Blindstrom

Wechselstrom, der keine Arbeit verrichtet

Die Begriffe Blindstrom und Wirkstrom finden Verwendung in der Wechselstromtechnik, insbesondere im Zusammenhang mit der Übertragung von elektrischer Energie. Während der Wirkstrom für die elektrische Arbeit oder den Transport von elektrischer Energie steht, die beim Verbraucher in mechanische, thermische, chemische oder andere elektrische Energie umgewandelt wird, ist der Blindstrom daran unbeteiligt. Der Blindstrom steht für Energie, die transportiert, aber im Verbraucher nicht umgewandelt wird; siehe Blindleistung. Dieser Blindstrom bedeutet für die Leitungen und Transformatoren eine zusätzliche Belastung und ist im Allgemeinen unerwünscht.

Bei Verbrauchern mit dem elementaren Verhalten eines ohmschen Widerstands ist der Augenblickswert der Stromstärke proportional zum Augenblickswert der elektrischen Spannung. Dieses Verhalten ist in der Praxis oft nicht gegeben: Während im elektrischen Energieversorgungsnetz die elektrische Wechselspannung als eingeprägte Spannung fast immer nahezu sinusförmig verläuft, kann die Wechselstromstärke zeitlich verschoben oder in der Form verändert (verzerrt) sein.

Grundlage

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Die hier sinusförmige Stromstärke   lässt sich zusammengesetzt denken aus einer Wirkstromstärke   (Kurve 1) und einer Blindstromstärke   (Kurve 2)

Ein Beschreibungsmodell ist die Aufspaltung der Stromstärke   in zwei Komponenten, von denen die eine proportional zur Spannung als Wirkstromstärke   gewählt wird. Die andere Komponente, die Differenz zur Gesamtstromstärke, ist die Blindstromstärke  .[1]

 
    oder für den Effektivwert  .

Auslöser von Wirkstrom sind ohmsche Bauelemente.

Auslöser von Blindstrom sind

Sinusförmiger Strom- und Spannungsverlauf

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Bei sinusförmiger Spannung   mit dazu nicht proportionaler sinusförmiger Stromstärke   gibt es Zeiten, in denen Energie zurückgespeist wird. Dieses ist daran erkennbar, dass die Leistung   negativ ist

Wenn bei einem linearen Verbraucher die Augenblickswerte der sinusförmigen Größen   und   nicht zueinander proportional sind, so ist die eine Größe gegenüber der anderen in ihrem Phasenwinkel verschoben. Der einzig zum Energietransport beitragende Wirkstrom ist derjenige Stromanteil, welcher mit der Spannung   im Phasenwinkel übereinstimmt. Der Blindstrom ist derjenige Stromanteil, welcher zur sinusförmigen Spannung um 90° verschoben ist. Weiterhin wird unterschieden zwischen kapazitivem Blindstrom, welcher der Spannung um 90° voreilt, und induktivem Blindstrom, welcher der Spannung um 90° nacheilt, je nachdem, ob der Blindstrom durch Kapazitäten (Kondensatoren oder Leitungskapazität) oder Induktivitäten (induktive Verbraucher oder Leitungsinduktivität) entsteht.

Bei einem Phasenverschiebungswinkel   kann die Stromstärke aufgespalten werden in

 

Der Effektivwert der Stromstärke   kann aufgespalten werden in den Effektivwert der Wirkstromstärke

 

und den Effektivwert der Blindstromstärke

 

Damit verbunden sind die Begriffe Wirkleistung

 

Verschiebungsblindleistung (wenn keine Verwechselung möglich ist, einfach Blindleistung)

 

und Gesamtblindleistung

 

Dabei steht   für die Scheinleistung.

Wirkstrom ohne begleitenden Blindstrom entsteht beispielsweise durch konventionelle Heizgeräte. Generell entsteht Wirkstrom bei allen Verbrauchern, die in ihrem elektrischen Widerstand einen ohmschen Anteil aufweisen. Im Niederspannungsnetz kann aufgrund der Leitungsinduktivität und vieler induktiver Verbraucher (beispielsweise Motoren, Transformatoren, Vorschaltgeräte, Induktionsöfen, also Spulen jeglicher Art) ein erheblicher induktiver Blindstrom auftreten, der zur Erzeugung von Magnetfeldern benötigt wird, die im Rhythmus der Wechselspannung auf- und abgebaut werden; der Blindstrom steht somit für den Transport von Energie, die zwischen Erzeuger und Verbraucher pendelt. Dieser Strom bewirkt auf den Leitungen an deren ohmschen Widerständen eine Verlustleistung.

Bei Antrieben mit Asynchronmaschinen ist der Blindstrombedarf durch den Motor definiert und weitgehend unabhängig von der mechanischen Antriebsleistung. Da der Blindstrom den Strom im Stromnetz unnötig erhöht, stellen die Energieversorgungsunternehmen Großabnehmern die vom Blindstrom verursachte Blindarbeit („Blindleistungsverbrauch“) in Rechnung. Daher betreiben die Großabnehmer Einrichtungen zur Blindstromkompensation. Diese sind in erster Linie Kondensatoren, die einen kapazitiven Blindstrom aufnehmen, der dem üblicherweise induktiven Blindstrom der Verbraucher entgegengesetzt gerichtet ist und ihn näherungsweise aufhebt.

Im Hochspannungsnetz entsteht durch den Kapazitätsbelag der Leitungen kapazitiver Blindstrom, der jedoch weitgehend im Niederspannungsnetz kompensiert wird. In Erdkabeln wirkt der Blindstromanteil allerdings begrenzend auf die realisierbare Kabellänge.

Nicht sinusförmiger Stromverlauf

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Bei nicht sinusförmigem oder „verzerrtem“ Wechselstrom, der bei nicht linearen Verbrauchern wie beispielsweise Stromrichtern trotz sinusförmiger Spannung auftritt, muss das Beschreibungsmodell auf die sinusförmige Grundschwingung und deren Oberschwingungen mit ganzzahligen Vielfachen der Netzfrequenz erweitert werden. Die Stromanteile mit Oberschwingungen werden zusammenfassend als Oberschwingungsstrom oder Verzerrungsstrom   bezeichnet. Sie bewirken bei sinusförmiger Netzspannung im zeitlichen Mittel ebenfalls keine Energieübertragung. Damit ist der Verzerrungsstrom eine weitere Form von Blindstrom.

Wird die Stromkomponente mit der gegenüber der Grundfrequenz  -fach höheren Frequenz mit   bezeichnet, so ergibt sich

    (weil nur Grundschwingung vorhanden ist)
    oder für den Effektivwert  

Der Effektivwert der gesamten Wechselstromstärke ergibt sich als pythagoräische Summe der Grundschwingungsstromstärke und Oberschwingungsstromstärken zu

 

Von der gesamten Stromstärke geht einzig der Wirkanteil des Grundschwingungsstromes

 

in die Wirkleistung ein,

 

Zusätzlich zur Verschiebungsblindleistung der Grundschwingung

 

verursacht der Verzerrungsstrom die Verzerrungsblindleistung[1]

 

und zusammen die Gesamtblindleistung

 

Nicht sinusförmiger Spannungsverlauf

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In diesem bei der elektrischen Energieübertragung weniger wichtigen, aber bei Schaltnetzteilen bedeutsamen Fall gilt für den gesamten Wirkstrom

 

und den gesamten Blindstrom[1]

 

Messung von Wirk- und Blindstrom

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Bei sinusförmigem Strom eignet sich zur Messung von Wirkstrom (im üblichen Bereich  ) der gesteuerte Gleichrichter, dessen arithmetisch gemittelte Ausgangsspannung proportional zu

 

ist. Dem Messgerät muss zusätzlich zum Strom die Bezugsspannung zugeführt werden. Bei verzerrtem Strom wird das Ergebnis durch ungeradzahlige Oberschwingungen beeinflusst.

Mit einer zur Bezugsspannung um +90° oder −90° verschobenen Spannung (so gewählt, dass die gemittelte Ausgangsspannung positiv wird) wird entsprechend

 

messbar.

Anmerkung

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Die Blindstromstärke   wird in der DIN[1] als orthogonal zur Spannung   und zur Wirkstromstärke   bezeichnet. Die Orthogonalität der Funktionen   und   ist der Hintergrund für die pythagoräische Summe der Effektivwerte  .

Allgemein als orthogonal zur Spannung   werden alle Anteile   an der Stromstärke bezeichnet, die die Bedingung   erfüllen.

  • Beispiel 1: Zu   orthogonal ist der Stromanteil  .
Die beiden Größen sind sinusförmig und von gleicher Frequenz, unterscheiden sich aber im Phasenwinkel um 90°. Dieses Beispiel deckt den Verschiebungsblindstrom ab.
  • Beispiel 2: Zu   orthogonal sind die Stromanteile  , wenn  , beide ganzzahlig ≥ 1.
Die beiden Größen sind sinusförmig, unterscheiden sich aber in der Frequenz um einen rationalen Faktor ≠ 1. Dieses Beispiel deckt den Verzerrungsblindstrom ab.

Einzelnachweise

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  1. a b c d DIN 40110-1 (1994): „Wechselstromgrößen“.