Vinzenz Fettmilch

Schreiber, Lebkuchenbäcker und Anführer des Fettmilchaufstandes

Vinzenz Fettmilch, auch Fedtmilch[1] (* zwischen 1565 und 1570 in Büdesheim; † 28. Februar 1616 in Frankfurt am Main) war ein deutscher Schreiber und Lebkuchenbäcker und einer der Anführer des Fettmilchaufstandes 1612 bis 1614 in Frankfurt am Main.

Vinzenz Fettmilch (Kupferstich)

Vor dem Aufstand

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Vinzenz Fettmilch wurde zwischen 1565 und 1570 in Büdesheim geboren. Als sein Vater wird der Untergräfe und „reisige Diener“ (berittener Soldat) auf der Burg Friedberg, Reinhard Fettmilch (1562–1602)[2], vermutet. Vinzenz hatte einen Bruder, Johann Eitel Fettmilch, der 1598 in Marburg an der Universität Marburg Jura studierte.

Nach seiner Heirat mit Catharina Schiele in Frankfurt am Main erhielt Vinzenz Fettmilch am 11. Juni 1593 das Frankfurter Bürgerrecht. Vergeblich bemühte er sich 1595 um die Stelle eines Schreibers am Hospital zum heiligen Geist. Aus finanziellen Gründen wurde er Lebkuchenbäcker, trat der Zunft der Fettkrämer bei und erwarb 1607 das Gebäude „Zum Hasen“ in der Töngesgasse. Fettmilch gehörte zu den Anführern des nach ihm benannten Fettmilchaufstandes zwischen 1612 und 1614 in Frankfurt am Main.[3]

Der Aufstand

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Vinzenz Fettmilch, Conrad Gerngroß und Conrad Schopp, die Anführer des Fettmilchaufstandes, Stich 1614

Im Mai 1612 nutzten Frankfurter Bürger die Wahl und Krönung von Kaiser Matthias, um die Offenlegung der Privilegien, die Verringerung der Anzahl der Juden und die Einrichtung eines wöchentlichen Kornmarktes, eine Zinsherabsetzung von 12 auf 8 Prozent und die Vertreibung aller Juden, die nicht mindestens 15.000 Taler Vermögen besaßen, vom Rat der Stadt zu verlangen.[4][5] Im Juli 1612 gründete sich ein „Bürgerausschuss“, dem Fettmilch angehörte, um diese Forderungen durchzusetzen. Fettmilchs Auftritte führten zu seinem Arrest in der Frankfurter Ratsstube vom 5. bis. 8. Mai 1614. In einem „Bürgervertrag“ wurde die Privilegieneinsicht und die Kontrolle der Finanzen der Stadt vereinbart. Der Bürgerausschuss gab sich damit aber nicht zufrieden. Fettmilch führte die Plünderung der Judengasse am 22. August 1614 an.

Verhaftung und Bestrafung

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Die Hinrichtung auf dem Roßmarkt

Kaiser Matthias verkündigte daraufhin die Reichsacht über Fettmilch, den Schreiner Conrad Gerngroß und den Schneider Conrad Schopp, die Haupträdelsführer. Der Ratsherr Mattias Müller beantragte am 24. November 1614, Fettmilch zu verhaften. Drei Tage später wurde er vom Schöffen Hans Martin Baur nach einem Handgemenge festgenommen. Empörte Handwerksgesellen, darunter der Frankfurter Bürger und Buchdruckergeselle Hans Schlegel,[6] befreiten ihn noch am selben Tag aus dem Arrest in der Bornheimer Pforte. Fettmilch verschanzte sich in seinem Haus Zum Hasen in der Töngesgasse, ergab sich aber am Tag darauf der Stadtwache unter Baurs Führung.

Am 2. Dezember 1614 wurde Fettmilch beim Gutleuthof an den Schultheißen von Mainz ausgeliefert und nach Aschaffenburg gebracht. Am 28. Februar 1616 wurde er mit seinen Kumpanen zum Roßmarkt geführt. Der Scharfrichter trennte zwei Finger seiner Schwurhand ab, enthauptete und vierteilte ihn.

 
Die in der Töngesgasse anstelle von Fettmilchs Haus errichtete Schandsäule

Die Leiche Fettmilchs wurde gemeinsam mit denen der anderen Verurteilten am Galgen aufgehängt und die Köpfe an Eisenstangen auf der Südseite des rechtsmainischen Brückenturms ausgestellt.

„Unter den altertümlichen Resten war mir von Kindheit an der auf dem Brückenturm aufgesteckte Schädel eines Staatsverbrechers merkwürdig gewesen, der von dreien oder vieren, wie die leeren eisernen Spitzen auswiesen, seit 1616 sich durch alle Unbilden der Zeit und Witterung erhalten hatte. So oft man von Sachsenhausen nach Frankfurt zurückkehrte, hatte man den Turm vor sich, und der Schädel fiel ins Auge. Ich ließ mir als Knabe schon gern die Geschichte dieser Aufrührer, des Fettmilch und seiner Genossen, erzählen, wie sie mit dem Stadtregiment unzufrieden gewesen, sich gegen dasselbe empört, Meuterei angesponnen, die Judenstadt geplündert und gräßliche Händel erregt, zuletzt aber gefangen und von kaiserlichen Abgeordneten zum Tode verurteilt worden.“

Goethe: Dichtung und Wahrheit. 4. Buch, Teil 1

1801 wurde der Brückenturm abgerissen und die Köpfe der Verurteilten beseitigt.[7]

Als Damnatio memoriae wurde sein Haus Zum Hasen dem Erdboden gleichgemacht. Seine Frau Katharina mit ihren zehn Kindern, zwei Jungen und acht Mädchen,[8] und sein Bruder mussten die Stadt für immer verlassen.[7] Am 22. August 1617 wurde an der Stelle des ehemaligen Hauses Zum Hasen eine Schandsäule zum „Immerwährenden Gedächtnis an den Aufstand“ (Sempiternae Rebellionis Memoriae) errichtet, die Inschrift begann mit dem Satz: „Daß dieser Platz bleibt od und wust, dran Vincenz Fettmilch schuldig ist.“ Die Säule ging 1719 beim Großen Christenbrand zugrunde, der Sockel blieb jedoch erhalten. Später wurde hier ein Brunnen errichtet, und erst im 19. Jahrhundert um 1870 wurde das Grundstück wieder bebaut.

Archivalien

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  • Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main. Signaturen: Sammlung Personengeschichte S2–286; Criminalia 679, 873, 709, 752, Impressen 72, 77, Juden wider Fremde 999

Literatur

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  • Thomas Bauer: Fettmilch, Vinzenz im Frankfurter Personenlexikon (redigierte Onlinefassung), sowie in: Wolfgang Klötzer (Hrsg.): Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon. Erster Band. A–L (= Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission. Band XIX, Nr. 1). Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-7829-0444-3, S. 199–201.
  • Johann Christof Wagenseils Belehrung der Jüdisch-Teutschen Red- und Schreibart. Conrad Monat, Frankfurt 1715; darin: Von der Aufruhr welche Vinzenz Fettmilch im Jahr 1616 in des H.R. Reichs Freye Stadt Frankfurth angestifftet und wie dieselbige folglich gestillet worden. Digitalisat
  • Rudolf Frank: Vincenz Fettmilch. Eine historische Erzählung aus der Geschichte der Freien Stadt Frankfurt a/M. (1612–1616). Gustav Oehme, Leipzig 1861 Digitalisat
  • Otto Speyer: Die Frankfurter Revolution unter Vincenz Fettmilch 1612–1616. Frankfurter Intelligenzblatt, Frankfurt a. M. 1883
  • Ernst KelchnerFettmilch, Vincenz. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 6, Duncker & Humblot, Leipzig 1877, S. 728 f.
  • Heinz F. Friedrichs: Fettmilch, Vincenz. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 5, Duncker & Humblot, Berlin 1961, ISBN 3-428-00186-9, S. 105 (Digitalisat).
  • Der Frankfurter Fettmilch-Aufstand. In: Hauptwache: Frankfurter illustrierte Zeitung. Bd. 2; (1977), Heft 14, S. 18–22 und 22–26
  • Horst Karasek Der Fedtmilch-Aufstand oder wie die Frankfurter 1612/14 ihrem Rat einheizten (= Wagenbachs Taschenbücherei, Band 58), Wagenbach, Berlin 1979, ISBN 3-8031-2058-6.
  • Robert Brandt: Der Fettmilch-Aufstand. Bürgerunruhen und Judenfeindschaft in Frankfurt am Main 1612–1616. Ein Ausstellungsprojekt des Historischen Museums Frankfurt in Zusammenarbeit mit dem Historischen Seminar der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Historisches Museum, Frankfurt am Main 1996
  • Andrea van Dülmen: Bürger kämpfen um die politische Macht. Der Fettmilch-Aufstand von 1612–1614. Bayerischer Rundfunk, München 1988
  • Christopher R. Friedrichs: Politics or Pogrom? The Fettmilch Uprising in German and Jewish History. In: Central European history. Cambridge University Press ISSN 1569-1616, Bd. 19.1986, S. 186–228
  • Helmut Lenz: Die Rebellion des Vincenz Fettmilch. Frankfurter Bürger kämpften 1614 um religionspolitische Gleichstellung. In: Diözese, Limburg Lahn Hrsg.: Almanach, Kalender für das Bistum Limburg. Knecht, Frankfurt a. M. 1994, S. 142–144
  • Turmoil, trauma, and triumph. The Fettmilch uprising in Frankfurt am Main (1612–1616) according to Megillas Vintz. A critical edition of the Yiddish and Hebrew text including an English translation. Peter Lang, New York 2001
  • Konrad Schneider: Der Frankfurter Politiker und „Volkstribun“ Vinzenz Fettmilch – auch ein Falschmünzer? In: Heimatbund. Marburg/Lahn Bd. 53, 2003, Heft 2, S. 76–80

Belletristik

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  • Elchanan Heln: Megilass Winz. Amsterdam 1648
  • Carl Feldmann: Vincenz Fettmilch der Lebküchler von Frankfurt. Ein Trauerspiel. Offenbach [1850]
  • Rudolf Frank: Vincenz Fettmilch. Eine historische Erzählung aus der Geschichte der freien Stadt Frankfurt a/M. (1612–1616). Leipzig 1861.
  • Theodor Poppe: Die Tragoedia von Vincenz Fettmilch. In fünf Aufzügen. Georg Müller, München 1905
  • Adolf Stoltze: Vinzenz Fettmilch. Drama in fünf Aufzügen. 1.–3. Tsd. Stoltze Nachf., Frankfurt am Main 1927
  • Hans Albrecht: Fettmilch will an die Macht. Schauspiel. 1964[9]
  • Revolution in Frankfurt, deutscher Fernsehfilm von 1979. Regie Fritz Umgelter.
  • Albrecht Glöckner: Vinzenz Fettmilch 1616 und die „Parierer“ Diller-Glöckler. (Kurzgeschichte in Briefform)[10]
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Einzelnachweise

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  1. Wolfgang Benz: Handbuch des Antisemitismus, Band 4: Ereignisse, Dekrete, Kontroversen. de Gruyter, Berlin 2011, ISBN 978-3-598-24076-8 (online: S. 133).
  2. NDB, S. 105.
  3. Thomas Bauer, S. 199.
  4. Nachum T. Gidal: Die Juden in Deutschland von der Römerzeit bis zur Weimarer Republik. Könemann, Köln 1997, S. 91.
  5. Fettmilch-Aufstand. In: Julius H. Schoeps: Neues Lexikon des Judentums. Gütersloh 1992, ISBN 3-570-09877-X, S. 146.
  6. Institut für Stadtgeschichte Signatur Criminalia 752.
  7. a b Thomas Bauer, S. 201.
  8. Jürgen Walburg und pia: Das blutige Ende eines Lebkuchenbäckers: Vor 400 Jahren wurde der Rebell Vinzenz Fettmilch in Frankfurt gevierteilt. In: weltexpresso. 17. Februar 2016, abgerufen am 11. April 2022.
  9. Institut für Stadtgeschichte. Signatur: Manuskripte S6a.
  10. Institut für Stadtgeschichte. Signatur: Manuskripte S6a 329.