NOVA (Lebensmittelklassifikation)

System der Klassifikation von Lebensmitteln

NOVA ist ein System der Klassifikation von Lebensmitteln, mit dem diese nach Art, Umfang und Zweck der industriellen Verarbeitung in vier Gruppen eingeteilt werden. Die vier Gruppen sind (1) Unverarbeitet, (2) Verarbeitete Zutaten, (3) Verarbeitete Lebensmittel und (4) Hochverarbeitete Lebensmittel. Der Verzehr eines hohen Anteils von hochverarbeiteten Lebensmitteln geht mit einem erhöhten Risiko der Erkrankung an chronischen Krankheiten einher, insbesondere Adipositas und Diabetes.

Die von Open Food Facts vorgeschlagene NOVA-Kennzeichnung ähnelt optisch dem Nutri-Score.

Klassifikation

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NOVA unterscheidet sich von bestehenden Lebensmittel-Klassifizierungen. Statt Nahrungsmittel nach ihrem Gehalt an Energie, Salz, Fett oder Zucker einzugruppieren, orientiert sich das vierstufige Nova-System am Grad der Verarbeitung. Bei herkömmlichen Lebensmittelgruppierungen wie zum Beispiel der Ernährungspyramide finden sich unter der Rubrik „Getreideprodukte“ sowohl Vollkornbrot wie auch gezuckerte Cornflakes, obwohl beide sehr unterschiedlich gesund sind. Die Stufen der NOVA-Klassifikation sind:

  • Stufe 1, Unverarbeitete und minimal verarbeitete Lebensmittel, zum Beispiel Obst und Gemüse, Fleisch, Fisch, Eier oder Milch
  • Stufe 2, Verarbeitete Zutaten, die aus natürlichen Lebensmitteln gewonnen und für die Zubereitung von Speisen verwendet werden, zum Beispiel Öl, Salz oder Zucker
  • Stufe 3, Verarbeitete Lebensmittel, konservierte, eingelegte oder fermentierte Lebensmittel, die nur wenige Zutaten enthalten, zum Beispiel geräucherter Fisch, saure Gurken oder Dosentomaten
  • Stufe 4, Hochverarbeitete Lebensmittel, die viele Verarbeitungsschritte durchlaufen haben und viele Zutaten und Zusatzstoffe enthalten, zum Beispiel Kartoffelchips, Tiefkühlpizza, Softdrinks oder Tütensuppen.

Das Wort NOVA ist kein Akronym, sondern bedeutet im Portugiesischen „neu“.

Hochverarbeitete Lebensmittel

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Hochverarbeitete Lebensmittel (Kartoffelchips, Snacks) in einem Supermarkt

Hochverarbeitete Lebensmittel (englisch Ultra-processed food, UPF) werden industriell hergestellt und sollen lange haltbar, schmackhaft, sofort verzehrfertig und bequem zu essen sein. Diese Lebensmittel sind für die Hersteller besonders profitabel. Hochverarbeitete Lebensmittel gelten laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) als wenig gesund und nicht nachhaltig.[1]

Ernährungswissenschaftliche Erhebungen in verschiedenen Ländern haben ergeben, dass ein hoher Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln (UPF) mit einer geringen Qualität der Ernährung einhergeht. Der UPF-Anteil an der Ernährung wurde dabei als Prozentsatz an der Gesamtenergieaufnahme gemessen. Metaanalysen gut konzipierter Kohortenstudien zeigen, dass bei gleicher Gesamtenergieaufnahme ein hoher UPF-Anteil das Risiko der Erkrankung an chronischen, nicht-ansteckenden Krankheiten signifikant erhöht. Zu diesen Krankheiten gehören Adipositas, Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörung, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Depressionen.[2][3][4]

Hochverarbeitete Lebensmittel werden in der Regel aus Zutaten hergestellt, die aus vier ertragreichen Pflanzenarten stammen: Mais, Weizen, Soja und Ölsaaten. Zutaten tierischen Ursprungs in hochverarbeiteten Lebensmitteln stammen fast immer aus der Massentierhaltung, wo dieselbe Handvoll von Pflanzenarten verfüttert werden. Diese Einschränkung der Zutaten hat einen negativen Einfluss auf die Biodiversität, bestehende Praktiken der Landnutzung und Lebensmittelproduktion werden verdrängt. Dadurch geraten traditionelle und regionale Pflanzensorten in Gefahr, die in traditionelle und regional verschiedene Lebensmittel eingehen, die hauptsächlich aus frischen und minimal verarbeiteten Zutaten bestehen. Diese Effekte führen dazu, dass hochverarbeitete Lebensmittel als nicht nachhaltig bezeichnet werden.[5]

Die NutriNet-Santé-Studie, an der in Frankreich mehr als 170.000 Menschen teilnehmen, ergab bei hochverarbeiteten Lebensmitteln (UPF) einen durchschnittlichen Anteil von 18 % der verzehrten Lebensmittel nach Gewicht und 36 % an der Energiezufuhr. Ein über diesem Durchschnitt liegender Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln war korreliert mit männlichem Geschlecht, jüngerem Alter, geringerer Bildung, Rauchen und Übergewicht bzw. Adipositas.[6]

Der Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln ist zwischen verschiedenen industrialisierten Ländern trotz vergleichbarem Bruttosozialprodukt sehr unterschiedlich. In einer 2021 veröffentlichten Studie wurde der Verzehr von hochverarbeiteten Lebensmitteln in 22 europäischen Ländern untersucht. Durchschnittlich lag der UPF-Anteil an der Energiezufuhr bei 27 %. Am geringsten war dieser Wert in Rumänien und Italien mit etwa 14 %, während Großbritannien und Schweden mit etwa 44 % die Spitze bildeten. Über die 22 untersuchten Länder hinweg gemittelt trugen feine Backwaren am meisten zur Energiezufuhr mit hochverarbeiteten Lebensmitteln bei, auf den folgenden Plätzen lagen Wurstwaren, Fertiggerichte, Margarine und Saucen.[7]

Geschichte

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Der Begriff Hochverarbeitete Lebensmittel ist in der Ernährungswissenschaft älter als die NOVA-Klassifikation selbst.[8] 2009 führte Carlos Augusto Monteiro von der Universidade de São Paulo den Begriff der Hochverarbeiteten Lebensmittel ein.[9] Zwischen 2009 und 2017 änderten Monteiro und seine Ko-Autoren die Definition von ultra-processed food (UPF) bzw. ultra-processed food and drink (UPFD) mehrfach, weg von einer reinen Beschreibung der Zutaten hin zur Art der (industriellen) Zubereitung.[8]

2014 veröffentlichte das brasilianische Gesundheitsministerium Ernährungsrichtlinien für die Bevölkerung Brasiliens, in der die Empfehlung zum Vermeiden von hochverarbeiteten Lebensmitteln eine zentrale Rolle einnahm. Koordinator der Richtlinie war Carlos Augusto Monteiro.[10] Die NOVA-Skala in Gänze wurde von Monteiro erstmals 2017 publiziert.[11]

In einer 2022 veröffentlichten Studie wurde untersucht, wie zuverlässig französische Ernährungsexperten verschiedene Lebensmittel der NOVA-Skala zuordnen können. Die Einordnung geschah für industrielle Lebensmittelprodukte mit Zutatenlisten sowie für generische Produkte ohne Zutatenliste. Die 120 verwendeten industriellen Lebensmittelprodukte waren Markenprodukte mit gesetzlich vorgeschriebener Zutatenliste, wie sie auch auf der Packung abgedruckt ist. Während der Markenname dieser Produkte anonymisiert war, lag die jeweilige Zutatenliste den teilnehmenden Ernährungsexperten vor. Die Auswahl der 111 generischen Produkte stammte aus einer Studie des Ernährungsverhaltens in drei französischen Städten. Diese Produkte werden üblicherweise lose oder ohne Fertigpackung verkauft und haben daher keine Zutatenliste. Dazu zählten Produkte wie Äpfel, unverpacktes Roggenbrot und Baguettes. Im Ergebnis war die Einordnung nur für manche Produktgruppen konsistent, während andere Produkte sehr unterschiedlich klassifiziert wurden. Somit wäre eine belastbare NOVA-Klassifikation von Lebensmitteln nach den derzeitigen Maßstäben nicht möglich.[12]

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Einzelnachweise

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  1. Angela Bechthold: Hochverarbeitete Lebensmittel. Deutsche Gesellschaft für Ernährung, 12. Mai 2022, archiviert vom Original am 16. April 2023; abgerufen am 8. Mai 2024 (Onlineversion eines Beitrags aus der Ausgabe Januar 2022 des DGE-Wissenschaftsmagazins).
  2. Costa CDS, Faria FR, Gabe KT, Sattamini IF, Khandpur N, Leite FHM, Steele EM, Louzada MLDC, Levy RB, Monteiro CA: Nova score for the consumption of ultra-processed foods: description and performance evaluation in Brazil. In: Rev Saude Publica. (5. April 2021) 14;55:13. doi:10.11606/s1518-8787.2021055003588.
  3. Leonie Elizabeth, Priscila Pereira Machado, Marit Kolby Zinöcker, Phillip Baker, Mark Lawrence: Ultra-Processed Foods and Health Outcomes: A Narrative Review. In: Nutrients. Band 12, Nr. 7, 30. Juni 2020, 1955, doi:10.3390/nu12071955.
  4. Giuditta Pagliai, Monica Dinu, Maria Pia Madarena, Marialaura Bonaccio, Licia Iacoviello, Francesco Sofi: Consumption of ultra-processed foods and health status: a systematic review and meta-analysis. In: British Journal of Nutrition. Band 125, Nr. 3, 14. Februar 2021, S. 308–318, doi:10.1017/S0007114520002688.
  5. Leite FHM, Khandpur N, Andrade GC, Anastasiou K, Baker P, Lawrence M, Monteiro CA: Ultra-processed foods should be central to global food systems dialogue and action on biodiversity. (Commentary) In: BMJ Global Health. Vol. 2022 Nr. 7 (8. März 2022), S. 1–4. doi:10.1136/bmjgh-2021-008269
  6. Julia, C., Martinez, L., Allès, B., Touvier, M., Hercberg, S., Méjean, C., & Kesse-Guyot, E.: Contribution of ultra-processed foods in the diet of adults from the French NutriNet-Santé study. In: Public Health Nutrition, Vol. 21 Nr. 1 (2018), S. 27–37. doi:10.1017/S1368980017001367 (Online veröffentlicht am 13. Juli 2017.)
  7. Mertens, E., Colizzi, C. & Peñalvo, J.L.: Ultra-processed food consumption in adults across Europe. In: European Journal of Nutrition. Vol. 61, S. 1521–1539 (2022). doi:10.1007/s00394-021-02733-7 (Online publiziert am 3. Dezember 2021)
  8. a b Michael J Gibney: Ultra-Processed Foods: Definitions and Policy Issues. In: Curr Dev Nutr. Vol 3, Nr. 2 (Februar 2019), doi:10.1093/cdn/nzy077. (Online publiziert am 14. September 2018).
  9. Monteiro CA.: Nutrition and health. The issue is not food, nor nutrients, so much as processing. In: Public Health Nutr Vol 12, S. 729–31 (2009), doi:10.1017/S1368980009005291.
  10. Ministry of Health of Brazil, Secretariat of Health Care, Primary Health Care Department: Dietary Guidelines for the Brazilian Population. Brasilia 2015, S. 25–56. (Online, eine Übersetzung von Guia Alimentar para a População Brasileira, 2. Ausgabe.)
  11. Monteiro, C., Cannon, G., Moubarac, J., Levy, R., Louzada, M., & Jaime, P.: The UN Decade of Nutrition, the NOVA food classification and the trouble with ultra-processing. In: Public Health Nutrition, Vol 21 Nr. 1 (2018), S. 5–17. doi:10.1017/S1368980017000234 (Online erstmals von der Cambridge University Press veröffentlicht am 21. März 2017.)
  12. Braesco, V., Souchon, I., Sauvant, P. et al.: Ultra-processed foods: how functional is the NOVA system?. In: European Journal of Clinical Nutrition - Nature. Vol. 76, S. 1245–1253 (2022). doi:10.1038/s41430-022-01099-1 (Online publiziert am 21 March 2022)