Plastischer Kristall

Kristall aus Molekülen mit schwachen Anziehungskräften

Bei einem plastischen Kristall (oder Plastischkristall) handelt es sich um einen Kristall, der aus Molekülen besteht, zwischen denen es nur schwache Anziehungskräfte gibt, so dass die Moleküle einen gewissen Freiheitsgrad bezüglich der Orientierung oder Konformation haben. Der Name plastischer Kristall bezieht sich auf die mechanische Weichheit solcher Phasen: sie ähneln Wachs und sind leicht zu verformen. Wenn der innere Freiheitsgrad der Moleküle in einer Rotation besteht, wird auch der Ausdruck Rotor-Phase verwendet.[1]

Übersicht
Links Phasen von Neopentan, rechts von Pentan

Außer den plastischen Kristallen, die aus Molekülen aufgebaut sind, gibt es auch ionische plastische Kristalle (s. a. Ionische Flüssigkeit), insbesondere organische ionische plastische Kristalle (OIPC) und protische organische ionische plastische Kristalle (POIPC).[2][3] Ihre hohe ionische Leitfähigkeit und Plastizität macht sie zu vielversprechenden Kandidaten für die Anwendung als Festelektrolyte in Lithium-Ionen-Akkumulatoren.[4][5]

Beim Abkühlen können die angeregten inneren Freiheitsgrade in manchen Fällen in ungeordneter Weise einfrieren, z. B. in zwei unterschiedlichen Orientierungen entlang einer Bindung. Im Englischen bezeichnet man einen solchen Festkörper mit eingefrorener Orientierungs-Unordnung dann als orientational glass.

Die röntgendiffraktometrischen Muster plastischer Kristalle haben charakteristischerweise eine starke diffuse Intensität zusätzlich zu den scharfen Bragg-Reflexen.[2]

Plastische Kristalle versus Flüssigkristalle

Bearbeiten

Wie bei den Flüssigkristallen handelt es sich auch bei den plastischen Kristallen um einen Übergangszustand zwischen echten Festkörpern und echten Flüssigkeiten; man kann sie als weiche Materie betrachten.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass gleichzeitig Ordnung und Unordnung vorhanden sind: bei plastischen Kristallen bleibt die Positionsfernordnung erhalten, es erfolgt aber eine teilweise oder vollständige Aufhebung der Orientierungsfernordnung. Somit erhalten z. B. kugelförmige Moleküle wie Methan, Adamantan, Neopentan, Tetramethylbutan oder Cuban zusätzliche Rotationsfreiheitgrade an ihren Gitterplätzen. Bei Flüssigkristallen dagegen wird zuerst die Positionsfernordnung aufgegeben, worauf sich die orientierten smektischen und/oder nematische Phase bilden.

Geschichte

Bearbeiten

1938 entdeckte J. Timmermans die plastischen Kristalle aufgrund ihrer anomal geringen Schmelzentropie. Er fand, dass organische Substanzen mit einer Schmelzentropie von weniger als etwa 17 J·K−1·mol−1 (~2Rg) besondere Eigenschaften besitzen. Timmermans gab ihnen den Namen molecular globulare.

Michils zeigte 1948, dass diese organischen Verbindungen außerordentlich gut verformbar sind, weswegen er ihnen den Namen plastische Kristalle (französisch cristaux organiques plastiques) gab.[6] Beispielsweise ist Perfluorocyclohexan so plastisch, dass es unter seinem eigenen Gewicht zu fließen beginnt. Wie beim Hochtemperaturkriechen von bspw. Kupfer und Gold verschwindet die plastische Verformbarkeit unterhalb einer bestimmten Temperatur.[7]

Einzelnachweise

Bearbeiten
  1. Eintrag zu plastische Kristalle. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 14. Mai 2015.
  2. a b Jiangshui Luo, Annemette H. Jensen u. a.: 1,2,4-Triazolium perfluorobutanesulfonate as an archetypal pure protic organic ionic plastic crystal electrolyte for all-solid-state fuel cells. In: Energy Environ. Sci. 8, 2015, S. 1276, doi:10.1039/C4EE02280G.
  3. Jiangshui Luo, Olaf Conrad, Ivo F. J. Vankelecom: Imidazolium methanesulfonate as a high temperature proton conductor. In: J. Mater. Chem. A 1, 2013, S. 2238, doi:10.1039/C2TA00713D.
  4. Pierre-Jean Alarco, Yaser Abu-Lebdeh, Ali Abouimrane, Michel Armand: The plastic-crystalline phase of succinonitrile as a universal matrix for solid-state ionic conductors. In: Nature Materials. Band 3, Nr. 7, Juli 2004, S. 476–481, doi:10.1038/nmat1158 (nature.com [abgerufen am 3. Januar 2023]).
  5. Jennifer M. Pringle: Recent progress in the development and use of organic ionic plastic crystal electrolytes. In: Physical Chemistry Chemical Physics. Band 15, Nr. 5, 3. Januar 2013, S. 1339–1351, doi:10.1039/C2CP43267F.
  6. A. Michils: Recherches stoechiométriques V.VIII. LA PLASTICITÉ D'UN GROUPE PARTICULIER DE CRISTAUX ORGANIQUES. In: Bulletin des Sociétés Chimiques Belges. Band 57, Nr. 10-12, 1948, S. 575, doi:10.1002/bscb.19480571013 (französisch).
  7. Peter R. Sahm, Iván Egry, Thomas Volkmann: Schmelze, Erstarrung, Grenzflächen. Eine Einführung in die Physik und Technologie flüssiger und fester Metalle. Vieweg, 1999, S. 224 f.