Semiempirie

Hybridansatz der Wissenschaft

Die Semi-Empirie oder Semi-Empirik ist ein Hybridansatz der Wissenschaft, der etablierte Theorie mit gezielter Empirie verknüpft und erweitert. Wenn bei einer Forschungsfrage zwar grundlegende logische oder mathematische Zusammenhänge naheliegen, jedoch die genauen Parameterwerte der einzelnen Formelinhalte unbekannt sind, so kann ein gezielter semi-empirischer Ansatz zielführend sein.

Flussdiagramm zum Ablauf der semi-empirischen Modellbildung
Ablauf der semi-empirischen Modellbildung

Semi-Empirische Methode

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Semi-Empirie zeichnet sich durch drei Elemente[1] aus:

  • Kombination von Theorie und Empirie: Semi-empirische Ansätze versuchen, theoretische Überlegungen mit empirischen Beobachtungen zu verbinden.
  • Flexibilität: Sie erlaubt Anpassungen des theoretischen Rahmens basierend auf empirischen Erkenntnissen und umgekehrt.
  • Iterativer Prozess: Semi-Empirie kann als ein Prozess verstanden werden, in dem sich Phasen der Theoriearbeit und der empirischen Forschung abwechseln.

Ein Sachverhalt wird zunächst bestmöglich durch einen theoretisch gültigen Formalismus beschrieben, zentrale Teile des Formalismusses werden geschickt zusammengefasst und anschließend durch experimentelle Untersuchungen und deren bestmögliche Passung empirisch ergänzt. Erzielt diese Passung im Rahmen der Modellgrenzen eine ausreichende Vorhersagekraft, so gilt der Prozess als abgeschlossen. Andernfalls wird die theoretische Grundlage verfeinert und die Messung mit i. d. R. mehr Parametern wiederholt.

Beispiele für semi-empirische Verfahren

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Theorie und Vereinfachung: Die Bindungsenergie eines Atoms setzt sich aus fünf Bestandteilen zusammen. Bei konstant angenommener Dichte bedeutet ein großes Volumen, dass wegen der starken Kernkraft grundsätzlich viele Bindungen existieren. An der Oberfläche ist die Anzahl dieser Kräfte jedoch aufgrund weniger Nachbarn geringer. Wegen der Coulomb-Abstoßung der Protonen werden diese Bindungsenergien weiter abgeschwächt. Aufgrund des ungleichen Verhältnisses aus Protonen und Neutronen – besonders in großen Atomen – muss ein Symmetrie-Korrekturterm eingeführt werden. Außerdem muss das Modell berücksichtigen, dass Kerne mit gerader Protonen- und Neutronenzahl signifikant stabiler sind. Die Gewichtungs-Parameter der einzelnen Termbestandteile sind jedoch unbekannt.

 
Tröpfchenmodell

 

 

Empirie: Die fünf Parameter der Formel   werden experimentell bestimmt, indem die Bindungsenergien für mindestens fünf Atomkerne untersucht werden. Die Zahlen sind daher in der Literatur je nach zugrunde liegenden Kernen schwankend.

Semi-Empirie:

Mit   ,  ,  ,   und   bietet das Modell eine gute Vorhersagekraft für mittelgroße bis große Atomkerne, deren Atomzahl nicht den Magischen Zahlen angehören.[2]

Aerodynamische Reibungskraftanalyse nach Messner

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Theorie und Vereinfachung: Das Abbremsverhalten beim Ausrollvorgang von Landfahrzeugen (in turbulenten Luftströmungen) wird maßgeblich von zwei Kraftarten bestimmt:

  • Die konstant wirkenden Kräften, z. B. Rollreibungskraft der Reifen und Kugellager, auch der Hangabtriebskraft der Teststrecke.
    • Die Rollreibung wird pro Reifen und pro Kugellager gemäß   mit der jeweils lokal anliegenden Normalkraft   berechnet, wobei die Koeffizienten   und die Belastungen   in der Realität höchstens grob abschätzbar sind.
    • Die Hangabtriebskraft ist mit   gegeben, wobei der Hangneigungswinkel   außerhalb der Laborbedingungen stark schwankt.
  • Der Luftwiderstand, der quadratisch mit der Geschwindigkeit ansteigt und für den auch die Windstärke und -richtung beachtet werden muss. Die meisten Parameter der Formel   sind dabei unbekannt: Der Strömungswiderstandskoeffizient   lässt sich bestenfalls aus anderen Experimenten mit ähnlichen Fahrzeugen abschätzen, die Stirnfläche   muss zum Fahrzeug passend bestimmt werden, die Luftdichte   kann den aktuellen Wetterdaten entnommen werden. Die Geschwindigkeit   muss zudem vektoriell um die Windgeschwindigkeit bereinigt werden (siehe auch: Fluggeschwindigkeit und der Unterschied zwischen Groundspeed und Airspeed).

Die konstanten Kräfte werden zusammen unter dem Parameter   und die Einflüsse auf den Luftwiderstand unter dem Parameter   gemäß Superposition zusammengefasst:[3]

 

 

Empirie: Wird ein Fahrzeug von einer möglichst hohen Geschwindigkeit ausschließlich durch die oben beschriebenen Kräfte abgebremst, indem man es ausrollen lässt, so sind die Parameter   und   aus den Zeit-Orts-Messdaten für das jeweilige Fahrzeug bestimmbar. Für diesen Abgleich zwischen Modell und Realität eignet sich z. B. die Methode der kleinen Schritte.

Semi-Empirie: Für ein E-Mountainbike ergeben sich beispielsweise die Parameter   und  . Diese ermöglichen wiederum Rückschlüsse auf einerseits die Reibungskoeffizienten der Reifen und Kugellager und andererseits auf den Strömungswiderstandskoeffizienten   des Fahrzeugs.[4]

Weitere Beispiele

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Einzelnachweise

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  1. Albert Scherr: Verhältnis von Theorie und Empirie. In: Hochschule Freiburg. 2020, abgerufen am 18. November 2024.
  2. H. A. Bethe, R. F. Bacher: Nuclear Physics A. Stationary States of Nuclei. In: Reviews of Modern Physics. Band 8, Nr. 2, 1. April 1936, ISSN 0034-6861, S. 82–229, doi:10.1103/RevModPhys.8.82 (aps.org [abgerufen am 6. Dezember 2024]).
  3. Was ist Superposition? - Definition von Computer Weekly. In: computerweekly.com. Abgerufen am 7. Dezember 2024.
  4. Martin Messner: Aerodynamische Reibungskraftanalyse. Abgerufen am 7. Dezember 2024.
  5. Wolfhard Koch, Universität Tübingen, Quantenchemie PDF
  6. Gernot Frenking: Perspective on "Quantentheoretische Beiträge zum Benzolproblem. I. Die Elektronenkonfiguration des Benzols und verwandter Beziehungen". In: Theoretical Chemistry Accounts: Theory, Computation, and Modeling (Theoretica Chimica Acta). Band 103, Nr. 3-4, 9. Februar 2000, ISSN 1432-881X, S. 187–189, doi:10.1007/s002149900023 (springer.com [abgerufen am 7. Dezember 2024]).