Sonderführer
Sonderführer war eine Funktion, die von der deutschen Wehrmacht im Jahr 1937 (Mobilmachungsplan für das Heer vom 12. März 1937) für den Mobilmachungsfall geschaffen wurde. Mit der Heranziehung als Sonderführer sollten die zivilen Spezialkenntnisse von Soldaten genutzt werden, die keine oder nur eine ungenügende militärische Ausbildung hatten. Dieser Personenkreis wurde in einen Offiziers- oder Unteroffiziersdienstrang übernommen.
Die gebräuchlichen Abkürzungen waren:[1]
- Sdf = Sonderführer
- Sf = Sonderführer mit militärischer Befehlsbefugnis.
Sonderführer-Kategorien
BearbeitenSonderführer gab es in allen Waffengattungen und zwar mit den Dienstgraden für …
- Offiziere:
- Sonderführer (B), entsprechend einem Major oder Oberstleutnant in der Heeres-Hierarchie,
- Sonderführer (K), entsprechend einem Hauptmann oder Rittmeister in der Heeres-Hierarchie,
- Sonderführer (Z), entsprechend einem Leutnant/Oberleutnant oder Zugführer in der Heeres-Hierarchie.
- Unteroffiziere:
- Sonderführer (O), auch Dolmetscher O, entsprechend einem Oberfeldwebel in der Heeres-Hierarchie,
- Sonderführer (G), entsprechend einem Unteroffizier in der Heeres-Hierarchie.
Eine ideologisch ausgerichtete besondere Aufgabenstellung für den Sonderführer ist nicht zu belegen. Allerdings war der „nationalsozialistische Schirm“ über jedwede Aufgabenstellung gespannt. Bei Vorliegen literarischer oder fotografisch-zeichnerischer Eignungsmerkmale dienten Sonderführer in einer Propagandatruppe der Wehrmacht. So wurden Sonderführer hauptsächlich eingesetzt:
- als Dolmetscher,
- im Bauingenieurwesen,
- bei Finanz- und Verwaltungsaufgaben,
- bei wissenschaftlichen Aufgabenstellungen wie Archäologie und Kultur-Konservierung,
- in der Landwirtschaft,
- im Eisenbahnwesen, speziell Feldbahnen.
Eine besondere Einflussnahme bis in die Sprache des okkupierten Gebiets belegt der Fall des Sonderführers Leo Weisgerber, der die bretonische Sprache vereinheitlichen wollte, was bis heute Nachwirkungen in der Auseinandersetzung mit diesem Thema in der französischen Region Bretagne hat.[2]
Stellung und Uniform
BearbeitenDie Einberufung als Sonderführer war eine jederzeit widerrufliche Übergangsmaßnahme mit dem Zweck, Stellen zu besetzen, für die kein reguläres militärisches Personal zur Verfügung stand. Änderte sich dies, wurde der Sonderführer wieder in den „normalen“ Ablauf mit militärischer Ausbildung etc. eingegliedert. Dabei war die Dienststellung als Sonderführer – diese beinhaltete keinen Dienstgrad, sondern nur den Dienstrang – nicht zu berücksichtigen.
1942 wurde befohlen, dass die Sonderführer im Offizier-Rang militärisch ausgebildet werden sollten, um in das Reserve-Offizierskorps übernommen werden zu können.[3]
Sonderführer waren Soldaten im Sinne des Wehrgesetzes und damit auch Kombattanten. Im Versorgungsrecht der Bundesrepublik Deutschland waren die Sonderführer ausdrücklich den Soldaten gleichgestellt.[4]
Die Uniform der Sonderführer[5] war der von regulären entsprechenden Unteroffizieren oder Offizieren sehr ähnlich, nur die Kragenspiegel waren nicht vorgestoßen.
In der Organisation Todt wurden ebenfalls Sonderführer eingesetzt.
Russische Emigranten, die als Dolmetscher in der Wehrmacht dienten, erhielten häufig den Rang eines Sonderführers.[6]
SS-Sonderführer
BearbeitenDer Begriff SS-Sonderführer hat einen anderen Bezug als der des Sonderführers in der Wehrmacht; er schließt sich an die Dienstrang-Ordnung der „Schutzstaffel“ an, die durchweg die gleiche Endung „-führer“ benutzt. Mit der Bezeichnung „SS-Führer im Sonderdienst“, abgekürzt „SS-Sonderführer“ (ab 1942 „SS-Fachführer“ (F) in der Waffen-SS) wurde z. B. die technische, medizinische oder juristische Führerlaufbahn eines SS-Angehörigen charakterisiert (SS-Richter, SS-Arzt, SS-Führer der technischen Dienste, SS-Musikführer, SS-Wehrgeologe). 1935 wurden bei der Allgemeinen SS Ärmelrauten auf der Uniform eingeführt, die die Tätigkeit des Uniformträgers signalisierten (auch „Sonderlaufbahnabzeichen“ genannt), z. B.
- Äskulapstab = Führer im medizinischen Dienst
- Negativer Äskulapstab = medizinisches Personal
- Gotisches Z = Führer im dentalmedizinischen Dienst
- Gotisches A = Apotheker
- Schlange = Führer und Unterführer im Veterinärdienst
- Harfe = Musikführer
Grundsätzlich gab es in jedem SS-Dienstrang SS-Sonderführer bzw. SS-Fachführer. Sie wurden aus den eigenen Reihen rekrutiert und nicht gesondert einberufen.
Bekannte ehemalige Sonderführer
Bearbeiten- Lothar-Günther Buchheim, Maler, Fotograf, Schriftsteller, Verleger und Kunstsammler, war als Sonderführer Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie der Kriegsmarine. Aus den Erlebnissen vor allem während der U-Boot-Fahrten schöpft sein bekannter, auch verfilmter Roman Das Boot.
- Wilhelm Dege, Sonderführer (O) als Dolmetscher im besetzten Norwegen, nachmalig Sonderführer Z Leutnant MA Wettertrupp Haudegen
- Hans von Dohnanyi, Sonderführer im Stab von Admiral Wilhelm Canaris, als Widerstandskämpfer 1945 hingerichtet.
- Hans Fallada, Roman-Autor, Sonderführer (B) beim Reichsarbeitsdienst in Frankreich, lebte nach dem Krieg in der sowjetischen Besatzungszone, starb 1947 seelisch und gesundheitlich zerrüttet.
- Joachim Fernau, war Kriegsberichterstatter als SS-Sonderführer in der Propagandatruppe, nach dem Krieg sehr erfolgreicher Sachbuch-Autor (u. a. Deutschland, Deutschland über alles...) und Maler.
- Hans Bernd Gisevius, wurde als Sonderführer in der Abteilung Ausland/Abwehr im OKW unter Admiral Canaris eingezogen, war beteiligt am Attentat vom 20. Juli 1944, schrieb das Buch Bis zum bitteren Ende.
- Gerhard Heller, war Sonderführer bei der Propaganda-Staffel Paris, zuständig für literarische Zensur und Papierzuteilung; nach dem Krieg Verlagsleiter.
- Eberhard von der Heyden, Sonderführer (Z) und Kameramann beim XI. Fliegerkorps. Starb bei der Eroberung der Kanalbrücke von Korinth am 26. April 1941 bei einem Fallschirmabsprung.
- Robert Pilchowski, als Tee- und Gummi-Pflanzer prädestiniert für die Aufgabe als Sonderführer in der Dienststelle „Arbeitsgemeinschaft niederländisch-indischer Firmen“ in Amsterdam zur Verwaltung überseeischer Teefirmen; nach dem Krieg Schriftsteller.
- Fritz Piersig, ein Musikwissenschaftler, überwachte und steuerte als Sonderführer Z seit Ende 1940 das französische Musikleben.
- Eberhard Taubert, ranghoher Mitarbeiter des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, war als Sonderführer für die Propaganda im besetzten Norwegen tätig. Er schrieb das Drehbuch zu dem antisemitischen Hetzfilm Der ewige Jude. Nach dem Krieg zunächst untergetaucht, war er ab 1958 Berater im damals neuen Referat „Psychologische Kampfführung“ im Bundesministerium für Verteidigung, dessen Minister Franz Josef Strauß war.
- Wolfgang Willrich, fanatischer Verfechter der nationalsozialistischen Kunst-Auffassung, jedoch eigenwilliger Ausprägung, die sich z. B. darin zeigte, dass Willrich seine Berufung als Sonderführer rückgängig machen ließ.
- Günther Niethammer, Fachführer der Waffen-SS. Er nahm an Expeditionen der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe teil, die wissenschaftliche Beweise für die NS-Rassentheorie finden sollte. Im Mai 1944 wurde er als Zoologe zum Hygiene-Institut der Waffen-SS abkommandiert.
- Horst Grund, Kameramann und Fotograf, Sonderführer (Z) Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie.
Literatur
Bearbeiten- Rudolf Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich (= Schriften des Bundesarchivs), Band 5: 1. September 1939 bis 18. Dezember 1941. Harald Boldt Verlag, Boppard am Rhein 1988, ISBN 3-7646-1882-5, S. 161 und 183 ff. (Abschnitt Die Sonderführer).
- Adolf Schlicht, John R. Angolia: Die deutsche Wehrmacht: Uniformierung und Ausrüstung 1933–1945. Band 1: Das Heer. Motorbuch Verlag, Stuttgart 1992, S. 304 f (Abschnitt Sonderführer).
- Werner Müller: Sonderführer Günter Krüll. In: Wolfram Wette (Hg.): Zivilcourage. Empörte, Helfer und Retter aus Wehrmacht, Polizei und SS. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-596-15852-4, S. 128–144. – Günter Krüll rettete als Sonderführer einen jungen Juden aus dem Getto Pinsk.[7]
Literarische Darstellungen
Bearbeiten- Willi Bredel: Der Sonderführer. Dietz-Verlag, Berlin 1948.
- Walter Kempowski: Alles umsonst. Verlag Knaus, München 2006, ISBN 978-3-8135-0264-0. Die Romanfigur Eberhard von Globig war Sonderführer im Zweiten Weltkrieg.
Film
BearbeitenIn Die letzte Nacht spielt Peter Schütte 1949 den Sonderführer und Dolmetscher Hauptmann Vener.
„Sonderführer“ als Bezeichnung von Publikationen
BearbeitenDer Begriff „Sonderführer“ wird auch für Druckwerke aus Anlass von Ausstellungen oder Messen verwendet, z. B. Sonderführer der Gruppe Landwirtschaft zur Internationalen Hygiene-Ausstellung Dresden 1930 und 1931.[8]
Siehe auch
BearbeitenWeblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ [1] Abkürzungen.
- ↑ Archivierte Kopie ( des vom 11. Oktober 2009 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. L’origine historique et politique du >H< de BHZ.
- ↑ Förderung von Sonderführern: HM 26.10.1942, HM 1942. zitiert nach: Dirk Richardt, Auswahl und Ausbildung junger Offiziere 1930–1945, Dissertation Marburg, 2002, S. 504.
- ↑ www.lagus.mv-regierung.de/land-mv/LAGuS_prod/LAGuS/Soziales/PublikationenMerkblaetter/Broschueren_und_Gesetze_zum_Sozialen_Entschaedigungsrecht/Bundesversorgungsgesetz.pdf (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Januar 2017. Suche in Webarchiven) Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges, S. 7, Nr. 3.
- ↑ [2] Rangabzeichen der deutschen Wehrmacht (1935–1945).
- ↑ Oleg Beyda: ‘Iron Cross of the Wrangel’s Army’: Russian Emigrants as Interpreters in the Wehrmacht. In: The Journal of Slavic Military Studies. 27, 2014, S. 430–448, doi:10.1080/13518046.2014.932630
- ↑ Wolfram Wette: Zivilcourage in Uniform. In: Die Zeit vom 9. November 2006.
- ↑ Sonderführer der Gruppe Landwirtschaft, herausgegeben von der Landwirtschaftskammer für den Freistaat Sachsen. Verlag Internationale Hygiene-Ausstellung Dresden 1930.