Umschriebene Entwicklungsstörung

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Unter einer umschriebenen Entwicklungsstörung versteht man eine im Vergleich zu Gleichaltrigen deutlich verzögerte oder fehlende Ausbildung bestimmter physischer oder kognitiver Merkmale[1]. Die Beeinträchtigungen beziehen sich auf die Bereiche der Motorik, der Sprache sowie der schulischen Fertigkeiten (Lesen, Rechtschreiben, Rechnen). Umschriebene Entwicklungsstörungen werden abgegrenzt von sogenannten Entwicklungsverzögerungen, welche meist nur vorübergehend auftreten[2].

Ursachen

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Grundsätzlich entsteht eine Entwicklungsstörung durch gestörte Reifungsprozesse in bestimmten Gehirnarealen. Die Ursachen für eine solche Störung können sehr vielfältig sein. Die wichtigsten Einflussfaktoren sind:

  • Genetische Einflüsse: Vor allem bei der Entwicklung des Nervensystems ist die genetische Komponente zentral[3]. Unter genetische Belastungen fallen z. B. bestimmte vererbbare Stoffwechselerkrankungen, Erbgutdefekte oder Trisomie 21[4][5].
  • Pränatale Einflüsse: Auch Schädigungen des Fötus während der Schwangerschaft können zu späteren Beeinträchtigungen in der Entwicklung führen. Diese Schäden können durch Infektionen, Medikamente, Alkohol, Nikotin oder anderen psychotropen Substanzen entstehen. Auch Komplikationen während der Geburt (z. B. Frühgeburt oder zu wenig Sauerstoff) können problematisch sein[6]
  • Organische Einflüsse: Entwicklungsstörungen können die Folge von organischen Defiziten sein (z. B. Entzündungen, Traumen, Mangelernährung oder andere Erkrankungen)[7].
  • Psychische Einflüsse: Frühkindliche Traumata, soziale und emotionale Vernachlässigung sowie Misshandlung im Kindesalter können ebenfalls zu Entwicklungsstörungen führen[8][9].
  • Psychosoziale Einflüsse: Dieser Bereich umfasst vor allem Umwelteinflüsse, welche die Entwicklung von Kindern beeinträchtigen können. Beispiele hierfür sind gestörte Familienverhältnisse oder Armut der Eltern[10].

Formen und Bereiche umschriebener Entwicklungsstörungen

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Umschriebene Entwicklungsstörungen können in drei unterschiedlichen Teilbereichen auftreten. Die Probleme betreffen die Sprache, die Motorik sowie einige schulische Fertigkeiten (Lesen, Rechtschreiben, Rechnen)[11].

Umschriebene Sprachentwicklungsstörungen

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Sprachentwicklungsstörungen liegen vor, wenn die Sprachproduktion und/oder das Sprachverständnis signifikant vom normativen Sprech- und Sprachentwicklungsverlauf abweichen[12]. Die Sprachprobleme äußern sich meist in den ersten zwei bis drei Lebensjahren[13] und können bis ins Jugend- und Erwachsenenalter persistieren[14]. Auffällig werden die Probleme zumeist im Vor- und Grundschulalter[15]. Bei Kindern bis zum dritten Lebensjahr spricht man von einer Sprachentwicklungsverzögerung[16], da die Sprachdefizite bis zu diesem Alter noch aufgeholt werden können[17]. Demnach wird vor dem dritten Lebensjahr keine Diagnose für eine Sprachentwicklungsstörung gestellt[18]. Ungefähr 6-8 % aller Kinder leiden unter einer Sprachentwicklungsstörung, wobei die Prävalenz bei Jungen ca. doppelt so hoch ist, als bei Mädchen[19][20]. Betroffene Sprachbereiche der Störung sind Bereich der Prosodie (Sprechmelodie und Sprachdynamik), Phonologie (Lauterkennen, -unterscheiden, -zusammenfügen), Grammatik, Lexikon (Wortschatz und Wortbedeutung) sowie Syntax (Satzbau und Struktur)[21]. Grundsätzlich kann man diese Sprachprobleme in zwei Kategorien unterteilen:

  • Expressive Sprachstörungen (Probleme beim Sprachausdruck): Im Gegensatz zu Gleichaltrigen beginnt das Kind deutlich später zu sprechen und verfügt über einen geringeren Wortschatz. Es hat Probleme dabei, grammatikalisch korrekte Sätze zu bilden oder inhaltlich das auszusagen, was es möchte. Manche Kinder haben auch Schwierigkeiten dabei, einzelne Laute zu bilden.
  • Rezeptive Sprachstörungen (Probleme beim Sprachverständnis): Kindern mit einer rezeptiven Sprachstörung fällt es schwer, andere verbal zu verstehen. Oft zeigt sich dies darin, dass die Kinder einfachen Aufforderungen nicht folgen oder unangemessene Reaktionen zeigen[22].

Häufig haben Kinder mit einer Sprachentwicklungsstörung sowohl im expressiven, als auch im rezeptiven Bereich Probleme[23].

Umschriebene Entwicklungsstörung der motorischen Funktionen

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Kinder mit motorischen Entwicklungsstörungen (auch Dyspraxie genannt) zeigen ein nicht altersgemäßes Bewegungsverhalten[24] und haben Probleme dabei, grob- und feinmotorische Fähigkeiten zu erwerben[25]. Im grobmotorischen Bereich haben die Kinder oftmals Probleme beim Gehen oder Laufen und bewegen sich allgemein deutlich unsicherer als andere gleichaltrige Kinder. Weiters fällt es ihnen schwer, das Gleichgewicht zu halten, sie stolpern häufig oder lassen Gegenstände fallen. Auch beim Spielen können sich grobmotorische Probleme bemerkbar machen, indem die Kinder sehr ungeschickt beim Werfen oder Fangen eines Balles sind. Feinmotorische Einschränkungen machen sich beim Schreiben, Malen oder Basteln bemerkbar. Die Kinder sind beispielsweise ungeschickt beim Hantieren mit der Schere und anderen Werkzeugen und haben oftmals Probleme dabei, Papier zu falten. Häufig ist auch ihre Handschrift nur schwer zu entziffern[26]. Entwicklungsstörungen in der Motorik fallen meist ab einem Alter von drei bis fünf Jahren auf. Eine sichere Diagnose kann erst ab dem fünften Lebensjahr gestellt werden. In schweren Fällen wird die Störung bereits zwischen dem drei und vier Jahren gestellt. Die Prävalenz liegt zwischen 5 und 6 %. Häufig treten die motorischen Auffälligkeiten in Verbindung mit anderen Störungen auf, wie z. B. Störungen der Aktivität und Aufmerksamkeit, der Sprache oder Teilleistungsstörungen (Lese- und Rechtschreibstörungen)[27].

Umschriebene Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten

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Entwicklungsstörungen der schulischen Fertigkeiten beziehen sich auf Schwierigkeiten beim Lesen (Dyslexie), Rechtschreiben (Legasthenie) oder Rechnen (Dyskalkulie). Manche Kinder haben nur in einem der drei Teilbereiche Probleme, wobei andere Kinder in mehreren oder sogar allen Bereichen Einschränkungen aufweisen. Vor allem Probleme beim Lesen und Rechtschreiben treten häufig in Kombination mit Sprachentwicklungsstörungen auf[28].

Lese- und/oder Rechtschreibstörung

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Mit diesem Begriff werden insgesamt drei Entwicklungsstörungen zusammengefasst. Man unterscheidet eine kombinierte Lese- und Rechtschreibstörung, eine isolierte Rechtschreib- sowie eine isolierte Lesestörung. Kinder mit einer Lese- und/oder Rechtschreibstörung haben Probleme, Laute zu unterscheiden und sie zusammenzufügen. Dies resultiert in vielen Lesefehlern. Im Laufe der Entwicklung der Kinder ist vor allem die Lesegeschwindigkeit eingeschränkt. Im Bezug auf das Rechtschreiben zeigen die Kinder trotz intensiven Trainings eine hohe Anzahl an Rechtschreibfehler. Sie können Groß- und Kleinschreibung nicht unterscheiden und haben Probleme bei der Wortstammschreibung (z. B. Muter statt Mutter), bei der Auslautschreibung (z. B. Berk statt Berg) oder bei der Schreibung von Konsonantenhäufungen (Schtrand statt Strand). Die Prävalenz dieser Störungen liegt bei jeweils 3-4 %[29].

Rechenstörung

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Kinder mit einer Rechenstörung haben erhebliche Schwierigkeiten im Bereich Mathematik. Im Vordergrund stehen Schwierigkeiten im Mengenverständnis (z. B. 6 Äpfel sind mehr als 3 Äpfel), in der visuell-räumlichen Zahlenvorstellung (z. B. auf einem Metermaß ist der Abstand zwischen 2 und 5 cm kleiner als zwischen 2 und 50 cm) und in der Umsetzung von Ziffern in die Sprache (Ziffer 5 und das Wort fünf). Den Kindern fällt es schwer, die Grundrechenarten zu erlernen oder mathematische Textaufgaben zu lösen. Die Prävalenz liegt bei 2-8 %[30].

Diagnostik

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Entwicklungsstörungen bei Kindern werden oft in der Schule oder auch von einem Kinderarzt im Laufe von regelmäßigen Untersuchungen entdeckt[31]. Um sicherzustellen, dass tatsächlich eine Entwicklungsstörung vorliegt, wird eine sogenannte Entwicklungsdiagnostik durchgeführt. Diese wird hauptsächlich von (klinischen) Psychologen angeleitet. Im Zuge der Entwicklungsdiagnostik werden nicht nur leistungsbezogene Daten der Kinder erhoben, sondern auch relevante Informationen des biopsychosozialen Kontextes eingeholt. Dazu zählen unter anderem biologische Risiken (z. B. Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt), Verhaltens- oder Temperamentsmerkmale des Kindes sowie familiär-häusliche Bedingungen oder das soziale Umfeld. Die Entwicklungsdiagnostik im engeren Sinne bezieht sich auf Leistungstests im Kindesalter[32]. Vor der eigentlichen Diagnostik ist es wichtig, biologische Ursachen als Grund für die Probleme des Kindes ausschließen zu können. So ist es beispielsweise bei einem Verdacht auf eine Sprachentwicklungsstörung ratsam, zuerst einen HNO-Arzt aufzusuchen, um eventuelle Hörprobleme des Kindes abzuklären, die für die Sprachschwierigkeiten verantwortlich sein könnten[33].

Innerhalb der Entwicklungsdiagnostik unterscheidet man zwischen unterschiedlichen Arten von Entwicklungstests:

  • Entwicklungsscreenings: Das sind kurze Testverfahren, die sehr zeitsparend eine grobe Orientierung über eventuelle Auffälligkeiten des Kindes liefern sollen. Im Ergebnis wird eine einfache Klassifikation zwischen auffällig oder unauffällig vorgenommen.
  • Allgemeine Entwicklungstests: Diese Tests dienen einer differenzierten Orientierung kindlicher Entwicklung und decken dabei ein großes Spektrum ab. Die wesentlichen Bereiche beziehen sich auf: Körpermotorik, Auge-Hand-Koordination (Visuomotorik), Wahrnehmung, kognitive Entwicklung, Sprachentwicklung, emotionale Entwicklung und lebenspraktische Fertigkeiten.
  • Spezifische Entwicklungstests: Diese Tests liefern Ergebnisse zu spezifischen umschriebenen Bereichen. Es geht dabei um eine psychometrische Erfassung der Entwicklung in einem dieser Bereiche (z. B. Lese- und Rechtschreibstörung)[34].

Auswahl etablierter deutschsprachiger Entwicklungstests

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Screeningverfahren:

  • Denver Entwicklungsskalen (DES)
  • Erweiterte Vorsorgeuntersuchung (EVU)
  • Neuropsychologisches Entwicklungsscreening (NES)

Allgemeine Entwicklungstests:

  • Entwicklungstest sechs Monate bis sechs Jahre (ET 6-6)
  • Griffiths-Entwicklungsskalen (GES)
  • Münchener Funktionelle Entwicklungsdiagnostik (MFED 1 & MFED 2-3)
  • Wiener Entwicklungstest (WET)

Spezifische Entwicklungstests:

  • Motoriktest für vier- bis sechsjährige Kinder (MOT 4-6)
  • Prüfung optischer Differenzierungsleistungen bei Vierjährigen (POD)
  • Sprachentwicklungstests für drei- bis fünfjährige Kinder (SETK 3-5)

Einzelnachweise

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  1. Medizinexpert*innen bei DocCheck: Entwicklungsstörung. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  2. Umschriebene Entwicklungsstörungen - Pädiatrie - eMedpedia | springermedizin.de. Abgerufen am 11. Dezember 2024.
  3. Umschriebene Entwicklungsstörungen in der Kindheit und Jugend. Abgerufen am 10. Dezember 2024 (deutsch).
  4. Entwicklungsstörung: Arten, Ursachen und Hilfe. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  5. Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales: Entwicklungsverzögerungen. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  6. socialnet GmbH: Entwicklungsstörung | socialnet Lexikon. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  7. Familienhandbuch: Motorische Entwicklungsstörungen. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  8. Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales: Entwicklungsverzögerungen. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  9. Familienhandbuch: Motorische Entwicklungsstörungen. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  10. Familienhandbuch: Motorische Entwicklungsstörungen. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  11. Medizinexpert*innen bei DocCheck: Entwicklungsstörung. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  12. Umschriebene Entwicklungsstörungen - Pädiatrie - eMedpedia | springermedizin.de. Abgerufen am 11. Dezember 2024.
  13. Entwicklungsstörungen der Sprache. Abgerufen am 10. Dezember 2024 (deutsch).
  14. dbl: Sprachentwicklungsstörung. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  15. Sprachentwicklungsstörungen (SES). Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  16. Sprachentwicklungsstörung: Anzeichen, Therapie. 12. Juli 2018, abgerufen am 10. Dezember 2024 (österreichisches Deutsch).
  17. Entwicklungsstörungen der Sprache. Abgerufen am 10. Dezember 2024 (deutsch).
  18. Umschriebene Entwicklungsstörungen - Pädiatrie - eMedpedia | springermedizin.de. Abgerufen am 11. Dezember 2024.
  19. Entwicklungsstörungen der Sprache. Abgerufen am 10. Dezember 2024 (deutsch).
  20. Sprachentwicklungsstörung: Anzeichen, Therapie. 12. Juli 2018, abgerufen am 10. Dezember 2024 (österreichisches Deutsch).
  21. Umschriebene Entwicklungsstörungen - Pädiatrie - eMedpedia | springermedizin.de. Abgerufen am 11. Dezember 2024.
  22. Entwicklungsstörungen der Sprache. Abgerufen am 10. Dezember 2024 (deutsch).
  23. Umschriebene Entwicklungsstörungen - Pädiatrie - eMedpedia | springermedizin.de. Abgerufen am 11. Dezember 2024.
  24. Familienhandbuch: Motorische Entwicklungsstörungen. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  25. Motorische Entwicklungsstörungen / Schritt für Schritt. In: Schritt für Schritt - Verein zur Förderung behinderter Kinder. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  26. Entwicklungsstörungen der Motorik. Abgerufen am 10. Dezember 2024 (deutsch).
  27. Umschriebene Entwicklungsstörungen motorischer Funktionen - Pädiatrie - eMedpedia | springermedizin.de. Abgerufen am 11. Dezember 2024.
  28. Entwicklungsstörung der schulischen Fertigkeiten. Abgerufen am 10. Dezember 2024 (deutsch).
  29. Umschriebene Entwicklungsstörungen - Pädiatrie - eMedpedia | springermedizin.de. Abgerufen am 13. Dezember 2024.
  30. Umschriebene Entwicklungsstörungen - Pädiatrie - eMedpedia | springermedizin.de. Abgerufen am 13. Dezember 2024.
  31. Informationen zu Entwicklungsstörungen beim Kleinkind | DKV. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  32. Entwicklungsdiagnostik. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  33. Informationen zu Entwicklungsstörungen beim Kleinkind | DKV. Abgerufen am 10. Dezember 2024.
  34. Entwicklungsdiagnostik Grundlagen. Abgerufen am 11. Dezember 2024.