Phillis Wheatley

afroamerikanische Dichterin

Phillis Wheatley (* um 1753 vermutlich in der Region Senegambia, Westafrika; † 5. Dezember 1784 in Boston) war die erste afroamerikanische Dichterin, deren Werke veröffentlicht wurden.

Phillis Wheatley. Frontispiz der Poems on Various Subjects, Religious and Moral, London 1773

Leben und Werk

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Vermutlich am Gambia-Fluss geboren, wurde sie im Alter von etwa sieben Jahren in die Sklaverei verkauft. Etwa 1761 wurde sie in Boston von dem Schneider John Wheatley als Geschenk für seine Frau Susanna gekauft. Sie wurde nach dem Schiff, auf dem sie nach Amerika gebracht worden war, auf den Namen Phillis getauft und als Christin erzogen. Die Wheatleys sorgten dafür, dass das begabte Mädchen eine gute Ausbildung erhielt, darunter Unterricht in Latein, Griechisch, Mythologie und Geschichte.

Ihr erstes Gedicht (On Mssrs. Hussey and Coffin) veröffentlichte sie bereits 1767 mit dreizehn Jahren in der in Rhode Island erscheinenden Zeitung Newport Mercury. Bereits dieses erste Gedicht ist typisch für ihr Werk, das sich an der neoklassizistischen Dichtung nach dem Vorbild Alexander Popes orientierte. Viele ihrer Gedichte sind christlich-erbaulichen Inhalts, viele eignete sie religiösen Berühmtheiten zu. Weite Bekanntheit erlangte sie 1771 mit einer Elegie auf den verstorbenen methodistischen Prediger George Whitefield (On the Death of Reverend Whitefield), den sie vermutlich selbst hatte predigen hören. Das Gedicht wurde nicht nur in Boston, sondern auch in London gedruckt und machte sie so beiderseits des Atlantiks bekannt – wobei sich das Interesse mindestens so sehr auf ihre Hautfarbe wie auf die literarische Qualität ihrer Gedichte richtete. So führte etwa Voltaire 1774 in einem Brief an den Baron Constant de Rebecq Wheatley als Gegenbeweis für dessen rassistische Behauptung an, es gebe keine schwarzen Dichter.[1]

1772 versuchten die Wheatleys vergebens, in Boston einen Verleger zu finden, der Phillis’ Gedichte in Buchform drucken würde. Da viele der Absagen unterstellten, dass sie die Gedichte nicht selbst geschrieben haben könne, arrangierten die Wheatleys eine Befragung durch eine Gruppe ausgewählter Bostoner Notablen, darunter Thomas Hutchinson, den Gouverneur von Massachusetts. Zwar ist nicht bekannt, wie sich dieses Tribunal tatsächlich darstellte – das Mädchen wurde wohl in ihrer Bibelfestigkeit und ihrer Kenntnis der klassischen Sprachen geprüft –, doch unterzeichneten sie ihr nach bestandener Prüfung ein Attest, in dem sie versicherten, dass an der Urheberschaft Phillis Wheatleys kein Zweifel bestehe.

 
Poems on Various Subjects, Religious and Moral, 1773

Als sich trotz dieser Bestätigung weiterhin kein Verleger fand, fädelte Susanna Wheatley über englische Gönner wie Selina Hastings, Countess of Huntingdon, eine Umsetzung des Buchprojekts in England ein. Um die Werbekampagne in England zu begleiten, reiste Phillis Wheatley im Sommer 1773 zusammen mit Nathaniel Wheatley, dem Sohn von John und Susanna Wheatley, nach London. Während ihres zweimonatigen Aufenthalts wurde sie als Kuriosität durch die Salons der literarisch interessierten Aristokratie gereicht und traf dort unter anderem mit Benjamin Franklin zusammen, zu jener Zeit stellvertretender Postmaster für die britischen Kolonien in Nordamerika, der seit 1765 wieder in London weilte. Kurz nachdem sie sich wieder auf die Rückfahrt nach Boston begeben hatte, erschienen ihre Poems on Various Subjects, Religious and Moral im September des Jahres beim Verleger Archibald Bell. Vorangestellt war dem Band das erwähnte Attest ihrer Bildung.

Kurz nachdem Phillis nach Boston zurückgekehrt war, starb ihre Besitzerin Susanna Wheatley, und spätestens im Oktober des Jahres wurde Phillis durch John Wheatley die Freiheit gewährt. War ihr vormaliger Besitzer ein erklärter Loyalist, so trat Phillis Wheatley als freie Schwarze nun mit ihren Gedichten für die erstarkende Unabhängigkeitsbewegung ein, die 1776 in der Gründung der Vereinigten Staaten gipfelte. Eines ihrer bekanntesten Gedichte ist eine Ode auf den späteren Präsidenten George Washington (To His Excellency General Washington, 1775). Weniger begeistert von ihren Dichtkünsten war Thomas Jefferson, der zu ihren schärfsten Kritikern zählte. Kaum behandelt die Dichterin ihre eigene Situation. Eines der wenigen Werke, das auf die Sklaverei Bezug nimmt, ist On Being Brought From Africa to America (Von Afrika nach Amerika):

’TWAS mercy brought me from my Pagan land,
Taught my benighted soul to understand
That there’s a God, that there’s a Saviour too:
Once I redemption neither sought nor knew.
Some view our sable race with scornful eye,
„Their colour is a diabolic dye.“
Remember, Christians, Negroes, black as Cain,
May be refin’d, and join th’ angelic train.

Die Gnade bracht’ mich her aus Heidenland,
gab meiner finstern Seele den Verstand,
dass dort ein Gott, ein Retter allzumal:
Einst kannt’ ich nicht, noch sucht’ der Rettung Strahl.
Uns dunkle Rasse sieht man an voll Hohn:
„Die Farbe ist von dämonischem Ton.“
Bedenket, Christen: Neger, schwarz wie Kain,
einst weiß und hell im Engelszug sich reih’n.

Um 1778 heiratete sie den freien schwarzen Lebensmittelhändler John Peters, mit dem sie zwei Kinder hatte; beide starben im Kleinkindalter. Nachdem ihr Mann sie verlassen hatte, schlug sie sich als Kellnerin durch und verarmte zusehends. Sie starb im Alter von 31 im Wochenbett, ihr drittes Kind wenige Stunden nach ihr. Ein zweiter Gedichtband, an dem sie gearbeitet hatte, wurde nie veröffentlicht. Von Wheatleys vermutlich wesentlich umfangreicherem Werk sind nur 56 Gedichte und 22 Briefe erhalten. Zuletzt wurde 1998 ein bislang unbekanntes Gedicht aus ihrer Feder bekannt. Das Manuskript von Ocean wurde von einem privaten Anbieter beim Auktionshaus Christie’s zur Versteigerung angeboten und erzielte einen Preis von $68.500.[2]

Rezeption

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Wheatleys Dichtung ist in der modernen Literaturkritik im Allgemeinen nicht allzu gut angesehen und wurde oft als bloße Imitation neoklassizistischer Stilvorbilder bar jeder Originalität interpretiert. Selbst Kritiker mit postkolonialem theoretischem Hintergrund oder von der Bürgerrechtsbewegung beeinflusste Vertreter einer essentialistischen „schwarzen Ästhetik“, die einen auch den literarischen Erzeugnissen von Frauen und/oder Schwarzen Rechnung tragenden Gegenkanon der amerikanischen Literatur zu erstellen bestrebt sind, haben sich schwergetan, Wheatley für ein solches Projekt einzuspannen, da ihnen ihre Befolgung der zeitgenössischen Konventionen und Denkungsarten eher als Anbiederung an die Weißen erschien – ihre Gedichte erscheinen ihnen als „Produkt eines weißen Geistes,“ die Dichterin habe mithin ihre Seele verkauft.[3]

Diese Einschätzung wurde erst in den letzten Jahren durch wohlmeinende Kritiker angefochten, die Wheatleys Gedichten durchaus subversives Potential bescheinigten, insbesondere in ihrer willentlichen Beeinflussung des Lesers in der Frage der Rechtmäßigkeit der Sklaverei und der Würde des Schwarzen. Ihr prominentester Fürsprecher ist Henry Louis Gates, Jr., der in seiner Einleitung zu einer 1988 besorgten Neuauflage von Wheatleys Werken schrieb, sie habe durch die Veröffentlichung der Poems on Various Subjects „eigenhändig“ die Tradition der afroamerikanischen Literatur begründet. Mittlerweile geht die Forschung davon aus, dass das erste gedruckte Werk eines Afroamerikaners nicht von Wheatley stammt, sondern von Jupiter Hammon, dessen Gedicht An Evening Thought bereits 1761 als Flugblatt erschien.[4]

Literatur

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Werkausgaben

  • John C. Shields (Hrsg.): The Collected Works of Phillis Wheatley. Oxford University Press, New York 1988. [The Schomburg Library of Nineteenth-Century Black Women Writers]
  • Julian Mason (Hrsg.): The Poems of Phillis Wheatley: Revised and Enlarged Edition. University of North Carolina Press, Chapel Hill 1989.
  • Phillis Wheatley: Complete Writings. Penguin, London 2001.
  • Phillis Wheatley: Nie mehr, Amerika! Gedichte und Briefe. Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Florian Bissig. Friedenauer Presse, Berlin 2023, ISBN 978-3-7518-0642-8.

Sekundärliteratur

  • Mary McAleer Balkun: Phillis Wheatley’s Construction of Otherness and the Rhetoric of Performed Ideology. In: African American Review 36:1, 2002.
  • Carmen Birkle: Border Crossing and Identity Creation in Phillis Wheatley’s Poetry. In: Udo Hebel (Hrsg.): The Construction and Contestation of American Cultures and Identities in the Early National Period. Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg 1999.
  • Vincent Carretta: Phillis Wheatley : biography of a genius in bondage, Athens, Ga. : Univ. of Georgia Press, 2011, ISBN 978-0-8203-3338-0; Phillis Wheatley Peters : biography of a genius in bondage, Second edition: Athens : The University of Georgia Press, 2023, ISBN 978-0-8203-6332-5
  • Daniel J. Ennis: Poetry and American Revolutionary Identity: The Case of Phillis Wheatley and John Paul Jones. In: Studies in Eighteenth-Century Culture 31, 2002.
  • Astrid Franke: Phillis Wheatley, Melancholy Muse. In: New England Quarterly 77:2, Juni 2004.
  • Henry Louis Gates, Jr.: The Trials of Phillis Wheatley: America’s First Black Poet and Her Encounters with the Founding Fathers. Basic Civitas, New York 2003.
  • Henry Louis Gates, Jr.: Phillis Wheatley on Trial: In 1772, a Slave Girl Had to Prove She Was a Poet. She’s Had to Do So Ever Since. In: New Yorker 78:43, 20. Januar 2003.
  • Merle A. Richmond: Bid the Vassals Soar. Interpretive Essays on the Life and Poetry of Phillis Wheatley and George Moses Horton. Howard University Press, Washington D.C. 1974.
  • William H. Robinson: Critical Essays on Phillis Wheatley. G. K. Hall, Boston 1982.
  • William J. Scheick: Authority and Female Authorship in Colonial America. University Press of Kentucky, Lexington 1998.
  • David Waldstreicher: The odyssey of Phillis Wheatley : a poet's journeys through American slavery and independence, New York : Farrar, Straus and Giroux, 2023, ISBN 978-0-8090-9824-8
  • Anja Wieber: Macht Latein frei? Von den gelehrten Frauenzimmern und den Alten Sprachen in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Phillis Wheatley. In: Martin Korenjak / Florian Schaffenrath (Hg.), Pontes VI: Der Altsprachliche Unterricht in der Frühen Neuzeit, Innsbruck / Wien / Bozen 2010, S. 219–231.
  • Anja Wieber: Eine schwarze Kindheit und Jugend – autobiographisches Schrifttum von Sklavinnen im 19. Jhdt. im Vergleich zu Lebensbedingungen antiker Sklavinnen. In: Heinz Heinen (Hg.), Johannes Deißler (Redakt.), Kindersklaven – Sklavenkinder. Schicksale zwischen Zuneigung und Ausbeutung in der Antike und im interkulturellen Vergleich. Beiträge zur Tagung des Akademievorhabens Forschungen zur antiken Sklaverei (Mainz, 14. Oktober 2008), Stuttgart 2012, S. 261–283 + Tafeln XXIX-XXXIII.
  • Kirstin Wilcox: The Body into Print: Marketing Phillis Wheatley. In: American Literature: A Journal of Literary History, Criticism, and Bibliography 71:1, März 1999.
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Einzelnachweise

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  1. Vincent Carretta: Introduction. In: Phillis Wheatley: Complete Works. Penguin, London 2001. S. xiv.
  2. Julian Mason: Ocean: A New Poem by Phillis Wheatley. In: Early American Literature 34:1, 1999, S. 78–83.
  3. Zusammenfassung der kritischen Bewertungen nach Scheick, S. 107.; s. a Marsha Watson: A Classic Case: Phillis Wheatley and Her Poetry. In: Early American Literature 31:2, 1996.
  4. Benjamin G. Brawley: The Negro Genius. Biblo & Tannen, New York 1966, S. 16.