Schatz von Begram

Schatzfund aus der antiken Stadt Begram im heutigen Afghanistan

Der Schatz von Begram ist ein antiker Depotfund aus Begram, einer antiken Stadt im südlichen Bereich des Hindukusch-Gebirges. Die enthaltenen Objekte waren in zwei zugemauerten Räumen der Ruinen von Begram deponiert worden und umfassen Kunstwerke ganz unterschiedlicher Kulturkreise. So finden sich unter den Objekten des Schatzfundes herausragende Beispiele für römische Glaskunst, indische Elfenbeinschnitzereien und Bronzeskulpturen aus dem östlichen Mittelmeerraum. Warum die Bestandteile des Schatzes in Begram gesammelt wurden, ist ebenso unklar wie die Frage, warum und wann sie in zwei versiegelten Kammern deponiert wurden.

Indische Elfenbeinarbeit aus dem Hortfund von Begram, ursprünglich Verzierung einer Truhe

Kontext und Auffindung

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Joseph Hackin begutachtet eine Elfenbeinschnitzerei aus dem Raum Nr. 13.

Die Stadt Begram war ein bedeutender Verkehrsknotenpunkt im zentralasiatischen Gebirge und vermutlich eine griechisch-baktrische Gründung. Die wiederholt vorgeschlagene Gleichsetzung mit der durch Alexander den Großen gegründeten Stadt Alexandria am Kaukasus ist jedoch unsicher. In den Jahrhunderten nach dem Hellenismus gehörte sie zum Herrschaftsbereich der Kuschana – möglicherweise sogar als Sommerresidenz der Kuschana-Herrscher – und später des Sassanidenreiches.

Das antike Stadtareal befindet sich auf einem Plateau, von dessen Innenbebauung zwei größere Bereiche freigelegt wurden. Das östliche Grabungsareal erbrachte um die 60 Räumlichkeiten, von denen zwei dadurch herausstachen, dass ihre Eingänge zugemauert worden waren. Diese beiden Räume (in der Nummerierung der Ausgräber 10 und 13), die durch Joseph und Marie Hackin 1937 entdeckt wurden, lagen direkt neben einer kleinen Festung und waren mit Kunstobjekten angefüllt. Diese wurden als Schatz von Begram bekannt. Raum Nr. 13 war einst mit Wandmalereien dekoriert, die eine Reihe von Säulen zeigen.

Zusammensetzung

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Es lassen sich mehrere Objektgruppen unterscheiden, die Schwerpunkte beim Zusammensammeln der Objekte gebildet zu haben scheinen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Objekte innerhalb dieser Gruppen zwingend zeitlich oder stilistisch einheitlich wären.

Glasobjekte

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Der Schatzfund von Begram gehört zu den bedeutendsten Fundkomplexen römischer Glaskunst. Die enthaltenen Gefäße und sonstigen Gegenstände zeigen eine große Bandbreite, so finden sich neben einfachen Gefäßformen auch hoch komplexe Objekte in der Form von Tieren, Gegenständen (beispielsweise einer Galeere) oder geometrischen Mustern. Zu diesen aufwendigen Formen gehört eine Scherbe mit der dreidimensional herausgearbeiteten Darstellung eines Leuchtturms (wohl des Pharos von Alexandria), die zu einem der wenigen bekannten Diatretgläser mit figürlichen Darstellungen gehörte.[1] Sowohl die einfacheren als auch die komplexeren Formen konnten zudem weiter verziert sein, sei es durch den gezielten Einsatz farbigen Glases, sei es durch die Bemalung des Glases, sei es durch eingeschliffene Verzierungen (Schliffglas). Die meisten Glasobjekte im Schatz von Begram sind geblasen und stammen aus dem Osten des Römischen Reiches. Eng mit den Glasgefäßen verwandt ist ein Becher (Kantharos) aus Quarz (Bergkristall), in das Blätter und Zweige als Verzierungen eingeritzt wurden.

Bronzearbeiten

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Die Bronzearbeiten im Schatz von Begram sind von großer Vielfalt. Einen Schwerpunkt stellen Gefäße dar, deren größere Ausführungen zur Aufnahme von Getränken gedient haben könnten, während die kleineren Objekte beispielsweise als Gefäße für Kosmetikprodukte gedeutet werden. Neben den Gefäßen enthält der Schatzfund an Bronzearbeiten vor allem Statuetten, darunter Ganzkörperstatuetten von griechischen oder griechisch-ägyptischen Gottheiten, aber auch kleine bronzene Büsten, die als Gewichtsstücke gedient haben dürften. Hinzu kam eine Reihe von Straußeneiern, die aufgrund des hohen Wertes, den man solchen Objekten im Altertum zuschrieb, in eigens angefertigte bronzene Ständer eingearbeitet waren.

Elfenbeinschnitzereien

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Die zahlreichen Elfenbeinschnitzereien im Schatz von Begram stellten einst dekorative Einlagen in Möbeln dar. Sie sind aus stilistischen Gründen als indische Schnitzereien anzusprechen.

Abgüsse

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Der Schatz von Begram enthielt eine Reihe von antiken Abgüsse verschiedener Kunstwerke. Dazu gehören zahlreiche Stuckmedaillons (lateinisch emblemata), die alle in einem rein griechisch-römischen Stil gehalten sind. Sie dienten vermutlich zur Anfertigung von Gegenständen aus wertvolleren Materialien mit den jeweiligen bildlichen Darstellungen.[2]

Sonstige Objekte

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Neben den griechisch-römischen und indischen Gegenständen enthielt der Schatz von Begram auch eine Reihe von chinesischen Lackarbeiten, die jedoch nur schlecht erhalten sind. Sie dürften aus der Region Sichuan im Südwesten Chinas stammen und werden in die Zeit der Han-Dynastie (206 v. Chr.–220 n. Chr.) datiert.[3]

Hinzu kommen unter anderem Gefäße aus Alabaster oder Porphyr, einige Gefäße und Öllampen aus Keramik sowie insgesamt 13 Münzen. Letztere stammen, soweit sie sich noch bestimmen lassen, überwiegend von Herrschern des Kuschana-Reiches (Kujula Kadphises, Vima Kadphises, Kanischka I.), lediglich eine Münze lässt sich dem indo-parthischen König Gondophares zuweisen.[4]

Datierung

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Der Zeitpunkt der Zusammenstellung und Niederlegung des Schatzes in den versiegelten Räumen ist umstritten. Das älteste sicher datierte Objekt im Schatz ist eine Münze des griechisch-indischen Königs Hermaios, der im frühen 1. Jahrhundert v. Chr. regierte, auch wenn seine genaue Regierungszeit unsicher ist. Nach Ansicht der Ausgräber ist das jüngste Objekt eine Münze des kuschanischen Herrschers Vasudeva I., der etwa von 191 bis 220 n. Chr. regierte.[5] Mittlerweile konnten jedoch auch Münzen nachgewiesen werden, die in die späte Zeit des Vasischka, um ca. 260 n. Chr., datieren.[6]

Bedeutung und Interpretation

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Der Schatz fällt durch die hohe Qualität der gefundenen Objekte auf. Nur wenige von ihnen sind vor Ort produziert worden, die meisten stammen aus Indien oder dem Römischen Reich, wobei oftmals Alexandria als Produktionsort vermutet wird. Der eigentliche Materialwert des Schatzes ist gering. Es fanden sich kaum Goldarbeiten oder Edelsteine. Demzufolge gibt es zwei Ansichten zur Funktion des Schatzes. Der Ausgräber nahm an, dass es sich um den Schatz und die Schatzkammern kuschanischer Herrscher handelt, während neuere Überlegungen dahin gehen, den Schatz als Sammlung eines Händlers anzusehen.[7]

Verbleib der Funde

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Die Funde wurden zwischen dem Musée Guimet in Paris und dem Nationalmuseum Kabul aufgeteilt, wo sie seitdem ausgestellt sind.[8] Einige der Funde wurden bereits im August 1937, einen Monat nach ihrer Auffindung, in Kabul ausgestellt. Das Material, das zur Ausstellung in Paris bestimmt war, kam dort im Januar 1947 an. In den Jahren 1957/1958 wurde die Abteilung für islamische Kunst und die Funde aus Begram des Afghanischen Nationalmuseums erstmalig seit dessen Eröffnung 1931 umgestaltet und der Schatz von Begram erhielt einen eigenen Raum.[9] Während des Kriegs in Afghanistan von 1979 bis 1989 verschwanden große Teile der Bestände des Nationalmuseums, wobei Teile des Schatzes von Begram ins Ausland gebracht wurden, um sie dem Zugriff der Mudschahidin zu entziehen. Zwanzig der auf diese Weise verkauften Elfenbeinschnitzereien des Schatzes gelangten in den 2000er Jahren in das British Museum und wurden 2012 nach Afghanistan zurücktransportiert.[10]

Literatur

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  • Pierre Cambon: Alexandria of the Caucasus, Capital of the Kushan Empire. In: Friedrik Hiebert, Pierre Cambon (Hrsg.): Afghanistan: Hidden Treasures from the National Museum, Kabul. National Geographic, Washington 2008, ISBN 978-1-4262-0295-7, S. 144–209.
  • Pierre Cambon: Begram – antikes Alexandria am Kaukasus und Hauptstadt der Kushana. In: Pierre Cambon, Jean-François Jarrige (Hrsg.): Gerettete Schätze. Afghanistan. Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland/Production Foundation De Nieuwe Kerk und Hermitage, Bonn/Amsterdam 2010, ISBN 978-90-78653-20-2, S. 65–85.
  • Pierre Cambon: Begram. In: Pierre Cambon, Jean-François Jarrige (Hrsg.): Gerettete Schätze. Afghanistan. Die Sammlung des Nationalmuseums in Kabul. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland/Production Foundation De Nieuwe Kerk und Hermitage, Bonn/Amsterdam 2010, ISBN 978-90-78653-20-2, S. 229–275 (qualitätvolle Fotografien ausgewählter Objekte aus dem Schatz).
  • Martha L. Carter: Begrām. In: Ehsan Yarshater (Hrsg.): Encyclopædia Iranica. Band 4(1), 1990, ISBN 0-7100-9132-X, S. 84–86 (englisch, iranicaonline.org, Stand: 15. Dezember 1989 – mit Literaturangaben).
  • Joseph Hackin: Recherches archéologiques à Begram: chantier n° 2 (1937), avec la collaboration de Marie Hackin (= Mémoires de la Délégation archéologique française en Afghanistan. Band 9). Les Éditions d’art et d’histoire, Paris 1939 (Digitalisat Textband, Tafelband).
  • Joseph Hackin u. a.: Nouvelles recherches archéologiques à Begram (1939–1940) (= Mémoires de la Délégation archéologique française en Afghanistan. Band 11). 2 Bände, Imprimerie Nationale, Paris 1954.
  • Sanjyot Mehendale: Begram: At the Heart of the Silks Roads. In: Friedrik Hiebert, Pierre Cambon (Hrsg.). Afghanistan: Hidden Treasures from the National Museum, Kabul. National Geographic, Washington 2008, ISBN 978-1-4262-0295-7, S. 131–143.
  • Michael Menninger: Untersuchungen zu den Gläsern und Gipsabdrücken aus dem Fund von Begram/Afghanistan. Ergon Verlag, Würzburg 1996, ISBN 3-928034-96-0.
  • Lauren Morris: The Begram hoard and its context. Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität München 2017 (online).
  • Lauren Morris: Revised dates for the deposition of the Begram hoard and occupation at the New Royal City. In: Parthica. Band 19, 2017, S. 75–104 (online).
  • Lauren Morris: Roman Objects in the Begram Hoard and the Memory of Greek Rule in Kushan Central Asia. In: Rachel Mairs (Hrsg.): The Graeco-Bactrian and Indo-Greek World. Routledge, Abingdon 2020, ISBN 978-1-138-09069-9, S. 580–592.
  • Beat Rütti: Begram, 356 n. Chr. In: Mille Fiori. Festschrift für Ludwig Berger (= Forschungen in Augst. Band 25). Augst 1998, S. 193–200 (Digitalisat).
  • Diverse Aufsätze in: Topoi. Orient–Occident. Band 11, Nummer 1, 2001, S. 357–546 (Titelthema „Begram et les routes commerciales“; Link zu den Digitalisaten).
  • Francine Tissot: Catalogue of the National Museum of Afghanistan 1931–1985. UNESCO Publishing, Paris 2006, S. 134–305 (online).
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Commons: Begram Hoard – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. Dazu Beat Rütti: Der Phasosbecher von Begram – ein spätantikes Figurendiatret. In: Rosemarie Lierke: Antike Glastöpferei. Zabern, Mainz 1999, S. 129–137.
  2. Ausführlich zu den emblemata Otto Kurz: Bégram et l'occident gréco-romain. In: Joseph Hackin u. a.: Nouvelles recherches archéologiques à Begram (1939–1940) (= Mémoires de la Délégation archéologique française en Afghanistan. Band 11). 2 Bände, Imprimerie Nationale, Paris 1954, S. 91–150, hier S. 110–146; ferner Michael Menninger: Untersuchungen zu den Gläsern und Gipsabdrücken aus dem Fund von Begram/Afghanistan. Ergon Verlag, Würzburg 1996, ISBN 3-928034-96-0.
  3. Zu diesen Objekten siehe Michel Pirazzoli-T’serstevens: Les laques chinois de Begram. Un réexamen de leur identification et de leur datation. In: Topoi. Orient–Occident. Band 11, Nummer 1, 2001, S. 473–484 (Digitalisat); Liangren Zhang: Chinese Lacquerwares from Begram: Date and Provenance. In: International Journal of Asian Studies. Band 8, Nummer 1, 2011, S. 1–24 (online).
  4. Zur Zusammensetzung des Schatzes insgesamt siehe Lauren Morris: The Begram hoard and its context. Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität München 2017, Kapitel 4 (S. 185–393), zu den Münzen ebenda S. 378 f.
  5. Pierre Cambon, in: Hiebert/Cambon (Hrsg.): Afghanistan: Hidden Treasures from the National Museum. S. 149.
  6. Lauren Morris: Revised dates for the deposition of the Begram hoard and occupation at the New Royal City. In: Parthica. Band 19, 2017, S. 75–104.
  7. Sanjyot Mehendale, In: Hiebert/Cambon (Hrsg.). Afghanistan: Hidden Treasures from the National Museum. S. 142–143.
  8. Bernard Dupaigne: La DAFA, Délégation archéologique française en Afghanistan. In: Philippe Bonnichon u. a. (Hrsg.): Présences françaises outre-mer (XVIe–XXIe siècles). Band 2. Editions Karthala, Paris 2012, S. 359–364, hier S. 361.
  9. St John Simpson: The “Begram Ivories”: A Successful Case of Restitution of Some Antiquities Stolen from the National Museum of Afghanistan in Kabul. In: International Journal of Cultural Property. Band 23, Nummer 4, 2016, S. 459–477, hier S. 463 (online).
  10. St John Simpson: The “Begram Ivories”: A Successful Case of Restitution of Some Antiquities Stolen from the National Museum of Afghanistan in Kabul. In: International Journal of Cultural Property. Band 23, Nummer 4, 2016, S. 459–477.