Der Generationenroman (auch Generationsroman) ist ein literarisches Genre, dessen Handlung durch Figuren aus mindesten drei Familiengenerationen bestimmt wird, während Familienromane oder Familiensagas Eltern-Kinder-Beziehungen behandeln.

Definition

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Der Generationenroman bezeichnet ein umfangreiches Genre der Literatur, das sich strukturell durch eine besondere Figurenkonstellation auszeichnet. Die Geschichte von drei oder mehr Generationen einer Familie bildet die Achse der Komposition der Romane.[1] Die erzählte Zeit überspannt gewöhnlich mehrere Jahrzehnte.[2] Durch die familiäre Bindung der Hauptfiguren kommen bestimmte Motive häufig vor, wie Generationenkonflikte, Familiengeheimnisse oder Erbschaften.[3]

Abgrenzung von anderen Genres

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Bezeichnungen wie „Familienroman“, „Sippenroman“, „Generationenroman“, „Familienchronik“ oder „Familiensaga“ werden in der Forschung häufig gleichbedeutend verwendet. Das verwandte Genre der „Familienromane“ ist durch den thematischen Bezug auf Familie definiert und geht von zwei Familiengenerationen aus (Eltern-Kinder).[1] Der Generationenroman ist demgegenüber durch eine Figurenkonstellation gekennzeichnet, welche mindestens drei aufeinanderfolgende Familiengenerationen erfasst.[4]

Entwicklung des Genres

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Das Thema Familie ist ein beliebter und traditionsreicher Gegenstand der Literatur. Eine erzählerische Funktionalisierung von Familienbeziehungen beginnt lange vor der Erfindung der bürgerlichen Familie und lässt sich bereits in den Götter- und Heldensagen der Antike, den Erzählungen der Bibel, den Liedern der altisländischen Edda oder der epischen Dichtung des Mittelalters beobachten. Die Thematisierung von Generationenbeziehungen zeigt sich neben den Dramen des Sturm und Drang oder den Kaufmannsromanen des 19. Jahrhunderts auch im populären Liebes-, Heimat- und Familienroman. Spätestens mit Émile Zolas Romanzyklus Les Rougon-Macquart (1871–1893) wird verstärkt auch die historische Dimension in Generationengeschichten thematisiert; mit Romanen wie Thomas Manns Buddenbrooks (1901), Samuel Butlers The Way of All Flesh (1903), Maxim Gorkis Das Werk der Artamonovs (1925) oder John Galsworthys Romantrilogie The Forsyte Saga (1906–1925) wird dieses Erzählmuster zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf den Buchmärkten vieler Länder populär.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der Familien- und Generationenroman lange als triviales, „vernutztes Genre“ bewertet.[5] In den 1970er und 1980er Jahren wurden Familienkonstellationen in der Literatur durch Romane wie Peter Henischs Die kleine Figur meines Vaters (1975) oder Christoph Meckels Suchbild. Über meinen Vater (1980) bekannt. Diese ‚Väterbücher’ gelten als Vorläufer einer erneuten Konjunktur von Familienerzählungen in den 1990er Jahren.[6] Unter den vielbesprochenen Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt ist neben erfolgreichen Übersetzungen wie Philip Roths American Pastoral (1997), Jonathan Franzens The Corrections (2001) oder Jeffrey Eugenides Middlesex (2002) vor allem die sogenannte Erinnerungsliteratur zu nennen, mit der das Thema Familie auf dem deutschsprachigen Buchmarkt wieder sichtbar wurde.[7]

Mehrgenerationenromane: Weitere Beispiele

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Literatur

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  • Ariane Eichenberg: Familie-Ich-Nation. Narrative Analysen zeitgenössischer Generationenromane. Göttingen 2009.
  • Friederike Eigler: Gedächtnis und Geschichte in Generationenromanen seit der Wende. Berlin 2005.
  • Matteo Galli, Simone Costagli: Chronotopoi. Vom Familienroman zum Generationenroman. In: M. Galli, S. Costagli (Hrsgg.): Deutsche Familienromane. Literarische Genealogien und internationaler Kontext. München 2010, S. 7–20.
  • Helmut Grugger und Johann Holzner (Hrsgg.): Der Generationenroman. De Gruyter, Berlin 2021. ISBN 978-3-11-066828-5.
  • Marijana Jeleč: Formen der Vergangenheitsbewältigung in ausgewählten zeitgenössischen österreichischen Generationenromanen. In: G. Lovrić, M. Jeleč (Hrsg.): Familie und Identität in der Gegenwartsliteratur. Frankfurt am Main 2016, S. 147–162.
  • Csaba Gy Kiss: Bemerkungen zum Problem des sogenannten Generationenromans in Ostmitteleuropa. In: Neohelicon 11, Nr. 1 (März 1984), S. 161–170.
  • Markus Neuschäfer: Das bedingte Selbst. Familie, Identität und Geschichte im zeitgenössischen Generationenroman. Berlin: Epubli 2013. Open Access Ausgabe.
  • Rafał Pokrywka: Der Generationenroman als Figuration historischer Übergänge. Arno Geigers „Es geht uns gut“. In: Studia Germanica Posnaniensia, Nr. 34 (2013), S. 149–161.
  • Rafał Pokrywka: Fünf Lesekonventionen des Generationenromans. In: Acta Germanica: German Studies in Africa, Bd. 43 (2015), S. 187–197.
  • Julian Reidy: Rekonstruktion und Entheroisierung. Paradigmen des ‚Generationenromans‘ in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Figurationen des Anderen 2. Bielefeld: Aisthesis 2013.[8]
  • Anna Rutka: Erinnern und Geschlecht in zeitgenössischen deutschen Familien- und Generationenromanen. Lublin 2011.
  • Carmen Simon: Der österreichische Familien- und Generationenroman nach 2000. Diplomarbeit, Universität Wien. Philologisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät 2011 Open Access Ausgabe.

Einzelnachweise

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  1. a b Ariane Eichenberg: Familie-Ich-Nation. Narrative Analysen zeitgenössischer Generationenromane. Göttingen 2009, S. 11.
  2. Csaba Gy Kiss: Bemerkungen zum Problem des sogenannten Generationenromans in Ostmitteleuropa. In: Neohelicon 11, Nr. 1 (März 1984), S. 161–170; S. 164 f.
  3. Markus Neuschäfer: Das bedingte Selbst. Familie, Identität und Geschichte im zeitgenössischen Generationenroman. Berlin: Epubli 2013. Open Access Ausgabe.
  4. Markus Neuschäfer: Das bedingte Selbst. Familie, Identität und Geschichte im zeitgenössischen Generationenroman. Berlin: Epubli 2013, S. 15ff.
  5. Sigrid Löffler: Die Familie. Ein Roman. In: Literaturen 06/2005, S. 17–26, S. 20
  6. Ariane Eichenberg: Familie-Ich-Nation. Narrative Analysen zeitgenössischer Generationenromane. Göttingen 2009, S. 12. Für einen Überblick über das Feld der Väterliteratur vgl. auch ebd., S. 13ff.
  7. Thomas Medicus: Im Archiv der Gefühle. Tätertöchter, der aktuelle »Familienroman« und die deutsche Vergangenheit. In: Mittelweg 36 (3/2006), S. 2–15.
  8. über Julian Reidy