IV (Ton-Steine-Scherben-Album)

Album von Ton Steine Scherben

IV ist ein Doppelalbum von Ton Steine Scherben. Wegen des schwarzen Albumcovers wird es auch „Die Schwarze“ genannt. Es ist eine Ansammlung ganz verschiedener Einflüsse, von Folk bis Punk, und hat mit den früheren Scherben-Alben nicht mehr allzu viel gemein, auch wenn es die Entwicklung aus dem vorigen Album Wenn die Nacht am tiefsten … fortsetzt. Linke Parolen wie Macht kaputt, was euch kaputt macht oder Keine Macht für Niemand finden sich hier nicht mehr, einige Songs sind aber immer noch sehr politisch, zum Beispiel das Lied Der Turm stürzt ein.

IV
Cover
Studioalbum von Ton Steine Scherben

Veröffent-
lichung(en)

März 1981

Label(s) David Volksmund

Genre(s)

Deutschrock

Länge

90 min 56 s

Besetzung
  • R.P.S. Lanrue – Gitarre, Keyboard, Saxophon, Hackbrett
  • Angie Olbrich – Chor
  • Elfie-Esther Steitz – Chor
  • Traute Höss – Chor
  • Elser Maxwell – Chor
  • Ludwig Böttcher – Chor
  • Ernst Meybeck – Chor
  • Klaus van Velzen – Saxophon
  • Der Niebüller Kinderchor unter der Leitung von Kantor Nehmiz
  • Gert Möbius – Originalcover

Produktion

Ton Steine Scherben

Studio(s)

David Volksmund Studio, Fresenhagen

Chronologie
Wenn die Nacht am tiefsten …
(1975)
IV Scherben
(1983)

Das Tarot-Geheimnis

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Alle Songs (mit Ausnahme von Morgenlicht) wurden mit Hilfe von Tarot-Karten geschrieben. Das so genannte „Tarot-Geheimnis“ wurde erst Jahre nach Frontmann Rio Reisers Tod gelüftet, weil befürchtet wurde, die Magie der innovativen und manchmal sehr andersartigen Songs würde dadurch verloren gehen. Eigentlich alle Texte strotzen vor Bildern und Metaphern, kaum etwas ist eindeutig. Da nun alle lebenden Beteiligten der Meinung sind, dass es erlaubt ist, aus dem „magischen Kreis“ herauszutreten, folgt hier eine Auflistung der Tarotkartenziehung im Jahr 1980:

  • 22. Januar – Der Teufel: Hierzu entstand der Song Heimweh, der auch Arbeitstitel des Albums war. Zum Text haben alle Band-Mitglieder etwas beigetragen, das Ergebnis wurde von Hannes Eyber und Rio Reiser noch in Form gebracht. Die Akkorde wurden durch das Zufallsprinzip bestimmt, der Rhythmus entstammt einer „magischen“ Zahlenreihe.
  • 12. Februar – Die Welt: Sumpf Schlock. Der Text entstand ähnlich wie Heimweh durch Reihumdichtung. „Harikafulas“ sind die Anfangsbuchen der Vornamen der Band-Mitglieder (Hannes – Rio – Kai – Funky – Lanrue).
  • Der Stern: Aus dieser Karte geht das seltsame Vorübergehend geschlossen hervor. Hannes Eyber schrieb hierzu einen völlig unverständlichen Text, der zusätzlich noch elektronisch verfremdet wurde (in der neu gemischten Version auf Gesamtwerk (Die Box) ist er bei genauem Hinhören eher zu verstehen). Auch die Musik erscheint völlig fremdartig. Die Idee dahinter war, dass niemand die Sterne begreifen würde.
  • Der Wagen: Kleine Freuden. Wieder durch Reihumdichtung entstanden.
  • 27. März – Der Eremit: Wiedersehn – der Einsiedler versucht den Weg zurück in die Welt zu finden. Der Text ist eine mehr oder weniger alphabetische Aufzählung von Vor- und Rufnamen.
  • 31. März – Die Mäßigkeit: Der Song S'is eben so entstand wieder unter Einbeziehung aller Band-Mitglieder.
  • 4. Juni – Der Magier: Wie in den Tagen Midians besteht aus einer Aufzählung damaliger Schauplätze von Kriegen und Gewalttaten sowie von Hauptstädten Krieg führender oder Kriege unterstützender Mächte, sowie einem von einem Kinderchor gesungenen Bibelzitat (Jes 9,4 LUT); der Titel des Liedes stammt aus dem vorhergehenden Vers Jes 9,3 LUT.
  • 7. Juni – Die Herrscherin: Inspiriert von dem Buch Briefe an ein ungeborenes Kind von Oriana Fallaci entstand hierzu der Song Bleib wo du bist.
  • 10. Juni – Der Turm: Da auf der Karte ein durch einen Blitzschlag einstürzender Turm zu sehen ist, schrieb Rio den Song Der Turm stürzt ein, der gesellschaftliche Probleme humorvoll zur Sprache bringt.
  • 13. Juni – Das Gericht: eine Regelverletzung, denn Lanrue schlug hierzu den Song Morgenlicht vor, dessen Text von Reinhard von der Marwitz, dem Wirt der Berliner Schwulenkneipe „Anderes Ufer“, stammt. Teile des Songs werden in Rios Matth. XI, 15 von seinem Soloalbum Über Alles zitiert.
  • 17. Juni – Die Hohepriesterin: Das narzisstische Niemand liebt mich als Klagelied der Hohepriesterin.
  • 18. Juni – Der Mond: eine klare Assoziation, Ebbe und Flut.
  • 20. Juni – Der Gehängte: Auf der Karte ist zu sehen, wie jemand an den Füßen aufgehängt ist. Funky, der den Text schrieb, ließ sich daraufhin ebenfalls an den Füßen aufhängen und bekam dabei die Idee zum Song S.N.A.F.T. Das Lied heißt so aufgrund eines Tippfehlers (snaft für sanft).
  • 23. Juni – Der Hierophant: (Auf ein) Happy-End als gospelartiger Schlusssong mit einem Frauenchor.
  • 26. Juni – Der Narr: Da!.
  • 28. Juni – Der Herrscher: Gold, ebenfalls eine klare Assoziation.
  • 24. Oktober – Das Rad des Schicksals: Jenseits von Eden, einer der bekanntesten Scherben-Songs.
  • 25. Oktober – Die Entscheidung (entspricht vermutlich der Karte Die Liebenden): Der Fremde aus Indien, ein Song ganz ohne den Vokal „e“. Der Titel ist der eines Romans von Karl May.
  • 25. Oktober – Der Tod: Der Text zu Filmkuß ergibt nur einen Sinn, wenn man weiß, dass er zu dieser Karte geschrieben wurde („Wie ein Filmkuß - zeitenlos. Du bist so einfach - Ende“)
  • 26. Oktober – Die Gerechtigkeit: Ich hab nix. („Ich hab nix - und du hast nix - lass uns was draus machen.“)
  • 26. Oktober – Die Sonne: Der Song Kribbel Krabbel handelt von Selbstbefriedigung. Die letzte Strophe ist auf Italienisch.
  • 27. Oktober – Die Kraft: Alles ist richtig wurde unter Zeitdruck und über Nacht geschrieben.

Vier Texter und drei Komponisten

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Die Tarot-Karten legten auch fest, wer welche Aufgabe bei welchem Song erfüllte, also wer die Texte und die Kompositionen schrieb. Dabei beteiligten sich erstmals auch Schlagzeuger Funky K. Götzner (als Texter) und Bassist Kai Sichtermann (als Komponist), die vorher nie etwas beigesteuert hatten. Neu dabei war auch Texter Hannes Eyber, der ein Freund der Band war und auch später noch Texte für Rio Reiser schreiben sollte. Der Song Morgenlicht wurde nicht zu einer Tarot-Karte geschrieben, weil er schon etwas älter war. Er stammt aus einer Produktion für die Theatergruppe „Transplantis“ aus dem Jahr 1978, der Text ist von Reinhard von der Marwitz. Diese Erweiterung des ursprünglichen Songschreiberteams Rio und Lanrue erklärt die große Vielfalt und Kreativität der Songs.

Musikalische Experimente

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Eine weitere Komponente ist die musikalische Varietät bei der Produktion. Es wurden Gastmusiker zu den Aufnahmen eingeladen: Jörg Schlotterer, der die Band vor ein paar Jahren verlassen hatte, kehrte als Posaunist und Flötist zurück, Wolfgang Seidel, der vor einem Jahrzehnt der erste Scherben-Schlagzeuger gewesen war, spielte ein paar Percussion-Instrumente (unter dem Pseudonym Wolf Sequenza) und Klaus van Velzen spielte Saxophon. Außerdem wirkten ein gemischter Chor sowie ein Kinderchor aus Niebüll mit (bei dem Song Wie in den Tagen Midians). Auch die Scherben selbst versuchten sich an ungewohnteren Instrumenten, von denen das Hackbrett das eigenartigste war.

Titelliste

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Album-Cover
  1. Jenseits von Eden (Rio Reiser, R.P.S. Lanrue) – 6:07
  2. Bleib wo du bist (Reiser) – 2:40
  3. Sumpf Schlock (Hannes Eyber, Lanrue) – 5:10
  4. Der Turm stürzt ein (Reiser) – 4:26
  5. Wie in den Tagen Midians (Reiser, Lanrue) – 2:57
  6. Vorübergehend geschlossen (Eyber, Lanrue) – 2:37
  7. Ebbe und Flut (Funky K. Götzner, Reiser) – 2:22
  8. Filmkuß (Eyber, Reiser) – 3:19
  9. Der Fremde aus Indien (Götzner, Lanrue) – 5:05
  10. Kleine Freuden (Eyber, Lanrue) – 6:43
  11. Heimweh (Eyber, Lanrue) – 5:01
  1. Alles ist richtig (Eyber, Kai Sichtermann) – 3:16
  2. S'is eben so (Reiser) – 3:16
  3. S.N.A.F.T. (Götzner, Sichtermann) – 2:40
  4. Kribbel Krabbel (Eyber, Sichtermann) – 3:51
  5. Niemand liebt mich (Eyber, Lanrue) – 3:27
  6. Da! (Eyber, Reiser) – 4:28
  7. Morgenlicht (Reinhard von der Marwitz, Lanrue) – 5:12
  8. Ich hab nix (Eyber, Reiser) – 2:35
  9. Gold (Götzner, Lanrue) – 6:42
  10. Wiedersehen (Reiser, Lanrue) – 3:33
  11. (Auf ein) Happy End (Reiser, Sichtermann) – 5:29