Erich Goeritz

deutsch-britischer Textilunternehmer, Kunstsammler und Mäzen

Erich Joseph Goeritz (geboren am 21. Februar 1889 in Chemnitz; gestorben 1955 in London) war ein deutsch-britischer Textilunternehmer, Kunstsammler und Mäzen.

Lovis Corinth: Porträt Erich Goeritz und seine Frau, 1922
Waldemar Titzenthaler, Wohnzimmer Goeritz 1922
Lovis Corinth, Selbstporträt am Walchensee, 1922, Privatsammlung

Erich Goeritz kam 1889 als Sohn von Sigmund und Telma Goeritz in Chemnitz zur Welt. 1900 wurde der Bruder Karl geboren. Die Familie gehörte zur jüdischen Gemeinde der Stadt. Erich Goeritz war dort Mitbegründer einer zionistischen Jugendgruppe.[1] Der Vater leitete das Textilunternehmen Gebrüder Goeritz (ab 1925 Sigmund Goeritz AG), das in Chemnitz zunächst Strumpfwaren und Stoffhandschuhe produzierte. 1899 kam die Herstellung von Trikotagen hinzu. Nach Ausbau des Chemnitzer Fabrikkomplexes war das Unternehmen ab 1925 zudem einer der Marktführer für hochwertige Dekorations- und Möbelstoffe.

Seine berufliche Karriere begann Erich Goeritz mit einer kaufmännischen Ausbildung in einem Breslauer Unternehmen, bevor der Vater ihn 1914 in den Familienbetrieb holte. Sigmund Goeritz ging 1916 in den Ruhestand und sein Sohn Erich übernahm die Leitung des Unternehmens. 1918 heirate Erich Goeritz die aus München stammende Senta Steinberger. Im selben Jahr kam der Sohn Thomas zur Welt, 1920 wurde der Sohn Andreas geboren. Nach dem Tod von Sigmund Goeritz zog Erich Goeritz mit Familie 1921 nach Berlin. Bei der Verlegung des Firmensitzes nach Berlin wurde die Fabrikation in Chemnitz als Außenstelle geführt. Zudem erwarb Goeritz 1925 die Norddeutsche Trikotweberei in Lübben als weiteren Fertigungsstandort.

Goeritz und seine Frau interessierten sich privat für Musik und Malerei.[2] Teile ihrer Kunstsammlung sind in einer Folge von Fotografien von Waldemar Titzenthaler zu sehen, die 1923 in der Illustrierten Die Dame erschien.[3] Die Fotos entstanden in der die Wohnung der Familie Goeritz in der Berliner Klopstockstraße und zeigen beispielsweise verschiedene Arbeiten von Lovis Corinth.[4] Goeritz gehörte zu den wichtigsten Förderern des älteren Corinth und zwischen beiden bestand eine freundschaftliche Beziehung. Goeritz besaß mehrere Gemälde des Künstlers, darunter Balkonszene in Bordigha (heute Folkwang Museum, Essen), Blumenkorb mit Amaryllis, Flieder, Rosen und Tulpen (Privatsammlung), Selbstporträt am Walchensee (Privatsammlung), Bildnis des Geigers Andreas Weißgerber (Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg) und Nana, weiblicher Akt (Saint Louis Art Museum). Darüber hinaus erteilte Goeritz bei Corinth zwei Porträtaufträge: 1921 entstand das Doppelbildnis Die Kunstfreunde (Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg), in dem neben Goeritz der Sammler David Leder zu sehen ist; 1922 malte Corinth das Bildnis Herr und Frau Goeritz (Privatsammlung). Darüber hinaus besaß Goeritz einen großen Bestand an Druckgrafik von Corinth.

Freundschaftliche Beziehungen pflegte Goeritz auch zu Max Liebermann, der ein Gemälde Porträt Senta Goeritz (Tel Aviv Museum of Art) schuf. Der Bildhauer Edwin Scharff fertigte von Goeritz eine Bronzebüste an, die 1928 in einer Ausstellung im Berliner Kronprinzenpalais zu sehen war. Der Autor Michael Brenner zählt Goeritz zu den bedeutendsten Kunstsammlern der Weimarer Republik.[5] So fanden sich in der Sammlung Goeritz Werke von Künstlern wie Oskar Kokoschka, Ernst Barlach, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Conrad Felixmüller, Alexander Archipenko und Jakob Steinhardt. Darüber hinaus besaß er eine Reihe von Werken des französischen Impressionismus und Spätimpressionismus. Hierzu zählten Gemälde von Édouard Manet, wie das Bildnis Jules de Jouy (National Museum Cardiff) und Bar in den Folies Bergère (Courtauld Institute of Art, London) und zwei Gemälde von Claude Monet, die den Dogenpalast aus verschiedenen Blickwinkeln zeigen (beide Privatsammlung).[6] Zudem gehörte das Gemälde Vue sur L’Estaque et le Château d’If (Privatsammlung) von Paul Cézanne zur Sammlung Goeritz.[7]

Wiederholt trat Goeritz als großzügiger Mäzen in Erscheinung. 1922 schenkte er den Kunstsammlungen Chemnitz das Porträt des Sohnes Thomas von Lovis Corinth. Das Bild wurde 1937 als so genannte „Entartete Kunst“ aus dem Museum entfernt und befindet sich heute in der Sammlung der Berliner Nationalgalerie.[8] Die Kunstsammlungen Chemnitz erhielten 1925 von Goeritz zudem etwa 1.000 Lithografien von Honoré Daumier.[9] Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 erkannte Goeritz früh die sich daraus ergebene Gefahr für seine Familie und seinen Besitz. Im September 1933 überließ er dem im Jahr zuvor gegründeten Tel Aviv Museum of Art Teile seiner Kunstsammlung, darunter Skulpturen von Renée Sintenis, Ernst Barlach, Wilhelm Lehmbruck, Gemälde von Max Liebermann und Jakob Steinhardt, eine Bronze von Edgar Degas und grafische Arbeiten von Lovis Corinth. Hinzu kamen 30 Werke von Alexander Archipenko.[10]

Erich Goeritz emigrierte mit seiner Frau und den beiden Söhnen 1934 über Luxemburg ins Vereinigte Königreich. Er ließ sich in London nieder und war dort ebenfalls in der Textilbranche tätig. Später erhielt er die britische Staatsbürgerschaft.[11] 1936 schenkte er der Londoner Tate Gallery das Gemälde Versuchung des heiligen Antonius von Lovis Corinth.[12] Dem Britischen Museum gab er 1942 sieben Mappen mit Druckgrafik von Lovis Corinth und zwei Bauhaus-Mappen mit Lithografien von Oskar Kokoschka. Letztere illustrieren die Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort BWV 60 von Johann Sebastian Bach.[13] Während Erich Goeritz und seine Familie den Zweiten Weltkrieg überlebten, kamen sein Bruder und dessen Kinder 1939 beim Untergang des niederländischen Schiffs Simon Bolivar vor der englischen Küste ums Leben.[14] Erich Goeritz erwarb auch nach dem Krieg vereinzelt Kunstwerke. So konnte er Anfang der 1950er Jahre in New York City von Charlotte Berend-Corinth das Gemälde ihres Mannes Hymnus an Michelangelo (Leihgabe in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, München) erwerben.[15] Erich Goeritz starb 1955 in London.

Literatur

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  • Charlotte Berend-Corinth: Die Gemälde von Lovis Corinth. F. Bruckmann, München 1958.
  • Michael Brenner: The Renaissance of Jewish Culture in Weimar Germany. Yale University Press, New Haven 1996, ISBN 0-300-06262-1.
  • Abraham Gilam: Erich Goeritz and Jewish Art Patronage in Berlin during the 1920s. In: Journal of Jewish Art, Nr. 11, S. 60–72, Center for Jewish Art, The Hebrew University, Jerusalem 1985.
  • Uwe Fleckner, Thomas W. Gaehtgens, Christian Huemer: Markt und Macht, der Kunsthandel im „Dritten Reich“. De Gruyter, Berlin 2017, ISBN 3-11-054719-8.
  • David Karshan: Archipenko, the early works, 1910–1921: the Erich Goeritz Collection at the Tel Aviv Museum. Tel Aviv Museum, Tel Aviv 1981.
  • Enno Kaufhold: Berliner Interieurs 1910–1930: Fotografien von Waldemar Titzenthaler. Nicolai, Berlin 1999, ISBN 3-87584-775-2.
  • Ingrid Mössinger: Honoré Daumier: von guten Bürgern und Pariser Typen; Stiftung Erich Goeritz. Kunstsammlungen Chemnitz, Chemnitz 2002, ISBN 3-930116-12-X.
  • Jürgen Nitsche (Hrsg.): Juden in Chemnitz: die Geschichte der Gemeinde und ihrer Mitglieder. Sandstein, Dresden 2002, ISBN 3-930382-66-0.
  • Joseph Walk (Hrsg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. Hrsg. vom Leo Baeck Institute, Jerusalem. De Gruyter, Berlin 2014, ISBN 978-3-11-158087-6 (Reprint, der Erstausgabe von 1988).
  • Lucy Wasensteiner: The Twentieth Century German Art exhibition: answering degenerate art in 1930s London. Routledge, New York/London 2019, ISBN 978-1-138-54436-9.
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Einzelnachweise

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  1. Joseph Walk: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945, S. 115.
  2. Joseph Walk: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945, S. 115.
  3. Die Fotos der Goeritz-Wohnung wurden später veröffentlicht in Enno Kaufhold: Berliner Interieurs 1910–1930: Fotografien von Waldemar Titzenthaler.
  4. Ansicht des Wohnzimmers der Familie Goeritz, Aufnahme von Waldemar Titzenthaler bei Getty Images
  5. Michael Brenner: The Renaissance of Jewish Culture in Weimar Germany. S. 170.
  6. Informationen zum Gemälde Der Dogenpalast (Werkverzeichnis W 1770) auf der Internetseite des Auktionshauses Sotheby’s; zum Gemälde Der Dogenpalast (Werkverzeichnis W 1744) siehe entsprechendes Angaben auf der Internetseite des Auktionshauses Sotheby’s (Memento des Originals vom 4. Februar 2019 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.sothebys.com
  7. Angaben zum Gemälde von Paul Cézanne auf der Internetseite des Auktionshauses Christie’s
  8. Angaben zum Gemälde Porträt des Sohnes Thomas von Lovis Corinth auf der Internetseite der Staatlichen Museen zu Berlin
  9. Zur Stiftung der Lithografien von Daumier siehe Informationen auf der Internetseite des Museums und die Veröffentlichung Ingrid Mössinger: Honoré Daumier: von guten Bürgern und Pariser Typen. Stiftung Erich Goeritz.
  10. Chana Schütz: Pionier in einem kunstfernen Land. In: Der Tagesspiegel vom 26. März 2015 und David Karshan: Archipenko, the early works, 1910–1921: the Erich Goeritz Collection at the Tel Aviv Museum.
  11. Joseph Walk: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. S. 115.
  12. Angaben zum Gemälde Versuchung des heiligen Antonius von Lovis Corinth auf der Internetseite der Tate Gallery.
  13. Zur Stiftung von Werken an das Britische Museum siehe Kurzbiografie von Erich Goeritz auf der Internetseite des Museums.
  14. Uwe Fleckner, Thomas W. Gaehtgens, Christian Huemer: Markt und Macht, der Kunsthandel im „Dritten Reich“. S. 367.
  15. Informationen zum Gemälde Hymnus an Michelangelo von Lovis Corinth auf der Internetseite der Städtischen Galerie im Lenbachhaus (Memento des Originals vom 12. Januar 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/sammlungonline.lenbachhaus.de