Brasse (Grabmalkunst)
Eine Brasse ist eine Sonderform der Grabmalkunst. Dabei dient eine gravierte Metallplatte als Grabtafel. Es existieren sowohl vollständig mit Metall beschlagene Steinsockel oder in den Boden eingelassene Steinplatten als auch Steinplatten, in die Metallpartien eingelassen sind.
Selten wurden auch weitere Materialien als Inkrustationen ins Metall eingelassen. Die Gesichter der Grabfiguren von Erik VI. und seiner Frau Ingeborg etwa bestehen aus Alabaster. Aus der Lübecker Marienkirche ist mit dem Grab von Ratsherr Arnold Wlome und seiner Tochter Gertrud (beide † 1329) eine Platte durch Quellen überliefert, bei der Gesichter und Hände aus farbig gefassten Holzreliefs bestanden.[1]
Entwicklung und Produktionsorte
BearbeitenMetallgrabplatten existieren spätestens seit dem 12. Jahrhundert. Scheinen in der Frühzeit der gravierten Metallgrabplatten noch regionale Produktionen zu überwiegen, so konnten sich im 14. Jahrhundert Exportwerkstätten durchsetzen, die den gesamten Hanseraum und Spanien belieferten. Der Ursprung dieser Platten ist Gegenstand anhaltender Diskussion: Scheint die Verbreitung über die flandrischen Hansestädte, wie etwa Brügge, gewiss, so sind die Herkunft des Materials und vor allem der Verarbeitungs- bzw. Herstellungsort oft unbekannt. Neben Brügge selbst wurden auch aufgrund eines Fall, bei dem eine Schriftquelle und ein Grabmal zusammengebracht werden konnten, Tournai[2] oder, aufgrund einer langen Tradition von Metallverarbeitung und der Nähe zu benötigten Rohstoffen, das Maasgebiet[3] vorgeschlagen.
Neben den Importgrabplatten wurden, möglicherweise in Abhängigkeit von der Finanzkraft der Auftraggeber, auch Grabplatten in lokalen Werkstätten bestellt. Gerade im 15. Jahrhundert scheint sich dann wiederum eine stärkere Regionalisierung der Grabplattenherstellung abzuzeichnen.
Deutschsprachiger Raum
BearbeitenDie älteste erhaltene Brasse entstand vor 1187 für den heiligen Ulrich von Augsburg und befindet sich in St. Ulrich und Afra.[4] Weitere früher Vertreter sind die Grabmäler des Bischofs Iso von Wölpe in der St.-Andreas-Kirche in Verden aus dem Jahr 1231[5] und des Hildesheimer Bischofs Otto von Braunschweig-Lüneburg (gest. 1279) im Hildesheimer Dom.[6]
14. Jahrhundert
BearbeitenGrabort | Aufbewahrungsort | Verstorbene(r) | Sterbedatum | Herstellungsdatum | Herstellungsort |
---|---|---|---|---|---|
Paderborner Dom | Bischof Bernhard von Lippe | 1341 | um 1341 | Niedersachsen (?) | |
Schweriner Dom | nördliches Querhaus | Bischöfe Ludolf und Heinrich I. von Bülow | 1339 bzw. 1347 | um 1350 | Flandern/Maasgebiet |
Lübecker Dom | nördlicher Chorumgang | Bischöfe Burkhard von Serkem und Johannes Mul | 1317 bzw. 1350 | um 1350 | Flandern/Maasgebiet |
St. Petri in Lübeck | St. Annen-Museum in Lübeck, Inv. Nr. 1946/443 | Ratsherr Johannes Klingenberg | 1356 | um 1355 | Flandern/Maasgebiet |
St. Nikolai in Stralsund | Bürgermeister Albert Hovener | 1357 | um 1357 | Flandern/Maasgebiet | |
St. Annen-Museum, Inv. Nr. 1947/122 | um 1360 | Flandern/Maasgebiet | |||
Dom St. Johannes in Toruń/Polen | Johann von Soest und Margarethe | 1361 | um 1361 | Flandern/Maasgebiet | |
Marienkirche in Lübeck | Briefkapelle in der Marienkirche | Bürgermeister Bruno von Warendorp | 1369 | um 1369 | Lübeck (?) |
Schweriner Dom | nördliches Querhaus | Bischöfe Gottfried und Friedrich von Bülow | 1314 bzw. 1375 | um 1375 | Flandern/Maasgebiet |
Lübecker Dom | nördliches Querhaus | Bischof Bertram Cremon | 1377 | um 1377 | Lübeck (?) |
Paderborner Dom | Bischof Heinrich vom Spiegel zum Desenberg | 1380 | um 1380 | Niedersachsen (?) | |
Paderborner Dom | Bischof Ruprecht von Berg | 1394 | um 1395 | Niedersachsen (?) | |
Altenberger Dom | vollständig zerstört | Wikbold Dobilstein, Bischof von Kulm | um 1398 | Flandern/Maasgebiet |
England
BearbeitenDie älteste in England erhaltene Brasse ist die Grabplatte für Sir John d’Abernon in Stoke d’Abernon aus dem Jahr 1277. Mit 18 Brassen aus einem Zeitraum von 1320 bis 1529 enthält die Kirche St Mary Magdalene in Chatham die größte Anzahl englischer Brassen.
14. Jahrhundert
BearbeitenGrabort | Aufbewahrungsort | Verstorbene(r) | Sterbedatum | Herstellungsdatum | Herstellungsort |
---|---|---|---|---|---|
St. Margaret’s, King’s Lynn in Norfolk | Bürgermeister Adam und Margarete de Walsokne | um 1350 | Flandern/Maasgebiet | ||
Holy Trinity Church in Wensley/North Yorkshire | unbekannter Priester | um 1360 | Flandern/Maasgebiet oder England (?) | ||
St. Mary’s in North Mymms/Hertfordshire | unbekannter Priester | um 1360 | England (?) | ||
St. Mary Magdalen’s in Newark-on-Trent | Kaufmann Alan Fleming | 1361 | um 1361 | Flandern/Maasgebiet | |
St. Margaret’s, King’s Lynn in Norfolk | Robert Braunche und seine zwei Ehefrauen | um 1364 | Flandern/Maasgebiet | ||
St Albans in Hertfordshire | Abt Thomas de la Mare | um 1396 | Flandern/Maasgebiet |
Dänemark
Bearbeiten1319 starben der dänische König Erik VI. Menved (reg. 1286–1319) und seine Gemahlin Ingeborg. Beigesetzt wurden sie in der Kirche der Benediktinerabtei Ringsted (heute St.-Bendts-Kirche) unter einer flandrischen Importgrabplatte (2,85 × 1,68 m).[7] Es ist die älteste erhaltene dieser Art.
Belgien
Bearbeiten14. Jahrhundert
BearbeitenGrabort | Aufbewahrungsort | Verstorbene(r) | Sterbedatum | Herstellungsdatum | Herstellungsort |
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Stadsmuseum Gent | Guilleaume Wenemaer und Marguerite Sbrunen | um 1352 | Flandern/Maasgebiet (?) | ||
British Museum in London, Inv. Nr. MME 1853,0221.1 | unbekannter Bischof | um 1360/75 | Flandern/Nordfrankreich (?) | ||
St. Jakob in Brügge | Gilles van Namain | um 1370 | Flandern/Maasgebiet | ||
St. Jakob in Brügge | Wouter Copman | um 1387 | Flandern/Maasgebiet (?) | ||
Museum Cinquanténaire in Brüssel | Jean und Gérard de Heere | um 1398 | Flandern/Maasgebiet |
Finnland
BearbeitenUm 1429 wurde auf Bestrebungen des Bischofs Magnus Tavast für den Heiligen Heinrich von Uppsala († um 1156) in Nousiainen eine Wallfahrtskirche eingerichtet.[8] Das Grab, in das die Gebeine des Bischofs transloziert wurden, wurde mit einer gravierten Metallplatte bedeckt, die in Formsprache und Aufbau an die flandrischen Exportgrabplatten des 14. Jahrhunderts erinnert. Die Deckplatte misst 2,38 × 1,07 m. Die Seitenwände der Tumba sind ebenfalls – wie einst auch beim Grab des Wikbold Dobilstein in Altenberg – mit Metallplatten verkleidet, die in Gravur Szenen aus der Vita des heiligen Heinrich zeigen.
Literatur
BearbeitenAllgemeines
- William Frederick Creeny: A Book of Facsimiles of Monumental Brasses on the Continent of Europe. Norwich 1884.
- Hans Eichler: Die gravierten Grabplatten aus Metall im 14. Jahrhundert und ihre Vorstufen. Köln 1933.
- Hans Eichler: Flandrische gravierte Metallgrabplatten des XIV. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Preußischen Kunstsammlungen 54 (1933), S. 199–220.
- Hugh Keith Cameron: The Metals used in Monumental Brasses. In: Transactions of the Monumental Brass Society 8 (1946), S. 109–132.
- James Mann: Monumental Brasses. Penguin Books. Harmondsworth/Middlesex 1957 (K 75).
- Herbert Macklin: Monumental Brasses. 7. revidierte Ausgabe. George Allen & Unwin, London 1966.
- Hugh Keith Cameron: The 14th-Century School of Flemish Brasses. In: Transactions of the Monumental Brass Society 11 (1970), S. 50–81.
- Hugh Keith Cameron: Technical Aspects of Medieval Monumental Brasses. In: Archaeological Journal 131 (1974), S. 215–237.
- Hugh Keith Cameron: The 14th-Century School of Flemish Brasses. Evidence for a Tournai Workshop. In: Transactions of the Monumental Brass Society 12 (1977), S. 199–209.
- Malcolm W. Norris: Monumental Brasses. The Memorials. 2 Bände. Phillips & Page. London 1977.
- Hugh Keith Cameron: A List of Monumental Brasses on the Continent of Europe. The Monumental Brass Society. London 1977.
- Malcolm W. Norris: Monumental Brasses. The Craft. London u. a. 1978.
- Klaus Krüger: „Ein Grabstein aus Flandern, mit messingenen Figuren gut gefertigt“. Zu Bestellung, Produktion und Transport flämischer Metallgrabplatten im 14. und 15. Jahrhundert. In: Ders., Holger Kunde (Hrsg.): Linien zwischen Erde und Himmel. Abriebe europäischer Grabplatten des 13. bis 17. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog. Petersberg 2015, S. 17–24.
Platten in England
- Herbert Haines: A Manual of Monumental Brasses. Comprising an Introduction to the Study of these Memorials and a List of those remaining in the British Isles. 2 Bände. Oxford 1861.
- Michael Nitz: Entstehung und Bedeutung der englischen Messinggrabplatten. München 1980.
- John Coales (Hrsg.): The Earliest English Brasses. Patronage, Style and Workshops 1270–1350. Monumental Brass Society. London 1987.
Platten im deutschsprachigen Raum
- Georg Christian Friedrich Lisch: Die Grabplatten in Messingschnitt. In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 12 (1847), S. 479–481.
- Georg Christian Friedrich Lisch: Messingschnitt und Kupferstich des Mittelalters. In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 16 (1851), S. 303–309.
- Franz Kugler: Bronzene Grabplatten mit gravirter Darstellung. In: Ders.: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte. Stuttgart 1854–1854, Bd. 2, S. 605–607.
- Franz Kugler: Metallene Grabplatten mit eingegrabener Umrißdarstellung. In: Ders.: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte. Stuttgart 1854–1854, Bd. 2, S. 631–635.
- Georg Christian Friedrich Lisch: Ueber Grabplatten in Messingschnitt. In: Jahrbücher des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde 27 (1862), S. 267–269.
- Wilhelm Brehmer: Lübeck’s messingene Grabplatten aus dem vierzehnten Jahrhundert. In: Hansische Geschichtsblätter 12 (1883), S. 11–41.
- Wilhelm Bremer: Zur Frage nach dem Ursprung der messingenen Grabplatten Lübecks. In: Mitteilungen des Vereins für Lübeckische Geschichte und Alterthumskunde 2 (1885), S. 73–75.
- Johannes Kramer: Metallne Grabplatten in Sachsen vom Ende des 14. bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts (c. 1390–1510). Halle 1912.
- Malcolm W. Norris: The Schools of Brasses in Germany. In: The Journal of the British Archaeological Association 19 (1956), S. 34–52.
- Hugh Keith Cameron: Flemish Brasses of the Fourteenth Century in Northern Germany and their Use by Merchants of the Hanse. In: Archaeological Journal 143 (1986), S. 331–351.
- Jerome Bertram: Monumental Brasses and Slabs in the Cities of the German Hanseatic League. Oxford 1994.
- Klaus Krüger: Flämische Grabplatten im Ostseeraum. Kunstdenkmäler als historische Quelle. In: Hubertus Menke (Hrsg.): Die Niederlande und der europäische Nordosten (= Landesforschung. Band 1). Neumünster 1992, S. 167–208.
- Klaus Krüger: Corpus der mittelalterlichen Gabdenkmäler in Lübeck, Schleswig, Holstein und Lauenburg (= Kieler Historische Studien. Band 40). Thorbecke, Stuttgart 1999.
- Klaus Krüger: Kunst gegen den Tod. Die Schweriner Messinggrabplatten im europäischen Zusammenhang. In: Mecklenburgische Jahrbücher 127 (2012), S. 7–36.
- Ursula Wolkewitz: Die gravierten Messinggrabplatten des 13. und 14. Jahrhunderts im Bereich der norddeutschen Hanse – ihre Herkunft und ihre Bedeutung. Erinnern – mahnen – belehren. Kassel university press. Kassel 2014.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Vgl. Krüger 1999. S. 208 f., 891 f, LÜMA*3.
- ↑ Vgl. Cameron 1977.
- ↑ Vgl. zuletzt Wolkewitz 2014.
- ↑ Vgl. Adelheid Riolini-Unger (Hrsg.): Suevia Sacra. Frühe Kunst in Schwaben. Ausstellungskatalog. Augsburg 1973, S. 150 f., Kat. Nr. 132 (Hannelore Müller).
- ↑ Vgl. Hans-Wilhelm Heine: Zur Grabplatte des Verdener Bischofs Iso von Wölpe. In: Archäologische Berichte des Landkreises Rotenburg 13 (2006), S. 117–133.
- ↑ Vgl. Christine Wolf: Der Hildesheimer Dom als Grablege. In: Ulrich Knapp (Hrsg.): „Ego sum Hildensemensis“. Bischof, Domkapitel und Dom in Hildesheim 815 bis 1810 (= Kataloge des Dom-Museums Hildesheim. Band 3). Petersberg 2000, S. 245–287, hier S. 253 f., Nr. G 8.
- ↑ Vgl. Erich Christian Werlauff: Kong Erik Menveds og Dronning Ingeborgs Gravminde i Ringsted Kirke. In: Antiqvariske Annaler, Bd. 3, Kopenhagen 1820, S. 3–18; Knud Holm: The Brass of King Erik Menved and Queen Ingeborg. Restoration and Examination. In: Transactions of the Monumental Brass Society 15 (1992), S. 2–18.
- ↑ Vgl. Markus Hiekkanen: Finlands medeltida stenkyrkor. Stockholm 2020, S. 142 f.