Giacomo Debenedetti

italienischer Autor und Literaturkritiker

Giacomo Debenedetti (* 25. Juni 1901 in Biella; † 20. Januar 1967 in Rom) war ein italienischer Literaturkritiker und Schriftsteller.

Leben und Werk

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Gedenkstein zu Ehren Debendettis, der 1987 am Corso San Maurizio 52 in Turin angebracht wurde

Noch in ganz jungen Jahren zog der vielseitig begabte Debenedetti nach Turin, wo er nacheinander drei Fächer studierte: Mathematik, Jura und Philologie. Mit Sergio Solmi, Mario Gromo und Emanuele Sacerdote gründete er 1922 die Literaturzeitschrift Primo Tempo, die bis 1924 erschien und in der er Beiträge über Benedetto Croce, Carlo Michelstaedter, Giovanni Boine und Umberto Saba veröffentlichte. Anschließend schrieb er bis 1928 in Il Baretti von Piero Gobetti, mit dem er gut befreundet war; dort erschienen Rezensionen über Saba, Raymond Radiguet, Italo Svevo und Marcel Proust. Als einer der ersten in Italien machte er auf die Tragweite der Psychoanalyse – auch und gerade für das Kulturschaffen – aufmerksam und erkannte das Genie von Proust, dessen Du côté de chez Swann er ins Italienische übersetzte.

Da seine 1926 veröffentlichte Erzählsammlung Amedeo ed altri racconti nur einen mäßigen Erfolg hatte, verlegte er sich schon früh von der schriftstellerischen auf die literaturkritische Tätigkeit. 1927 promovierte er mit einer Arbeit über den frühen Gabriele D’Annunzio, und 1929 erschien die erste Serie seiner literaturkritischen Schriften unter dem Titel Saggi critici (weitere Bände kamen 1945 und 1959 heraus). Neben seinen kritischen Beiträgen für Il convegno, Solaria und La fiera letteraria verfasste er zudem Filmdrehbücher und arbeitete an Übersetzungen (Proust, George Eliot, Henry Miller, Katherine Mansfield).

Seit dem Inkrafttreten der italienischen Rassengesetze von 1938 war er als Angehöriger einer „jüdischen“ Familie dazu gezwungen, anonym oder unter einem Pseudonym zu veröffentlichen, um den faschistischen Verfolgungen zu entgehen. Seine traumatischen Erfahrungen bei den Razzien und Deportationen in Roms jüdischem Ghetto dokumentierte er 1944 in den beiden Erzählungen Otto ebrei und 16 ottobre 1943, die auch ins Deutsche übersetzt wurden. In seinem Essay Probabile autobigrafia di una generazione schilderte er 1949 seine politischen Erfahrungen, die ihn wie auch zahlreiche andere Intellektuelle seiner Generation aus dem Widerstand in die kommunistische Partei (PCI) führten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann er, zunächst in Messina, dann in Rom, eine Lehrtätigkeit als Dozent für italienische Literatur. Die Vermittlung der zeitgenössischen Literatur und ihrer zentralen, komplexen Aussagen nahm ihn im Rahmen seines akademischen Wirkens ganz und gar ein, so dass er seinen Schreibstil änderte und nur noch gelegentlich publizierte. 1967 wurde er mit einem Antonio-Feltrinelli-Preis ausgezeichnet. Der Großteil seiner wertvollen universitären Aufzeichnungen wurde so erst nach seinem Tod 1967 von seiner Frau Renata herausgegeben.

Literaturkritischer Ansatz

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Giacomo Debenedetti war eine einzigartige Kritikerpersönlichkeit. Bei ihm kann jeder Satz auch als intellektuelle Autobiografie verstanden werden. Doch hinter seiner spitzen Feder und seiner stilistischen Flexibilität verbarg sich durchaus das ängstliche Bedürfnis, sich durch geistige Größen abzusichern, weshalb er in jungen Jahren bei bürgerlichen Autoritäten wie den Literaturhistorikern Francesco De Sanctis, Benedetto Croce und Renato Serra Orientierung suchte. Mit zunehmender Bildung und Erfahrung erweiterte er aber den Horizont seiner deutenden Wahrnehmung und stellte seine Lektüren nicht nur in den rein italienischen, sondern in einen gesamteuropäischen bzw. abendländischen Kontext; er begriff sie nicht nur aus dem rein literarischen und historischen Blickwinkel, sondern auch mithilfe anderer Disziplinen wie v. a. der Psychoanalyse (Freud, Jung), der Phänomenologie (Husserl), der modernen Physik (Bohr, Heisenberg) und der Kulturanthropologie (Lévi-Strauss).

Da im Mittelpunkt seiner Erkenntnisprozesse keine objektiven Fakten, sondern die subjektiven, inneren Beweggründe und Probleme eines Autors standen, legte er sich nicht auf eine bestimmte Methode fest und überließ gerade die Ergründung besonderer autorenspezifischer Symbole und Mythen vielmehr der eigenen, den jeweiligen Erfordernissen angemessenen Intuition, d. h. der Subjektivität des Lesers, die er ganz bewusst mit zu Rate zog. Auf diese Weise wurden Debenedettis Werkbesprechungen immer wieder selbst zu einer hohen Kunstprosa bzw. zu „kritischen Erzählungen“ („racconti critici“), wie sie von der zeitgenössischen Rezeption oft bezeichnet wurden.

Eine zentrale Bedeutung nahm in Debenedettis Literaturverständnis der Mensch als literarische Figur ein – ihm widmete er mit Il personaggio uomo ein ganzes Buch und bezeichnete dieses als einen „provisorischen Nachruf“ („commemorazione provvisoria“): Weil der moderne Mensch nach seinen Untersuchungen an verschiedensten Romanfiguren in heillosen, unauflösbaren Neurosen gefangen sei, sehe er sich einer permanenten Entfremdung ausgesetzt; und der noch im 19. Jahrhundert vorherrschende bürgerliche Typus klar identifizierbarer Figuren höre auf zu existieren. Zwar steckt nach seiner Überzeugung in jeder Figur noch ein menschlicher, protestierender Kern, doch wird dieser von einer mit sich selbst nicht mehr im Einklang stehenden Gesellschaft daran gehindert, zum Ausdruck zu kommen – er wird stets verschleppt und in seinem Keim erstickt.[1]

Als wichtigste Aufgabe sowohl des Schriftstellers, als auch des Kritikers sah er es an, diesen Entfremdungsmechanismen bis in ihre letzten Winkel nachzuspüren und so die existentielle Krise des Menschen in der modernen Massengesellschaft aufzuzeigen. Darüber hinaus soll der Kritiker, nach Debenedettis idealistischem Selbstverständnis, die humanen Werte der Literatur in die Zukunft hinüberretten, nachdem er sie vorübergehend verleugnet hat – selbst um den Preis, dadurch nicht mehr aktuell zu erscheinen. Vorausgesetzt, dass er an diese Werte auch wirklich glaubt und sich nicht in ihnen getäuscht hat, käme dann nämlich ein jeder Wert als notwendige Entwicklungsstufe zum Erreichen neuer, tiefer Ausdrucksformen zum Vorschein.[2]

Erzählungen

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  • Amedeo e altri racconti. Edizioni del Baretti, Turin 1926.
  • 16 ottobre 1943. Il Saggiatore, Mailand 1959.
  • Otto ebrei. Il Saggiatore, Mailand 1961.

Essays/Literaturkritik

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  • Saggi critici. Bd. 1: Edizioni di Solaria, Florenz 1929; Bd. 2: OET, Rom 1945; Bd. 3: Il Saggiatore, Mailand 1959.
  • Radiorecita su Marcel Proust. Macchia, Rom 1953.
  • Intermezzo. Mondadori, Mailand 1963.
  • II personaggio uomo. Il Saggiatore, Mailand 1970.
  • Il romanzo del Novecento. Garzanti, Mailand 1971.
  • Niccolò Tommaseo. Garzanti, Mailand 1973.
  • Poesia italiana del Novecento. Garzanti, Mailand 1974.
  • Verga e il naturalismo. Garzanti, Mailand 1976.
  • La vocazione di Vittorio Alfieri. Editori Riuniti, Rom 1977.
  • Pascoli: la rivoluzione inconsapevole. Quaderni mediti. Garzanti, Mailand 1979.
  • Rileggere Proust e altri saggi proustiani. Mondadori, Mailand 1982.
  • Al cinema. Marsilio, Venedig 1983.
  • Quaderni di Montaigne. Garzanti, Mailand 1986.

Deutsche Übersetzungen

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  • Am 16. Oktober 1943. Acht Juden. Das Arsenal, Berlin 1993.

Literatur

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  • Cesare Garboli (Hrsg.): Giacomo Debenedetti 1901-1967. Il Saggiatore, Mailand 1968.
  • Cantatore, Lorenzo: Bibliografia di Giacomo Debenedetti. Rom: Carucci, 1990
  • Agostini-Ouafi, Viviana: Giacomo Debenedetti. Traducteur de Marcel Proust. Caen: Presses Université de Caen, 2003
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Einzelnachweise

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  1. Vgl. Debenedetti, G. in einem Interview für die Tageszeitung L’Unità am 27. März 1963: „(…) un nucleo umano protestatario e imbavagliato, tenuto in mora, impedito di esprimersi da un mondo, da una società non più in accordo con se medesima.“
  2. Vgl. Debenedetti in L’Unità 1963: „A costo di sembrare inattuale, il critico deve tenere in salvo per l'indomani i valori, transitoriamente sconfessati, se crede davvero che siano valori. Posto che egli non si sia sbagliato (ma allora lo si vede subito dai difetti della sua dimostrazione critica), ciascuno di quei valori, apparirà come una tappa necessaria per giungere a nuove e profonde forme d’espressione.“