Petra Terhoeven
Petra Terhoeven (geboren 20. März 1969 in Düren)[1] ist eine deutsche Historikerin und seit dem 1. Oktober 2024 Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Rom. Sie ist Professorin für Europäische Kultur- und Zeitgeschichte[2] in Göttingen. Ihr Schwerpunkt ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts in Italien und Deutschland, insbesondere die Geschichte politischer Gewalt und des Terrorismus.
Leben
BearbeitenTerhoeven studierte von 1988 bis 1996 Geschichte, Germanistik und Italienisch an den Universitäten Köln und Bologna. Währenddessen führte sie von 1993 bis 1996 für das Verkehrsamt der Stadt Köln mehrsprachig durch die historischen Sammlungen und Kunstmuseen. 1996 schloss sie ihr Studium mit der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt in Köln ab und arbeitete 1997 als wissenschaftliche Hilfskraft am Kölner Historischen Seminar.
Von 1998 bis 2001 lebte Terhoeven zu Forschungszwecken und mit Förderung durch das DHI, den DAAD und die italienische Regierung in Rom. 2002 wurde sie mit der Dissertation Liebespfand fürs Vaterland. Die Gold- und Eheringsammlung im faschistischen Italien 1935/36 an der TU Darmstadt summa cum laude promoviert. In dieser Studie untersuchte sie die Loyalität gegenüber dem faschistischen Regime multiperspektivisch anhand der Sammlung von Eheringen zum Generieren von Staatseinnahmen für den Abessinienkrieg. Dabei leistete sie einen Beitrag zur Geschlechtergeschichte sowie zur Geschichte der politischen Ikonographie und zeigte, wie die katholische Kirche in dieser Situation das Regime unterstützte.[3]
Anschließend war Terhoeven wissenschaftliche Lektorin der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und der Max-Planck-Gesellschaft und im Sommer 2004 wissenschaftliche Assistentin von Christoph Cornelißen an der Christian-Albrechts-Universität Kiel, anschließend war sie dort Lehrbeauftragte. Im November 2004 wurde sie zur Juniorprofessorin an die Georg-August-Universität Göttingen berufen. Nach Lehraufträgen in Luzern (2006/07) und Rom (2007/08) wurde Terhoevens Juniorprofessur 2009 verlängert (Tenure-Track). Seit November 2012 ist sie in Göttingen Professorin für Europäische Kultur- und Zeitgeschichte auf Lebenszeit.
Seit dem 1. Oktober 2024 ist sie Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Rom.[4]
Schwerpunkte
BearbeitenAls ihre Schwerpunkte gibt Terhoeven den italienischen Faschismus und die westeuropäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an, zudem transnationale, visuelle und Geschlechtergeschichte. Zudem ist sie Expertin für die Geschichte politischer Gewalt und des Terrorismus im 20. Jahrhundert.[5] Sie leitet ein Projekt über die Opfer des politischen Terrorismus.[6] Terhoeven gibt die Schriftenreihen Italien in der Moderne (seit 2006) und Veröffentlichungen des Zeitgeschichtlichen Arbeitskreises Niedersachsen (seit 2013) mit heraus. Seit 2015 ist sie Mitherausgeberin der Zeitschrift Visual History. Rivista internazionale di storia e critica dell’immagine.[7]
Terhoevens Schrift über den Deutschen Herbst in Europa wurde 2014 nach zehnjähriger Forschung veröffentlicht. Darin untersucht sie die transnationalen Verbindungen des Linksterrorismus der Roten Armee Fraktion in andere europäische Länder, insbesondere nach Italien. Ihre Studie sei ein „geschichtswissenschaftlicher Meilenstein“, so der RAF-Experte Jan-Hendrik Schulz. Sie arbeitete dabei vor allem die Rolle von Rechtsanwälten und Intellektuellen (Rudi Dutschke und Giangiacomo Feltrinelli) in der transnationalen Kommunikation und wechselseitigen Radikalisierung heraus.[8][9] Neben Seitenblicken auf Frankreich behandelt sie schwerpunktmäßig den deutsch-italienischen Austauschprozess.[10]
Als Expertin für die Geschichte der RAF ist Terhoeven – insbesondere zum Jahrestag des Deutschen Herbstes 2017 – häufig in den Medien aufgetreten.[11][12][13] In dieser Eigenschaft informierte sie 2017 den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier über den Forschungsstand zum Linksterrorismus.[14]
Terhoeven gehört dem wissenschaftlichen Beirat des „Landshut“-Projekts an, der das Dornier-Museum in Friedrichshafen bei der Entwicklung und Umsetzung der Ausstellung über die Entführung des Flugzeuges „Landshut“ begleitet. Sie fordert, Historikern Zugang zu allen staatlichen Akten über die Todesnacht von Stammheim nach der Landshut-Entführung zu gewähren: „Es wäre höchste Zeit, den letzten Nebel des Deutschen Herbstes zu verscheuchen.“ Zugleich sei es „offenkundig“, dass die Terroristen im Oktober 1977 in Stuttgart-Stammheim Selbstmord begangen haben.[15][16][8]
Im Zuge ihrer Arbeit hielt Terhoeven auch die Gedenkrede beim ersten nationalen Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt 2022[17] und wurde 2023 in die Historikerkommission zur Aufarbeitung des Olympia-Attentats von 1972 berufen.[18]
Auf Terhoevens Initiative hin erließ der Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands am 27. September 2018 auf dem 52. Historikertag in Münster eine Resolution „zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“.[19]
Schriften
Bearbeiten- Liebespfand fürs Vaterland. Krieg, Geschlecht und faschistische Nation in der Gold- und Eheringsammlung 1935/36 (= Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts Rom. Band 105). Max Niemeyer, ISBN 3-484-82105-1, Tübingen 2003 (Übersetzung ins Italienische: Bologna 2005).[20][21]
- (Hrsg.): Italien, Blicke. Neue Perspektiven auf die italienische Geschichte des späten 19. und 20. Jahrhunderts. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, ISBN 978-3-525-55785-3.
- (Hrsg. mit Christoph Cornelißen und Brunello Mantelli): Il decennio rosso. Contestazione sociale e conflitto politico in Germania ed in Italia negli anni Sessanta e Settanta (= Quaderni dell’Istituto storico italo-germanico in Trento. Band 85). Il Mulino, Bologna 2012, ISBN 978-88-15-23790-3.
- Deutscher Herbst in Europa. Der Linksterrorismus der siebziger Jahre als transnationales Phänomen. Oldenbourg, München 2014, ISBN 978-3-486-71866-9 (zugleich Habilitationsschrift, Universität Göttingen).[10]
- Die Rote Armee Fraktion. Eine Geschichte terroristischer Gewalt (= Beck Wissen. Band 2878). C. H. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-71235-7.[22][23]
Weblinks
Bearbeiten- Literatur von und über Petra Terhoeven im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Webpräsenz bei der Universität Göttingen mit Curriculum Vitae.
- Terhoeven, Petra. Lexikon Literaturwissenschaft bei Literaturkritik.de.
- Beiträge Terhoevens bei Zeitgeschichte Online.
- Kurzbiografie und Rezensionen zu Werken von Petra Terhoeven bei Perlentaucher
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Kürschners deutscher Gelehrten-Kalender, Band 22 (2009), Seite 4224
- ↑ Lebenslauf. Abgerufen am 23. Juli 2024.
- ↑ Charlotte Tacke: P. Terhoeven: Liebespfand fürs Vaterland. In: H-Soz-Kult. 13. Februar 2004, abgerufen am 21. Juni 2024 (Rezension).
- ↑ Lebenslauf. Abgerufen am 23. Juli 2024.
- ↑ Arbeitsschwerpunkte. Georg-August-Universität Göttingen, abgerufen am 22. Juni 2024.
- ↑ Sindy Peukert: Interview über das Thema Zeitzeugen: Zum Erinnern gehören zwei. In: Hessische/Niedersächsische Allgemeine. 19. März 2016, abgerufen am 22. Juni 2024.
- ↑ Publikationen. Georg-August-Universität Göttingen, abgerufen am 22. Juni 2024.
- ↑ a b Jan-Hendrik Schulz: P. Terhoeven: Deutscher Herbst in Europa. In: H-Soz-Kult. 21. März 2014, abgerufen am 21. Juni 2024 (Rezension).
- ↑ Michael Ploetz: Petra Terhoeven: Deutscher Herbst in Europa. In: Sehepunkte. 15. November 2015, abgerufen am 21. Juni 2024 (Rezension, Ausgabe 15 (2015) Nummer 11). Siehe auch Petra Terhoeven: „Traumland der Revolution“ – Der „Deutsche Herbst“ in Italien. In: Zeitgeschichte-online. 12. September 2017, abgerufen am 21. Juni 2024.
- ↑ a b Andreas Rödder: Petra Terhoeven: Deutscher Herbst in Europa: Selbstviktimisierung der Systemgegner. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 28. Juli 2014, abgerufen am 21. Juni 2024 (Rezension).
- ↑ Joachim Frank: "Der Staat war mitverantwortlich". In: Frankfurter Rundschau. 7. Januar 2019, abgerufen am 22. Juni 2024 (Gespräch mit Terhoeven).
- ↑ Achim Schmitz-Forte: Mythos RAF – Petra Terhoeven. In: Neugier genügt – Redezeit. WDR 5, 13. September 2017, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 28. März 2018; abgerufen am 25. November 2017.
- ↑ Gespräch mit Petra Terhoeven zum Thema 40 Jahre Deutscher Herbst. In: Kulturzeit. ZDF, 17. Oktober 2017, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 1. Dezember 2017; abgerufen am 25. November 2017 (Video mit Terhoeven).
- ↑ Heidi Niemann: Göttinger Historikerin Terhoeven: „Die RAF funktionierte wie eine Sekte“. ( vom 1. Dezember 2017 im Internet Archive) In: Göttinger Tageblatt, 20. Oktober 2017.
- ↑ Hagen Schönherr: Experten-Team für Landshut-Mahnmal steht fest. In: Schwäbische Zeitung, 2. Februar 2018
- ↑ Andreas Arens: Terhoeven fordert Offenlegung der staatlichen Akten: den Nebel lichten. In: Hessische/Niedersächsische Allgemeine, 21. Oktober 2017
- ↑ Gedenken an die Opfer terroristischer Gewalt. Abgerufen am 21. April 2023.
- ↑ Aufarbeitungs-Kommission zum Münchner Olympia-Attentat. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 21. April 2023]).
- ↑ Jakob Saß: Tagungsbericht: (Un-)Politisch? Eine Diskussion über die Herausforderungen der Geschichtswissenschaft heute, 14.02.2019 Berlin. In: H-Soz-Kult, 25. Mai 2019.
- ↑ Frank-Lothar Kroll: Der Herr der Ringe. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. Mai 2005
- ↑ Petra Terhoeven: Eheringe für den Krieg. Die Geschichte eines faschistischen Gedächtnisorts. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte. Band 54, 2006, Heft 1, S. 61–85 (PDF).
- ↑ Manfred Orlick: Eine interessante Sicht auf den „Deutschen Herbst“. In: Literaturkritik.de, 25. September 2017
- ↑ Robert Probst: Deutscher Herbst: Die Sekte der „Märtyrer“. In: Süddeutsche Zeitung, 9. Oktober 2017.
Personendaten | |
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NAME | Terhoeven, Petra |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Historikerin |
GEBURTSDATUM | 20. März 1969 |
GEBURTSORT | Düren |