Die St.-Crispins-Tag-Rede (auch St.-Crispin-Rede, Crispins-Tag-Rede, St.-Crispians-Rede, Rede zum St.-Crispianus-Tag oder St.-Crispians-Ansprache) ist eine bekannte Rede aus dem Königsdrama Heinrich V. von William Shakespeare, mit der der Titelheld Heinrich V. von England vor der Schlacht von Azincourt am 25. Oktober 1415 seine Truppe anfeuert. Der 25. Oktober ist den Heiligen Crispinus und Crispinianus geweiht.

Hintergrund im Stück

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König Heinrich hält die Rede in der dritten Szene des vierten Aufzugs, die im Morgengrauen des St.-Crispins-Tages spielt. Die englischen Truppen sind nach langen Märschen müde und ausgezehrt. 12.000 ermattete englische Soldaten sehen sich 60.000 ausgeruhten Feinden gegenüber. Entsprechend schlecht schätzt auch Heinrich die Chancen seiner Truppen ein („In der Tat, die Franzosen können zwanzig französische Kronen gegen eine setzen, daß sie uns schlagen werden, denn sie tragen sie auf ihren eignen Schultern“, König Heinrich, Aufzug IV, Szene 1).

Um seine verzweifelten Offiziere, Vasallen und Soldaten zu ermutigen, spricht Heinrich zu ihnen. Es gelingt ihm, seine Männer zu inspirieren und ihre Moral zu steigern. Sie vollbringen das scheinbar Unmögliche und schlagen den zahlenmäßig überlegenen Gegner vernichtend. Während zehntausend Franzosen fallen, zählen die Engländer am Ende nur 29 Tote, wie in Aufzug IV, Szene 8 festgestellt wird.

Die Edelleute und Offiziere des Königs, Gloster, Bedford, Westmoreland, Exeter und Salisbury, fürchten den drohenden Ansturm der Franzosen. Heinrich tritt hinzu. Sein Vetter, der Graf von Westmoreland, fleht:

„O hätten wir nun hier
Nur ein Zehntausend von dem Volk in England,
Das heut ohn Arbeit ist!“

Heinrich antwortet ihm zunächst direkt und leitet dann in eine motivierende Ansprache an alle Anwesenden über.

Englische Originalversion Deutsche Übersetzung von August Wilhelm von Schlegel

What’s he that wishes so?
My cousin Westmoreland? No, my fair cousin;
If we are mark’d to die, we are enow
To do our country loss; and if to live,
The fewer men, the greater share of honour.
God’s will! I pray thee, wish not one man more.
By Jove, I am not covetous for gold,
Nor care I who doth feed upon my cost;
It yearns me not if men my garments wear;
Such outward things dwell not in my desires.
But if it be a sin to covet honour,
I am the most offending soul alive.
No, faith, my coz, wish not a man from England.
God’s peace! I would not lose so great an honour
As one man more methinks would share from me
For the best hope I have. O, do not wish one more!
Rather proclaim it, Westmoreland, through my host,
That he which hath no stomach to this fight,
Let him depart; his passport shall be made,
And crowns for convoy put into his purse;
We would not die in that man’s company
That fears his fellowship to die with us.

This day is call’d the feast of Crispian.
He that outlives this day, and comes safe home,
Will stand a tip-toe when this day is nam’d,
And rouse him at the name of Crispian.
He that shall live this day, and see old age,
Will yearly on the vigil feast his neighbours,
And say ‘To-morrow is Saint Crispian.’
Then will he strip his sleeve and show his scars,
And say ‘These wounds I had on Crispian’s day.’

Old men forget; yet all shall be forgot,
But he’ll remember, with advantages,
What feats he did that day. Then shall our names,

Familiar in his mouth as household words-
Harry the King, Bedford and Exeter,
Warwick and Talbot, Salisbury and Gloucester-
Be in their flowing cups freshly rememb’red.
This story shall the good man teach his son;
And Crispin Crispian shall ne’er go by,
From this day to the ending of the world,
But we in it shall be remembered-
We few, we happy few, we band of brothers;
For he to-day that sheds his blood with me
Shall be my brother; be he ne’er so vile,
This day shall gentle his condition;
And gentlemen in England now-a-bed
Shall think themselves accurs’d they were not here,
And hold their manhoods cheap whiles any speaks
That fought with us upon Saint Crispin’s day.

Wer wünschte so?
Mein Vetter Westmoreland? – Nein, bester Vetter:
Zum Tode ausersehn, sind wir genug
Zu unsers Lands Verlust; und wenn wir leben,
Je klein’re Zahl, je größres Ehrenteil.
Wie Gott will! Wünsche nur nicht einen mehr!
Beim Zeus, ich habe keine Gier nach Gold,
Noch frag’ ich, wer auf meine Kosten lebt,
Mich kränkt’s nicht, wenn sie meine Kleider tragen;
Mein Sinn steht nicht auf solche äußre Dinge:
Doch wenn es Sünde ist, nach Ehre geizen,
Bin ich das schuldigste Gemüt, das lebt.
Nein, Vetter, wünsche keinen Mann von England:
Bei Gott! Ich geb’ um meine beste Hoffnung
Nicht so viel Ehre weg, als ein Mann mehr
Mir würd’ entziehn. O wünsch’ nicht einen mehr!
Ruf’ lieber aus im Heere, Westmoreland,
Daß jeder, der nicht Lust zu fechten hat,
Nur hinziehn mag; man stell’ ihm seinen Paß
Und stecke Reisegeld in seinen Beutel:
Wir wollen nicht in des Gesellschaft sterben,
Der die Gemeinschaft scheut mit unserm Tod.

Der heut’ge Tag heißt Crispianus’ Fest:
Der, so ihn überlebt und heimgelangt,
Wird auf dem Sprung stehn, nennt man diesen Tag,
Und sich beim Namen Crispianus rühren.
Wer heut am Leben bleibt und kommt zu Jahren,
Der gibt ein Fest am heil’gen Abend jährlich
Und sagt: »Auf Morgen ist Sankt Crispian!«,
Streift dann die Ärmel auf, zeigt seine Narben
Und sagt: »An Crispins Tag empfing ich die.«

Die Alten sind vergeßlich; doch wenn alles
Vergessen ist, wird er sich noch erinnern
Mit manchem Zusatz, was er an dem Tag
Für Stücke tat: dann werden unsre Namen,
Geläufig seinem Mund wie Alltagsworte,
Heinrich der König, Bedford, Exeter,
Warwick und Talbot, Salisbury und Gloster,
Bei ihren vollen Schalen frisch bedacht!
Der wackre Mann lehrt seinem Sohn die Märe,
Und nie von heute bis zum Schluß der Welt
Wird Crispin Crispian vorübergehn,
Daß man nicht uns dabei erwähnen sollte,
Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder:
Denn welcher heut sein Blut mit mir vergießt,
Der wird mein Bruder; sei er noch so niedrig,
Der heut’ge Tag wird adeln seinen Stand.
Und Edelleut’ in England, jetzt im Bett’,
Verfluchen einst, daß sie nicht hier gewesen,
Und werden kleinlaut, wenn nur jemand spricht,
Der mit uns focht am Sankt Crispinus-Tag.

Literaturkritik

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Die berühmte Feldherrnrede ist erstens sowohl an die zuhörenden Soldaten als auch an die Nation adressiert. Zweitens beschwört Heinrich V. einen vorweggenommenen Sieg, bevor der Kampf überhaupt begonnen hat.[1] Die Rhetorik der Ansprache des Königs ist, wie das Stück selbst, im Rahmen von Shakespeares Gesamtwerk außergewöhnlich.[2] Thematisch ist sie eine tour de force und legt Motive aus der Tetralogie und Aeschylische oder Wagnersche Transmutationen vor.[3] Am Anfang der Rede invertiert Heinrich den verzweifelten Wunsch Westmorelands nach mehr Männern, indem er großspurig wünscht, dass er weniger hätte („Je klein’re Zahl, je größres Ehrenteil. Wie Gott will! Wünsche nur nicht einen mehr!“).[4] Um sein Draufgängertum noch mehr zu beweisen, will er sich sogar noch mehr benachteiligen. Er bietet an, Soldaten, die nicht kämpfen wollen, mit Reisepapieren und sogar Reisegeld auszustatten. Mit solchen Kampfunwilligen, die nicht bereit sind, zusammen mit seinen Truppen zu sterben, will auch er nicht untergehen („Wir wollen nicht in des Gesellschaft sterben, Der die Gemeinschaft scheut mit unserm Tod."“). In einer aufrüttelnden Sprache, welche eine Gemeinschaft des Königs mit den gemeinen Soldaten vortäuscht, stellt sich Heinrich die Schlacht als schon geschlagen vor.[5]

Kulturelle Bedeutung

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Die St.-Crispins-Tag-Rede ist eine mitreißende Ansprache (englisch: „rousing speech“). Mitreißende Ansprachen sind, in verschiedenen Erscheinungsformen und Ausprägungen, eine vorrangig im englischsprachigen Kulturraum verbreitete Konvention in Fernsehen, Kino und Literatur. Die St.-Crispins-Tag-Rede ist eine der bekanntesten und meist zitierten Ansprachen.[6]

Besonders im anglo-amerikanischen Kulturraum wird auf die St.-Crispins-Tag-Rede (englisch St. Crispin’s Day Speech, zuweilen auch St. Crispens Day Speech) Bezug genommen, wenn es darum geht, eine unterlegen scheinende Gruppe (z. B. Soldaten, Sportmannschaft) für eine besondere Herausforderung zu motivieren.[7][8]

Auch ist der Ausspruch „We few, we happy few, we band of brothers“ aus der Rede ein geflügeltes Wort in der englischen Sprache. Er wird in einem Fenster der Westminster Abbey, welches den Anstrengungen der Royal Air Force in der Luftschlacht um England gewidmet ist, zitiert.

Anspielungen und Zitate in anderen Werken

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Literatur

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  • We happy few von Imogen Stubbs[10] – Das Theaterstück nimmt bereits im Titel Bezug zur St.-Crispins-Tag-Rede und greift auch im Verlauf den in der englischen Sprache sprichwörtlichen Charakter des Zitats auf.[11]
  • Verfilmungen des Theaterstücks beinhalten auch die Rede. Dabei wird sie stets wörtliche oder nur mit kleinen Änderungen übernommen. Besonders bekannt sind Interpretationen von Olivier und Branagh in Heinrich V. – britischer Kinofilm von Laurence Olivier von 1944 bzw. Henry V. (Film) – Verfilmung von und mit Kenneth Branagh von 1989.
  • Mr. Bill – orig. Renaissance Man – Bill Rago (Danny DeVito) motiviert Soldaten durch Shakespeare und die St.-Crispins-Tag-Rede.
  • Tombstone – Eine Theatergruppe gastiert im abgelegenen Dorf Tombstone. Die Aufführung der St.-Crispins-Tag-Rede begeistert sogar die eher kulturlosen Cowboys und Rancher.
  • Die Girls von St. Trinian 2 – Auf Schatzsuche (2009) – Miss Fritton ruft die Schülerinnen auf, gegen den Bösewicht Pomfrey zu kämpfen.
  • Der Mann, der Liberty Valance erschoß (orig.: The Man Who Shot Liberty Valance) – Der Zeitungsredakteur Peabody (Edmond O’Brien) zitiert einen Teil der Rede, während der Bandit Liberty Valance (Lee Marvin) die Westernstadt Shinbone terrorisiert.
  • Independence Day – US-Präsident Whitmore hält eine Ansprache vor der entscheidenden Schlacht gegen Aliens, deren Vorbild die St.-Crispins-Tag-Rede ist.[12]

Fernsehen

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  • Ein Hauch von Himmel, Staffel 7, Episode 19 – „The Penalty Box“ – Der Schüler Jeff McHenry (Zachery Ty Bryan) motiviert seine Eishockey-Mannschaft durch eine Ansprache, die an die St.-Crispins-Tag-Rede angelehnt ist.
  • Band of Brothers – Wir waren wie Brüder – Zehnteilige US-amerikanische Fernsehproduktion über Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Der Serientitel nimmt Bezug zur St.-Crispins-Tag-Rede.
  • Blackadder, Staffel 1, Episode 6 – „The Black Seal“ – Gerade in der ersten Staffel der Serie finden sich viele Zitate aus den Werken Shakespeare. Speziell in dieser Episode gibt der Hauptcharakter Edmund Black Adder (Rowan Atkinson) die Rede falsch wieder und ruft aus: “We few, we happy few, we band of ruthless bastards.”
  • Buffy – Im Bann der Dämonen, Staffel 5, Episode 22 – „The Gift“ – Bevor die Protagonisten einen gefährlichen Gegner konfrontieren, hält Buffy (Sarah Michelle Gellar) die Ansprache: “Everybody knows their jobs. Remember, the ritual starts, we all die. And I’ll kill anyone who comes near Dawn.” Darauf erwidert Spike (James Marsters): “Well, not exactly the St. Crispin’s Day speech, was it?” Darauf Giles (Anthony Head): “We few, we happy few …”. Darauf wieder Spike: “… we band of buggered.”
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Wikisource: The Life of Henry the Fifth – Quellen und Volltexte (englisch)

Einzelnachweise

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  1. Johan Schloemann: Wir werden stolz sein. Abgerufen am 16. April 2020.
  2. Norman Rabki: Rabbits, Ducks, and Henry V In: Shakespeare Quarterly, Nr. 3, 1977, S. 279(286).
  3. Norman Rabki: Rabbits, Ducks, and Henry V In: Shakespeare Quarterly, Nr. 3, 1977, S. 279(286).
  4. Donald Hedrick: Advantage, Affect, History, “Henry V.” In: PMLA, Nr. 3, 2003, S. 470(472).
  5. Donald Hedrick: Advantage, Affect, History, “Henry V.” In: PMLA, Nr. 3, 2003, S. 470(473).
  6. Rousing Speeches. In: tvtropes.org
  7. Simon Maier: Inspire!: Insights and lessons from 100 of the greatest speeches from film and theatre. Marshall Cavendish c/o Times E, 2010, ISBN 978-981-4302-62-3.
  8. Paul Massari: Enduring inspiration. Harvard Gazette, 26. Oktober 2011.
  9. Stephen E. Ambrose: Band of Brothers, E Company, 506th Regiment, 101st Airborne: From Normandy to Hitler’s Eagle’s Nest. 2. Auflage. Simon & Schuster, New York 2001, ISBN 0-7432-1645-8.
  10. Imogen Stubbs: We happy few. Nick Hern Books, London 2004, ISBN 1-85459-813-9.
  11. Mark Berninger: Vergegenwärtigung des Krieges am Ende der Nachkriegszeit. In: Alfred Gall (Hrsg.): Wendezeiten: Historische Zäsuren in Drama und Film (= Mainzer Forschungen zu Drama und Theater). Nr. 44. Francke, Tübingen 2011, ISBN 978-3-7720-8417-1, S. 290 f.
  12. James Harris: The Oral History of the President’s Speech in ‘Independence Day’. Abgerufen am 5. Juli 2022 (englisch).