Fritz Sack

deutscher Soziologe, Kriminologe

Fritz Sack (* 26. Februar 1931 in Neumark, Pommern[1]) ist ein deutscher Soziologe und Kriminologe. Er führte den Etikettierungsansatz in die deutsche kriminologische und sozialwissenschaftliche Diskussion ein.

Werdegang und Wirken

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Sack absolvierte von 1951 bis 1954 zunächst eine Ausbildung zum Finanzbeamten und studierte anschließend Soziologie und Volkswirtschaftslehre an den Universitäten in Kiel und Köln sowie an der Ohio State University und der University of California, Berkeley. 1970 habilitierte er sich in Köln für „Allgemeine Soziologie“ und war anschließend von 1970 bis 1974 Professor für Soziologie an der Universität Regensburg. Von 1974 bis 1984 lehrte er als Professor an der juristischen Fakultät der Universität Hannover. 1984 nahm er den Ruf auf den Lehrstuhl für Kriminologie an der Universität Hamburg an. Der 1996 emeritierte Sack war der erste Soziologe auf einem kriminologischen Lehrstuhl in Deutschland. Er baute dort das „Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie“ auf, das zunächst an der Fakultät für Rechtswissenschaften verankert war und sodann ab dem Jahr 2000 am neugegründeten Instituts für Kriminologische Sozialforschung zur sozialwissenschaftlichen Fakultät gehörte.[2] Von 1996 bis 2012 leitete er das hamburgische Institut für Sicherheits- und Präventionsforschung (ISIP), dessen Vorstand er weiterhin angehört. 1998 wurde Sack in die neu gegründete Hamburger Polizeikommission berufen. Die Kommission entstand auf Empfehlung des Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Hamburger Polizei der Hamburgischen Bürgerschaft.

Sack gilt als führender deutscher Vertreter des Etikettierungsansatzes, der in den 1960er Jahren in den USA entwickelt worden war und von ihm 1968 mit einem Buchbeirag in die deutschsprachige Diskussion eingebracht wurde.[3] Sack war während seines Studienaufenthalts 1965/66 wissenschaftlicher Mitarbeiter (research associate) von Walter C. Reckless an der Ohio State University gewesen, hatte sich aber nach wenigen Monaten enttäuscht von dessen empirischer Kriminologie abgewandt und lernte durch Aaron Victor Cicourel und dann in Berkeley durch Erving Goffman und andere die Ethnomethodologie kennen, auf der der kriminologische Etikettierungsansatz beruht.[4] Dieser von Kalifornien ausgehende Paradigmenwechsel veränderte laut Sack das Gesicht der Kriminologie fast schlagartig und verschob den „Täter“ als „interaktionistisches Produkt“ in den Hintergrund des kriminellen Geschehens.[5]

Sack meint, dass Kriminalität vollständig durch Zuschreibungen erklärt werden kann.[6] Kriminalität sei eine „normale“ Erscheinung, die in allen Gesellschaftsschichten vorkomme. Dadurch unterscheidet sich sein radikaler Labeling-Ansatz von denen bei Howard S. Becker und Edwin M. Lemert. Beide unterstellen, dass es neben Zuschreibungsprozessen eine objektive Tatsachenebene gibt. Die Etikettierung bestimmter Verhaltensweisen verläuft für Sack stark selektiv. Die Unterschichten werden kriminalisiert, während die Herrschenden dieses Label nicht erhalten. Das Gesetz werde damit zum Instrument der Unterdrückung, es herrsche Klassenjustiz.

Sacks Theorie hatte seit den 1960er-Jahren erheblichen Einfluss auf die Entwicklung der Kriminologie in der Bundesrepublik Deutschland. Die Radikalität seines Ansatzes erzeugte jedoch erheblichen Widerstand. So wurde Sack vorgeworfen, er verkehre die Rollen und mache die Täter zu Zuschreibungs-Opfern, die selber überhaupt keine Rolle mehr als aktiv Handelnde hätten. Trutz von Trotha prägte dafür den kritisch-ironischen Begriff „Reaktionsdeppen“.[7]

Persönliches

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Sack ist seit 1960 verheiratet. Er hat drei Kinder. Der Journalist Adriano Sack ist sein Sohn,[8] die Mediengestalterin Janine Sack seine Tochter.

Mitgliedschaften und Ehrungen

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Sack ist Mitglied des Kuratoriums der Arbeitsgemeinschaft Humane Sexualität und des Beirats der Humanistischen Union.[9] Die Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie (GiwK) vergibt seit 2001 für hervorragende kriminologische Veröffentlichungen den Fritz-Sack-Preis.[10] Am 1. Juni 2006 wurde Sack von der Universität Kreta die Ehrendoktorwürde verliehen.[11]

Siehe auch

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Schriften (Auswahl)

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  • hrsg. mit René König: Kriminalsoziologie. Akademische Verlagsges., Frankfurt a. M. 1968 (unveränderte Auflagen 1974 und 1979)
  • hrsg. mit Klaus Lüderssen: Seminar: Abweichendes Verhalten I. Die selektiven Normen der Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1975.
  • hrsg. mit Klaus Lüderssen: Seminar: Abweichendes Verhalten II. Die gesellschaftliche Reaktion auf Kriminalität, Bd. 1: Strafgesetzgebung und Strafrechtsdogmatik. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1975.
  • hrsg. mit Klaus Lüderssen: Seminar: Abweichendes Verhalten III. Die gesellschaftliche Reaktion auf Kriminalität, Bd. 2: Strafprozess und Strafvollzug. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1977.
  • hrsg. mit Klaus Lüderssen: Seminar: Abweichendes Verhalten IV. Kriminalpolitik und Strafrecht. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1980.
  • hrsg. mit Klaus Lüderssen: Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, Bände I und II., Suhrkamp, Frankfurt/M. 1980.
  • als Hrsg.: Privatisierung staatlicher Kontrolle: Befunde, Konzepte, Tendenzen. Nomos, Baden-Baden 1995, ISBN 3-7890-4089-4.
  • Kriminologie als Gesellschaftswissenschaft. Ausgewählte Texte, herausgegeben von Bernd Dollinger u. a., Beltz Juventa, Weinheim/Basel 2014, ISBN 978-3-7799-2946-8.
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Einzelnachweise

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  1. Universität Hamburg, Hamburger Professorinnen- und Professorenkatalog: Sack, Fritz.
  2. vgl. Christian Wickert, Christina Schlepper, Simon Egbert und Katrin Bliemeister, Kriminologie studieren in Hamburg, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 96 (2013), S. 270–275, S. 270.
  3. Fritz Sack, Neue Perspektiven in der Kriminologie. In: Fritz Sack / René König, Kriminalsoziologie. Akademische Verlagsgesellschaft., Frankfurt am Main 1968, S. 431–475.
  4. Fritz Sack: Einführende Anmerkungen zur kritischen Kriminologie. Überarbeiteter Text eines Vortrages zum Auftakt der Vorlesungsreihe „Kritische Kriminologie und Soziale Arbeit“, 2000, Online, dort Abschnitt 3 Der Sprung in die kritische Kriminologie: einige biographische Notizen, S. 8 ff.
  5. Fritz Sack: Einführende Anmerkungen zur kritischen Kriminologie. Überarbeiteter Text eines Vortrages zum Auftakt der Vorlesungsreihe „Kritische Kriminologie und Soziale Arbeit“, 2000, Online, dort Abschnitt 3 Der Sprung in die kritische Kriminologie: einige biographische Notizen, S. 8 ff., hier S. 11.
  6. Angaben zur Theorie und zur Krik an ihr beruhen, wenn nicht anders belegt, auf Christian Wickert: Radikaler Labelingansatz (Sack), SozTheo.
  7. Trutz von Trotha, Ethnomethodologie und abweichendes Verhalten. Anmerkungen zum Konzept des "Reaktionsdeppen". In: Kriminologisches Journal, Band 9, Heft 2, 1977, S. 98–115.
  8. Kolja Mensing: Familiäres Kapital. In: Die Tageszeitung. 5. Juni 2004, abgerufen am 7. Juli 2013.
  9. Beirat der Humanistischen Union, abgerufen am 23. Oktober 2017.
  10. Fritz Sack-Preis, Website der Gesellschaft für interdisziplinäre wissenschaftliche Kriminologie, abgerufen am 22. Oktober 2017.
  11. Universität Kreta, Psychologie Department: History of Departmental Activities, abgerufen am 22. Oktober 2017.