István Széchenyi

ungarischer Staatsreformer und Unternehmer

Graf István Széchenyi von Sárvár und Felsővidék ([ˈiʃtvaːn ˈseːtʃɛɲi]; * 21. September 1791 in Wien; † 8. April 1860 in Döbling) war ein ungarischer Staatsreformer und Unternehmer.

Friedrich von Amerling: Porträt von Graf István Széchenyi (1836)

Beeinflusst durch Jeremy Bentham und Adam Smith widmete er sich ab 1825 ganz dem wirtschaftlichen Fortschritt in Ungarn, um den Rückstand gegenüber dem Westen aufzuholen, und der Verbesserung der Stellung der ungarischen Nation innerhalb der Habsburgermonarchie. Dieses Engagement brachte ihm seitens seines Konkurrenten und zeitweiligen Widersachers Lajos Kossuth den Ehrentitel „Größter Ungar“[1] ein, der bis heute verwendet wird.[2]

 
Theodor Alconiere: Széchenyi am Eisernen Tor (1831)
 
Széchenyis Frau Crescence Seilern

Széchenyi wurde als Spross der ungarischen Magnatenfamilie Széchenyi in Wien geboren. Sein aufklärerisch gesinnter Vater Ferenc Széchényi schenkte 1802 seine eigenen Sammlungen der ungarischen Nation und gründete damit das Ungarische Nationalmuseum und die Nationalbibliothek. Seine Mutter Julianna Festetics war die Schwester von György Festetics, der sich für die Förderung der ungarischen Literatur einsetzte und 1797 in Keszthely (Kesthell) am Balaton die erste Agrarhochschule Ungarns, das Georgikon, gründete.

Als Kind war István Széchenyi eher ein Spätentwickler, er konnte mit zwölf Jahren noch kaum lesen. Ab 1805 erhielt er Unterricht durch Gustav Adolf Hess de Calve, János Lebenberg, Miklós Révai sowie Ferenc Kazinczy und beherrschte später sechs Sprachen, wobei er aber Deutsch und Französisch wesentlich besser als Ungarisch beherrschte.[3] Als junger Mann begann Széchenyi eine Karriere beim Militär. Er kämpfte in Kriegen gegen Napoleon, unter anderem in der Völkerschlacht bei Leipzig, und zeichnete sich als Rittmeister aus. Als ihm jedoch der Majorsrang verwehrt blieb, wandte er sich seiner neuen Lebensaufgabe zu: der Erneuerung seiner Nation.

1814 begann der junge Hocharistokrat eine umfassende Reisetätigkeit. Die beiden Pole dieser Reisen waren England, das damals industriell am weitesten entwickelte Land Europas, und die Türkei. Széchenyi empfand die britischen Institutionen – von Pferderennen bis zur Industriewirtschaft – als vorbildhaft. Er wurde in der ersten Hälfte des „Reformzeitalters“ als gradualistischer Reformer die Leitfigur der liberalen Bewegung Ungarns. Nach seinen Reisen inszenierte Széchenyi 1827 das erste Pferderennen Ungarns. In der zweiten Hälfte verlor er seine führende Position an den Radikalen Lajos Kossuth, der das Land schließlich in die Ungarische Revolution von 1848/49 führte. Der feinnervige Graf Széchenyi verstrickte sich 1824 in eine romantische Liebesgeschichte mit der im Budaer Burgviertel residierenden Gräfin Crescence Seilern (verheiratete Zichy), die er 1836, nach dem Tod ihres Ehegatten, auch ehelichte. Der ungarische Literat Ferenc Herczeg schrieb darüber sein Theaterstück Die Brücke (ung. A Híd), in dem er Széchenyis Engagement für die nach ihm benannte Széchenyi-Kettenbrücke zwischen Buda und Pest auf diese große Liebe zurückführte.

Széchenyi war zweifellos eine romantische Gestalt und neigte zu Depressionen; er war allerdings auch ein rationaler politischer Analytiker, der jahrelang davor warnte, Kossuth werde das Land mit seinem Ungestüm in eine Katastrophe führen. In der Revolutionszeit brach Széchenyi seelisch zusammen. Die letzten elf Jahre seines Lebens verbrachte er in einer Nervenheilanstalt in Döbling bei Wien. Dem Griff der Behörden, die ihm nach einem scharf formulierten anonymen Pamphlet („Blick“) die Überführung in eine öffentliche Irrenanstalt androhten, entzog er sich durch Selbstmord.

 
„Ferenc Herczeg“ (Rückseite)
Bronze von István Szentgyörgyi, Ungarisches Nationalmuseum, Budapest
Die undatierte Medaille zeigt ein Porträt von Graf István Graf Széchenyi [4] mit der Széchenyi-Kettenbrücke und bezieht sich auf Ferenc Herczegs Theaterstück „Die Brücke“ (1925)

Seit 1834 war er Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Kritik am Feudalsystem

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Széchenyis Werk Über den Credit[5] (ung. Hitel), das im Jahr 1830 erschien und einen für diese Zeit ungewohnt starken Anklang fand, erörterte die Gründe für die wirtschaftliche Zurückgebliebenheit Ungarns. Er kritisierte darin die Zollpolitik Österreichs, den Kreditmangel und die Aufrechterhaltung der Adelsprivilegien zu Lasten des Volkes. Die Unveräußerlichkeit adeligen Grundbesitzes mache den Hypothekarkredit auf solches Land unmöglich, und der daraus resultierende Kreditmangel lasse eine Industrialisierung nicht zu. Dies sei eine Folge des Feudalsystems sowie eines alten Verfassungsgesetzes namens „Avitizität“. Széchenyis Wirken galt der Schaffung neuer öffentlich-rechtlicher Rahmenbedingungen für die Erstarkung der Wirtschaft. In seinen Büchern Világ („Licht“) und Stadium stellte er ein konkretes Reformprogramm zusammen, welches auf eine strengere Gesetzesumsetzung und die Abschaffung der Steuerfreiheit von Adligen abzielte. Im Wiener Exil verfasste Széchenyi schließlich 1858 als Antwort auf den in London anonym erschienenen „Rückblick“ des mächtigen Innenministers Alexander von Bach auf die ungarische Revolution von 1848/49 einen „Blick“[6] auf besagten Rückblick, der ebenfalls anonym erschien. In ihm rechnete Széchenyi mit dem Scheitern des Bach’schen Versuchs einer Zerschlagung Ungarns im Neoabsolutismus ab. Das scharf formulierte Werk enthielt allerdings Passagen, die als Majestätsbeleidigung interpretierbar waren. Eine wichtige historische und biografische Quelle stellen schließlich Széchenyis (hauptsächlich auf Deutsch verfasste) Tagebücher dar.

Förderung der Wirtschaft

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Széchenyi besaß nie politische Macht, mit Ausnahme des Amtes eines Verkehrsministers in der kurzen Regierungsphase unter Ministerpräsident Lajos Batthyány 1848.

Als Privatunternehmer und Mitglied des ungarischen Landtags initiierte er jedoch viele Projekte für die Verbesserung der Transportwege in Ungarn und die Verschönerung der Stadt Budapest, damit sie der gesellschaftliche Mittelpunkt des Landes würde. So initiierte er die erste feste Brücke zwischen Buda und Pest, die Kettenbrücke, die mittels einer Aktiengesellschaft errichtet werden sollte. Die Tatsache, dass das Brückengesetz aus 1835 alle Passanten, auch die Adligen, verpflichtete, den Brückenzoll zu zahlen, wirkte als egalitäres Signal.

Weiters förderte Széchenyi das Verkehrswesen des Landes wesentlich als Mitbegründer der Ersten Donau-Dampfschiffahrts-Gesellschaft (1829) und leitete die Arbeiten zur Donauregulierung am Eisernen Tor und zur Theissregulierung. Széchenyi machte sich auch große Verdienste den Ausbau des Eisenbahnnetzes in Ungarn, beispielsweise als Finanzier und Konzessionär von Strecken und Bahngesellschaften wie der Bahnstrecke Wiener Neustadt–Sopron.

Ferner errichtete er in Pest ein Kasino, wo sich Intellektuelle trafen, um Meinungen auszutauschen (dessen erster Küchenchef war Franz Sacher), initiierte die Gründung des Nationaltheaters und bot für die Gründung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in Pressburg sein Jahreseinkommen an.

Umfeld und Wirkung

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Mit dem Revolutionär Lajos Kossuth geriet Széchenyi in den 1840er Jahren in Konflikt geriet und führte mit ihm in der Presse eine großangelegte politische Debatte. Diese Debatte betraf hauptsächlich Fragen zur Eigenständigkeit Ungarns in der Gesamtmonarchie und zur Magyarisierung ethnischer Minderheiten. Széchenyi warnte seine Landsleute vor den Folgen des Sprachnationalismus und einer Abtrennung von Österreich. Angesichts der Katastrophen im 20. Jahrhundert, die ganz Osteuropa voll erfasst haben, bewies er mit dieser Position einen bemerkenswerten Weitblick.

Metternich

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Széchenyi versuchte immer wieder, die Wiener Regierung für seine Pläne zu gewinnen. In Erzherzog Joseph von Österreich, dem habsburgischen Palatin Ungarns, hatte er lange Zeit einen wohlwollenden Förderer. Der maßgebende Staatsmann der Zeit, Fürst von Metternich, hingegen hielt den Grafen für einen rebellischen Geist, der es auf die Aufspaltung des Kaiserreichs abgesehen habe. Der Staatskanzler deutete die Zeichen der Epoche richtig, aber er irrte sich in der Beurteilung der Persönlichkeit. Széchenyi war für ein erstarkendes ungarisches Nationalgefühl zu vorsichtig und zu regierungstreu.

Würdigungen

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István Széchenyi (Ungarische Banknote, 5000 Forint, 1999)

Széchenyis Namen tragen:

Graf Széchenyi und Gräfin Seilern hatten zwei gemeinsame Kinder:

Die Geschwister Gloria von Thurn und Taxis (* 1960), Maya von Schönburg, verh. Flick (1958–2019), Carl von Schönburg (* 1966) und Alexander von Schönburg (* 1969) sind Ururenkel Széchenyis.

Literatur

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Commons: István Széchenyi – Sammlung von Bildern und Videos

Einzelnachweise

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  1. Ein ungarischer Aristokrat - Széchenyi István . Ungarn-Guide.com
  2. Denis Silagi: Der größte Ungar: Graf Stephan Széchenyi. Herold Verlag, Wien/München 1967
    * Nagycenk. „Der Wohnort des ‚Grössten Ungarn‘ (Lajos Kossuth hat ihn so genannt) liegt nur 12 km weit von Sopron entfernt [...] Vor der Kirche steht die Bronzestatue von István Széchenyi, die von dem Bildhauer Alajos Stróbl stammt. Einige Meter von hier entfernt steht auf dem Friedhof der Gemeinde das Széchenyi-Mausoleum, wo ‚der größte Ungar‘ und viele Mitglieder der Széchenyi-Familie ihre ewige Ruhe gefunden haben.“ (Hungariantourism.com (Memento vom 25. Januar 2009 im Internet Archive), abgerufen am 14. August 2010)
    * „Zum 150. Jahrestag des Todes von István Széchenyi können unsere Besucher mit Hilfe unserer Kammerausstellung in die wichtigsten Stationen des Lebens‚ des ‚größten Ungarn‘ einen Einblick gewinnen.“ ( Tourismusamt Budapest: Budapestinfo.hu (Memento vom 28. April 2010 im Internet Archive), abgerufen am 14. August 2010)
  3. "Ein Happy End mit Tränen" (Memento vom 14. Januar 2013 im Webarchiv archive.today) Paul Lendvai über Geschichte, Mentalität und Zukunft Ungarns in der Wiener Zeitung vom 20. Juli 2001, abgerufen am 26. Juni 2010.
  4. Fine Arts in Hungary (→ABC Index →Szentgyörgyi István →Works by István Szentgyörgyi →Ferenc Herceg (reverse) →"I")
  5. Als E-Book abrufbar, abgerufen am 5. Februar 2011.
  6. Ein Blick auf den anonymen "Rückblick", welcher für einen vertrauten Kreis in verhältnismäßig wenigen Exemplaren im Monate October 1857, in Wien, erschien, von einem Ungarn, hrsg. und Vorwort von F.K.