Oberverwaltungsgericht

höchstes Gericht der Verwaltungsgerichtsbarkeit in deutschen Bundesländern

Oberverwaltungsgericht (OVG) ist in Deutschland ein Gericht der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, das zwischen Verwaltungsgericht (VG) und Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) steht und meist in zweiter, in bestimmten Fällen auch in erster Instanz entscheidet. Die allgemeine Verwaltungsgerichtsbarkeit besteht neben den Sozial- und Finanzgerichten als besonderen Verwaltungsgerichten (Art. 95 Ab. 1 GG).

Geschichte

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Im Deutschen Reich bildeten die Oberverwaltungsgerichte die insgesamt höchste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit, da kein übergeordnetes Gericht auf Reichsebene bestand. In dieser Zeit hat insbesondere das Preußische Oberverwaltungsgericht die Fortentwicklung des Verwaltungsrechts maßgeblich vorangetrieben, etwa durch das Kreuzberg-Urteil.

An eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit war in der Zeit des Nationalsozialismus nicht zu denken. Mit Führererlass vom 28. August 1939 wurde „an die Stelle der Anfechtung einer Verfügung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren […] die Anfechtung im Beschwerdewege bei der vorgesetzten Behörde oder der Aufsichtsbehörde“ gesetzt.[1] „Die Beschwerdebehörde [konnte] im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung oder die besonderen Umstände des Einzelfalls statt der Beschwerde das verwaltungsgerichtliche Verfahren zulassen.“ Am 3. April 1941 wurde ein Reichsverwaltungsgericht durch weiteren Führererlass errichtet.[2] Dieses sollte „die Verwaltung durch Vereinigung oberster Verwaltungsgerichte vereinfachen und damit zugleich die zumal in Kriegszeiten gebotenen Ersparnisse an Personal und Verwaltungskosten erzielen“. Dazu wurden das Preußische Oberverwaltungsgericht, der Reichsdienststrafhof, das Reichswirtschaftsgericht, der Verwaltungsgerichtshof in Wien, die Oberste Spruchstelle für Umlegungen, die Oberste Spruchbehörde für Wasser- und Bodenverbände, das Entschädigungsgericht[3] und das Reichskriegsschädenamt[4] zum Reichsverwaltungsgericht als „oberste Spruchbehörde der Verwaltungsgerichtsbarkeit“ vereinigt. 1944 wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit generell abgeschafft.[5][6]

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit dem Kontrollratsgesetz 36 die Wiedererrichtung der Verwaltungsgerichte beschlossen.[7] Der Instanzenzug endete wiederum bei den Oberverwaltungsgerichten.

Seit Errichtung des Bundesverwaltungsgerichts 1953[8][9] beschränkt sich ihre Rolle (grundsätzlich) auf die mittlere Instanz.

In den Jahren 1946 und 1947 hatten die Länder der amerikanischen Besatzungszone nach gemeinsamen Beratungen Gesetze über die Verwaltungsgerichtsbarkeit in fast gleicher Fassung erlassen.[10] In Baden-Württemberg,[11] Bayern[12][13] und Hessen[14] führt das Oberverwaltungsgericht auch seit Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung die traditionelle Bezeichnung der OVG in Süddeutschland als Verwaltungsgerichtshof (VGH) weiter (§ 184 VwGO);[15] eine abweichende Zuständigkeit ist damit aber nicht verbunden.

In der DDR sah das Gesetz über die Bearbeitung der Eingaben der Bürger lediglich eine informelle Konfliktbewältigung durch Petitionen vor. Mit der Herstellung der Einheit Deutschlands im Jahr 1990 wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit in den neuen Bundesländern organisatorisch wie personell neu aufgebaut.[16]

In den deutschen Ländern besteht grundsätzlich je ein OVG (§ 2 VwGO), der Gerichtsbezirk erstreckt sich also immer auf das gesamte Bundesland. Ausnahmen waren die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein, für die von 1949 bis 1991 das OVG Lüneburg zuständig war. Die Länder Berlin und Brandenburg haben mit Staatsvertrag vom 26. April 2004 die Errichtung eines gemeinsamen OVG in Berlin (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg) vereinbart (§ 3 Abs. 2 VwGO)[17] und mit entsprechenden Landesgesetzen angeordnet (§ 3 Abs. 1 VwGO).[18][19]

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es insgesamt 15 OVG bzw. VGH.[20]

Die Bezeichnung Verwaltungsgerichtshof ist auch in Österreich und Liechtenstein gebräuchlich.

Zuständigkeit

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Die Oberverwaltungsgerichte sind heute in erster Linie Rechtsmittelinstanz und als solche zuständig für Berufungen gegen Urteile der jeweils nachgeordneten Verwaltungsgerichte sowie für Beschwerden gegen deren sonstige Entscheidungen. Seit der Reformierung des Berufungsverfahrens am 1. Januar 1997 findet ein Berufungsverfahren nur noch statt, wenn das Oberverwaltungsgericht die Berufung zuvor auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten durch Beschluss zugelassen hat oder wenn das Verwaltungsgericht dies in seinem Urteil getan hat. Die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht ist an enge Voraussetzungen geknüpft (§ 124 Abs. 2 VwGO, z. B. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils der ersten Instanz, grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache oder Abweichung des Verwaltungsgerichtsurteils von der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts); die Zulassungsvoraussetzungen werden im Allgemeinen, auch wegen der gesteigerten Darlegungspflichten, nur ausnahmsweise erfüllt. Beschließt das Oberverwaltungsgericht, den Antrag auf Zulassung der Berufung abzulehnen, ist der Rechtszug beendet, denn die Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung ist unanfechtbar (§§ 124 a Abs. 5 Satz 4, 152 Abs. 1 VwGO).

Erstinstanzlich zuständig sind die Oberverwaltungsgerichte für

Ein besonderes Verfahren ist das In-Camera-Verfahren gemäß § 99 Abs. 2 Satz 1 VwGO, in dem das OVG feststellt, ob die Verweigerung der Vorlage von Urkunden oder Akten durch eine am Prozess beteiligte Behörde rechtmäßig ist und das den Vorschriften des materiellen Geheimschutzes unterliegt.[21]

Besetzung und Amtsbezeichnung

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Die Senat genannten Spruchkörper eines Oberverwaltungsgerichts sind je nach Landesrecht unterschiedlich besetzt, entweder ausschließlich mit drei oder fünf Berufsrichtern oder mit drei oder fünf Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (§ 9 Abs. 3 VwGO). Die Amtsbezeichnung der Berufsrichter, denen ein Richteramt auf Lebenszeit übertragen ist, lautet „(Vorsitzende/r) Richter/in am Oberverwaltungsgericht“ oder „(Vize)präsident/in des Oberverwaltungsgerichts“ bzw. „(Vorsitzende/r) Richter/in am Verwaltungsgerichtshof“ oder „(Vize)präsident/in des Verwaltungsgerichtshofs“ (§ 19a Abs. 1 des Deutschen Richtergesetzes).

Rechtsmittel

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Gegen Urteile der Oberverwaltungsgerichte ist in bestimmten Fällen die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zulässig. In Personalvertretungsanlegenheiten nach Landesrecht ist eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht (eine sog. Rechtsbeschwerde) nicht möglich (vgl. z. B. Art. 82 Abs. 2 Satz 2 BayPVG).

Siehe auch

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Einzelnachweise

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  1. Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Vereinfachung der Verwaltung. Vom 28. August 1939. Universität Bern, abgerufen am 9. Februar 2023.
  2. ÖNB-ALEX - Deutsches Reichsgesetzblatt Teil I 1867-1945. Abgerufen am 28. August 2024.
  3. § 3 Abs. 3 des Gesetzes über die Landbeschaffung für Zwecke der Wehrmacht vom 29. März 1935, RGBl. I. S. 467.
  4. § 22 der Kriegssachschädenverordnung vom 30. November 1940, RGBl. I. S. 1547.
  5. vgl. Christian Kirchberg: Von der Konsolidierung zur Marginalisierung – Verwaltungsrechtspflege in Deutschland von der Jahrhundertwende bis zum Ende des „Dritten Reichs“. Verwaltungsblätter, Sonderbeilage 2013, S. 20–24.
  6. Eckart Hien: 150 Jahre deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 191. De Gruyter, 2014, ISBN 978-3-11-035052-4.
  7. Matthias Etzel: Die Aufhebung von nationalsozialistischen Gesetzen durch den Alliierten Kontrollrat (1945–1948); Band 7 von Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts, 1992, ISSN 0934-0955, ISBN 978-3-16-145994-8, S. 102–103, online
  8. Gesetz über das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vom 23. September 1952 (BGBl. I S. 625)
  9. BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1958 - 2 BvF 1/56
  10. das bayerische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 25. September 1946 (GVBl. S. 281); das württemberg-badische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 16. Oktober 1946 (RegBl. S. 221); das hessische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 31. Oktober 1946 (GVBl. S. 194) und das bremische Gesetz über die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 5. August 1947 (GBl. S. 171), vgl. BVerfG, Beschluss vom 11. Mai 1955 - 1 BvO 1/54 Rdnr. 10.
  11. § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) Vom 14. Oktober 2008 (GBl. 2008, 343, 356).
  12. Friedrich Merzbacher: Die Vorgeschichte der Errichtung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes. In: Theodor Maunz (Hrsg.): Verwaltung und Rechtsbindung. Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes Boorberg-Verlag 1979, S. 259–274.
  13. Art. 1 Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 20. Juni 1992 (GVBl. S. 162)
  14. § 1 Abs. 1 Satz 1 Hessisches Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 27. Oktober 1997 (GVBl. I S. 381)
  15. vgl. Entwurf einer Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) BT-Drs. 55 vom 5. Dezember 1957, S. 49.
  16. Ulrich Ramsauer: Geschichte In: 150 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit – Jubiläum einer Unvollendeten, BDVR-Rundschreiben 2013, S. 124 ff.
  17. Staatsvertrag über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 (GVBl.I/04, [Nr. 13], S. 281, 283).
  18. Gesetz über die Errichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung im Land Brandenburg (Brandenburgisches Verwaltungsgerichtsgesetz - BbgVwGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. November 1996 (GVBl.I/96, [Nr. 25], S. 317), zuletzt geändert durch Artikel 4 Satz 2 des Gesetzes vom 10. Juli 2014 (GVBl.I/14, [Nr. 37])
  19. Gesetz zu dem Staatsvertrag über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 10. September 2004, GVBl. für Berlin Nr. 39 vom 22. September 2004, S. 380.
  20. vgl. Christian Grzeschik: Oberverwaltungsgerichte (OVG) / Verwaltungsgerichtshöfe (VGH) Übersichtskarte und Sitze, abgerufen am 11. Juli 2020.
  21. Felix Koehl: Die Behördenakte im Verwaltungsprozess Neue Justiz 2018, S. 101–108.