Schnulzenerlass
Der Schnulzenerlass war eine im Juli 1968 ergangene Anweisung des ORF-Generalintendanten Gerd Bacher an die Radiomacher des erst im Oktober 1967 gestarteten Senders Ö3, anstelle von deutschsprachigen „Schnulzen“ internationale Popmusik zu spielen. Nach einer Meldung der Tageszeitung Express forderte der autoritär auftretende Generalintendant[1] seine Radiomitarbeiter auf, dem musikalischen Zeitgeist Rechnung zu tragen:[2]
„In den letzten Monaten beginnt eine mir unerklärliche Schnulzeninvasion über Ö3 hereinzubrechen. Wann immer man Allroundprogramme in Ö3 aufdreht, säuselt einem ein germanischer Schwachsinniger in die Ohren. Da ich mein Ersuchen seit Monaten – leider vergeblich – an die diversen Ö3-Herren und Damen richte, würde ich nach meiner Rückkehr nicht mehr bitten, sondern entsprechende Konsequenzen ziehen.“
Gerd Bachers Machtwort, in dem er anwies, mehr „internationale Unterhaltungs- und Popmusik“ zu spielen,[3] hatte gravierende Konsequenzen. Das Programm des Jugendsenders Ö3 reduzierte drastisch die Quote deutschsprachiger Musik zugunsten von Musik angelsächsischen Ursprungs.[4] Die von Bacher im Schnulzenerlass geschmähten deutschsprachigen Schlager werden seitdem verstärkt in den (Bundesländer‑)Programmen von Österreich Regional (Ö2) gesendet – die Anweisung des Intendanten zementierte dadurch die programmatische Ausrichtung beider Sender.[5] Der damalige Ö3-Moderator André Heller beschrieb Bacher im Jahr 2008 als „begnadeten Ermutiger“, der sich durch den Schnulzenerlass bei der „Ent-Roy-Blackisierung der Jugendkultur zugunsten von Frank Zappa, den Rolling Stones und Led Zeppelin und der allgemeinen Durchlüftung als Verbündeter“ erwiesen habe.[6]
Haymo Pockberger sollte alsbald sonntagsmittäglich mit seiner satirischen Ö3-Sendung Das Schnulzodrom neue deutsche Schlager mit eigenen Reimen spöttisch kommentieren. Damit wurde er zu Anfang der 1970er-Jahre auch in Deutschland bekannt.[7]
Literatur
Bearbeiten- Christian Glanz: Schlager. In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 4, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2005, ISBN 3-7001-3046-5., S. 2075.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Vgl. Der Niedergang des Patriarchats – Schnulzenerlass ( vom 18. August 2010 im Internet Archive).
- ↑ Express, 25. Juli 1968; zitiert nach Paulus Ebner und Karl Vocelka: Die zahme Revolution. ’68 und was davon blieb. Ueberreuter, Wien 1998, ISBN 3-8000-3679-7, Seite 93.
- ↑ Wolfgang Rumpf: Music in the Air: AFN, BFBS, Ö3, Radio Luxemburg und die Radiokultur in Deutschland. LIT Verlag Münster, 2007, ISBN 978-3-8258-0329-2 (google.de [abgerufen am 7. April 2023]).
- ↑ Hitradio Ö3 – Geschichte ( vom 7. Mai 2011 im Internet Archive)
- ↑ „Die Kinder der Rundfunkreform“: Die Furche 39/07, 27. September 2007, Seite 23. Radio Wien weist allerdings mit einer Quote von 4,2 % heimischer Interpreten aktuell noch weniger als die Hälfte des Ö3-Anteils von 11,6 % auf (Quelle: Wiener Bezirkszeitung NR. 49/2009)
- ↑ Unsere 68er - Die gemütliche Revolution gegen Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit. 1. März 2008, abgerufen am 7. April 2023.
- ↑ Radiolegende Haymo Pockberger gestorben. Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 14. Juli 2012; abgerufen am 7. April 2023. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.