Die Säkularisierungsthese oder auch Säkularisierungstheorie stellt einen zentralen theoretischen Ansatz der Religionssoziologie dar. Ihr Ausgangspunkt ist die Annahme, dass es zwischen der Moderne und Religion ein Spannungsverhältnis gibt, welches langfristig zu einem sozialen Bedeutungsverlust von Religion führt. Dafür verantwortlich gemacht werden insbesondere die mit der Modernisierung verbundenen Prozesse der Rationalisierung, Individualisierung und Ausdifferenzierung (funktionalen Differenzierung) von Gesellschaften. Hinzugenommen werden können noch die Prozesse der Urbanisierung (mit der Auflösung der in ländlichen Bereichen starken Weitergabetraditionen) sowie der Demokratisierung (welche den eher hierarchisch organisierten Kirchenstrukturen entgegensteht).

In ihrer theoretischen Herleitung berufen sich die Anhänger der Säkularisierungsthese auf Klassiker der Soziologie, wie Max Weber, der im Laufe der Modernisierung eine „Entzauberung“ der Welt stattfinden sah.

Die Anhänger der Säkularisierungsthese sehen diese theoretische Annahme durch die rückgängigen Mitgliedschaftsraten der christlichen Kirchen, die sinkende Beteiligung am kirchlichen Leben und auch einer geringeren Zahl an Personen, die religiöse Traditionen übernehmen, als empirisch belegt an. Zudem wird auf die sinkende Bindekraft religiöser Normen verwiesen, welche unter anderem in höheren Scheidungsraten münden. Ihre empirischen Belege konzentrieren sich dabei weitgehend auf Europa.

Gerade letzteres hat den Widerspruch anderer Ansätze der Religionssoziologie hervorgerufen. So wird gerade von Anhängern des Marktmodells des Religiösen auf die Stellung Europas als Sonderfall hingewiesen. Diesen Vorwurf kontern Säkularisierungstheoretiker (insbesondere Bruce) mit dem Hinweis auf die USA – dem zentralen Gegenbeispiel der Markttheoretiker – als Sonderfall. Thomas Luckmann wiederum wirft den Vertretern der Säkularisierungsthese ein zu enges Verständnis von Religion und Religiosität vor. Religion gehöre grundlegend zum Menschsein dazu, weshalb er Säkularisierung (d. h. den Rückgang von Religion) als modernen Mythos bezeichnet.[1]

Vertreter der Säkularisierungstheorie sind Steve Bruce und Bryan R. Wilson, in Deutschland der Münsteraner Soziologe Detlef Pollack, der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel sowie der Frankfurter Soziologe Ulrich Oevermann. Ebenfalls als Vertreter ist Peter L. Berger zu nennen, der sich allerdings in den letzten Jahrzehnten in seinen Aussagen von der Annahme einer Säkularisierung weitgehend entfernt hat.

In jüngerer Zeit finden sich verschiedene Versuche, die bislang konkurrierenden Ansätze miteinander zu verbinden. Zu nennen sind hier exemplarisch die Überlegungen von Jörg Stolz.

Literatur

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  • Peter L. Berger: The Sacred Canopy. Elements of a Sociological Theory of Religion. New York 1967. [Deutsche Übersetzung: Peter L. Berger: Zu Dialektik von Religion und Gesellschaft. Elemente einer soziologischen Theorie. Frankfurt am Main 1973.]
  • Peter L. Berger: The Heretical Imperative: Contemporary Possibilities of Religious Affirmation. London 1980. [Deutsche Übersetzung: Peter L. Berger: Der Zwang zur Häresie. Religion in der pluralistischen Gesellschaft. Frankfurt am Main 1980.]
  • Steve Bruce: God is Dead. Secularization in the West. Oxford 2002.
  • Karel Dobbelaere: Secularization: An Analysis at Three Levels. Brüssel 2002.
  • Franzmann, Manuel: Säkularisierter Glaube. Fallrekonstruktionen zur fortgeschrittenen Säkularisierung des Subjekts. Beltz, Weinheim 2017, ISBN 978-3-7799-2939-0
  • David Martin: On Secularization. Towards a Revised General Theory. Aldershot 2005.
  • Ulrich Oevermann: Ein Modell der Struktur von Religiosität. Zugleich ein Strukturmodell von Lebenspraxis und von sozialer Zeit. In: Monika Wohlrab-Sahr (Hrsg.): Biographie und Religion. Zwischen Ritual und Selbstsuche. Campus, Frankfurt am Main 1995, S. 27–102.
  • Ulrich Oevermann, Manuel Franzmann: Strukturelle Religiosität auf dem Wege zur religiösen Indifferenz. In: Manuel Franzmann, Christel Gärtner, Nicole Köck (Hrsg.): Religiosität in der säkularisierten Welt. Theoretische und empirische Beiträge zur Säkularisierungsdebatte in der Religionssoziologie. (Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Band 11). 2006, S. 49–82.
  • Luckmann, Thomas: Die unsichtbare Religion, Frankfurt a. M. 1991.
  • Gert Pickel, Olaf Müller: Church and Religion in Contemporary Europe. Results from theoretical and empirical Research. Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-16748-0.
  • Gert Pickel: Säkularisierung, Individualisierung oder Marktmodell? Religiosität und ihre Erklärungsfaktoren im europäischen Vergleich. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie. 62, 2010, S. 219–245.
  • Detlef Pollack: Säkularisierung – ein moderner Mythos? Tübingen 2003, ISBN 3-16-148214-X.
  • Detlef Pollack: Wiederkehr der Religion? Studien zum religiösen Wandel in Deutschland und Europa II. Tübingen 2009.
  • Bryan Wilson: Religion in Sociological Perspective. Oxford 1982.
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Einzelnachweise

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  1. Thomas Luckmann: Lebenswelt und Gesellschaft. Hrsg.: Thomas Luckmann. Paderborn 1980, ISBN 3-506-99308-9, S. 176.