Kriegsrecht in Südkorea (2024)
Der Präsident Südkoreas, Yoon Suk-yeol, rief am 3. Dezember 2024 Ortszeit das Kriegsrecht in Südkorea aus. In einer nächtlichen Rede warf er der größten Oppositionspartei, der Demokratischen Partei, Sympathien für Nordkorea und „staatsfeindliche Aktivitäten“ vor. Die Erklärung stieß bei der Demokratischen Partei und den Mitgliedern seiner eigenen Partei, Macht der Staatsbürger, auf Widerstand und löste Proteste aus. Nachdem Sicherheitskräfte versucht hatten, die Abstimmung vor Ort zu verhindern, verabschiedete die Nationalversammlung noch in der gleichen Nacht einstimmig einen Antrag zur Aufhebung des Kriegsrechts. Yoon hob das Kriegsrecht umgehend wieder auf.
Hintergrund
BearbeitenYoon Suk-yeol, ein Mitglied der konservativen Partei Macht der Staatsbürger und ehemaliger Generalstaatsanwalt, übernahm nach seinem Sieg bei der Präsidentschaftswahl 2022 das Amt des Präsidenten Südkoreas.[1] Bereits nach kurzer Zeit hatte seine Regierung niedrige Zustimmungswerte. Da in der Nationalversammlung die Opposition die Mehrheit hat, konnte er sein Wahlprogramm nicht durchsetzen. Bei den Parlamentswahlen im April 2024 behielt die Opposition, die von Lee Jae-myung (der bei der Präsidentschaftswahl 2022 knapp gegenüber Yoon Suk-yeol unterlag) angeführt wird, ihre Mehrheit, verfügte aber nicht über die nötige Stimmenanzahl (Zweidrittelmehrheit), um den Präsidenten abzusetzen.[1] Wenn das Kriegsrecht verhängt wird, muss der Präsident die Nationalversammlung unverzüglich benachrichtigen. Das Kriegsrecht kann durch einen Mehrheitsbeschluss der Nationalversammlung aufgehoben werden.[1] Das Kriegsrecht galt letztmalig während des Militärputsches von 1979 nach der Ermordung des Diktators Park Chung-hee, ehe es 1981 aufgehoben wurde.[2]
Nur wenige Stunden später hob er das Kriegsrecht wieder auf, nachdem alle anwesenden Abgeordneten der Nationalversammlung ihn als Präsidenten dazu aufgerufen hatten. Unter den anwesenden 190 von insgesamt 300 Abgeordneten, die einstimmig den Antrag auf Aufhebung des Kriegsrechts ins Parlament eingebracht hatten, waren auch 18 Abgeordnete von Yoons Regierungspartei. Yoon erkannte das Ergebnis der Abstimmung an und beauftragte das Regierungskabinett, das Kriegsrecht wieder aufzuheben.[1][3]
Laut einer Aussage des stellvertretenden Direktors des Nationalen Geheimdienstes (NIS) Hong Jang-won vor der Nationalversammlung befahl Präsident Yoon ihm am 3. Dezember 2024 22:53 Ortszeit telefonisch, mit dem Kommando für Spionageabwehr der Verteidigung (DCC) zusammenzuarbeiten, um seine politischen Gegner zu verhaften. Yoon wollte „diese Gelegenheit nutzen, um sie zu verhaften und auszulöschen“.[4][5][6][7]
Hong sagte aus, dass Generalleutnant Yeo In-hyeong, der Chef des DCC, ihm später eine Liste von Personen gab, die verhaftet werden sollten. Die Liste der Ziele aus Hongs Erinnerung umfasste mehrere Politiker aus der Oppositionsparteien, u. a. den Vorsitzender der Demokratischen Partei und Yoons Kontrahent bei der Präsidentschaftswahl 2022, den Vorsitzenden der Partei des Wiederaufbaus, den Sprecher der Nationalversammlung, den Fraktionsvorsitzenden der Demokratischen Partei, aber auch den Vorsitzenden seiner eigenen Partei.[5]
Der Vorsitzender der Macht der Staatsbürger Han Dong-hoon bestätigte, dass er auf dieser Liste steht und gab an, dass die verhafteten Politiker in einer Haftanstalt in Gwacheon, im Süden Seouls, eingesperrt werden sollten.[4]
Der stellvertretende Direktor Hong weigerte sich, den Befehlen Folge zu leisten, und berief sich auf den Mangel an Ressourcen oder Personal und Mitteln des NIS, um einen solchen Befehl auszuführen. Berichten zufolge reagierte Hong auf die Anweisungen von Generalleutnant Yeo mit der Annahme, der Präsident habe den Verstand verloren und aufgehört, weitere Notizen zu machen. Berichten zufolge skizzierte Yeo Pläne, Ziele der ersten und zweiten Stufe in Phasen zu verhaften, sie in DCC-Einrichtungen zu inhaftieren und Ermittlungen durchzuführen.[5]
Yoon befahl daraufhin, Hong von seinem Posten zu entlassen. Derselbe Bericht deutet darauf hin, dass Hong Befehle erhielt, nachdem der NIS-Direktor Cho Tae-yong sich geweigert hatte, Yoons Verhaftungsliste auszuführen.[8]
Auswirkungen
BearbeitenDurch die Ausrufung des Kriegsrechts kommt es zu Protesten gegen Präsidenten Yoon Suk-yeol, die unter anderem seinen Rücktritt fordern.[9][10][11] Die Opposition beantragte am Folgetag, den 4. Dezember ein Amtsenthebungsverfahren gegen Yoon. Der Antrag erhielt im ersten Anlauf keine Mehrheit.[12][13] Am 5. Dezember 2024 erklärte Verteidigungsminister Kim Yong-hyun öffentlich, dass er es gewesen sei, der die Verantwortung für den Befehl zur Verhängung des Kriegsrechts trage und reichte sein Rücktrittsgesuch ein, das vom Präsidenten Yoon angenommen wurde.[14] Am 8. Dezember 2024 wurde Kim Yong-hyun festgenommen, die südkoreanische Staatsanwaltschaft warf ihm Hochverrat vor.[15] Er versuchte sich daraufhin das Leben zu nehmen.[16]
Han Dong-hoon, der Vorsitzende von Yoons eigener Partei, forderte zunächst dessen Suspendierung.[17] Yoon entschuldigte sich in einer live übertragenen Fernsehansprache beim Volk für das vorübergehende Verhängen des Kriegsrechts.[18] Die für die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens nötige Zweidrittelmehrheit wurde bei Parlamentsabstimmung am 7. Dezember 2024 nicht erreicht, da die Abgeordneten der Gungminui-him nahezu geschlossen die Abstimmung boykottiert hatten.[19] Am 9. Dezember 2024 wurde ein Verbot von Auslandsreisen gegen Präsident Yoon Suk-yeol verhängt. Yoon dürfe derzeit das Land nicht verlassen, teilten Vertreter des Justizministeriums bei einer Anhörung in einem Parlamentsausschuss mit. Grund seien die weiteren Ermittlungen gegen den Präsidenten wegen der kurzzeitigen Verhängung des Kriegsrechts durch Yoon.[20]
Am 14. Dezember 2024 stimmte das Parlament in Seoul im zweiten Anlauf einem entsprechenden Antrag der Opposition für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Yoon Suk-yeol zu. Die dafür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit wurde mit 204 Stimmen der 300 Abgeordneten in der Nationalversammlung erreicht. Das Verfassungsgericht muss nun entscheiden. Ministerpräsident Han Duck Soo hat die präsidialen Amtsgeschäfte übergangsweise übernommen.[21]
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b c d South Korean president declares martial law; parliament votes it down. In: The Washington Post. 3. November 2024, abgerufen am 3. November 2024 (englisch).
- ↑ Alister Bull: Military Rule in South Korea Is Surprising But Nothing New. In: bnnbloomberg.ca. 3. Dezember 2024, abgerufen am 3. Dezember 2024 (englisch).
- ↑ President Yoon Suk Yeol faces impeachment vote after martial law backlash. BBC, 3. Dezember 2024, abgerufen am 6. Dezember 2024 (britisches Englisch).
- ↑ a b South Korea: President Yoon's arrest list included own party leader. Abgerufen am 6. Dezember 2024 (britisches Englisch).
- ↑ a b c The Chosun Daily: NIS deputy names leaders targeted by Yoon after martial law declaration. 6. Dezember 2024, abgerufen am 6. Dezember 2024 (englisch).
- ↑ 홍장원 “尹, 계엄선포 후 ‘이번 기회에 잡아들여, 싹 다 정리’ 지시”. Abgerufen am 6. Dezember 2024.
- ↑ 尹이 체포 지시한 인사엔...김명수·권순일·김민웅 그리고 김어준. Abgerufen am 6. Dezember 2024.
- ↑ The Chosun Daily: Exclusive: “Round everyone up” Yoon ordered the NIS to arrest politicians after martial law declaration. 6. Dezember 2024, abgerufen am 6. Dezember 2024 (englisch).
- ↑ Citizens outside Nat'l Assembly applaud as bill to lift martial law passes. Abgerufen am 6. Dezember 2024.
- ↑ 'Yoon out now': Thousands rally to demand president step down over declaration of martial law. The Korean Times, 4. Dezember 2024, abgerufen am 6. Dezember 2024 (englisch).
- ↑ Yonhap: Anti-Yoon protesters hold candlelight rallies nationwide. 4. Dezember 2024, abgerufen am 6. Dezember 2024 (englisch).
- ↑ Leonardo Pape, Sarah Kohler, AP, Reuters, dpa, AFP: Südkorea: Opposition stellt Antrag auf Amtsenthebung von Präsident Yoon. In: Die Zeit. 4. Dezember 2024, ISSN 0044-2070 (zeit.de [abgerufen am 4. Dezember 2024]).
- ↑ Malte Göbel, Katharina Graça Peters, Sebastian Stoll: Südkorea: Südkorea-News: Die wichtigsten Erkenntnisse aus einer historischen Nacht. In: Der Spiegel. 3. Dezember 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 4. Dezember 2024]).
- ↑ Jochen Stahnke: Südkoreas Verteidigungsminister wird zum Sündenbock. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 6. Dezember 2024, ISSN 0174-4909, S. 7.
- ↑ Ehemaliger Verteidigungsminister wegen Hochverrats verhaftet. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 8. Dezember 2024, abgerufen am 8. Dezember 2024.
- ↑ Südkoreas Ex-Verteidigungsminister Kim Yong-hyun überlebt Suizid-Versuch. In: Der Spiegel. 11. Dezember 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 11. Dezember 2024]).
- ↑ Auch die Regierungspartei in Südkorea rückt vom Präsidenten ab. Abgerufen am 6. Dezember 2024.
- ↑ Tagesschau.de: Südkoreas Präsident bittet um Entschuldigung, 7. Dezember 2024, NDR.
- ↑ Südkorea: Amtsenthebung von Präsident Yoon Suk-yeol gescheitert. In: Der Spiegel. 7. Dezember 2024, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 7. Dezember 2024]).
- ↑ Behörden verbieten Präsident Yoon Ausreise aus Südkorea. 9. Dezember 2024, abgerufen am 9. Dezember 2024.
- ↑ Südkoreas Parlament stimmt für Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Yoon. In: N-tv. n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH, 50679 Köln, 14. Dezember 2024, abgerufen am 14. Dezember 2024.