Sanhedrin

Fortsetzung der Großen Versammlung

Der Sanhedrin, hebräisch סַנְהֵדְרִין sanhēdrîn bzw. סַנְהֶדְרִין sanhædrîn, oder Hohe Rat war eine jüdische religiöse und/oder politische Instanz, deren konkrete Aufgaben und Einflussbereich sich nicht mit Sicherheit rekonstruieren lassen. Im Versuch, die Angaben von Josephus, des Neuen Testaments und der rabbinischen Literatur zu harmonisieren, sah die ältere Forschung im Sanhedrin das höchste legislative und judikative Gremium des antiken Judentums. Es sei in hellenistischer Zeit begründet und bis ins 5. Jahrhundert fortgeführt worden. Die Aussagen der verschiedenen Quellen sind jedoch widersprüchlich.[1]

Darstellung des antiken jüdischen Sanhedrin-Rates aus der People's Cyclopedia of Universal Knowledge von 1883.

Beim Wort Sanhedrin handelt es sich um eine Hebräisierung des griechischen συνέδριον synédrion („Versammlung, Rat“).[2]

Quellenlage

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Als ausschlaggebende biblische Legitimation des Jerusalemer Sanhedrin gelten drei biblische Erzählungen:

  • Num 11 EU: Gott stellt Mose 70 Älteste an die Seite, die den Geist empfangen und Mose bei der Leitung des Volkes unterstützen (vgl. mSan 1,6; bSan 88b)
  • Dtn 17,8–13 EU: Forderung eines zentralen Gerichts (vgl. Sifre Dtn 407–470 [ed. Bietenhard] und Ant IV,218)
  • Ex 18,13–27 EU: Einsetzung von Richtern (vgl. MekhY III 181–183 [ed. Lauterbach])

Dementsprechend geht das rabbinische Schrifttum davon aus, dass es seit mosaischer Zeit bis in die talmudische Periode hinein das Sanhedrin existierte. So wird die Vision einer ungebrochen fortlaufenden Sukzession der Lehrautorität vermittelt und die dogmatische Imagination einer durchgängigen und institutionell überwachten Pflege der halachischen Überlieferung hergestellt. Der Sanhedrin wird darum primär als religiöse Einrichtung (mHag 2,2) beschrieben und dabei die nach der Tempelzerstörung in Jawne etablierte Gelehrtenversammlung idealisiert.[2]

Demgegenüber beschreiben Flavius Josephus und das Neue Testament den Sanhedrin primär als politische Institution, deren Vorsitzender der Hohepriester ist.[2]

Daraus folgend ergaben sich in der Forschung unterschiedliche Einstellungen zur Aufgabe des Sanhedrin. Teilweise wurden mehrere Sanhedrin angenommen, die gleichzeitig existierten und verschiedene Aufgaben wahrnahmen.[3] Insbesondere die Trennung in eine γερουσία gerusía als politisch-nationale Größe unter Vorsitz des Hohepriesters und eine βουλή bulē als Verwaltungsbehörte blieb einflussreich. Es ist davon auszugehen, dass es ein Sanhedrin gab, das unter verschiedenen Namen in Erscheinung trat.[2]

Da Flavius Josephus wie auch das Neue Testament zeitlich näher an dem Sanhedrin stehen und sie kein Interesse erkennen lassen, Tatsachen zu verfälschen, ist ihren Angaben größeres Vertrauen entgegenzubringen.[4]

Vorläufer

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Vorläufer des Sanhedrin ist die Gerusia, altgriechisch γερουσία gerusía „Ältestenrat“.[5] Der erste Nachweis für eine aristokratische Gerusia als fest umrissene oberste jüdische Regierungsbehörde mit Sitz in Jerusalem ist ein Erlass unter Antiochus III. (223–187 v. Chr.). Ihre Anfänge reichen vermutlich in die persische Zeit zurück[6][7], ohne dass sie dort bereits als spezifisches Gremium bzw. Behörde auftritt.[8]

Bei der Jerusalemer Gerusia handelt es sich um einen aristokratischen Senat, wie es ihn in der ganzen griechischen Welt gab. Er vertrat hier die vornehme Priesterschaft.[9] An der Spitze der Gerusia stand der erbliche Hohepriester. Der Makkabäeraufstand verdrängte die alte hohepriesterliche Dynastie durch das Hohepriestertum der Hasmonäer. Man kann davon ausgehen, dass sich die Zusammensetzung der Jerusalemer Gerusia dadurch maßgeblich veränderte. Als Pompeius schließlich das Königtum abschaffte, behielt der Hohepriester seine Rechte. Die Gerusia dürfte zunächst weiter bestanden und neben und unter dem Hohepriester das wichtigste Organ der jüdischen Staatsverfassung dargestellt haben.[8]

Die erste historische Verwendung der griechischen Bezeichnung συνέδριον synédrion für die jüdische Behörde findet sich bei Flavius Josephus. Er berichtet, wie im Jahr 57 v. Chr. Aulus Gabinius das Land in fünf Distrikte mit fünf συνέδρια synédria in Jerusalem, Gadara, Amathus, Jericho und Sepphoris einteilte.[10] Diese aristokratischen Senate regierten ihre Distrikte, die vermutlich zugleich Steuergebiete und Gerichtsbezirke waren. Das Vorgehen sollte die wirtschaftliche und kulturelle Einheit des Landes zerschlagen, ihm den Mittelpunkt Jerusalem nehmen und so die Durchsetzung der römischen Herrschaft erleichtern. Dem Hohepriester Hyrkan II. wurde so zudem jede Möglichkeit zur politischen Einmischung genommen.[11]

Der Jerusalemer Sanhedrin

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Geschichte

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47 v. Chr., nur 10 Jahre nach dem Erlass Gabins, hob Caesar diese Anordnung wieder auf und ernannte Hyrkan II. erneut zum Ethnarchen und bestätigte seine hohepriesterliche Würde. Beide Würden sowie die damit verbundenen Rechte erklärte er als erblich.[12] Die Leitung des Landes wurde somit erneut dem Hohepriester und der Jerusalemer Behörde übertragen.[13] In diesem Kontext kam es aller Wahrscheinlichkeit nach zu einer grundlegenden Neudefinition des Sanhedrin in Jerusalem. Dieses blieb als einziges der fünf Synhedrien bestehen.[11] Offenbar unterlag dem Gremium bis zur Herrschaft der Prokuratoren auch die Kapitalgerichtsbarkeit.[11] Nachdem Herodes galiläische Aufständische ohne Gerichtsverfahren hinrichten ließ, beschloss dieses, unter Leitung des Hyrkan II. den Strategen anzuklagen und zu verurteilen, da Herodes das wichtigste Recht des Sanhedrin usurpierte.[11][14] Nach der Belagerung und Eroberung Jerusalems 37 v. Chr. ließ Herodes als Erstes zahlreiche Mitglieder des Sanhedrin hinrichten. So setzte er sein Königtum als einzige Regierungsgewalt ein. Er setzte einen neuen, ihm gefügigen Sanhedrin ein, das keine politische Größe mehr war, sondern nur als oberster religiöser Gerichtshof handelte, ohne gegen die Anweisungen des Herodes zu urteilen.[11]

Zur Zeit der römischen Prokuratoren konnte der Sanhedrin in Judäa wieder in bescheidenem Umfang Einfluss auf die Verhältnisse im Land nehmen.[13]

Herodes’ Sohn Archelaos erhielt nur einen Teil des Reiches, wodurch sich der Einflussbereich des Sanhedrin vermutlich auf Judäa beschränkte. Nachdem Augustus ihn im Jahr 6 n. Chr. nach Gallien verbannte und das Territorium direkt der römischen Herrschaft unterstellte, gab es als jüdische Herrschaft nur noch den Jerusalemer Sanhedrin.[15] Dieser war zu dem Zeitpunkt wieder aristokratisch dominiert. Josephus betrachtet ihn als die eigentliche jüdische Behörde.[11]

Josephus und das Neue Testament nutzen synonym zum Sanhedrin auch andere Bezeichnungen wie οἱ ἀρχιερεῖς καὶ ἡ βουλή hoi archiereîs kaì hē bulē „die Oberpriester und die Ratsversammlung“, ἡ βουλή hē bulē „die Ratsversammlung“ oder ἄρχοντες καὶ οἱ βουλευταί árchontes kaì hoi buleutaí „die Oberen und die Ratsherren“. So wird der Sanhedrin stereotyp zur Oberbehörde der Juden schlechthin, die alle weltlichen und religiösen Angelegenheiten der jüdischen Bevölkerung ordnet.[11]

Mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels endete auch die Zeit des Jerusalemer Sanhedrin.[13] Nach dem Bericht des Flavius Josephus scheint dies schon während der Belagerung Jerusalems durch die Römer geschehen zu sein. Die Aufständischen richteten an seiner Stelle ein δικαστήριον dikastērion „Gerichtshof“ mit 70 Mitgliedern ein, bei denen es sich überwiegend um Zeloten handelte.[16] Nach der Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. gibt es keine Berichte über eine vergleichbare jüdische Behörde in Jerusalem.[17]

Wahrscheinlich bestand der Jerusalemer Sanhedrin aus 70 oder 71 Mitgliedern. Neben dem um Mose eingesetzten Ältestenrat (Num 11,16 EU), beschreibt auch Josephus verschiedene jüdische Behörden mit dieser Mitgliederzahl.[18] Erst die Mischna nennt eine konkrete Zahl: Im Traktat Sanhedrin im Talmud ist die Rede von einem großen Sanhedrin mit 71 Mitgliedern[19] und von einem kleineren mit 23 Mitgliedern (Sanh 1,6[20]).

Die Mitglieder des Sanhedrin setzten sich aus folgenden Gruppierungen zusammen:

  • der Hohepriester, altgriechisch ὁ ἀρχιερεύς ho archiereús: Vorsitzender des Sanhedrin und Leiter des Volkes[18]
  • die Oberpriester, altgriechisch οἱ ἀρχιερεῖς hoi archiereîs: Männer hohepriesterlichen Geschlechts – amtierende und abgesetzte Hohepriester sowie die männlichen mündigen Glieder der vornehmsten Priesterfamilien, sadduzäisch gesinnt[21][18]
  • die Ältesten, altgriechisch οἱ πρεσβύτεροι hoi presbyteroi: Patrizier sadduzäischer Gesinnung[22]
  • die Schriftgelehrten, altgriechisch οἱ γραμματεῖς hoi grammateîs: überwiegend Pharisäer, deren Einfluss beständig wuchs[22][23]

Werden die einzelnen Gruppierungen genannt, stehen bei Josephus und im Neuen Testament in der Regel die Oberpriester an erster Stelle.[22][11]

Kompetenzen

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Über die genaue Zugehörigkeits- und Kompetenzzuschreibungen des Sanhedrin herrscht in der Forschung kein Konsens.[24]

Als oberste jüdische Behörde fiel dem Sanhedrin die Aufgabe zu, die weltlichen und geistlichen Angelegenheiten zu ordnen, die die jüdische Bevölkerung betrafen. Ursprünglich zählte dazu wohl auch das Recht, Kapitalprozesse durchzuführen und Urteile zu vollstrecken. So wurde Herodes vom Sanhedrin zur Rechenschaft gezogen, als er ein Todesurteil fällte, ohne den Sanhedrin einzubeziehen. Nachdem Herodes den Sanhedrin umstrukturierte, blieb diese Kompetenz zwar de jure bestehen, de facto jedoch handelte der Sanhedrin nur noch nach königlicher Rechtsprechung. Diese Einschränkung behielten sich auch Herodes’ Nachfolger bei.[22]

Ab dem Jahr 6 n. Chr. übernahm ein römischer Statthalter die Herrschaft in der Provinz. Dieser sollte laut Josephus die Juden mit aller Vollmacht regieren (Ant XVIII,2). Ihm fiel zweifellos das Recht über Leben und Tod in letzter Instanz zu. Als vom Kaiser ausdrücklich und ad personam eingeräumtes Mandat konnte es nicht auf andere Personen übertragen werden. Die gesamte herrschaftliche Gewalt lag also nun beim Prokurator, dessen Amtssitz in Caesarea lag. Der Amtsbereich des Sanhedrin beschränkte sich außerdem auf Judäa. Aus dem sehr umstrittenen Bericht des Josephus über die Exekutierung des Jakobus (Ant XX,200–203) geht hervor, dass der Sanhedrin sich schwer damit abfand, dass ihm spätestens 6 n. Chr. die Zuständigkeit in Kapitalsachen entzogen wurde.[25] Das jüdische Strafrecht musste sich diesem Umstand anpassen. Zwar gibt es einzelne Berichte über vom Sanhedrin verhängte Todesstrafen, diese sind jedoch als sehr enge und genau begrenzte Ausnahmefälle zu verstehen. Die alte Kapitalgerichtsbarkeit des Sanhedrin konnte höchstens durch die außerordentliche Gewährung von Privilegien oder die Einräumung von beschränkten Sonderrechten zum Zuge kommen. Solche kamen auch beim Prozess gegen Jesus von Nazaret zu Einsatz.[26][27] Hier überstellte der Sanhedrin Jesus an den römischen Statthalter Pontius Pilatus und drängte auf dessen Hinrichtung, die es selbst nicht vollstrecken durfte (vgl. Joh 18,31 EU).[28] Bemerkenswert ist dabei die Parallele zu den Vorgängen um einen Unheilspropheten, von dessen Prozess Josephus berichtet (Bell VI,300–305).[26] Erst nachdem die jüdischen Aufstände die römische Statthalterschaft beendeten, erhielt der Sanhedrin ab Herbst 66 n. Chr. wieder das Exekutionsrecht.[29]

Zweifellos fielen auch nach der Übernahme der Prokuratoren dem Sanhedrin die Aufgabe zu, in Fragen der jüdischen Kultgemeinde zu entscheiden und Verstöße gegen die Tora zu ahnden, sofern diese keine Todesstrafe verlangten.[27] Der genaue Umfang, mit dem der Sanhedrin über zivile und halachische Streitigkeiten innerhalb der jüdischen Bevölkerung Judäas hinausreichend Einfluss auf das Rechtssystem hatte, bleibt umstritten.[11]

Synhedrien außerhalb Jerusalems

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Ähnlich dem „großen Sanhedrin“ in Jerusalem gab es auch in weiteren Städten kleine Gerichtshöfe. Unter Duldung der römischen Behörde übten sie eine eigene jüdische Gerichtsbarkeit in Palästina und der Diaspora aus. Zurückgeführt wurde dies im Talmud (T Sanh 3,10) auf das Gebot in Num 35,29 EU. Die Mischna sah vor, dass es in Städten mit mindestens 120 erwachsenen Männern einen solchen „kleinen Sanhedrin“ mit 23 Mitgliedern geben sollte. In Kapitalprozessen sollte das Urteil durch alle Mitglieder gefällt werden. Dabei hielt man weiterhin am ius gladii fest, obwohl es allein der römischen Obrigkeit zustand. Todesurteile sollten nur äußerst selten verhängt werden. Die Gerichtstage waren der Montag und Donnerstag. An Sabbaten und Festtagen durfte das Gericht keinesfalls zusammentreten.[29]

Die Essener übten ebenfalls eine eigene Gerichtsbarkeit aus. Dabei erfolgte die Rechtsprechung in Anwesenheit von mindestens 100 Ordensmitgliedern. Die Gerichtsbarkeit lag beim עֲצַת הַיַּחַד ʿᵃṣat hajjaḥad „Rat der Gemeinschaft“ und wurde durch ein Gremium ausgeübt, das aus 12 Männern und 3 Priestern bestand. Ein ausführlicher Strafkodex findet sich in Qumran (1QS 6,24–7,25).[29]

Der Sanhedrin in Jawne nach der Tempelzerstörung

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Als im Jahr 70 der Jerusalemer Tempel und Jerusalem von den Römern nach einem jüdischen Aufstand zerstört wurden, gingen auch die jüdischen Behörden unter, also auch der Sanhedrin.[30]

Nach rabbinischer Überlieferung erhielt Rabbi Jochanan ben Sakkai von den Römern die Erlaubnis, den Sitz des Hohen Rates nach Jawne zu verlegen; gleichzeitig wurde dort eine jüdische Schule errichtet.[31] Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Nachfolgeorganisation des Jerusalemer Sanhedrin[32]: Es handelte sich nun um ein repräsentatives Tribunal im Gegenüber zum politischen Senat. Auch die Organisationsform wurde in Jawne verändert: Das Gremium sollte aus 70 Mitgliedern und dem Nasi, (hebräisch נָשִׂיא) als Vorsitzenden bestehen. Dieser wurde durch die Mitglieder gewählt. Vermutlich wurden im Zusammenhang der Neuordnung auch Einzelheiten der Verfahrensordnung geregelt. Das Gremium prägte in Kontinuität der pharisäischen Tradition rabbinisches Judentum. Eine in späterer Geschichtsschreibung behauptete Synode von Jawne hat es nie gegeben.[33] Herausforderungen des Sanhedrin in Jawne waren vermutlich die fehlende Anerkennung Roms, der mangelnder Einfluss auf die jüdische Diaspora und das nur langsam wachsende Vertrauen der Ortsgemeinden in der Region.[34]

In der jüngeren Forschung geht die Tendenz dahin, die Existenz eines Sanhedrin im Sinne eines nationalen Leitungs- und Entscheidungsgermiums mit eigener und übergeordneter Autorität anzuzweifeln oder abzulehnen. Stattdessen geht man dazu über, vom Hof des Patriarchen, seinem Gericht und seinen Schulen zu sprechen. Ein plausibles Gesamtbild ist in der neueren Forschung jedoch noch nicht erkennbar.[33]

Der Sanhedrin nach dem Bar-Kochba-Aufstand

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Gegen Ende der Regierungszeit Hadrians oder nach dem Regierungsantritt des Antonius Pius bildete sich erneut ein Sanhedrin. Dieser wurde maßgebend von den severischen Kaisern gefördert. Er saß zunächst in Uscha in Galiläa, dann in Bet Schearim und schließlich in Sepphoris. Die Entwicklung des Sanhedrin hing von der Persönlichkeit des jeweiligen Nasi ab. Dieser wurde auch „Patriarch“ genannt und von den Kirchenvätern und Römern mehr und mehr als Führer der Juden anerkannt. Der Sanhedrin war nun politisches Leitungsgremium, Gerichtshof und Schule. Kompetenzen zwischen Sanhedrin und Patriarchat blieben heftig umstritten. Seine höchste Machtentfaltung erreichte der Sanhedrin unter der Leitung von Jehuda ha-Nasi (175–217). Er scheint die Mitglieder des Sanhedrin aus eigener Autorität ernannt (ySan I 19a), die Zusammensetzung des Gerichts vorgegeben, die Interkalationen festgesetzt und die Lehrtätigkeit der Rabbinen zunehmend kontrolliert zu haben. In seinem Testament verteilte er die Leitung des Sanhedrin und der Schule wieder auf drei Personen, wodurch sich die rabbinische Schule als selbstständige Größe aus dem Verbund des Sanhedrin in Sepphoris löste. Die Institution verfiel in der Folge immer weiter. Im Jahr 330 legte Kaiser Konstantin in einem Erlass fest, dass derjenige von den Verpflichtungen gegenüber den örtlichen Kurien befreit sei, der sich hauptamtlich in den Dienst des Sanhedrin oder der Patriarchen stellte (CodTheod XVI,8,2 [Linder 132–138]: patriarchis vel presbyteris). Im Jahr 429 hob die byzantinische Regierung den Sanhedrin als letzten Rest der jüdisch-politischen Autonomie auf und teilte ihn in regionale Gerichtshöfe (CodTheod XVI,8,29: Linder 320–323).[35]

Die Wiedererrichtung des Sanhedrin

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Die vorherrschende Meinung im Judentum ist, dass erst nach Errichtung des Dritten Tempels ein neuer Sanhedrin gebildet werden wird. Jedoch gab es bereits in den Arbeiten einiger der größten halachischen Autoritäten zumindest Überlegungen, welche Anforderungen für eine Wiedererrichtung gegeben sein müssten. Insbesondere Maimonides erörtert diese Fragestellung in seinem Opus magnum zur Halacha, der Mischne Tora, und vertritt die Position, dass ein neuer Sanhedrin durch den Konsens der „Weisen Israels“ zu Stande kommen kann.

„Es scheint mir, dass wenn alle Weisen des Landes Israel (Eretz Israel) darin übereinkommen, Richter (dayanim) zu ernennen und diesen die Smicha zu erteilen, jene Richter mit Smicha (musmachim) in Strafsachen Urteile fällen und selbst Smichot erteilen können.“

Rambam, Mischne Tora, Hilchot Sanhedrin 4:11[36]
 
Moses, Symbol der jüdischen Gemeinde, kniet vor Napoleon und empfängt aus seinen Händen die Gesetzestafeln: Medaille von 1806, dem napoleonischen Sanhedrin gewidmet, in der Sammlung des Jüdischen Museums der Schweiz.

Ebenso geht der Autor des bis heute als allgemein verbindlich geltenden Halachakompendiums Schulchan Aruch, Rabbi Joseph Karo, davon aus, dass ein Konsens aller halachischen Autoritäten prinzipiell die Wiedererrichtung des Sanhedrins ermöglichen würde.[37] Mit Bezug auf die Arbeiten dieser beiden Gelehrten unternahm eine Gruppe Rabbiner seit 2003 Vorbereitungen zur Wiedereinsetzung des Sanhedrin in Israel.[38] Dieses sehr umstrittene Vorgehen erhielt mehr Beachtung, als nach einem geheim gehaltenen ersten Nasi im Juni 2005 der angesehene Gelehrte und Rabbiner Adin Steinsaltz den Vorsitz übernahm. Im Juni 2008 erklärte er indes seinen Austritt aus dem Sanhedrin und begründete dies mit Bedenken über die Entwicklung des Rates und seine Sorge über den möglichen Verstoß gegen die Halacha.[39]

Der Sanhedrin im napoleonischen Frankreich

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Am 23. August 1806 wurde unter Napoleon Bonaparte eine Grand Sanhédrin („Großer Sanhedrin“) genannte Versammlung von 71 jüdischen Notabeln, darunter Rabbiner unter Vorsitz von David Sinzheim und Laien unter dem Sprecher Abraham Furtado, einberufen.[40][39] Sie sollten aus der Halacha und aus dem Tanach Antworten auf Fragen zum Verhältnis von jüdischem und staatlichem Recht finden. Aus ihr ging das heutige Consistoire central israélite hervor.

Literatur

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  • NT include: Josephus. Loeb Classical Library, 9 volumes, eds.
  • The Mishnah (trans. H. Danby) (1933), esp. the tractate Sanhedrin, S. 382–400.

Sekundärliteratur

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Zum napoleonischen Sanhedrin

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Commons: Sanhedrin – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Martin Jacobs: Sanhedrin. In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 4. Auflage. Band 7, Mohr-Siebeck, Tübingen 2004.
  2. a b c d Karlheinz Müller: Sanhedrin, Synhedrium. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 30, de Gruyter, Berlin / New York 1999, ISBN 3-11-016243-1, S. 32.
  3. Zum Überblick: Hugo Mantel, The Removal of the Sanhedrin from Jabneh to Usha: PAAJR 26 (1957) 58–101; Ellis Rivkin, Beth Din, Boulé, Sanhedrin. A Tragedy of Errors: HUCA 46 (1975) 181–199.
  4. Günter Stemberger: Das klassische Judentum: Kultur und Geschichte der rabbinischen Zeit. Beck, München 1979, S. 55.
  5. Eduard Meyer: Die Entstehung des Judenthums. Hildesheim 1965, S. 131 f.
  6. Flavius Josephus, Antiquitates Judaicae XII, 138–144.
  7. Günther Bornkamm: πρέσβυς, πρεσβύτερος, συμπρεσβύτερος, πρεσβυτέριον 5. Ältestenrat. In: Gerhard Kittel, Gerhard Friedrich (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch des Neuen Testaments. Band 6. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2019, ISBN 978-3-534-27137-5, S. 659.
  8. a b Karlheinz Müller: Sanhedrin, Synhedrium. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 30, de Gruyter, Berlin / New York 1999, ISBN 3-11-016243-1, S. 33.
  9. Emil Schürer: Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi. 2. Auflage. Band 2. Leipzig 1970, S. 241.
  10. Flavius Josephus: Jüdische Altertümer 14, 90–91.
  11. a b c d e f g h i Karlheinz Müller: Sanhedrin, Synhedrium. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 30, de Gruyter, Berlin / New York 1999, ISBN 3-11-016243-1, S. 34.
  12. Flavius Josephus, Antiquitates Judaicae XIV, 191–194.
  13. a b c Eduard Lohse: συνέδριον. In: Gerhard Kittel, Gerhard Friedrich (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch des Neuen Testaments. Band 7. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2019, ISBN 978-3-534-27137-5, S. 860.
  14. Flavius Josephus, Antiquitates Judaicae XIV, 168–170
  15. Emil Schürer: Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi. 2. Auflage. Band 2. Leipzig 1970, S. 245.
  16. Josephus: De Bello Judaico IV,336–338
  17. Emil Schürer: The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ II. Edinburgh 1979, S. 209.
  18. a b c Eduard Lohse: συνέδριον. In: Gerhard Kittel, Gerhard Friedrich (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch des Neuen Testaments. Band 7. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2019, ISBN 978-3-534-27137-5, S. 861.
  19. Meir Holder: History of the Jewish People – From Yavneh to Pumbedisa. Mesorah Publications, 1986, ISBN 0-89906-499-X, S. 19.
  20. Mishnah Sanhedrin 1:5, auf sefaria.org
  21. Walter Bauer: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. Hrsg.: Kurt Aland, Barbara Aland. 6. Auflage. Walter de Gruyter & Co., Berlin/New York 1988, ISBN 3-11-010647-7, S. 225 f.
  22. a b c d Eduard Lohse: συνέδριον. In: Gerhard Kittel, Gerhard Friedrich (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch des Neuen Testaments. Band 7. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2019, ISBN 978-3-534-27137-5, S. 862.
  23. Jens Schröter: Jesus von Nazaret. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2006, ISBN 3-374-02409-2, S. 113.
  24. Karlheinz Müller: Sanhedrin, Synhedrium. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 30, de Gruyter, Berlin / New York 1999, ISBN 3-11-016243-1, S. 35.
  25. Der Talmud berichtet, dass dem Sanhedrin 40 Jahre vor der Tempelzerstörung das Recht auf Prozesse auf Tod und Leben genommen wurden. Die runde Zahl ist dabei symbolisch zu verstehen. Gemeint ist wahrscheinlich der Beginn der römischen Statthalterschaft. (vgl. ThWNT, S. 863)
  26. a b Karlheinz Müller: Sanhedrin, Synhedrium. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 30, de Gruyter, Berlin / New York 1999, ISBN 3-11-016243-1, S. 35–38.
  27. a b Eduard Lohse: συνέδριον. In: Gerhard Kittel, Gerhard Friedrich (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch des Neuen Testaments. Band 7. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2019, ISBN 978-3-534-27137-5, S. 863.
  28. Thomas Söding: Der Prozess Jesu – die historischen Umstände. (pdf; 40 kB) Ruhr-Universität Bochum, 9. März 2011, abgerufen am 5. April 2021.
  29. a b c Eduard Lohse: συνέδριον. In: Gerhard Kittel, Gerhard Friedrich (Hrsg.): Theologisches Wörterbuch des Neuen Testaments. Band 7. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2019, ISBN 978-3-534-27137-5, S. 864.
  30. Emil Schürer: Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, Bd. 2. Leipzig, 2. Aufl. 1907, überarbeitete englische Übersetzung von Géza Vermes und Pamela Vermès, unter dem Titel The history of the Jewish people in the age of Jesus Christ. A new English version, Bd. 2. Clark, Edinburgh 1979, ISBN 0-567-02243-9, S. 209.
  31. Shmuel Safrai: Das Zeitalter der Mischna und des Talmuds (70–640). In: Haim Hillel Ben-Sasson (Hrsg.): Geschichte des jüdischen Volkes. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. C. H. Beck, München 2. Aufl. 1981, ISBN 978-3-406-55918-1, S. 375–470, hier S. 392–393.
  32. Günter Stemberger: Die Umformung des palästinischen Judentums nach 70: Der Aufstieg der Rabbinen. In: Jüdische Geschichte in Hellenistisch-Römischer Zeit. Wege der Forschung: Vom Alten Zum Neuen Schürer (Hrsg.): Schriften des Historischen Kollegs Series. Band 44, Nr. 1. Walter de Gruyter GmbH, 1999, ISBN 978-3-486-56414-3, S. 92–95.
  33. a b Karlheinz Müller: Sanhedrin, Synhedrium. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 30, de Gruyter, Berlin / New York 1999, ISBN 3-11-016243-1, S. 40.
  34. Ephraim E. Urbach: The Sages. Cambridge 1987, S. 593–603.
  35. Karlheinz Müller: Sanhedrin, Synhedrium. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 30, de Gruyter, Berlin / New York 1999, ISBN 3-11-016243-1, S. 41 f.
  36. Rambam/Maimonides: Mishne Torah, Hilchot Sanhedrin 4:11
  37. Rabbi Joseph Karo: Maʿaseh Beit Din. Ähnlich auch in Beit Josef: Choschen Mischpat 295.
  38. The Sanhedrin Initiative – The Sanhedrin English. In: thesanhedrin.org. Abgerufen am 9. April 2012.
  39. a b Sue Fishkoff: Steinsaltz completes Talmud translation with Global Day of Jewish Learning. In: Jewish Telegraphic Agency. 31. Oktober 2010, abgerufen am 6. April 2021 (englisch).
  40. John F. Oppenheimer (Red.) u. a.: Lexikon des Judentums. 2. Auflage. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh u. a. 1971, ISBN 3-570-05964-2, Sp. 694.