Innocenti Lambretta

italienischer Motorroller

Die Lambretta ist ein Motorroller, der von 1947 bis 1972 von dem italienischen Fahrzeughersteller Innocenti in Mailand produziert wurde. Am Stammsitz wurden über vier Millionen Einheiten gefertigt. Berücksichtigt man die Lizenzproduktionen in verschiedenen Ländern Europas, Südamerikas und in Indien, gehört die Lambretta zu den meistgebauten Zweirädern der Welt. Der Name „Lambretta“ leitet sich vom Fluss Lambro ab, der durch die Gegend (den Stadtteil Lambrate) fließt, in der sich die Produktionsanlagen befanden.[1]

Innocenti Lambretta
Lambretta von NSU gefertigt
NSU Lambretta von 1955 (Lackie­rung nicht ori­ginal)

Geschichte

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Embleme von Lambretta-Motor­rollern aus verschiedenen Epochen

Das Unternehmen

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Ursprünglich stellte Innocenti Stahlrohre her. Während des Zweiten Weltkriegs wurden unter anderem Munitionshülsen und Fahrzeugteile in BMW-Lizenz gefertigt. 1945 wurde der Ingenieur Pierluigi Torre mit dem Entwurf eines Motorrollers beauftragt. Das Ergebnis war ein preisgünstiger Motorroller mit gekapselter Triebsatzschwinge und Stahlrohrrahmen. Das Blechkleid bestand zunächst nur aus einem Spritzschutz vor den Füßen des Fahrers.

Der Erfolg der Lambretta stellte sich bald ein, und schon früh vergab Innocenti weltweit Lizenzen, so z. B. in Deutschland an NSU, Fenwick in Frankreich, Serveta in Spanien, Pasco in Brasilien, Auteco in Kolumbien, Siambretta in Argentinien und API in Indien. Die Lambretta-Modelle zeichneten sich durch technische Qualität und Innovationen aus. So gehörten Fahrzeuge aus dem Hause Innocenti zu den ersten mit elektronischer Zündung oder mit Scheibenbremse. Die Ausstattung der zweitaktbetriebenen Roller reichte vom 125-cm³-Motor mit 4,3 PS der ersten Modelle bis zum 200-cm³-Triebwerk mit 12 PS am Ende der Entwicklung 1971.

Die Krise im Zweiradgeschäft am Ende der sechziger Jahre ging auch an Innocenti nicht spurlos vorbei. 1971 wurde die Produktion eingestellt. 1972 kaufte Scooter India Ltd. (S.I.L.) alle Fertigungsmaschinen und stellte nach Muster der DL noch bis Ende der 1990er Jahre Lambrettas her. Ersatzteile, Motorrikschas und Lastendreiräder werden bis heute bei S.I.L. gefertigt. Serveta in Spanien fertigte ebenfalls auf Basis der 3. Serie LI/SX Motorroller unter dem Namen Lince/Lynx, Serie 80 und Jet 200, bis Mitte der 1980er Jahre. Dabei wurden zum Teil technische Innovationen wie größere Scheinwerfer, Stoßdämpfer an der Gabel und Teile aus glasfaserverstärktem Kunststoff eingeführt.

Heute erfreut sich die Lambretta bei Oldtimerfreunden steigender Beliebtheit als Fahrzeugklassiker mit hohem Kultwert. Aber auch die Rollerszene schätzt die Roller aus dem Hause Innocenti und nutzt sie als Basis für vielfältige Umbauten und Tuningmaßnahmen, auch heute noch werden immer neue Tuningteile entwickelt, um den betagten Motoren mehr Leistung zu entlocken oder sie technisch zu verbessern.

2017 belebte die österreichische KSR Group aus Gedersdorf den historischen Markennamen Lambretta in Zusammenarbeit mit einer im schweizerischen Lugano neugegründeten Innocenti S.A. neu.[2] Dazu wurde die Lambretta GmbH mit Sitz im österreichischen Theiß gegründet, die Produktion wurde bei Sanyang in Taiwan in Auftrag gegeben, ausgeliefert wurde ab März 2018. Im Herbst 2023 verkaufte die KSR Group GmbH im Rahmen eines Sanierungsverfahrens die restlichen 10 % Anteile an der Lambretta GmbH.[3]

2024 übernahm der Importeur Moteo Deutschland GmbH den Vertrieb in Deutschland mit zwei neuen Modellen; die X-Serie und die G-Special.

Lambretta in der Mod-Szene

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In der, vor allem in England stark ausgeprägten, Mod-Subkultur der frühen 1960er Jahre waren die Lamretta-Modelle weit verbreitet. Die Scooter wurden als Statussymbole gepflegt, instand gehalten und um Teile (meist zusätzliche Rückspiegel, Scheinwerfer und Gepäckträger erweitert oder durch customizing aufwendig umgebaut. Sehr beliebt war das sogenannte Cutdown, bei dem Teile der Karosserie entfernt oder weggeschnitten wurden. Diese Cutdowns erlebten während des Mod-Revivals der 1970er und 1980er Jahre bei Skinheads und Scooterboys ein Comeback. Während die stilbesessene britische Mod-Jugend der 1960er Jahre das glamouröse, großstädtische Image ihrer Motorroller schätzte, betrachteten viele Skinheads und Scooterboys ihre Motorräder lediglich als Fortbewegungsmittel.[4]

Lambretta im Motorsport

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In den 1950er und 1960er Jahren waren vor allem in Italien Rennen mit dem „Motorino Competizione“ sehr beliebt. Die Rennen lebten von der Rivalität zwischen Vespa und Lambretta und wurden nicht nur im Amateurbereich ausgetragen, sondern es etablierte sich eine professionelle Liga, in der Fahrer wie Umberto Masetti, zweifacher Weltmeister der 500er-Klasse und Massimo Masserini für Lambretta an den Start gingen. Auch MV Agusta „verpflanzte“ seinen Motor aus der MV 125 Monoalbero in ein Roller-Fahrgestell, um mit Carlo Ubbiali an den Wettkämpfen teilzunehmen.[5]

2010 trat ein Team unter dem Namen Lambretta Reparto Corse aus Bologna[6] mit zwei Maschinen in der 125-cm³-Klasse der Motorrad-Weltmeisterschaft an. Pilotiert wurden die Motorräder vom Spanier Luis Salom und vom Italiener Marco Ravaioli.[7] Das Team konnte in der Konstrukteurswertung einen Punkt erzielen.

Zweiräder

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Motorroller Mopeds
„Kardan-Modelle (ABCDEF)“ Serie 1 Serie 2 Serie 3 New Lambretta Smallframe 39–50 cm³
  • Model A(m) 125
  • Model B 125
  • Model C 125
  • Model LC 125
  • Model D 125
  • Model LD 125
  • Model LDA 125
  • Model E 125
  • Model F 125
  • Model D 150
  • Model LD 150
  • Model LDA 150
  • Li 125
  • Li 150
  • TV 175
  • Li 125
  • Li 150
  • TV 175
  • Li 125
  • LiS 125
  • DL/GP 125
  • Li 150
  • LiS 150
  • SX 150
  • DL/GP 150
  • TV 175
  • GT/TV 200
  • SX 200
  • DL/GP 200
  • V 50 Spezial
  • V 125 Spezial
  • V 200 Spezial
  • J 50
  • J De Luxe 50
  • Lui 50
  • Vega/Cometa 75
  • Cento 100
  • J 125
  • J S 125
  • J SS 125
  • Lambretta 48
  • Lambrettino 39cc
  • Lambrettino SX
Lizenzen
Deutschland Frankreich Spanien Indien
  • Model D 125
  • Model LD 125
  • Model LD 150 Super Luxe
  • Serveta D 125
  • Serveta LD 125
  • Li 2 125
  • Li 3 125
  • Series 80 125
  • Lince 125
  • Li 2 150
  • Li 3 150
  • Series 80 150
  • Lince 150
  • TV 2 175
  • TV 3 175
  • SX 200
  • Jet 200
  • PONY 200
  • Series 80 200
  • Lince 200
  • AMIGA 200
  • API D 125
  • API LD 125
  • API Li 2 150
  • API Lamby 150
  • API Lamby Polo 150
  • SIL GP 150
  • API MAC S 175
  • SIL GP 200

Automobile

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Dreiräder

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Auf der Basis der 125M-Serie produzierte Innocenti seit 1949 bis zur Einstellung der Produktion (Januar 1972) auch den dreirädrigen Roller Lambro als Lastendreirad, welcher der bis heute produzierten Ape von Piaggio nachempfunden war. In Indien wurde der Lambro von Scooter India Ltd. übernommen und darüber hinaus weitergebaut. Im Laufe der Jahre wurden verschiedene Varianten der Aufbauten, Kabine und Motorisierung entwickelt. Beim ersten Modell, mit der Ladefläche vor dem Fahrer, bildete ein kräftiges Zentralrohr den Rahmen, eine Trapezgabel führte das Hinterrad.[11] Ab dem Modell FD war die Ladefläche hinter dem Fahrer, das Vorderrad wurde in einer gezogenen Kurzschwinge geführt, der Motor unter dem Sattel platziert. Die Kraftübertragung erfolgte über eine Kardanwelle an die Hinterachse mit Differential. 1955 wurde der Hubraum des Motors auf 150 cm³ angehoben. Der Lambro 175/200 war mit modifizierter geschobener Kurzschwinge am Vorderrad ausgerüstet und der erste Typ unter der offiziellen Verkaufsbezeichnung „Lambro“.

Modell Baujahr Hubraum Leistung Besonderheiten
FB 1949–1950 123 cm³ 4,3 PS bei 4200/min 1,10 × 0,85 m Ladefläche, Leergewicht 140 kg, Nutzlast 200 kg, Wendekreis 3,5 m, Dreigang-Getriebe
FC 1950–1952 123 cm³ 4,3 PS bei 4200/min mechanische Feststellbremse, hydraulische Fußbremse
FD 1952–1959 123 cm³ /
146 cm³ ab 1955
6,2 PS bei 5200/min Ladefläche hinten, gezogenen Kurzschwinge, Motor unter dem Sattel, Nutzlast 300 kg
FDC 1959–1963 146 cm³ /
175 cm³ ab 1960
7,7 PS bei 5200/min geschlossene Kabine, Kipper- oder Kastenaufbau mit Selbstmördertüren und Zweipersonensitzbank (Taxi), Rückwärtsgang, ab 1960 mit Blinkanlage, zulässige Gesamtmasse 800 kg
Lambro 175/200 1963–1965 175 cm³ /
198 cm³
geschobene Kurzschwinge, an der A-Säule angeschlagene Türen, Ladefläche 2,91 × 1,41 m, Nutzlast 500 kg
Lambro 450/500 1965–1967 198 cm³ 9,2 PS bei 4800/min zwei Scheinwerfer, Innenbeleuchtung
Lambro 550N/A 1967–1969 198 cm³ Motor außerhalb der Kabine unter der Ladefläche, zulässige Gesamtmasse 1005 kg
Lambro 550V 1969–1970 198 cm³ mit Lenkrad, Schalthebel und fußbetätigte Allradbremse
Lambro 600M/V 1970–1972 198 cm³ 10,3 PS bei 5500/min mit Lenkrad oder Lenkstange möglich, Nutzlast 600 kg[12]

Replikas

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2011 präsentierte die italienische Motom Electronics Group eine neue Lambretta auf der italienischen Motorradmesse EICMA in Mailand. Die neue Lambretta kam 2012 mit luftgekühlten 125-cm³- und 150-cm³-Motoren auf den Markt, 2013 sollten 50cm³-Versionen folgen.

2014 präsentierte der britische Hersteller Scomadi auf der Intermot 2014 einen Nachbau der Lambretta mit 50-cm³-, 125-cm³- und 200-cm³-Motoren, deren Anbauteile aus Kunststoff gefertigt wurden. Größere Motoren und hochwertigere Roller aus Metall sind bis auf Prototypen nicht gefertigt worden.

Siehe auch

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Literatur

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  • Nigel Cox: Lambretta – An Illustrated History.
  • Pete Davis: Lambretta. Motorbuch Verlag Stuttgart, 1. Auflage 2015, ISBN 978-3-613-03764-9.
  • Friedrich Ehn: Auf Zweirädern ins Wirtschaftswunder. Mopeds und Motorräder der Nachkriegszeit. 1. Auflage. GeraMond, München 2006, ISBN 3-7654-7784-2.
  • Norbert G. Mylius: Roller, Rollermobile und Raritäten. Norbert Mylius Eigenverlag, Maria Enzersdorf am Gebirge 1958.
  • Andrea Sparrow, David Sparrow: Das Lambretta-Album. Motorbuch Verlag, Stuttgart 1999, ISBN 3-613-01994-9.
  • Vittorio Tessera: Innocenti Lambretta – The Complete History.
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Commons: Lambretta – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Pato, ecco la nuova Lambretta - LASTAMPA.it. 4. August 2012, abgerufen am 17. Oktober 2024.
  2. Welt.de
  3. Kid Möchel, Dominik Schreiber: Millionenpleite eines bekannten Motorrad- und E-Bike-Händlers. Kurier (Tageszeitung), 6. September 2023, abgerufen am 18. Oktober 2024.
  4. Vespa Scoots Sexily Back to Vancouver. 3. Juni 2004, abgerufen am 11. Oktober 2024 (englisch).
  5. Fabio Avossa: ANNI '50 – Scooter da competizione. In: ItaliaOnRoad - Rivista Italia Motori. 14. Oktober 2017, abgerufen am 17. Oktober 2024 (italienisch).
  6. Lambretta making a comeback. Abgerufen am 18. Oktober 2024 (australisches Englisch).
  7. 1000PS.at: Lambretta in der 125cc-Klasse: Sieger-Technologie entwickeln. 28. Januar 2010, abgerufen am 17. Oktober 2024 (deutsch).
  8. Bedienungsanleitung: Modell B (italienisch)
  9. Bedienungsanleitung: Modell C (italienisch)
  10. Bedienungsanleitung: Modell D (italienisch)
  11. Lambretta FB
  12. Pete Davis, S. 134.