Heimische Orchideen Thüringen e.V. Arbeitskreis Heimische Orchideen Thüringen, Uhlstädt-Kirchhasel 2014, ISBN 978-3-00-047724-9, S. 864.
  3. a b Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. Unter Mitarbeit von Angelika Schwabe und Theo Müller. 8., stark überarbeitete und ergänzte Auflage. Eugen Ulmer, Stuttgart (Hohenheim) 2001, ISBN 3-8001-3131-5, S. 271.
  4. M.A. Selosse, J.-C. Guillaumin: Vom Keimstadium zur adulten Pflanze: Die symbiotischen Pilze der Orchideen. In: Jahresberichte des Naturwissenschaftlichen Vereins Wuppertal. Band 60, 2007, S. 253–273.
  5. Piera Medeghini Bonatti, Elisabetta Sgarbi, Carlo Del Prete: Gynostemium micromorphology and pollination in Epipactis microphylla (Orchidaceae). In: Journal of plant research, Volume 119, 2006, S. 431–437 (ISSN 0918-9440) (doi:10.1007/s10265-006-0001-z).
  6. Epipactis microphylla. In: POWO = Plants of the World Online von Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew: Kew Science, abgerufen am 18. Dezember 2016.
  7. a b World Checklist of Selected Plant Families 2010, The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew. In: Datenblatt Epipactis microphylla In: Euro+Med Plantbase - the information resource for Euro-Mediterranean plant diversity.
  8. a b c Dietmar Aichele, Heinz-Werner Schwegler: Die Blütenpflanzen Mitteleuropas. 2. Auflage. Band 5: Schwanenblumengewächse bis Wasserlinsengewächse. Franckh-Kosmos, Stuttgart 2000, ISBN 3-440-08048-X.
  9. Gerald Parolly: Epipactis. In: Schmeil-Fitschen: Die Flora Deutschlands und angrenzender Länder. 98. Auflage. Verlag Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2024. ISBN 978-3-494-01943-7. S. 185.
  10. a b Helmut Baumann, Siegfried Künkele: Orchidaceae. In: Oskar Sebald u. a.: Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs. 1. Auflage Band 8, Seite 308. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 1998. ISBN 3-8001-3359-8
  11. Epipactis microphylla (Ehrh.) Sw. In: Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora. Abgerufen am 18. März 2021.
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Commons: Kleinblättrige Stendelwurz (Epipactis microphylla) – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Verbreitungskarten:

Regionales: