Rhabarberkuchen
Der Rhabarberkuchen ist eine süße Backware mit kleingeschnittenen Rhabarberstangen. Obwohl Rhabarber ein Stängelgemüse ist, wird er zum Obst bzw. Obsterzeugnis gezählt.[1]
Häufig wird der Kuchen noch zusätzlich mit Streuseln oder Baiser überzogen. Der Teig kann ein Mürb- oder Hefeteig oder eine Sandmasse sein.[2] Die Kuchenform ist variabel; Rhabarberkuchen werden sowohl auf dem Backblech als auch in der runden Backform gebacken. Weitere Abwandlungen sind Rhabarberkuchen mit Pudding-, Grieß-, Quark- oder Eierguss und die Zubereitung als Tarte.
Geschichte
BearbeitenEuropa
BearbeitenEin „Siberian rhubarb pie“ mit Zucker und Zimt wird 1739 von Peter Collinson beschrieben.[3] Im Londoner Gärtnerwörterbuch (englisch The gardeners dictionary) aus dem Jahr 1756 wird berichtet, dass die Stängel des sogenannten englischen Rhabarbers (lateinisch Lapathum orientale) für Tarten verwendet wurden.[4]
In London wird 1777 in der dritten Ausgabe der Frauenzeitschrift The Lady’s Assistant for Regulating ein Rezept für rhubarb tarts (deutsch: Rhabarbertörtchen) präsentiert.
1788 erwähnt ein französisches Wörterbuch für Gärtner die Verwendung von Rhabarber für Tarten.[5]
Obwohl schon 1794 im Neues Londner Kochbuch ein Rezept von Rhabarber-Törtchen deutschsprachig veröffentlicht wird,[6] behauptet 1863 die Schrift Technisch-chemische Recepte: „Die Verwendung der Rhabarberpflanzen ist in Deutschland fast unbekannt. Und doch liefern ihre Blattstiele ein wahrhaft köstliches Compot, von ganz feinem der Ananas ähnlichem Geschmack, das sich zu Kuchen, Torten und Confituren ganz vorzüglich eignet.“[7]
In London wurde 1816 in einem Kochbuch ein Rezept für „rhubarb-pye“ (englisch rhubarb-pie, eigentlich Rhabarber-Pastete) gedruckt.[8] 1847 übertrug Johann Gottfried Flügel den Begriff Rhubarbpie ins Deutsche mit dem Wort Rhabarberkuchen,[9] was aber in später erschienenen Lexika differenziert wurde.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts sind in deutschen Publikationen Rezepte für Rhabarberkuchen zu finden. Das von F. A. Brockhaus 1864 herausgegebene Illustrirte Haus- und Familien-Lexikon erwähnte nicht nur die Nutzung des Rhabarbers als Medizin und Compot, sondern beschreibt auch einen Rhabarberkuchen auf Blätterteigbasis.[10] Der Blätterteig wird dabei sowohl für den Teigboden wie für einen Teigdeckel genutzt, so dass es sich eher um einen englischen Rhabarber-Pie, also eine Obst-Pie im Sinne einer Pastete handelt.[11] Henriette Davidis (1801–1876) übernahm 1872 die englische Rezeptvariante in ihrem Praktischen Kochbuch[12] und im Koch-Buch für die Deutschen in Amerika (1879)[13] und bezeichnete es korrekt als Englische Pastete von Rhabarber.
In der ersten Ausgabe von „Synopsis der Naturreiche“ aus dem Jahr 1847 wird der Rhabarber nur als Medizinpflanze besprochen,[14] in der zweiten Auflage von 1877 wird dann auch die Verwendung für Kuchen erwähnt.[15]
Das in Straßburg 1884 erschienene Illustrirte Haushaltungs-Lexicon unterschied zwischen einem Rhabarberkuchen auf der Basis von Mürbeteig und mit Zucker und Zimt und einer Rhabarbertorte mit Blätterteig.[16]
Das Leipziger Universal-Lexikon der Kochkunst stellte 1886 schließlich dem englischen Rhabarber-Pie einen Rhabarberkuchen auf der Basis von Mürbeteig und mit Zucker und Zimt sowie eine Rhabarbertorte mit Rhabarbermus und Mürbeteig gegenüber.[17]
Vereinigte Staaten
Bearbeiten1770 wurde Rhabarber in Nordamerika als Medizin und nicht als Nahrungsmittel eingeführt. Ab 1829 wurden in amerikanischen Gärten Rhabarberpflanzen gezogen und für Marmeladen, Saucen und insbesondere Pasteten verwendet.[18][19]
Rhabarber wurde von den Pennsylvaniadeutschen „Boigrout“ oder „pie-plant“ (also Pasteten-Gewächs bzw. Pasteten-Pflanze) genannt,[20][21] der Begriff pie plant ist mittlerweile in den USA allgemein bekannt. Pennsylvaniadeutsche haben das englische Wort pie für Kuchen übernommen, woraus „boi“ wurde, wie in „Schnitzboi“ für Kuchen aus Dörräpfeln oder „Kearschboi“ für Kirschkuchen. Die Rhabarberpflanzen lieferten ihnen für Kuchen eine Füllung und die Wurzeln waren eine wertvolle Medizin.[22][23]
1846 veröffentlichte Catharine Beecher in New York City ihr Kochbuch „Domestic Receipt-book“, wo auch ein Rhabarberkuchenrezept (engl. rhubarb pie) zu finden ist.[24]
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Leitsätze für Obsterzeugnisse, Punkt 1.1.2 ( des vom 8. Mai 2018 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF)
- ↑ Christian Teubner, Annette Wolter: Backvergnügen wie noch nie. Das große GU-Bild-Backbuch mit den besten Back-Ideen. Gräfe und Unzer, München 2002, ISBN 3-7742-5626-8, S. 29 (Nachdr. der Orig.-ausg. von 1984).
- ↑ Siehe Artikel rhubarb. In: Alan Davidson: The Oxford Companion to Food. 3. Aufl. Oxford 2014, S. 680.
Der Brief von Peter Collinson vom 2. September 1739 ist abgedruckt in William Darlington: Memorials of John Bartram and Humphry Marshall. Philadelphia 1849, S. 133–135, hier S. 134: “Both this [Sibirean Rhubarb] and Rhapontic make excellent tarts, before most other Fruits fit for that purpose are ripe. All you have to do, is to take the stalks from the root, and from the leaves; peel of the rind, and cut them in two or three pieces, and put them in crust with sugar and a little cinnamon; then bake the pie, or tart: eats best cold. It is much admired here, and has none of the effects that the roots have. It eats most like gooseberrypie.” (HathiTrust-Digitalisat von Darlington, William, 1849) [Übers. „Sowohl dieser [sibirische Rhabarber] als auch der Rhapontik geben ausgezeichnete Törtchen, bevor die meisten anderen Früchte, die für diesen Zweck geeignet sind, reif sind. Alles, was Sie tun müssen, ist die Stängel von der Wurzel und den Blättern abzunehmen; ziehen Sie die Schale ab und schneiden Sie sie in zwei oder drei Stücke, und legen Sie sie in den Teig mit Zucker und ein wenig Zimt; den Kuchen backen, oder Törtchen: isst man am besten kalt. Das wird hier sehr geschätzt und hat keinen der Effekte, die die Wurzeln haben. Es schmeckt wie Stachelbeerkuchen.“] - ↑ Chazelles Philip Miller: Lapathum. In: The gardeners dictionary. Containing the methods of cultivating and improving all sorts of trees, plants, and flowers, for the kitchen, fruit, and pleasure gardens; as also those which are used in medicine. With directions for the culture of vineyards, and making of wine in England. In which likewise are included the practical parts of husbandry. Printed for the author, 1754 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Philip Miller: Dictionnaire des jardiniers, contenant les méthodes les plus sûres et les plus modernes pour cultiver et améliorer les jardins potagers, à fruits, à fleurs et les pépinières… et dans lequel on donne des préceptes pour multiplier et faire prospérer tous les objets soumis à l’agriculture… Ouvrage traduit de l’anglois, sur la 8e édition de Philippe Miller par une société de gens de lettres… chez Guillot, 1788, S. 257 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Francis Collingwood, John Woollams: Neues Londner Kochbuch, oder allgemeiner englischer Küchen-Wirthschafter für Stadt und Land … Friedrich Gotthelf Baumgärtner, 1794, S. 335 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Otto Dammer: Technisch-chemische Recepte: 2100 Vorschriften und Mittheilungen aus dem Gebiete der technischen Chemie und Gewerbskunde; zum Gebrauche für Chemiker und Techniker, Apotheker, Seifensieder, Destillateure, Lackirer, Polirer, Droguisten, Fabrikanten, Lederarbeiter, Färber, Maler, Kaufleute, Tischler, Metallarbeiter, Landwirthe, sowie für jede Hauswirthschaft. Flemming, 1863, S. 393 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ John Simpson: A Complete System of Cookery on a Plan Entirely New: Consisting of an Extensive and Original Collection of Receipts … W. Stewart, 1816, S. 246 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ J. G. Flügel (ed.): Complete Dictionary – English and German. Vol. I. 3. Auflage. Leipsic, S. 1173 babel.hathitrust.org
- ↑ Illustrirtes Haus- und Familien-Lexikon. Band 6. F. A. Brockhaus, Leipzig, 1864, S. 342; Google-Books
- ↑ Pie. In: Universal-Lexikon der Kochkunst. Band 2. 3. Auflage. J.J. Weber, Leipzig 1886, S. 263
- ↑ Henriette Davidis: Praktisches Kochbuch. 1872, S. 205 f.; books.google.de
- ↑ Henriette Davidis: Koch-Buch für die Deutschen in Amerika. Milwaukee 1879, S. 121; iiif.lib.harvard.edu
- ↑ Johannis Lennis: Synopsis der Pflanzenkunde: Ein Handbuch für höhere Lehranstalten und für alle, welche sich … Hahn, 1847, S. 368 (Textarchiv – Internet Archive).
- ↑ Johannes Leunis: Synopsis der pflanzenkunde. Ein handbuch für höhere lehranstalten und für alle, welche sich wissenschaftlich mit der naturgeschichte der pflanzen geschäftigen wollen. Hahn’sche Buchhandlung, 1877, S. 974.
- ↑ Luise Wilhelmi, William Löbe (Hrsg.): Illustrirtes Haushaltungs-Lexicon. Straßburg 1884, S. 789 f.; SLUB-Digitalisat
- ↑ Universal-Lexikon der Kochkunst. Band 2. 3. Auflage. Verlagsbuchhandlung J. J. Weber, Leipzig 1886, S. 375 ff.; Wolfenbütteler Digitale Bibliothek
- ↑ Rhubarb · University of Minnesota Libraries. Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 17. April 2019; abgerufen am 11. Juni 2018 (englisch). Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Clifford M. Foust: Rhubarb. The wondrous drug. Princeton University Press, Princeton, N.J. 1992, ISBN 0-691-08747-4, S. 278.
- ↑ Rheum. In: Heinrich Marzell: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. Band 3. Reprint der Ausgabe Stuttgart/Wiesbaden 1977, Köln 2000, Spalte 1319, Abschnitt „Kuchenblatt“.
- ↑ David E Lick, Thomas R Brendle: Plant Names and Plant Lore Among the Pennsylvania Germans. In: Proceedings of the Pennsylvania German Society. Band 33/1923, S. 75.
- ↑ Pennsylvania Dutch Dictionary. Abgerufen am 11. Juni 2018 (englisch).
- ↑ Paul R. Wieand: Folk Medicine Plants Used in the Pennsylvania Dutch Country. Wieand’s Pennsylvania Dutch, 1961 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Catherine E. Beecher: Miss Beecher’s domestic receipt book. Harper & brothers, New York 1846, S. 114 (Textarchiv – Internet Archive).