Glycopyrroniumbromid

chemische Verbindung
(Weitergeleitet von Glycopyrronium)

Glycopyrroniumbromid ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der Parasympatholytika. Das Kation der Substanz wird als Glycopyrronium (nach INN) oder auch Glycopyrrolat (nach USAN) bezeichnet.

Strukturformel
   
Vereinfachte Strukturformel – komplexes Stereoisomerengemisch
Allgemeines
Freiname Glycopyrroniumbromid
Andere Namen
  • (±)-(R*)-3-[(S*)-2-Cyclopentyl-2-hydroxy-2-phenylacetoxy]-1,1-dimethylpyrrolidiniumbromid (IUPAC)
  • Glycopyrrolat (USAN)
Summenformel C19H28BrNO3
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 596-51-0
EG-Nummer 209-887-0
ECHA-InfoCard 100.008.990
PubChem 11693
ChemSpider 11201
Wikidata Q27162963
Arzneistoffangaben
ATC-Code

A03AB02

Wirkstoffklasse

Anticholinergika

Eigenschaften
Molare Masse 398,34 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

193,2–194,5 °C[1]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[2]

Achtung

H- und P-Sätze H: 315​‐​319​‐​335
P: ?
Toxikologische Daten

709 mg·kg−1 (LD50Ratteoral)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa).

Klinische Angaben

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Anwendungsgebiete (Indikationen)

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Neues Anwendungsgebiet primäre Hyperhidrose

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Seit dem 1. August 2022 ist Glycopyrroniumbromid zur Behandlung der schweren axillären primären Hyperhidrose in Deutschland zugelassen.[5] Die topischen Präparate werden auf die betroffenen Körperstellen, also insbesondere die Achselhöhlen, aber auch auf Handflächen oder Füße aufgetragen.

Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen)

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Zu den peripheren anticholinergen Wirkungen gehören insbesondere Obstipation, verringertes Schwitzen, Trockenheit von Mund, Nase und Rachen, trockene Haut und Kopfschmerzen. An der Applikationsstelle kann eine Reizung bzw. Entzündung auftreten.[3]

Gegenanzeigen

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Glycopyrroniumbromid sollte nicht von Personen verwendet werden, die überempfindlich auf den Wirkstoff oder andere Bestandteile des verwendeten Arzneimittels reagieren. Schwangere Frauen und stillende Mütter sollten vor der Anwendung von Glycopyrroniumbromid Rücksprache mit ihrem Arzt halten.

Weitere Gegenanzeigen sind:

  • Glaukom
  • Myasthenia gravis
  • Sjögren-Syndrom
  • Harnverhalt
  • Darmverschluss

Pharmakologische Eigenschaften

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Wirkungsmechanismus (Pharmakodynamik)

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Glycopyrroniumbromid hemmt kompetitiv die Effekte von Acetylcholin an muskarinartigen cholinergen Neuronen. Es handelt sich also um einen kompetitiven Antagonismus an muskarinartigen Rezeptoren (M-Cholinorezeptoren). Solche peripheren cholinergen Rezeptoren befinden sich in den autonomen Effektorzellen der glatten Muskulatur, des Herzmuskels, dem Sinusknoten, dem Atrioventrikularknoten, den exokrinen Drüsen (z. B. den Schweißdrüsen) und in beschränkten Maß auch in den autonomen Ganglien. Im Pharynx, in der Trachea und in den Bronchien wird eine übermäßige Sekretproduktion eingeschränkt. Die Muskarinrezeptoren in den Speicheldrüsen sprechen stark auf Anticholinergika an. Eine Hemmung der Speichelsekretion tritt schon bei einer Dosierung ein, bei der andere unerwünschte anticholinerge Wirkungen nicht auftreten,[6] d. h., die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Nebenwirkungen bei dieser Indikation ist geringer. Eine Reduktion des erhöhten Speichelflusses führt häufig zu einer Verbesserung der Sprechfähigkeit.[7] Auch die Schweißdrüsen reagieren empfindlich auf den Wirkstoff, sodass eine übermäßige Schweißproduktion gehemmt wird.

Aufnahme und Verteilung im Körper (Pharmakokinetik)

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Glycopyrronium ist ein synthetisches, ionisiertes (geringe Fettlöslichkeit), quartäres Ammonium-Anticholinergikum, welches Zellmembranen schlecht passiert.[8] Entsprechend schwer penetriert Glycopyrroniumbromid in das ZNS oder in das Augengewebe. Nebenwirkungen wie Sedierung oder Delir finden sich dadurch selten (Blut-Hirn-Schranke).[9][10] Die orale Resorption ist schlecht, das Potenzverhältnis von i.-v.-Injektion zu oral beträgt etwa 35:1.[11] Dennoch führen 200–400 µg Glycopyrronium p. o. dreimal täglich zu Plasma-Konzentrationen, die die Speichelsekretion bis zu 7 h lang hemmen.[12][13][14] Intravenös verabreicht, ist Glycopyrronium zur Sekretionshemmung zwei- bis fünfmal potenter als Scopolaminhydrobromid.[11] Daher kann es auch bei einigen Patienten, die auf Scopolamin nicht ansprechen, zur Sekretionshemmung führen. Die Wirksamkeit von Scopolaminhydrobromid, Butylscopolaminbromid und Glycopyrronium als sekretionshemmende Mittel ist jedoch im Allgemeinen vergleichbar. Eine terminale Rasselatmung wird bei einem Drittel bis der Hälfte der Patienten gebessert.[15] Die optimale parenterale Einzeldosis beträgt 200 µg.[16] Im Vergleich zu Scopolaminhydrobromid verläuft der Wirkungseintritt von Glycopyrronium langsamer.[17] Es hat aufgrund seiner geringeren Affinität zu Muskarinrezeptoren Typ 2 weniger kardiale Nebenwirkungen.[18][19][20] Obwohl in Standarddosierungen zwar Augeninnendruck oder Pupillengröße durch Glycopyrronium nicht verändert werden, kann es ein Engwinkelglaukom begünstigen. Die Elimination erfolgt über die Nieren. Daher sind bei niereninsuffizienten Patienten bereits geringere Dosierungen wirksam.[6][8]

Präparate

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  • Monopräparat zur Injektion: Robinul
  • Monopräparat zur Inhalation: Seebri (Breezhaler)
  • Kombinationspräparat mit Indacaterol zur Inhalation: Ultibro
  • Kombinationspräparat mit Beclometason und Formoterol zur Inhalation: Trimbow
  • Topisches Präparat: Axhidrox

Einzelnachweise

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  1. a b Eintrag zu Glycopyrroniumbromid. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 10. November 2014.
  2. Vorlage:CL Inventory/nicht harmonisiertFür diesen Stoff liegt noch keine harmonisierte Einstufung vor. Wiedergegeben ist eine von einer Selbsteinstufung durch Inverkehrbringer abgeleitete Kennzeichnung von Glycopyrronium bromide im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 26. Mai 2020.
  3. a b c Robert Twycross, Andrew Wilcock, Claudia Bausewein, Constanze Rémi: Arzneimitteltherapie in der Palliativmedizin. 2005, S. 293–295.
  4. C Abels et al.:: Long‐term efficacy and safety of 1 % glycopyrronium bromide cream in patients with severe primary axillary hyperhidrosis: Results from a Phase 3b trial. In: Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology. Band 37, April 2023, S. 823–830 (englisch).
  5. Gelbe Liste Online: Neueinführung Axhidrox bei Hyperhidrose | Gelbe Liste. Abgerufen am 11. Juli 2023.
  6. a b T AIi-Melkkila et al.: Pharmacokinetics and related pharmacodynamics of anticholinergic drugs. In: Acta Anaesthesiologica Scandinavica, 1993, 37, S. 633–642.
  7. H Rashid et al.: Management of secretions in esophageal cancer patients with glycopyrrolate. In: Annals of Oncology, 1997, 8, S. 198–199.
  8. a b Mirakhur Rand, J Dundee: Glycopyrrolate pharmacology and clinical use. In: Anaesthesia, 1983, 38, S. 1195–1204.
  9. D Gram et al.: Central anticholinergic syndrome following glycopyrrolate. In: Anesthesiology, 1991, 74, S. 191–193.
  10. D Wigard: Glycopyrrolate and the central anticholinergic syndrome (letter). In: Anesthesiology, 1991, 75, S. 1125.
  11. a b Mirakhur Rand, J Dundee: A comparison of the effects of atropine and glycopyrrolate on various end organs. In: Journal of the Royal Society of Medicine, 1980, 73, S. 727–730.
  12. T Ali-Melkkila et al.: Glycopyrrolate; pharmacokinetics and some pharmacodynamics findings. In: Acta Anesthesiologica Scandinavica, 1989, 33, S. 513–517.
  13. P Blasco: Glycopyrrolate treatment of chronic drooling. In: Archives of Paediatric and Adolescent Medicine, 1996, 150, S. 932–935.
  14. A Olsen, P Sjogren: Oral glycopyrrolate alleviates drooling in a patient with tongue cancer. In: Journal of Pain and Symptom Management, 1999, 18, S. 300–302.
  15. A Hughes et al.: Audit of three antimuscarinic drugs for managing retained secretions. In: Palliative Medicine, 2000, 14, S. 221–222.
  16. R Mirakhur et al.: Evaluation of the anticholinergic actions of glycopyrronium bromide. In: British Journal of Clinical Pharmacology, 1978, 5, S. 77–84.
  17. I Back et al.: Medikamentöse A study comparing hyoscine hydrobromide and glycopyrrolate in the treatment of death rattle. In: Palliative Medicine, 2001, 15, S. 329–336.
  18. R Mirakhur et al.: Atropine and glycopyrronium premedication. A comparison of the effects on cardiac rate and rhythm during induction of anaesthesia. In: Anaesthesia, 1978, 33, S. 906–912.
  19. J Warren et al.: Effect of autonomic blockade on power spectrum of heart rate variability during exercise. In: American Journal of Physiology-Regulatory, Integrative and Comparative Physiology. 1997, 273, S. 495–502.
  20. H Scheinin et al.: Spectral analysis of heart rate variability as a quantitative measure of parasympatholytic effect – integrated pharmacokinetics and pharmacodynamics of three anticholinergic drugs. In: Therapeutic Drug Monitoring. 1999, 21, S. 141–151.