Das gemeindliche Schiedswesen in Deutschland dient der Beilegung weniger bedeutsamer strafrechtlicher und zivilrechtlicher Angelegenheiten. Die betreffenden Einrichtungen werden Schiedsämter oder – in den östlichen Bundesländern – Schiedsstellen genannt und fungieren in der Regel sowohl als Vergleichsbehörden im Sinne der Straf- und als auch als Gütestellen im Sinne der Zivilprozessordnung. Die ehrenamtlich tätigen Schlichter werden als Schiedspersonen oder – in Sachsen – als Friedensrichter bezeichnet, das Verfahren als Schlichtungsverfahren.

Amtsschild eines Schiedsamtes in Nordrhein-Westfalen

Etymologisch gehen die Bildungen mit Schieds- auf das Verb scheiden in der Bedeutung ‚trennen‘ zurück.[1] Sachlich ist das gemeindliche Schiedswesen von der privaten Schiedsgerichtsbarkeit bzw. dem schiedsrichterlichen Verfahren zu unterscheiden, ebenso von privaten Schlichtungsstellen und dem staatlichen Güterichter.

Baden-Württemberg, Bayern und Bremen haben keine Schiedsämter. Hier werden die Gemeinden (Baden-Württemberg[2], Bayern[3]) bzw. Sühnebeamte bei den Amtsgerichten (Bremen[4]) als Vergleichsbehörden nach der Strafprozessordnung tätig. In Bayern sind daneben die Notare und bestimmte Rechtsanwälte Gütestellen im Sinne der Zivilprozessordnung.[5]

Die hessischen Ortsgerichte sind ebenfalls gemeindliche Einrichtungen, ihr Wirkungskreis aber ist die freiwillige Gerichtsbarkeit.

Geschichte

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Als nach dem Wiener Kongress 1814/15 die europäischen Territorien neu geordnet wurden, blieb in den vordem französisch besetzt gewesenen linksrheinischen deutschen Gebieten das Institut des Friedensrichters bestehen, während daran anlehnend das Königreich Preußen (mit Ausnahme von Rheinpreußen) 1827 das Institut des Schiedsmanns einführte. Dessen Aufgabe war es, bei kleinen Privatrechtsstreitigkeiten und Ehrverletzungen vor einem Gang zu den ordentlichen Gerichten einen Sühneversuch zwischen den streitenden Parteien zu unternehmen.

Dem Beispiel Preußens folgten andere deutsche Länder, die Vergleichs- und Friedensrichter beriefen, so dass dieses Institut schließlich zunächst für private Beleidigungen als Vergleichsbehörde Eingang in die deutsche Strafprozessordnung von 1877 fand.[6] Mit der preußischen Schiedsmannsordnung von 1879[7] erfolgte eine Ausdehnung auf ganz Preußen, und sachlich wurde das Aufgabenspektrum um weniger bedeutsame bürgerliche Rechtsstreitigkeiten erweitert, dem wiederum andere deutsche Länder sich anschlossen. In Preußen lag die Zahl der strafrechtlichen Verfahren zwischen 1880 und 1924 jährlich bei etwa 200.000; in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten sank sie im gleichen Zeitraum von ca. 90.000 auf unter 6.000.[8]

Mit der Emminger-Novelle[9] wurde 1924 zeitweise ein obligatorisches Güteverfahren in die Zivilprozessordnung eingeführt (§ 495a ZPO; aufgehoben 1944,[10] endgültig 1950)[11] und der dabei abgeschlossene Vergleich als Vollstreckungsgrundlage anerkannt (§ 794 ZPO). In den neuen Bundesländern wurden die Schiedskommissionen der DDR[12] aufgrund des noch von der Volkskammer beschlossenen Gesetzes über die Schiedsstellen in den Gemeinden[13] 1990 von Schiedspersonen abgelöst, in Sachsen 1999[14] wieder wie schon 1879[15] Friedensrichter genannt.

§ 15a des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung[16] ermöglicht dem Landesgesetzgeber seit 2000, in bestimmten Fällen eine obligatorische Schlichtung vor einer staatlich eingerichteten oder anerkannten Gütestelle vorzusehen.

Rechtsgrundlagen

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Dem Bund steht die Kompetenz zur Regelung der ehrenamtlichen außergerichtlichen Streitbeilegung nur insoweit zu, als ein außergerichtliches Vorverfahren als Voraussetzung für ein gerichtliches Verfahren geschaffen wird (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG; § 380 StPO und § 15a EGZPO); im Übrigen liegt die Regelungskompetenz bei den Ländern.[17] In 12 Ländern bestehen Schiedsämter bzw. -stellen; 10 Länder haben von der Ermächtigung zur Einführung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Gebrauch gemacht.

Land strafprozessuale
Vergleichsbehörde
(§ 380 StPO)
zivilprozessuale
Streitbeilegungsstelle
(vgl. § 204 BGB)
Beilegungsversuch
obligatorisch?
(§ 15a EGZPO)
Anerkennung
alternativer Gütestellen?
(vgl. § 794 ZPO)
BW  BW Gemeinde (§ 37 AGGVG) § 22 AGGVG
BY  BY Gemeinde (Art. 49 AGGVG) Gütestelle (insbes. Notar,
Rechtsanwalt; BaySchlG)
Art. 1 BaySchlG Art. 22 AGGVG
BE  BE Schiedsamt (BlnSchAG) [18]
BB  BB Schiedsstelle (SchG, SchG-VV) BbgSchlG BbgGüteStG
HB  HB Sühnebeamte des Amtsgerichts
(SühneVfV)
HH  HH Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle[19]
(ÖRA-Gesetz, ÖRA-Verordnung)
HE  HE Schiedsamt (HSchAG) § 1 SchlichtG HE § 6 SchlichtG HE
MV  MV Schiedsstelle (SchStG M-V) § 34a SchStG M-V
NI  NI Schiedsamt (NSchÄG) NSchlG § 97 NJG
NW  NW Schiedsamt (SchAG NRW) § 53 JustG NRW § 45 JustG NRW
RP  RP Schiedsamt (SchO) LSchlG
SL  SL Schiedsperson (SSchO) § 37a AGJusG § 37d AGJusG
SN  SN Schiedsstelle (SächsSchiedsGütStG) § 55 SächsSchiedsGütStG
ST  ST Schiedsstelle (SchStG) § 34a SchStG § 40 SchStG
SH  SH Schiedsamt (SchO) § 1 LSchliG § 6 LSchliG
TH  TH Schiedsstelle (ThürSchStG)

Schiedsverfahren

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Das Amt der Schiedsperson ist ein auf Zeit ausgeübtes Ehrenamt mit der Aufgabe, zwischen den streitenden Parteien zu schlichten. Schiedspersonen entscheiden nicht, sondern führen rechtlich einen Vergleich herbei, das heißt einen Vertrag zwischen den sich einigenden Parteien, aus dem gegebenenfalls auch unmittelbar die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Die Zivilsachen, für die eine Schlichtung nach § 15a EGZPO obligatorisch vorgesehen werden kann, sind

  • vermögensrechtliche Streitigkeiten, deren Wert die Summe von 750 Euro nicht übersteigt
  • Streitigkeiten über Ansprüche aus dem Nachbarrecht nach den §§ 906, 910, 911, 923 BGB und Art. 124 EGBGB (sofern es sich nicht um Einwirkungen von einem gewerblichen Betrieb handelt)
  • Streitigkeiten über Ansprüche wegen Verletzung der persönlichen Ehre (sofern nicht in Presse oder Rundfunk begangen)
  • Streitigkeiten über Ansprüche nach Abschnitt 3 des AGG.

Auch in anderen Zivilsachen kann je nach Landesrecht das Schiedsamt angerufen werden. Der Antrag hemmt die Verjährung (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB).

In Strafsachen ist die Schlichtung bei Privatklagedelikten wie Hausfriedensbruch, Beleidigung, Verletzung des Briefgeheimnisses, einfacher und fahrlässiger Körperverletzung, Bedrohung, Sachbeschädigung und auf ein solches Delikt bezogenem Vollrausch obligatorisch (§ 380 StPO), wenn kein öffentliches Interesse der Staatsanwaltschaft an der Strafverfolgung besteht.

Die Gesamtzahl der Verfahren lag 1980 für die alten Bundesländer bei unter 1.000 Zivil- und etwa 28.500 Strafsachen,[20] für die gesellschaftlichen Gerichte der DDR bei 48.600 Zivilsachen (überwiegend Arbeitssachen vor den Konfliktkommissionen) und bei 29.000 Strafsachen.[21] 35 Jahre später (2015) fielen bei den Schiedsämtern bzw. -stellen über 12.600 Zivil- und über 2.100 Strafsachen an. In etwa 80 % der Fälle sind beide Parteien vor der Schiedsperson erschienen; über 50 % der Zivilsachen und über 40 % der Strafsachen wurden durch Vergleich erledigt. Hinzu kommen ca. 20.000 sog. „Tür- und Angelfälle“ (Inanspruchnahmen ohne Protokoll).[22]

Österreich

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Zur Rechtslage in Österreich siehe Gemeindevermittlungsamt.

Zur Rechtslage in der Schweiz siehe Schlichtungsbehörde.

Literatur

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  • Theodor Christian Fachtmann: Das außergerichtliche Sühneverfahren in Norddeutschland durch Friedensrichter, Schieds- und Vertrauensmänner. Rackhorst, Osnabrück 1849 (Volltext in der Google-Buchsuche).
  • Paul Florschütz: Die Schiedsmannsordnung vom 29. März 1879, 15 Auflagen
  • Meyers Konversationslexikon, Verlag des Bibliografischen Instituts, 4. Aufl., Bd. 14, Leipzig 1890, S. 443 f.; 6. Aufl., Bd. 17, Leipzig 1909, S. 752
  • Carl Creifelds, Rechtswörterbuch, C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 15. Aufl., München 1999, S. 1124 f, ISBN 3-406-44300-1
  • Hans-Andreas Schönfeldt: Vom Schiedsmann zur Schiedskommission. Normdurchsetzung durch territoriale gesellschaftliche Gerichte in der DDR. Klostermann, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-465-03176-8 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Bele Carolin Peters: Der Gütegedanke im deutschen Zivilprozeßrecht. Eine historisch-soziologische Untersuchung zum Gütegedanken im Zivilverfahrensrecht seit 1879. Jena 2004 (db-thueringen.de [PDF; 1000 kB]).
  • BDS: SchiedsamtsZeitung (SchAZtg, seit 1926; ZDB-ID 1160357-4)

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. DWDS, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, scheiden
  2. § 37 AGGVG
  3. Art. 49 AGGVG
  4. Verordnung über das Sühneverfahren in Privatklagesachen
  5. Art. 5 BaySchlG
  6. § 420 der Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877; ab 1924: § 380 StPO
  7. Schiedsmannsordnung vom 29. März 1879
  8. Günther Jahn: Läßt sich die Inanspruchnahme des Schiedsmanns auf dem Gebiete der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten beleben?, Schiedsamtszeitung 1960, S. 103/133/167, 135
  9. Verordnung über das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 13. Februar 1924 (RGBl. I S. 135)
  10. § 5 der Zweiten Kriegsmaßnahmeverordnung vom 27. September 1944 (RGBl. I S. 299)
  11. Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts vom 12. September 1950 (BGBl. S. 455)
  12. siehe Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik vom 11. Juni 1968, im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 11, 1968, S. 229ff., Digitalisat. und Gesetz über die gesellschaftlichen Gerichte der Deutschen Demokratischen Republik - GGG - vom 25. März 1982. Im Gesetzblatt der DDR, Teil I Nr. 13, S. 269ff., Digitalisat.
  13. vom 13. September 1990 (GBl. I Nr. 61 S. 1527); Fortgeltung gemäß Einigungsvertrag Anlage II Kap. III Sachg. A Abschn. I Nr. 3 nach Maßgabe von Art. 9
  14. Gesetz über die Schiedsstellen in den Gemeinden des Freistaates Sachsen (Sächsisches Schiedsstellengesetz – SächsSchiedsStG) vom 27. Mai 1999 (SächsGVBl. S. 247)
  15. Verordnung, die Bestellung von Friedensrichtern betreffend, vom 16. Mai 1879 (GVBl. S. 209)
  16. eingefügt durch das Gesetz zur Förderung der außergerichtlichen Streitbeilegung vom 15. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2400); Materialien: BT-Drs. 14/980, BT-Drs. 14/1306
  17. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages: Gesetzgebungskompetenz des Bundes für ein Schiedsamtsgesetz? (WD 3 - 3000 - 062/19)
  18. ECLI:DE:BGH:2013:290513BIVAR.VZ.3.12.0; Reinhard Greger: Anerkannte Gütestellen
  19. anerkannte Gütestelle mit örtlicher Allzuständigkeit, vgl. BGHZ 123, 337 (1993)
  20. BT-Drs. 11/3967 (1989)
  21. Britta Schubel: Geschichte und Gegenwart außergerichtlicher Erledigung von Strafsachen durch ehrenamtliche Schiedsinstanzen in den neuen Bundesländern (1997), S. 316–319
  22. Schiedsamtszeitung 2017, S. 282