Locus Felicis

ausgegrabene römischen Siedlung

Locus Felicis ist der Name einer römischen Siedlung auf dem Gebiet des heutigen Österreich, im Bundesland Niederösterreich, Bezirk Amstetten, Gemeinde Mauer-Öhling. Es zählt zu den bedeutendsten antiken Fundstätten in Österreich und ist vor allem durch seine massiven spätantiken Befestigungsanlagen und den Fund des Inventars eines Jupiter-Dolichenus-Tempels überregional bekannt geworden. Die befestigte Siedlung diente vermutlich als Straßenwachtposten, eventuell auch als Nachschubdepot für die Limesgarnisonen und war bis in das frühe Mittelalter durchgehend besiedelt. Sichtbare Überreste sind heute keine mehr vorhanden. Nach neueren Forschungen von Hannsjörg Ubl ist jedoch eine Gleichsetzung von Locus Felicis mit dem Auxiliarkastell in Wallsee wahrscheinlicher.[1]

Mauer bei Amstetten
Alternativname Loco Felicis
Lacufelicis,
Ad Iuvense
Limes Noricum
Abschnitt Strecke 1 Noricum (rückwärtige Linie)
Datierung (Belegung) 2. bis
4. Jahrhundert n. Chr.
Typ Reiter bzw. Kohortenkastell, Nachschubdepot und befestigte Zivilsiedlung
Einheit * Legio X Gemina ?
* Legio II Italica ?
* Legio I Noricorum ?
* Equites Sagittarii
Größe ca. 160 m × 200 m (2,5 ha)
Bauweise a) Holz-Erde-Kastell ?,
b) Steinkastell (mehrphasig)
Erhaltungszustand oberirdisch nicht sichtbar,
NW Seite von der Url abgeschwemmt
Ort Mauer bei Amstetten
Geographische Lage 48° 5′ 44″ N, 14° 47′ 53″ O hf
Vorhergehend Kastell Wallsee (nordwestlich)
Anschließend Kastell Arelape (nordöstlich)
Limes Noricus
Kupferstich vom Grundriss des – irrtümlich als Ad Mauros – bezeichneten Kastells von Mauer an der Url, nach Josef Schaukegel, 1797
Grabungsplan von 1906 bis 1910 nach Max Nistler
Statuette des Jupiter Dolichenus mit Stier und Weihinschrift ihres Stifters, Marrius Ursinus
Statuette der Göttin Juno Regina
Statuette der Siegesgöttin Victoria
Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände
Palmblätterförmige Silbervotive mit Weiheinschriften
Detailskizzen von Eisenwerkzeugen und -geräten aus dem Hortfund
Bronzene Schwurhand
Bronzene Votivtafeln
Bronzene Waagschale
Bronzene Öllampen
Bronzene Glöckchen

Aufgrund der ersten urkundlichen Erwähnung des Ortes in einer Schenkungsurkunde Konrads II. aus dem Jahr 1034, in dem von einem königlichen Freihof an der Url die Rede ist, wurde der Platz in der älteren Forschung zunächst mit dem Kastell Ad Mauros gleichgesetzt.[2] Im Jahr 1111 wird ein Besitzanspruch, „ad Mure“ des Stiftes St. Florian urkundlich bestätigt.[3] In der älteren Forschung wurde der Ort noch als Mauer an der Url bezeichnet, heute ist offiziell der Ortsname Mauer bei Amstetten gebräuchlich. Stefan Groh versuchte in einem 2017 publizierten Aufsatz den Namen des Kastells in Mauer an der Url mit Adiuvense gleichzusetzen und lieferte auf neuesten Forschungen (Georadar, Geomagnetik) basierende stichhaltige Argumente auch hinsichtlich der Baugeschichte des Kastells. Die früher bevorzugt vorgenommene Gleichsetzung von Adiuvense mit Wallsee ist hinfällig geworden, Mauer an der Url kann aber auch nicht das in der Notitia dignitatum genannte Kastell sein, da die Stationierung einer Marineeinheit dort keinen Sinn ergab. Wahrscheinlich ist die Stadt Ybbs/Donau an der Mündung des gleichnamigen Flusses in die Donau dafür der bessere Kandidat.[4][5]

Die Ortschaft Mauer liegt ca. sechs Kilometer südwestlich der Bezirkshauptstadt Amstetten. Die römische Siedlung befand sich zwischen den Ortsteilen Mauer und Öhling, am rechten Ufer der Url, ungefähr zehn Kilometer vom nächstgelegenen Kastell in Wallsee entfernt. An der Mündung der Url in die Ybbs breitet sich eine Beckenlandschaft aus, die im Nordwesten durch die Ausläufer der Strengberge begrenzt wird. Die Siedlung lag direkt an der Vereinigung der beiden Talsohlen. Da die Url seit der Antike ihren Lauf mehrmals geändert hat, wurde im Laufe der Zeit der nordwestliche Bereich des Areals vollkommen abgeschwemmt. Heute ist das Gelände teilweise überbaut oder wird landwirtschaftlich genutzt. In römischer Zeit lag die Siedlung auf dem Gebiet der Provinz Noricum und gehörte verwaltungstechnisch zum Stadtterritorium von Lauriacum.

Forschungsgeschichte

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Das Wissen um die antike Befestigungsanlage war in der örtlichen Bevölkerung nie ganz verloren gegangen, da ihr Areal unter den Flurnamen Gehöft „Burgner“, bzw. „in der Burg“ bekannt war. Nach einer dreibändigen Schrift von Josef Schaukegl, Pater des Stift Seitenstetten, war zumindest die spätantike Umwehrung am Ende des 18. Jahrhunderts (1797) noch relativ gut erhalten. Schaukegl ließ auch einen Kupferstich der Grundrisse – seiner Meinung nach das Lager „Ad Mauros“ – anfertigen (Rudera Fortaliti Romani AD MVROS). Die Mönche des Stiftes gelangten in weiterer Folge in den Besitz noch weiterer römische Funde, darunter die Grabsteinfragmente des Veteranen Aelius Valens (1788) und des Vibius Tocionis (1840), sowie ein weiterer Grabstein, Ziegelstempel und vor allem eine große Anzahl von Münzen, mit denen sie die Sammlung ihres „Archäologischen Kabinetts“ bestückten. Der Fundort galt zur damaligen Zeit – nach Carnuntum – als einer der ergiebigsten in Österreich. Der Geistliche Josef Gaisberger besuchte im frühen 19. Jahrhundert den Ort und berichtete, dass die Mauern um 1825 nach und nach vom Landbesitzer abgebrochen bzw. gesprengt und die Graben- und Wallanlagen dadurch komplett eingeebnet wurden. In geringer Tiefe ließen sich nur noch die Fundamente feststellen. Beim Bestellen der Felder kamen immer wieder Mauerreste, Estriche, Hypokausten, viereckige Hohlziegel (tubuli) und große quadratische Ziegelplatten zum Vorschein.

Die meisten Befunde und Erkenntnisse (Südmauer, Tore) konnten in den ersten, wissenschaftlich begleiteten, Ausgrabungen der Österreichischen Limeskommission (Leitung Max Nistler) zwischen den Jahren 1906 und 1910 gewonnen werden. Bei diesen Kampagnen wurden auch die Grundfesten von mehreren Gebäuden der Innenbebauung freigelegt bzw. angeschnitten. 1910 wurden die Grabungen der Limeskommission aber wieder eingestellt. Wegen moderner Überbauung konnte die SO- und NO-Ecke des antiken Areals nicht mehr erfasst werden. Großes Aufsehen erregte der 1937 von Josef Schicker dokumentierte Verwahrfund an der Südmauer, der neben anderem Metallgerät hauptsächlich Kultgegenstände eines Jupiter-Heiligtums enthielt und in das späte 3. Jahrhundert zu datieren ist (siehe auch weiter unten). 1971 konnte bei Kanalbauarbeiten an der Hauptstraße vom Bundesdenkmalamt (Herma Stiglitz) eine weitere Untersuchung vorgenommen werden. Hier zeigten sich vor allem Bodenverfärbungen, die von kleineren Spitzgräben stammten und als Wehr- und Palisadengräben einer frühen römischen Holz-Erde-Befestigung interpretiert wurden.[6][7]

Entwicklung

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Eduard Polaschek und Rudolf Noll vermuten aufgrund diverser Ziegelstempel, Terra-Sigillata-Keramik (Typ Lezoux und Rheinzabern) und Grabsteinen aus dem späten ersten und frühen 2. Jahrhundert n. Chr. ein Vorgängerkastell in trajanischer bzw. hadrianischer Zeit.[8] Abt Adalbert Dungel vertrat die Ansicht, dass dieses Kastell im Zuge der Markomannenkriege weiter ausgebaut bzw. vergrößert wurde. Nach Auswertung der Baubefunde und vor allem der Münzreihen (bis Theodosius und Arcadius) ist die befestigte Siedlung aber mit ziemlicher Sicherheit erst im 3. Jahrhundert gegründet worden.[9] Die Festung dürfte mehreren schweren Angriffen ausgesetzt gewesen sein. Dachziegel (tegulae) mit Stempeln der Legio I Noricorum und des Dux Ursicinus deuten auf eine Renovierung oder einen Wiederaufbau im 4. Jahrhundert unter Valentinian I. hin. Obwohl sie schon kurz danach wieder weitgehend zerstört worden sein dürfte, konnte Heinrich Zabehlicky eine Siedlungskontinuität bis in das frühe Mittelalter nachweisen.

Die Festung könnte auch als Nachschubbasis für die Limesgarnisonen gedient haben, doch war dies sicher nicht ihre primäre Aufgabe.[10] Da sie an der Hauptverbindungsroute zwischen Lauriacum, Cetium (St. Pölten) und Vindobona lag, muss sie auch eine gewisse strategische Bedeutung besessen haben. Laut Eduard Polaschek sicherte ihre Besatzung eine 10 km von der eigentlichen Grenze entfernte Verteidigungsposition der zweiten Linie, die im Zuge der diokletianisch-konstantinischen Militärreformen eingerichtet wurde (vgl. dazu auch pannonische Binnenkastelle).[11] Die Soldaten überwachten von hier aus vermutlich auch das Limeshinterland zwischen der Mündung der Flüsse Ybbs und Enns, an deren Ufern eine Route in die Alpen und eine Straßenverbindung vom Tal der Url bis in das Flusstal der Steyr führte. Gleichzeitig diente der Stützpunkt wohl auch als Flankenschutz für das Lager Lauriacum, der eine Umgehung des Legionslagers im Osten verhinderte. Vermutlich konnte auch bei schlechten Sichtverhältnissen über diesen Stützpunkt eine optische Verbindung zu den benachbarten Limeskastellen am Donauufer aufgebaut bzw. aufrechterhalten werden.[12]

Holz-Erde-Kastell

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Über die Zeitstellung, Konstruktionsmerkmale und Umfang des Vorgängerbaues – möglicherweise ein Holz-Erde-Kastell – ist nichts bekannt.

Befestigte Siedlung

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In der älteren Forschung vermutete man in den Mauerresten noch ein Kastell, da aber bis dato kein zum Lager gehörender vicus gefunden werden konnte, nimmt man heute stattdessen das Vorhandensein einer befestigten Siedlung an. Sollte tatsächlich ein vicus existiert haben, wird er am Westufer der Url, im Ortsteil Öhling, vermutet.[13] Insgesamt beobachtete man zwei Bauperioden, getrennt durch eine Brandschicht, die aber nicht zeitlich eingeordnet werden konnten. Die Siedlung wurde von einer massiv gebauten Mauer, durchbrochen von mehreren Toranlagen und mit rechteckigen Zwischentürmen, geschützt; mehrere Gebäude im Inneren, deren Funktion nicht eindeutig zu klären war, gehörten vermutlich ebenfalls unterschiedlichen Bauphasen an. Die Umwehrung hatte wohl die Form eines 160 × 200 m messenden, schiefwinkeligen Rechteckes mit abgerundeten Ecken. Dies lässt sich heute aber nicht mehr exakt ermitteln, da – wie bereits erwähnt – der nordwestliche Sektor durch den Fluss komplett abgetragen wurde. Der Flächeninhalt des umwehrten Areals betrug vermutlich 2,5 ha. Aufgedeckt werden konnten die Flankentürme von zwei Toranlagen im Westen und Osten sowie vier in regelmäßigen Abständen in die Südmauer eingebauten Zwischentürmen.

Wehrmauer und Türme

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Max Nistler konnte die südliche Kastellmauer auf einer Länge von 160 m erfassen. Bei den Ausgrabungen der Limeskommission wurde auch ein Teil ihrer vier Meterbreiten Fundamentgrube festgestellt. Im ergrabenen Teil wurden insgesamt vier rechteckige Zwischentürme (I–IV) erkannt, die jeweils 1,5 m über die Mauer vorsprangen. An der Ostseite wurde „nördlich des Ackerfeldes“ ein turmartiger Vorsprung ergraben, möglicherweise ein weiterer, fünfter, Zwischenturm. Ansonsten konnten im Osten und Westen, in den Mauerabschnitten nach den südlichen Ecken, keine Spuren von Türmen mehr festgestellt werden. Max Nistler glaubt, dass hier nie solche Türme gestanden hatten.[14] Südlich der Kastellmauer wurden noch ca. zwölf Meter lange Suchschnitte gezogen, die aber keine vorgelagerten Wehrgräben erkennen ließen.

An der West- und Ostseite wurde je ein Tor entdeckt, das von zwei quadratischen, nach innen angesetzten Türmen flankiert wurde. Das Osttor liegt dem Westtor (hier verliefen die Fundamente der Wehrmauer auch unter der Durchfahrt weiter) fast exakt gegenüber, es ist jedoch ein klein wenig weiter nach Norden verschoben. Die Durchfahrt des Westtores maß 3,45 m, die Maße der Flankentürme betrugen 9,10 m × 9,70 m × 7 m. An der Südseite des nördlichen Torturms konnte eine Mauernische (1,1 m × 2 m) beobachtet werden, deren Funktion – Tür oder Standplatz des Torpostens – umstritten ist. Die Konstruktion des Osttores deckte sich weitestgehend mit der des Westtores, allerdings brachen hier die Fundamente der Wehrmauer an den Tortürmen ab. Im Süden konnte keine Toranlage gefunden werden.[15]

Innenbebauung und Straßenverbindungen

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Im Zuge der Straßenforschungen der Limeskommission von 1906 bis 1910 wurden auch im Innenbereich Ausgrabungen durchgeführt, die zur Freilegung von Gebäuderesten (Mauern, Fundamente, Estriche, Hypokausten, Praefurnien) führten. Trotz Spuren von früheren Vorgängerbauten konnten die von Nestler ausgegrabenen Befunde nur der Spätantike zugeordnet werden. Besonders Münzen und Ziegel stammten überwiegend aus dem 4. Jahrhundert n. Chr.[16] Im Bereich der Nordmauer wurden die Reste eines größeren Gebäudes (H) ergraben. Nördlich einer von West nach Ost verlaufenden Straße wurden die Grundfesten des Gebäudes C, mit Innenhof, (21 × 10 m) freigelegt. Die Reste des noch größeren Gebäude H (Haus des Praefekten?) wurden größtenteils abgeschwemmt. Im östlichen Bereich des Lagerinneren, nördlich der Straße, wurde das Gebäude I mit Portikus ergraben; es wurde durch die heutige, nach Öhling verlaufende Straße stark gestört und vom Ausgräber in eine spätere Bauphase datiert. Daneben konnten noch die Reste von sieben weiteren Gebäuden (A, B, D, E, F, G und K) nachgewiesen werden, die zum Teil mit Hypokaustenheizungen ausgestattet waren. Einige Mauerreste einer späteren Zeitstellung lagen direkt über den Befund der Straße. Südlich der Straße wurden auch Reste eines Bodenestrichs entdeckt. Die 1907 angeschnittene, 3,7 m breite Limesstraße im Inneren des Areals verband das West- mit dem Osttor. Zwischen der Bahnübersetzung und einer Abzweigung nach Öhling wurde 1925 auf dem Grundstück Lechner ein weiteres Stück der aus dem Osttor führenden Limesstraße entdeckt. Ihr Verlauf konnte bis auf eine Länge von einem Kilometer verfolgt werden (Waidhofenerstraße – Westbahn).[17]

Garnison

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Aufgrund des in dieser Hinsicht geringen Forschungsstandes ist die Frage nach der Herkunft der Besatzungstruppen dieses Militärplatzes kaum befriedigend zu lösen. Nach Ausweis der hier aufgefundenen Ziegelstempel könnten hier in wechselnder Abfolge Vexillationen der Legio X Gemina, Legio II Italica und Legio I Noricorum stationiert gewesen sein. Einige Sicherheit gibt es nur für die spätantike Besatzung, laut der Notitia Dignitatum lagen in Lacufelicis Equites Sagittarii, eine Einheit berittener Bogenschützen.[18]

Bevölkerung

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Die Menschen von Locus Felicis lebten wohl in einem eher armselig ausgestatteten, kleinen Militärstützpunkt, an einem zu dieser Zeit sehr unruhigen und gefährlichen Abschnitt der Reichsgrenze. Die nächste größere Stadt, Lauriacum, war bis zu sechs Stunden Fußmarsch entfernt. Nach den wenigen Anhaltspunkten, die man vor allem aus dem Inschriften des Schatzfundes gewinnen konnte (siehe unten), handelte es sich nicht um eine geschlossen indigene, sondern um eine von ihrer Herkunft nach stark durchmischte Siedlergemeinschaft. Neben Leuten aus Noricum (z. B. eine Frau mit dem keltischen Namen Matugena) stammten die meisten Zuwanderer wohl aus dem Süden oder noch weiter entfernteren Provinzen im Osten des Reiches. Zur Oberschicht gehörten zweifellos ein Decurio, Postumus Celer, und ein Veteran, Marius Ursinus, die stellvertretend für die im Ort stationierten Soldaten stehen. Den größten Bevölkerungsanteil bildeten aber wohl kleine Handwerker, Bauern und Tagelöhner. Besonders auffällig ist der hohe Anteil an Frauen, die laut den Votivinschriften sehr aktiv am kulturellen Leben des Ortes teilgenommen haben müssen. Die meisten Funde stammten jedoch auch aus bescheidenen Milieus. Obwohl einige von ihnen offensichtlich importiert worden waren (z. B. Prunksieb, Schnellwaage und Bronzelampe), machen die vielen Reparaturspuren an den Bronzegeschirren und Weihegeschenken deutlich, dass seine Besitzer nur über ein begrenztes Einkommen verfügten und deshalb Neuanschaffungen in dieser Richtung wohl nur selten getätigt werden konnten. Dennoch waren 75 % der Silbervotive des Hortfundes beschriftet, was auf eine schon tiefverwurzelte Romanisierung der örtlichen Bevölkerung schließen lässt.

Hortfund

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Am 8. März 1937 wurde etwa 40 m südlich (Anwesen Josef Geiger) vom mittleren Abschnitt der Kastellmauer in nur geringer Tiefe ein antiker Hortfund entdeckt. Die Sicherstellung erfolgte zwar ohne fachwissenschaftliche Kontrolle, dennoch dürfte der ursprüngliche Gesamtbestand weitestgehend erhalten geblieben sein. Dazu beigetragen hatte auch, dass einer der Finder seinerzeit bei den Ausgrabungen der Limeskommission 1907–1910 mitgewirkt und dafür gesorgt hatte, dass selbst Kleinteile behutsam geborgen wurden. Einem weiteren glücklichen Zufall war es zu verdanken, dass auch der Konservator der Zentralstelle für Denkmalschutz, Josef Schicker, rechtzeitig von diesem sensationellen Fund Kenntnis erhielt und durch Anlage eines Inventars verhinderte, dass die überwiegende Mehrzahl der Fundgegenstände in falsche Hände geriet. Alles was man heute über die näheren Fundumstände weiß, geht auf die damaligen Aufzeichnungen Schickers zurück. Eine vom 15. bis 17. März 1937 andauernde Nachgrabung durch das Österreichische Archäologische Institut unter der Leitung von Erich Swoboda erbrachte jedoch keinerlei Spuren eines Tempels oder anderer Mauerzüge, lediglich einige unbedeutende Streufunde wurden geborgen. Zwischen 1943 und 1971 konnten auch jene Stücke wieder zurückerworben werden (Silbervotive, Eisengegenstände), die von den Beteiligten als „Andenken“ einbehalten wurden. Nur ein Bronzekessel blieb bis heute verschollen. Sämtliche Artefakte werden heute im Kunsthistorischen Museum in Wien aufbewahrt bzw. ausgestellt.

Die mit dunkler Erde verfüllte Grube enthielt bis zu 100 römische metallene Kultgegenstände, diverse Hausgeräte und Werkzeug. Wissenschaftlich interessant waren aber vor allem die Votivgaben für den Jupiter-Dolichenus-Kult. Die Artefakte waren noch erstaunlich gut erhalten, von großer handwerklicher Qualität und wiesen nur geringe Beschädigungen auf. Einige Objekte hatten sich jedoch schon in ihre Bestandteile aufgelöst und mussten wieder zusammengesetzt und neu verlötet werden. Die Bronzegegenstände waren mit einer Patina überzogen, die aus Eisen teilweise stark korrodiert, wiesen aber noch einen stabilen Metallkern auf und wurden konserviert. Etwa ein Drittel der Metallobjekte hatte eindeutig eine kultische Funktion.[19] Aufgrund der Position einiger Kleinfunde (Siebe, Lampen, Medusareliefs) gewann Schicker den Eindruck, dass sie ursprünglich in einer Kiste oder einen Sack aufbewahrt gewesen sein müssen.[20] Die Grube enthielt ausschließlich Gegenstände aus Bronze, Silber und Eisen. Ihre Anlage ließ auf eine hohe Sorgfalt und Einhaltung eines Ordnungsprinzips bei der Deponierung der Gegenstände schließen.

Geborgen werden konnten mehrere Götterstatuen und Kultgegenstände, darunter

  • die erste vollständig erhaltene Darstellung des Jupiter Dolichenus die bekannt wurde,
  • die einzige bekannte Figurengruppe der Juno Regina mit Jupiter Dolichenus,
  • eine Statuette der Siegesgöttin Victoria,
  • die ersten – vollständig geborgenen – dreieckigen Votivtafeln,
  • bronzene Relieffragmente,
  • diverse Bronzebleche,
  • 27 Silbervotive in Palmblätterform mit 25 Weihinschriften und
  • eine bronzene Schwurhand,
  • bronzene Öllampen und
  • Glöckchen.

An Haushaltsutensilien und Werkzeugen wurden

  • schön gearbeitete Küchensiebe,
  • einige Metallkessel,
  • eine Kanne,
  • eine Pfanne,
  • Waagen,
  • Waagschalen,
  • ein Dreifuß,
  • ein Bratrost,
  • Messer,
  • Beile,
  • eine Sichel und
  • Fleischhaken

sichergestellt. Etwas abseits der Fundstelle fand sich nur noch eine Abfallgrube, sie enthielt hauptsächlich zerschlagene Gebrauchskeramik und Tierknochen. Diese Funde standen jedoch in keinerlei Zusammenhang mit dem Metallhortfund. Die herausragendste Stellung nehmen bei diesen Hortfund sicher die Götterfigurengruppen ein. An der Jupiter-mit-Stier-Gruppe war auch eine Weiheinschrift des Stifters angebracht:[21]

“I(ovi) o(ptimo) m(aximo) D(olicheno) Marr(ius) Ursinus veter(anus) ex ius(su) pos(uit) l(aetus) l(ibens) m(erito)”

„Dem besten, größten Jupiter Dolichenus hat der Veteran Marrius Ursinus auf Befehl (dies) freudig, gern und verdientermaßen gestiftet.“

Marrius war offensichtlich Soldat, leider ist in dieser Inschrift nicht der Name seiner Einheit angegeben. Es ist daher unklar, ob er in der Garnison von Locus Felicis oder eventuell bei der Legio II Italica in Lauriacum gedient hat.[22]

Kein einziges der Objekte ist in das 4. Jahrhundert zu datieren, deshalb schloss Rudolf Noll eine Verbergung der Gegenstände nach der Zerstörung des Heiligtums durch christliche Fanatiker aus. In vielen Details ist dieser Hortfund mit jenem von Kastell Weißenburg zu vergleichen, sie fanden sich in der Nähe der Befestigung und wurden sorgfältig deponiert und vergraben. In beiden Fällen fanden sich auch keine Münzen, was die Datierung erheblich erschwert hat. Die Metallgegenstände selbst stammen aus unterschiedlichen Zeitperioden. Seine Blütezeit erreichte der Dolichenuskult unter Kaiser Septimius Severus, nach dem Ende seiner Dynastie kam er wieder deutlich aus der Mode. Rudolf Noll vermutet, dass das Tempelinventar im Zuge des großen Alamanneneinfalles von 233 n. Chr. vergraben wurde.[23] Für diese Zeit traten besonders in Raetien massiert Münzschatzfunde auf, deren östlichster in Seewalchen am Attersee in Oberösterreich zu Tage kam.

Dolichenustempel

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Der Standort des Heiligtums konnte bis heute nicht lokalisiert werden. Rudolf Noll zieht auch in Betracht, dass es für die Kultausübung kein eigenes dafür errichtetes Gebäude gegeben haben könnte. Eine Identifizierung der bisher aufgedeckten Bauen als Dolichenustempel ist schwierig und mangels weiterer stichhaltiger Funde, wie z. B. Steindenkmäler, Altäre oder ein Relief, kaum möglich, da keine spezifischen Grundrisse derartiger Tempelbauten bekannt sind.[24]

Gräberfelder

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Südlich und südöstlich des Siedlungsareals befanden sich zwei Gräberfelder, in denen hauptsächlich Körperbestattungen mit Münzen bis Valentinian I., Gratian und Arcadius, aber nur wenige Brandgräber vorkamen. Im Nordwesten wurde 1907 – ein allerdings bereits geplündertes – Ziegelplattengrab beobachtet. An dem aus dem Osttor führenden Straßenstück entdeckten Arbeiter 1925 eine antike Körperbestattung mit einer Münze des Probus. Der Befund konnte danach aber nicht mehr genau lokalisiert werden.[25]

Denkmalschutz

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Die Anlagen sind Bodendenkmäler im Sinne des Denkmalschutzgesetzes.[26] Nachforschungen und gezieltes Sammeln von Funden ohne Genehmigung des Bundesdenkmalamtes stellen eine strafbare Handlung dar. Zufällige Funde archäologischer Objekte (Keramik, Metall, Knochen etc.) sowie alle in den Boden eingreifenden Maßnahmen sind dem Bundesdenkmalamt (Abteilung für Bodendenkmale) zu melden.

Literatur

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  • Josef Gaisberger: Archäologische Nachlese. Teil 1. In: Berichte über das Museum Francisco-Carolinum. Jahrgang 24, Linz 1864, S. 65–75 (zobodat.at [PDF]).
  • Max Nistler: Die Grabungen in Mauer-Öhling (= Der römische Limes in Österreich. 10). Wien 1909.
  • Kurt Genser: Der österreichische Donaulimes in der Römerzeit. Ein Forschungsbericht (= Der Römische Limes in Österreich. 33). Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1997, ISBN 3-7001-0783-8.
  • Rudolf Noll: Das Inventar des Dolichenusheiligtums von Mauer an der Url (Noricum) (= Der römische Limes in Österreich. 30). Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 1980.
  • Marianne Pollak: Die römischen Gräberfelder von Mauer an der Url, VB Amstetten, Niederösterreich. In: Archaeologia Austriaca 72, 1988.
  • Manfred Kandler, Hermann Vetters (Hrsg.): Der römische Limes in Österreich. Ein Führer. Wien 1989.
  • Eva Steigberger: Mauer an der Url - Locus Felix (?). Auxiliarkastell - vicus. In: Verena Gassner, Andreas Pülz (Hrsg.): Der römische Limes in Österreich. Führer zu den archäologischen Denkmälern. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2015, ISBN 978-3-7001-7787-6, S. 188–190.
  • René Ployer: Der norische Limes in Österreich. Fundberichte aus Österreich, Materialhefte Reihe B 3, Österr. Bundesdenkmalamt, Wien 2013.
  • Orsolya Heinrich-Tamáska (Hrsg.): Keszthely-Fenekpuszta im Kontext Spätantiker Kontunitärsforschung Zwischen Noricum Und Moesia. Castellum Pannonicum Pelsonense Vol. 2, Archäologisches Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaftliches Zentrum, Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e. V. Balatoni Múzeum (Balatoni-Museum) Verlag Marie Leidorf GmbH, Budapest / Leipzig / Keszthely / Rahden/Westfalen 2011. Darin:
    • Peter Scherrer: Noricum in der Spätantike – Zu den Forschungen des vergangenen Jahrzehnts (mit einem Beitrag von Bernhard Schrettle).
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Anmerkungen

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  1. Hannsjörg Ubl: Wallsee in römischer Zeit. In: Marktgemeinde Wallsee-Sindelburg (Hrsg.): Wallsee-Sindelburg. 1. Auflage. 2017, S. 24–41.
  2. Kurt Genser: 1986, S. 202.
  3. „…ad Murum iuxta fluvium Urula“, Rudolf Noll: 1980, S. 9.
  4. Stefan Groh: Castrum Ad Iuvense (?) Neue Forschungen zur norischen Binnenfestung von Mauer bei Amstetten. Die geophysikalischen Prospektionen 2014-2015. In: Roman Academy Institute of Archaeology and History of Cluj (Hrsg.): Ephemeris Napocensis. Band XXVII. Bucuresti 2017, S. 71–122.
  5. Orsolya Heinrich-Tamáska (Hrsgb.): Keszthely-Fenekpuszta im Kontext Spätantiker Kontunitärsforschung Zwischen Noricum Und Moesia. Castellum Pannonicum Pelsonense Vol. 2, Archäologisches Institut der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Geisteswissenschaftliches Zentrum, Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e. V. Balatoni Múzeum (Balatoni-Museum) Verlag Marie Leidorf GmbH, Budapest • Leipzig • Keszthely • Rahden/Westf. 2011. Darin: Peter Scherrer: Noricum in der Spätantike – Zu den Forschungen des vergangenen Jahrzehnts (mit einem Beitrag von Bernhard Schrettle), S. 108.
  6. Fundberichte aus Österreich. Band 10, 1971, S. 71.
  7. Rudolf Noll: 1980, S. 13.
  8. Kurt Genser: 1986, S. 214.
  9. Kurt Genser: 1986, S. 215.
  10. Rudolf Noll: 1980, S. 12.
  11. Rudolf Noll: 1980, S. 9.
  12. Kurt Genser: 1986, S. 216.
  13. Rudolf Noll: 1980, S. 14.
  14. Kurt Genser: 1986, S. 210.
  15. Kandler/Vetters: 1989, S. 117–119.
  16. Max Nistler: 1909, S. 123f.; Pollak: 1988, S. 159.
  17. Fundberichte aus Österreich. Band 8, 1961–1965, S. 96.
  18. ND Occ., XXXIV, 33
  19. Rudolf Noll: 1980, S. 25.
  20. Rudolf Noll: 1980, S. 19.
  21. AE 1939, 265
  22. Rudolf Noll: 1980, S. 27.
  23. Rudolf Noll: 1980, S. 115.
  24. Rudolf Noll: 1980, S. 116.
  25. Fundberichte aus Österreich, Band 1, 1930–1934, S. 55.
  26. Denkmalschutzgesetz (Memento vom 15. November 2010 im Internet Archive) auf der Seite des Bundesdenkmalamtes