David Frankfurter

jüdischer Medizinstudent in Bern und Attentäter Wilhelm Gustloffs
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David Frankfurter (* 9. Juli 1909 in Daruvar, Österreich-Ungarn, heute Kroatien; † 19. Juli 1982 in Tel Aviv) wurde bekannt durch sein Attentat auf den Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation in der Schweiz.

David Frankfurter in Palästina, 1945

Frankfurter kam als junger Mann Anfang der 1930er Jahre aus seinem damals zum Königreich Jugoslawien gehörenden Heimatort zu Verwandten nach Frankfurt am Main, um in Deutschland Medizin zu studieren. Er erlebte dort die mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten einsetzende massive Drangsalierung der jüdischen Deutschen. Ende 1933 emigrierte er in die Schweiz. 1936 verübte er dort ein tödliches Attentat auf den Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation (AO) in der Schweiz, Wilhelm Gustloff. Er wollte damit zeigen, dass Juden sich gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime auflehnten.[1]

Leben und Wirken

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Bis 1933

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David Frankfurter war ein Sohn des ungarischen Bezirksrabbiners Moritz Frankfurter (1875–1941)[2] und seiner Frau Rebekka. Diese wohnten in einem heute kroatischen Gebiet, das bis 1918 zu Österreich-Ungarn, ab 1918 zum Königreich Jugoslawien gehörte. Frankfurter war kränklich. Er litt seit seiner Geburt an einem Knochentumor[3] und musste bis zum Alter von 23 Jahren häufig operiert werden, was seine körperliche Leistungskraft sehr schwächte. Ab 1929 studierte er Medizin an den Universitäten Wien, Leipzig und Frankfurt. 1933 erlebte Frankfurter den Beginn der Judenverfolgung durch SA-Mitglieder und Kommilitonen im Hörsaal.

Frankfurter floh vor dem deutschen Antisemitismus im Oktober 1933 nach Bern in die Schweiz. In der Schweiz erfuhr er unter anderem aus der Presse von 36 in einem Konzentrationslager ermordeten jüdischen Bürgern und von Misshandlungen deutscher Juden und Anhängern demokratischer Parteien. Zu Chanukka 1934 reiste er trotzdem nach Berlin und musste mit ansehen, wie antisemitische Deutsche seinen Onkel Salomon Frankfurter misshandelten.[4]

Attentat

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Angesichts der Judenverfolgung fühlte Frankfurter sich als Einzelperson verpflichtet, ein Zeichen des jüdischen Widerstandes gegen die Aktionen der Nationalsozialisten zu setzen. Dabei war ihm die in der Schweizer Öffentlichkeit diskutierte antisemitische Tätigkeit des Leiters der Schweizer NSDAP-Landesgruppe in Davos aufgefallen. Er kaufte sich eine Pistole, mit der er am 4. Februar 1936, ohne dass eine andere Person vorher davon wusste, ein Attentat auf den Landesgruppenleiter Wilhelm Gustloff in dessen Wohnung in Davos verübte und ihn tötete. Umgehend danach stellte er sich der Schweizer Polizei.

Die Führung der NSDAP sah in diesem Attentat einen Beweis für die Existenz einer „jüdischen Weltverschwörung“ gegen Deutschland. Mitarbeiter des Goebbelschen Propagandaministeriums versuchten, dieses Attentat für antijüdische Propaganda einzusetzen, und führten einen minutiös geplanten publizistischen Feldzug gegen das angebliche „Weltjudentum“, das hinter dem Attentat gestanden habe.[5] Sie erhoben Gustloff zu einem Märtyrer der NS-Bewegung und benannten ein Schiff nach ihm.

Die Schweiz führte einen Strafprozess gegen David Frankfurter. Obwohl die deutsche Regierung in diesem Prozess keine Partei war, mischte sie sich ein. Das Propagandaministerium beauftragte den Oberregierungsrat Wolfgang Diewerge mit der propagandistischen Prozessbegleitung und den NS-Anwalt Friedrich Grimm, der formal als Nebenklägervertreter von Gustloffs Witwe auftrat, mit der juristischen Unterstützung der Propaganda im Gerichtssaal.[6] Die NS-Propaganda warf den Schweizer Behörden vor, durch eine liberale Pressepolitik zum Attentat beigetragen zu haben. Grimm hatte sich angeblich eigens eine telefonische Standleitung in einen Raum im Gerichtsgebäude legen lassen, um mit Adolf Hitler den Fortgang des Prozesses zu besprechen.

Viele Schweizer bekundeten Verständnis für Frankfurters Attentat, aber viele waren auch darüber entsetzt. Die Regierung bemühte sich in dem Gerichtsverfahren um die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und diplomatischer Neutralität. Schließlich wurde der voll geständige und jederzeit kooperative David Frankfurter für den unstrittigen Mord unter großem internationalen Interesse am 14. Dezember 1936 in Chur zu achtzehn Jahren Haft und anschließender lebenslanger Landesverweisung verurteilt. Seine Verteidiger waren der später als Philanthrop bekannte Veit Wyler sowie Eugen Curti.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus

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David-Frankfurter-Garten in Ramat Gan

Ab 1943 wurde Frankfurter vom Berner Anwalt Georges Brunschvig betreut, der maßgeblich an seiner Begnadigung beteiligt war: Nach Kriegsende wurde Frankfurter am 1. Juni 1945 freigelassen. Zunächst kehrte er nach Davos zurück. Sein Sohn Moshe fand Aufnahme in der Familie von Otto und Santina Hirzel.[7] Schließlich wurde Frankfurter ausgewiesen.

Frankfurter wanderte ins britische Mandatsgebiet Palästina nach Tel Aviv aus. In Israel wurde er Beamter im Verteidigungsministerium und später Offizier der israelischen Verteidigungskräfte. Erst nach dem Krieg erfuhr Frankfurter, dass sein Vater nach der deutschen Besetzung Jugoslawiens 1941 in seinem Wohnort von der Gestapo gezielt verhaftet, gefoltert und ermordet worden war.[8] 1969 nahm der Grosse Rat des Kantons Graubünden in Ausübung seines Gnadenrechts die Landesverweisung zurück.

Veröffentlichungen

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  • Ich toetete einen Nazi … Erzählt und bearbeitet von Schalom Ben-Chorin. Jerusalem 1946.
  • „Auch in der Bibel wird gemordet.“ Gespräch mit dem Gustloff-Attentäter David Frankfurter. In: Die Weltwoche, 10. Oktober 1969; S. 13.

Literatur

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  • Wolfgang Diewerge: Ein Jude hat geschossen. Augenzeugenbericht vom Mordprozess David Frankfurter. Eher, München 1937.
  • Emil Ludwig: Mord in Davos. Querido Verlag, Amsterdam 1936. (Während der NS-Zeit in der Schweiz und in Deutschland verboten.) Erweiterte Ausgabe: David und Goliath. Geschichte eines politischen Mordes. Carl Posen Verlag, Zürich 1945.
  • Wolf Middendorff: Der Fall David Frankfurter. Eine historisch-kriminologische Untersuchung zum politischen Mord. In: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, 1977, S. 570–638
  • Klaus Urner: Der Schweizer Hitler-Attentäter. Drei Studien zum Widerstand und seinen Grenzbereichen. Buchclub Ex Libris, Zürich 1982.
  • Emil Ludwig, Peter O. Chotjewitz: Der Mord in Davos. Texte zum Attentatsfall David Frankfurter, Wilhelm Gustloff. Um Beiträge von Peter O. Chotjewitz und Helmut Kreuzer erweiterte Ausgabe des Buches Helmut Kreuzer (Hrsg.): Emil Ludwig: David und Goliath. Geschichte eines politischen Mordes. März Verlag, Herbstein 1986, ISBN 3-88880-065-X.
  • Peter Bollier: 4. Februar 1936. Das Attentat auf Wilhelm Gustloff. In: Roland Aegerter (Hrsg.): Politische Attentate des 20. Jahrhunderts. NZZ Verlag, Zürich 1999, ISBN 3-85823-786-8.
  • In Günter Grass’ Novelle Im Krebsgang (2002) wird Frankfurters Attentat erwähnt.
  • Frankfurter, David, in: Handbuch österreichischer Autorinnen und Autoren jüdischer Herkunft, 2002, S. 351
  • Matthieu Gillabert: La propagande nazie en Suisse. L’affaire Gustloff 1936. Presses polytechniques et universitaires romandes, Lausanne 2008.
  • Armin Fuhrer: Tod in Davos. David Frankfurter und das Attentat auf Wilhelm Gustloff (= Reihe ZeitgeschichteN, Band 9). Metropol, Berlin 2012, ISBN 978-3-86331-069-1.[9]
  • Thomas F. Schneider (Hrsg.): Non Fiktion – Emil Ludwig. Wehrhahn Verlag, Hannover 2016, ISBN 978-3-86525-546-4 (zugleich 11. Jg., Heft 1/2, der Zeitschrift Arsenal der anderen Gattungen mit Beiträgen zum Mord in Davos, zu David Frankfurter und verwandten Themen).
  • Sabina Bossert: David Frankfurter (1909–1982). Das Selbstbild des Gustloff-Attentäters, Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2019 (Reihe Jüdische Moderne; 20), ISBN 978-3-412-51260-6.
  • Konfrontation – Das Attentat von Davos. Dokudrama über David Frankfurter, sein Attentat und die Schweiz im Zweiten Weltkrieg, Regie und Drehbuch Rolf Lyssy, 1974.
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Einzelnachweise

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  1. Klaus Urner: Der Schweizer Hitler-Attentäter. Drei Studien zum Widerstand und seinen Grenzbereichen. Zürich 1982, S. 101.
  2. Frankfurter, Moritz, in: Salomon Wininger: Große jüdische National-Biographie. Band 2. Czernowitz, 1927, S. 295f.
  3. Emil Ludwig, Peter O. Chotjewitz: Der Mord in Davos: Texte zum Attentatsfall David Frankfurter, Wilhelm Gustloff. Um Beiträge von Peter O. Chotjewitz und Helmut Kreuzer erweiterte Ausgabe des Buches von Helmut Kreuzer (Hrsg.): Emil Ludwig: David und Goliath. Geschichte eines politischen Mordes. März Verlag, Herbstein 1986, ISBN 3-88880-065-X, S. 329 f.
  4. Sabina Bossert: David Frankfurter (1909–1982), 2019, S. 104f.
  5. S. auch die Schriften von Wolfgang Diewerge: Der Fall Gustloff. Vorgeschichte und Hintergründe der Bluttat von Davos. München 1936; und Ein Jude hat geschossen. Augenzeugenbericht vom Prozeß gegen David Frankfurter. München 1937.
  6. Werner Rings: Schweiz im Krieg: 1933–1945: ein Bericht. Zürich 1974, S. 72; Friedrich Grimm: Politische Justiz, S. 105 ff., S. 160 f.
  7. Walter Mayr: Antisemitismus in der Schweiz: Konflikte zwischen Einheimischen und ultraorthodoxen Juden in Davos. In: spiegel.de. 8. September 2024, abgerufen am 9. September 2024 (zahlungspflichtig).
  8. Emil Ludwig, Peter O. Chotjewitz: Der Mord in Davos: Texte zum Attentatsfall David Frankfurter, Wilhelm Gustloff. Herbstein 1986, ISBN 3-88880-065-X, S. 118 u. 195.
  9. Rezension von Sven Felix Kellerhoff: Wilhelm Gustloff: Wie ein Jude Hitlers Statthalter erschoss. In: welt.de. 29. April 2013, abgerufen am 9. September 2024.