Saftkugler
Die Saftkugler (Glomerida), auch Kugler genannt, bilden eine Ordnung innerhalb der zu den Tausendfüßern gehörenden Klasse der Doppelfüßer. Charakteristisch für die Saftkugler ist die Fähigkeit, sich bei Gefahr zu fast kugeliger Gestalt zusammenzurollen. Diese Eigenschaft haben sie mit der nahe verwandten Ordnung der Riesenkugler gemeinsam. Von diesen unterscheiden sie sich nicht nur durch die Größe und das Verbreitungsgebiet, sondern auch durch die Anzahl der Segmente. Die Saftkugler besitzen als adulte Tiere 11–12 Rumpfsegmente, die an der Zahl der Rückenschilde äußerlich leicht zu erkennen sind. Mit über 450 Arten handelt es sich um eine der artenreicheren Ordnungen der Doppelfüßer.
Saftkugler | ||||||||||||
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Der Gerandete Saftkugler gehört zu den in Mitteleuropa häufigen Arten | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Glomerida | ||||||||||||
Leach, 1814 |
Merkmale
BearbeitenDie Möglichkeit, sich zum Schutz vor Feinden und Trockenheit einrollen zu können, erfordert eine Anzahl morphologischer Anpassungen. Voraussetzung für das Kugelvermögen ist ein kurzer und breiter Körper, dessen Teile beim Ein- und Ausrollen ihre Lage zueinander verschieben können. Der Körper der Saftkugler besteht daher nur aus 11–12 Körperringen. Jeder Körperring besteht aus 5 elastisch verbundenen Platten, von denen die Rückenplatte halbkreisförmig gewölbt ist und die Beine deutlich überlappt, um diese im Innern der Kugel einschließen zu können. Der erste der meist 12 Rückenschilde, der Halsschild, ist bei den Saftkuglern nur sehr klein. Ihm folgt der stark vergrößerte Brustschild. Die Funktion des auffallend kleinen Halsschildes und sehr großen Brustschildes offenbart sich durch die Lebensweise. Ähnlich wie Schnurfüßer graben Saftkugler im Boden, benutzen dazu als Ramme aber nicht den Kopf oder Halsschild, sondern ihren stark vergrößerten Brustschild. Die Rückenschilde sind schwarz bis braun gefärbt, meist mit hellen Rändern oder Zeichnungen, nach denen man Arten und Unterarten unterscheiden kann. Bei manchen Arten sind jedoch diese Zeichnungen sehr variabel, manchmal bestehen auch Unterschiede zwischen dem Jugendkleid und der Zeichnung der adulten Tiere.
Die Saftkugler gehören zu den Doppelfüßern und haben ab dem fünften Rumpfsegment je zwei Beinpaare. Dazu kommen drei einzelne Beinpaare vom zweiten bis zum vierten Segment. Somit besitzen die Weibchen 17 Laufbeinpaare und die Männchen 16. Die Männchen haben zusätzliche Gliedmaßen, die als Hilfswerkzeuge bei der Paarung angewandt werden. Dies unterscheidet die Saftkugler zusätzlich von den anderen heimischen Doppelfüßer-Ordnungen. Das 17. und 18. Paar, die Nebentelopoden, ähneln den normalen Laufbeinen noch sehr, sind jedoch viel kürzer und dünner als diese. Das 19. Beinpaar ist zu auffallend verdickten und muskulösen zangenförmigen Greif- oder Klammerorganen, den Telopoden, umgewandelt worden.
Durch ihren kurzen, hochgewölbten Körper und die Fähigkeit, sich bei Gefahr einzurollen, werden die Saftkugler oft mit den Rollasseln verwechselt, die allerdings zu den Krebstieren zählen. Die Saftkugler unterscheiden sich von den Rollasseln durch die Anzahl der Beine (17–19 Beinpaare bei den Saftkuglern und 7 Paare bei den Rollasseln), die weitgehend gleichförmigen Segmente und die Fähigkeit, den Kopf mit dem ersten Rückenschild beim Einrollen innerhalb der Kugel zu verbergen. Außerdem kann man an der Verschlussstelle der Kugeln die Uropoden der Rollasseln als kleine, dreieckige Platten erkennen. Bei Gefahr können die Saftkugler zusätzlich aus acht Paaren dorsal zwischen den Rückenschilden liegender Drüsen durchsichtige Tropfen eines bitteren, klebrigen Wehrsekrets ausstoßen. Dieser Eigenschaft, die sie auch von den verwandten Ordnungen Sphaerotheriida und Glomeridesmida unterscheidet, verdanken sie auch den deutschsprachigen Namen Saftkugler.
Giftige Bestandteile des proteinhaltigen Wehrsekrets können Blausäure sowie die Chinazolin-Alkaloide Glomerin und Homoglomerin sein, die aus Anthranilsäure produziert werden. Dieses Wehrsekret kann zu einer Sedierung oder sogar Lähmung bei wirbellosen Räubern, wie Spinnen, Ameisen oder Laufkäfern führen und auch Wirbeltiere wie Mäuse, Vögel oder Kröten vom Verzehr abschrecken.
Verbreitung und Lebensraum
BearbeitenDie Saftkugler sind primär in der Paläarktis, vor allem in Europa, Nordafrika und Nordasien verbreitet, ferner in Nordamerika. Der Verbreitungsschwerpunkt liegt in den Alpen. Glomeris marginata dringt in Europa am weitesten nach Norden vor und kommt hier bis in den Süden Skandinaviens vor. Die südlichsten Vorkommen der Saftkugler liegen allerdings in der Neotropis und Orientalis, wo Arten bis nach Guatemala oder Sulawesi vorkommen.
Meistens sind sie im Hügel- oder Bergland zu finden, vor allem in Wäldern und an Waldrändern, wo man sie meist unter Holzstücken oder Steinen finden kann. Glomeris transalpina ist sogar in Höhenstufen bis 2900 Metern in den Alpen zu finden, die Tiere leben dort auch auf alpinen Grasweiden und sind sogar unter Kuhdung auf den Almwiesen zu finden. Neben Wäldern und Gebüschen wird oft aber auch Offenland besiedelt, sowohl steiniges Offenland oder Blockhalden, als auch Halbtrocken- oder sogar Trockenrasen. Vor allem in südlicheren Gebieten sind viele Arten auch in Höhlen zu finden.
Ökologie
BearbeitenSaftkugler leben meist in Bodennähe oder im Bodeninneren (euedaphisch). Deshalb sind sie im Gelände häufig unter Totholz oder Steinen zu finden. Ihre Ernährung unterscheidet sich nicht besonders von der anderer Doppelfüßer. Sie sind Saprobionten und zu ihrer Nahrung gehört überwiegend totes, selten auch lebendes Pflanzenmaterial, wie abgestorbenes Laub, Moos, weißfaules Holz, Gras, aber auch Mikroorganismen oder in Ausnahmefällen Aas.
Fortpflanzung
BearbeitenDie Paarung der Saftkugler findet im Frühjahr statt, mit einem Höhepunkt in der zweiten Aprilhälfte. Dabei laufen die Männchen auf der Suche nach einem Weibchen ruhelos umher und beginnen mit dem Paarungsritual, wenn sie auf ein Weibchen treffen. Durch die Lage der männlichen Kopulationsfüße am hinteren Ende des Körpers erfolgt die Paarung anders als bei anderen heimischen Doppelfüßern. Das Männchen streckt seine Telopoden unter dem letzten Rückenschild weit hervor und führt mit dem zum Weibchen zugewandten Hinterende des Körpers Schwenkbewegungen aus. Dann schiebt das Männchen seine Telopoden rückwärtsgehend von vorn unter den Körper des Weibchens und ergreift die Hüften ihres zweiten Beinpaares sowie die dahinterliegenden, ausgestülpten und verhärteten Vulven. Anschließend rollt sich das Männchen ein und putzt mit den Mundwerkzeugen intensiv seine Telopoden. Für den Transport des Spermas von der Austrittsöffnung des Männchens am 2. Beinpaar zu den als Begattungswerkzeug fungierenden Telopoden ergreift das Männchen ein Kot- oder Erdkügelchen, bearbeitet und glättet es und setzt darauf mit dem Penis 10–20 Sekunden lang einen Spermatropfen ab. Dann wird die Kugel mit den Beinen nach hinten transportiert und das Sperma mit den Telopoden abgetupft. Anschließend werden die mit Sperma benetzten Telopoden rhythmisch in die Vulven des Weibchens eingeführt.
Die kräftigen Telopoden der Männchen dienen neben der Übertragung des Spermas bei der Kopulation aber auch als Waffe gegenüber Paarungs-Konkurrenten. Der Hintergrund ist, dass Saftkugler das ganze Jahr über gesellig in Gemeinschaften mit Populationsdichten bis zu 100 Tieren pro Quadratmeter leben und es so in den dicht besiedelten Lebensräumen während der Fortpflanzungszeit ständig zu Rivalitäten zwischen den balzenden Männchen kommen kann. Treffen zwei erregte Männchen im Kampf um ein Weibchen aufeinander, versuchen sie, mit den Telopoden in die Antennen des Gegners zu zwicken. Ist dies erfolgreich, zuckt der Kontrahent zusammen und ergreift die Flucht. Solche Angriffe finden auch auf Männchen statt, die bereits ein Weibchen ergriffen haben und sich in einer fortgeschrittenen Phase der Paarung befinden. Diese müssen dann gleichzeitig die Angriffe des Gegners abwehren.
Entwicklung
BearbeitenDie Weibchen der Saftkugler modellieren zur Eiablage mit ihren Laufbeinen kleine Erdkapseln, die aus Kot und einem klebrigen Sekret zur Stabilisierung der Kapselwand bestehen. Von Kotkrümeln unterscheiden sich solche Eikapseln durch ihre Größe und die Beschaffenheit der Oberfläche. Sie haben einen Durchmesser von 2,5–3 mm und sind damit 2–3 mal größer als die Kotkrümel. Außerdem fällt bei genauer Betrachtung ein Unterschied in der Beschaffenheit ihrer Oberfläche auf. Während die Kotkugel rau und brüchig wirkt, hat die Eikapsel eine glatte, offensichtlich modellierte Oberfläche.
Bei den Saftkuglern ist das Eiablageverhalten innerhalb der heimischen Doppelfüßer am weitesten entwickelt. Das Risiko einer Vernichtung der Eier durch ungünstiges Klima oder Fressfeinde verringern sie, indem sie jedes Ei einzeln, selten in Zweierpacks, in eine Erdkapsel einpacken und diese verteilen. Dieser Aufwand zum Schutz der Eier hat den Nachteil, dass weniger Eier abgelegt werden können als bei den anderen Doppelfüßer-Ordnungen. Erwachsene Weibchen von Glomeris hexasticha und Glomeris marginata produzieren durchschnittlich 25–30 solcher Eikapseln pro Jahr.
Die Larven kommen mit nur drei Beinpaaren zur Welt. Durch acht Häutungen, bei denen stets ein neues Segment angelegt wird, entwickeln sie sich über einen Zeitraum von drei Jahren zu adulten Tieren, die noch an die weitere drei Jahre leben können.
Systematik
BearbeitenÄußere Systematik
BearbeitenDie Ordnung Saftkugler ist das Schwestertaxon der Riesenkugler. Das folgende Kladogramm gibt eine Übersicht über die äußere Systematik innerhalb der Doppelfüßer:
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Innere Systematik
BearbeitenInnerhalb der Ordnung Glomerida gibt es über 30 Gattungen und mehr als 450 Arten, von denen 80 Arten in der Orientalis oder Neotropis vorkommen. Die größte Gattung stellt Glomeris Latreille, 1802 dar, mit über 100 Arten, die in Europa, Afrika nördlich der Sahara, Westasien und auf den Kanarischen Inseln vorkommen. Typusart der Gattung Glomeris ist Glomeris pustulata Fabricius, 1781.[1] In Mitteleuropa kommen nur etwa 15 Arten vor, in Südeuropa ist die Artenzahl um einiges höher.
Die Ordnung der Glomerida wird in zwei Überfamilien mit drei Familien und folgenden Unterfamilien und Gattungen unterteilt:
- Glomeridelloidea Cook, 1896
- Glomeridellidae Cook, 1896
- Glomeroidea Leach, 1815
- Glomeridae Leach, 1815
- Doderiinae Silvestri, 1904
- Glomerinae Leach, 1815
- Haploglomerinae Mauriès, 1971
- Mauriesiinae Golovatch, Mikhaljova & Chang, 2010
- Protoglomeridae Brölemann, 1913
- Glomeridae Leach, 1815
In Mitteleuropa vorkommende Arten
Bearbeiten- Glomeridae
- Geoglomeris subterranea
- Vierbänder-Saftkugler (Glomeris connexa)
- Schweizer Saftkugler (Glomeris helvetica)
- Östlicher Sechsstreifen-Saftkugler (Glomeris hexasticha)
- Westlicher Sechsstreifen-Saftkugler (Glomeris intermedia)
- Bunter Saftkugler (Glomeris klugii)
- Gerandeter Saftkugler (Glomeris marginata)
- Geschmückter Saftkugler (Glomeris ornata)
- Zweireihen-Saftkugler (Glomeris pustulata)
- Vierreihen-Saftkugler (Glomeris tetrasticha)
- Alpen-Saftkugler (Glomeris transalpina)
- Trachysphaera costata
- Trachysphaera gibbula
- Trachysphaera schmidti
- Glomeridellidae
Weitere, in Südeuropa vorkommende Arten, sind beispielsweise der Geringelte Saftkugler (Glomeris annulata) aus Südfrankreich, der Trentino-Saftkugler (Glomeris oblongoguttata) aus Norditalien, der Italienische Saftkugler (Glomeris romana) aus Italien, der Walliser Saftkugler (Glomeris valesiaca) aus Südostfrankreich und der südwestlichen Schweiz, der Meeralpen-Saftkugler (Glomeris guttata), der in der südlichen Alpenregion und in Italien vorkommt, Glomeris aurita, Glomeris oropensis, Glomeris ligurica, Glomeris apuana und Glomeris schubarti aus Norditalien, Glomeris pulchra, der von den Alpen bis auf die Balkanhalbinsel und Apenninhalbinsel verbreitet ist, Glomeris distichella aus Sizilien und Glomeris lugubris und Glomeris maerens aus Spanien. Auch die Gattung Loboglomeris mit den Arten Loboglomeris haasi, Loboglomeris pyrenaica und Loboglomeris rugifera kommt in Spanien und den Pyrenäen vor. Ebenfalls in Europa vertreten ist die Gattung Onychoglomeris mit Arten wie Onychoglomeris castanea, Onychoglomeris fagi oder Onychoglomeris tirolensis aus dem südwestlichen Alpenraum. Aus der Gattung Trachysphaera finden sich ebenfalls weitere Arten, wie beispielsweise Trachysphaera fabbrii aus den Julischen Alpen, Trachysphaera multiclavigera aus dem ehemaligen Jugoslawien, Trachysphaera pyrenaica aus den Pyrenäen, Trachysphaera drescoi aus Frankreich und Trachysphaera rousseti aus Spanien. Aus der Gattung Epiromeris findet sich beispielsweise die Art Epiromeris aelleni in Griechenland.
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Glomeris marginata ist die häufigste heimische Saftkugler-Art und die einzige, die auch nördlich der Mittelgebirge weit verbreitet ist. Charakteristisch ist der weiße Hinterrand der Rückenplatten.
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Glomeris klugii ist eine sehr variable Art, die in den Mittelgebirgswäldern häufiger gefunden werden kann. Charakteristisch ist die feine Sprenkelung der Rückenschilder.
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Auch Glomeris hexasticha ist in Deutschland weit verbreitet. Sie weist sechs Reihen dunkler Flecken auf.
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Glomeris intermedia (hier zwischen Exemplaren von G. marginata) lebt in Deutschland nur im Westen, wird selten gefunden und hat sechs Reihen dunkler Flecken auf dem Körper. Sie lässt sich von G. hexasticha, ihrem östlichen Gegenstück, kaum unterscheiden.
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Glomeris tetrasticha ist in Deutschland zwar weit verbreitet, wird aber selten gefunden. Sie hat wie G. connexa vier Reihen gelb-weißer Flecken, diese sind aber nicht zu Längsbinden verschmolzen. Eine ähnliche Art ist auch Glomeris helvetica.
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Glomeris pustulata ist in Deutschland seltener zu finden und erkennbar an den zwei Reihen orange-roter Flecken.
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Glomeris connexa kommt nur selten im Süden Deutschlands vor. Auch sie hat wie G. tetrasticha vier Reihen gelb-weißer Flecken, diese sind jedoch zu Längsbinden verschmolzen.
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Trachysphaera lobata lebt in Westeuropa, zeigt aber das typische Aussehen der Gattung Trachysphaera, die auch als Stäbchenkugler bezeichnet werden.
Literatur
Bearbeiten- Heiko Bellmann: Kosmos-Atlas Spinnentiere Europas. Extra: Süßwasserkrebse, Asseln, Tausendfüßer. Kosmos (Franckh-Kosmos), veränderte Auflage, 2006, ISBN 3-440-10746-9.
- Harald Hauser & Karin Voigtländer: Doppelfüßer (Diplopoda) Deutschlands. DJN – Deutscher Jugendbund für Naturbeobachtung, 1. Auflage, Göttingen 2019, ISBN 978-3-923376-26-X (formal falsch).
- H. Schildknecht, U. Maschwitz und W. F. Wenneis: Neue Stoffe aus dem Wehrsekret der Diplopodengattung Glomeris. In: Naturwissenschaften. Vol. 54, Nr. 8, Verlag Springer, Berlin/Heidelberg, Januar 1967, ISSN 0028-1042
- R. Hoess: Bestimmungsschlüssel für die Glomeris-Arten Mitteleuropas und angrenzender Gebiete (Diplopoda: Glomeridae). In: Jahrbuch des Naturhistorischen Museums Bern 13: 3-20, 2000, ISSN 0253-4401
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Sergei Golovatch, Jean-Paul Mauriès, Nesrine Akkari, Stoev Pavel & Jean-Jaques Geoffroy (2009) The millipede genus Glomeris Latreille, 1802 (Diplopoda, Glomerida, Glomeridae) in North Africa. ZooKeys 12(12). doi:10.3897/zookeys.12.179.