Diskussion:Mitternacht (Gryphius)

Letzter Kommentar: vor 7 Jahren von Coranton in Abschnitt „Mitternacht“ und „An Eugenien“

„Mitternacht“ und „An Eugenien“

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Benutzer:Summ hat in den Absatz „Erstes Terzett“ zwei neue, die beiden letzten Sätze eingefügt:

„Zur dramatischen Pointe gehört es, dass der gelesene Ausruf von einem abwesenden oder bereits toten Dichter stammt. Die Stimme des Lesers wird bei Gryphius auch in anderen Zusammenhängen als „Gespenst“ des Schreibers oder Autors verstanden.[1]

  1. Edith Anna Kunz: Bruch und Kontinuität, in: Andreas Härter et al. (Hrsg.): Zum transitorischen Denken und Literatur- und Kulturwissenschaft, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, S. 157–172, hier S. 168, Anm. 28.

Die zitierte Edith Anna Kunz schreibt: „In ebenso barocker Manier bezeichnet sich die Ich-Figur als ‚Irrgeist‘ und ‚Gelegenheitsgast‘ <...> auf Erden, jedoch ohne sich dabei – wie die Barockdichter – auf ein zeitloses Jenseits zu vertrösten.“ Dazu die Fußnote: „Vgl. dazu etwa Gryphius, An Eugenien: ‚man siht mich hier / doch nur alß ein Gespenste schweben‘, in: <...> Sonette S. 63.“

Benutzer:Coranton, praktisch einziger Autor des Artikels, hat daraufhin auf Summs Diskussionsseite geschrieben:

„Danke. Leider, während ich meinen selbstverfaßten Text zu verstehen glaube, versage ich vor Ihrem Zusatz. Lektüre von Edith Anna Kunz, die übrigens ‚An Eugenien‘ falsch zitiert, hilft nicht. Können Sie ‚Mitternacht‘-näher sagen, was Sie meinen? Coranton (Diskussion) 17:03, 5. Feb. 2017 (CET)“

Summ hat geantwortet:

„Aha. Ganz simpel: Wenn ich einen Text lese, dann lese ich mit meiner eigenen Stimme. Die Stimme des Autors klingt nicht, vor allem, wenn er schon gestorben ist. Ich belebe ein totes Gespenst beim Lesen. Das ist eigentlich der Kern der Vanitas-Motivik, was eher ein linguistischer als ein mit Inhalten verbundener Sachverhalt ist. Der Leser soll sich fragen: Wen meine ich eigentlich, wenn ich "ich", "du" oder "wir" lese. --Summ (Diskussion) 17:07, 5. Feb. 2017 (CET)

Kunz zitiert schon richtig: Es gibt zwei Gedichte von Gryphius mit dem Titel "An Eugenien". Beide haben die Betrachtung eines Bildes bzw. das Lesen einer Schrift zum Thema und den Sachverhalt, dass beide Aufzeichnungen weder die Autoren noch die Abgebildeten ersetzen können. Das ist die Mise-en-abyme-Struktur der Vanitas-Motivik. --Summ (Diskussion) 17:21, 5. Feb. 2017 (CET)“

Benutzer:Coranton, zehn Artikel über Gryphius-Sonette, versteht weiterhin nicht. Kunz zitiert sehr wohl falsch. Auf Seite 63 der von ihr benutzten Gryphius-Ausgabe steht nichts als die Titelseite von Gryphius’ Ander Buch. Es gibt auch nicht nur zwei Gedichte „An Eugenien“, sondern nach der von Kunz benutzten Ausgabe mindestens sechs.

Der Zusatz von Benutzer:Summ liest sich faszinierend, ist aber ein Fremdkörper in dem Artikel und für dessen Autor weiterhin unverständlich. Coranton (Diskussion) 16:53, 7. Feb. 2017 (CET)Beantworten

Natürlich ist es dein Artikel und du kannst den Zusatz gerne wieder streichen. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, dass die Vanitas-Motivik etwas eher Formales und erst in zweiter Linie Inhaltiches ist: Bild und Text sind etwas Stummes und Lebloses und gestehen das ein. Somit ist eine Ich-Figur natürlich ein Gespenst, weil sie nicht sprechen kann und nur der Leser ihre Worte lesend nachvollzieht. Gryphius' Stimme gespenstert herum, indem Leser seine Texte jahrhundertelang lesen. Du denkst vielleicht zu weit, das rhetorische Prinzip ist überaus einfach. --Summ (Diskussion) 11:06, 8. Feb. 2017 (CET)Beantworten
Vielleicht ganz konkret: Das niedergeschriebene Gedicht handelt vom Schreiben. Das ist immer die Grundkonstruktion der Vanitasmotivik. Die "künstliche Hand" schreibt, und vom Geschriebenen ist im folgenden Text die Rede. "Sterbliche, lasset dies Dichten": Ist das vom schreibenden Autor aus gemeint oder vom Leser, der in der Rolle des Autors seine eigene Nachwelt beschwört, die ihn gleichfalls noch nicht hören kann, sondern dereinst den Text lesen muss? (Warum bricht es nach dem Imperativ nicht ab? Nachdem die Rechtfertigung ausgesprochen ist, darf es weitergehen mit der nichtigen Dichtung.) Ob Gryphius mit "Sterbliche" sich selber meint oder die Leser, oder die Leser mit dem dramatischen Nachvollzug ihre eigenen Nachgeborenen aufrufen sollen, bleibt in der Schwebe. Das Gespensterhafte des Satzes hängt damit zusammen, dass sowohl die Identität des Subjekts als auch die der Angesprochenen verschieden gedeutet werden können, sobald jemand liest. Die Ichfigur ist ein Homunculus. "Nach uns ankommende Seelen" ist zeitlich auch aus der Perspektive des Lesers gemeint, wenn er sich in das "uns" einschließt. ."wir verschwinden gleich als die Gespenste": So wie die gespensterhafte Stimme des verschwundenen Autors werden auch wir, die Leser, verschwinden. --Summ (Diskussion) 16:09, 8. Feb. 2017 (CET)Beantworten

Es gab wohl einen Bearbeitungskonflikt. Gleichzeitig mit Ihnen hatte ich hier geschrieben. Ich versuche es noch einmal. Ich möchte, Benutzer:Summs Gedanken bewahrend aber Gryphius und dem Artikel näher die beiden Benutzer:Summ-Sätze ersetzen durch

„Pointe des Verses : der Dichter sprach zum damaligen, räumlich entfernten und spricht zum heutigen, zeitlich Jahrhunderte entfernten Leser wirklich als ein Gespenst, als das er sich in einem seiner „Eugenien“-Sonette bezeichnet: „Man sieht mich hier / doch nur alß ein Gespenste schweben.“ [1]

  1. Szyrocki 1963, S.69.

Dann wäre das eine konstruktive Diskussion gewesen. Danke. Coranton (Diskussion) 16:22, 8. Feb. 2017 (CET)Beantworten

"Wenn meine Seel in euch…" (An Eugenien) ist ebenfalls am einfachsten als Schrift des Autors im Mund der Leser gedeutet, und es geht darum, was Schrift überhaupt transportieren kann.
"Gleich als ein Wandersmann…" (An Eugenien) Da geht es um die Ersatzfunktion des Briefs für den Schreiber, und das Mondlicht ist die Stunde des Lesens, in der die ersatzhaften Gespenster erwachen. Der Leser mit Gryphius' Gedicht ist eine Ebene weiter außen in derselben Situation wie Gryphius als lyrisches Ich mit dem Brief Eugeniens: Beiden bleiben nur die Gespenster eines Abwesenden.
"Ich finde mich allein…" (An Eugenien) Hier gibt es ein Bild im Gedicht. Es bleibt offen, ob es ein gegenständliches Bild oder Imagination ist. Das lyrische Ich verharrt vor dem Ersatz des Bildes, so wie der Leser sich vor dem Text als Ersatz für Gryphius Stimme befindet und sich beim Lesen mit seiner eigenen Stimme ein Gegenüber vormacht. --Summ (Diskussion) 16:36, 8. Feb. 2017 (CET)Beantworten
Ja, warum nicht? Das Interessante an der Formulierung in "Mitternacht" ist, dass Gryphius sich auch zusammen mit seinen Lesern als Gespenst schweben sieht, indem er seinen eigenen Text liest. (Man ahnt hier, aus welchen Texten Derrida die Inspiration zu seiner Différance her hat). --Summ (Diskussion) 16:36, 8. Feb. 2017 (CET)Beantworten

Benutzer:Summs letzte Bemerkung als Zustimmmung zu meiner letzten Bemerkung verstehend ersetze ich jetzt seine beiden Sätze, erwäge über ein Eugenien-Gedicht zu schreiben (besser machte er das) und danke abschließend. Coranton (Diskussion) 09:23, 9. Feb. 2017 (CET)Beantworten